Follow that story: Ich verfolge die Geschichte der “Galaxie ohne Dunkle Materie” NGC 1052-DF2 nun schon eine Weile, und weiterhin beschäftigen sich die Astronomen mit ihr, weil sie eine Art Lackmustest für die Dunkle Materie und konkurrierende alternative Theorien ist.
Nochmal kurz rekapituliert: Pieter van Dokkum vermeldete im März 2018, anhand der langsamen Bewegung der Kugelsternhaufen um die sehr schwach leuchtende ultradiffuse Zwerggalaxie NGC 1052-DF21 nachgewiesen zu haben, dass die Galaxie eine sehr geringe Gesamtmasse hat (leuchtende + Dunkle Materie). Stellt man dieser die aus der Helligkeit ihrer Sterne geschätzte leuchtende Masse gegenüber, so seien beide von gleicher Größenordnung, was sehr ungewöhnlich ist, weil Galaxien üblicherweise erheblich mehr Dunkle Materie enthalten als leuchtende. Dies würde, so van Dokkum, belegen, dass Dunkle Materie und leuchtende Materie wirklich unterschiedliche Quellen haben und somit in verschiedenen Mischungsverhältnissen im Weltall vorkommen können, womit sich alternative Gravitationstheorien (sprich: MOND) erledigt hätten.
Niet zo snel, mijnheer Van Dokkum…
Widerspruch kam von verschiedenen Seiten, schon weil eine Galaxie ohne (nennenswerte) Dunkle Materie auch innerhalb der Dunkle-Materie-Theorie (genannt ΛCDM2) sehr ungewöhnlich wäre; selbst van Dokkum konnte keine Erklärung liefern, wie sie entstanden sein soll. Eine Gruppe um Ignacio Trujillo zweifelte die Entfernungsbestimmung von van Dokkum an – statt 20 Mpc3 sollte die Galaxie nur 13 Mpc entfernt sein. Damit wäre die leuchtende Masse der Galaxie kleiner (da sie dann absolut lichtschwächer wäre) und somit im Verhältnis mehr Dunkle Materie als leuchtende vorhanden, wie man es von ultradiffusen Zwerggalaxien (UDGs) kennt.
Oliver Müller, frisch gebackener Astronomie-Doc an der Uni Straßburg, vertritt hingegen die Theorie der MOdifizierten Newtonschen Dynamik (MOND), die ganz ohne Dunkle Materie auskommt und ein anderes Schwerkraftgesetz für schwache Gravitationskräfte postuliert. In einem Gastartikel erläuterte er uns, dass NGC 1052-DF2 sehr wohl mit MOND verträglich sei, weil die Schwerkraft der (allerdings nur im Falle von 20 Mpc Entfernung) benachbarten großen Galaxie NGC 1052 einen sogenannten externen Feldeffekt bewirke, der die Schwerkraft innerhalb von DF2 wieder mehr Newtonsch’ (als weniger modifiziert) mache, was van Dokkums Beobachtung auf andere Weise erklären würde.
Eine schwergewichtige MUSE
Oliver war nun auch bei der hier besprochenen Arbeit beteiligt, die demnächst im Astronomy & Astrophysics Magazine erscheinen soll. Statt sich, wie die beiden erstgenannten Arbeiten, alleine auf die Kugelsternhaufen der Galaxie zu fokussieren, betrachteten die Autoren erstmals die Bewegung der Sterne innerhalb der Galaxie selbst, was wegen der Lichtschwäche der Galaxie eines ordentlich großen Instruments bedarf – sie verwendeten Yepun, eines der vier großen, 8,2 m durchmessenden Teleskope des VLT in Chile. Yepun ist mit dem Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) Instrument ausgestattet, einem sogenannten Integralen Feldspektrographen, also einer Kamera, die zahlreiche Spektren mit einem Bild aufnehmen kann. Bei MUSE wird das Bildfeld von einer Quadratbogenminute in 24×48 Einzelspektren aufgeteilt, so dass man insgesamt 1152 Spektren eines flächigen Objekts wie etwa einer Galaxie erhält – damit kann man die Bewegung der in ihr enthaltenen Sterne an verschiedenen Stellen messen (Dopplereffekt). Man kann auch Masken definieren, die bestimmte Bereiche auswählen oder ausblenden, was die Autoren getan haben, um Vordergrundobjekte und Kugelsternhaufen vor der Galaxie von den Messungen auszunehmen. Die MUSE musste den Galaxienzwerg 7h Stunden lang “küssen” (aka belichten), um ihm die Geheimnisse seiner Sterne zu entlocken.
Im folgenden Bild ist dargestellt, wie die nicht zum Sternkörper der Galaxie gehörenden Objekte identifiziert und ausmaskiert wurden, und wo mit MUSE die Spektren der Sterne gemessen wurden. Dabei fanden sich auch drei auffällige Planetarische Nebel, also Überreste von sonnenähnlichen Sternen, die am Ende ihres Lebens ihre Gashüllen weggeblasen haben. Deren Spektren sind leicht daran zu erkennen, dass sie Emissionslinien von Sauerstoff und Wasserstoff zeigen, also helle Spektrallinien auf dunklem Grund, anstelle von dunklen Absorptionslinien auf hellem Grund, wie sie bei Sternen üblich sind. Mit Hilfe der Planetarischen Nebel lässt sich die Entfernung der Galaxie schätzen, da diese als Standardkerzen bekannter Leuchtkraft verwendet werden können. Die Spektren der Planetarischen Nebel wie auch die der Kugelsternhaufen wurden zusätzlich separat gemessen.
Hier die Ergebnisse für die Sterne der Galaxie, und zwar entlang einer Linie, die im obigen Bild rechts ungefähr der Richtung der kleinen Achse des weißen Ovals entspricht; entlang dieser Linie war die Geschwindigkeitsdispersion (Variation) am höchsten.Ein rotierender… Football?!
Das Bild zeigt einen linearen Trend, mit dem Geschwindigkeit von Nordosten (oben links) nach Südwesten (unten rechts) abnimmt. Das Zentrum der Galaxie bewegt sich mit 1793 km/s von uns weg und die Linie zwischen den Datenpunkten variiert um ca. 16,5 km/s von einer Seite zur anderen. So sieht ein starre rotierendes Objekt aus: die Geschwindigkeit variiert linear mit dem Radius. Bei einer Galaxie ohne Dunkle Materie würde man erwarten, dass die Sterne außen langsamer kreisen als innen. Die Galaxie ähnelt demgemäß einem um die lange Achse rotierenden American Football, was für eine Struktur aus einzelnen Sternen sehr ungewöhnlich ist – die sollte sich eher abflachen. Solche Rotationsformen können jedoch, gemäß Simulationen durch Galaxienkollisionen oder -begegnungen entstehen. Die Nachbargalaxie NGC 1052 wäre hier erhöht tatverdächtig.
Berechnet man aus den gemessenen Sterngeschwindigkeiten die Gesamtmasse inklusive Dunkler Materie innerhalb des effektiven Radius4, so kommt man auf 350 Millionen Sonnenmassen, wenn die Galaxie 20 Mpc entfernt ist (worauf die Autoren aufgrund der Helligkeiten der planetarischen Nebel schließen [2]). Das Verhältnis der Gesamtmasse zur leuchtenden Masse wäre dann 3,4.
Auch die Geschwindigkeitsdispersion der Kugelsternhaufen und der planetarischen Nebel wurde gemessen (auf die ich hier im Detail nicht eingehen möchte; siehe auch meinen Artikel zu van Dokkums Arbeit), aus der die Masse innerhalb von größeren Radien bestimmt werden kann. Hier ergibt sich eine Masse von 850 Millionen Sonnenmassen und ein Masse/Leuchtkraft-Verhältnis von 8,3.
Es ist also reichlich Dunkle Materie vorhanden. Wäre die Galaxie wie bei Trujillo nur 13 Mpc entfernt, ergäbe sich sogar ein Verhältnis von bis zu 13,6. Und: das Ergebnis ist laut den Autoren verträglich mit dem MOND-Modell.
Wie man am Beispiel von DF2 sieht, ist Forschung ein Hin- und Her, und an der Frontlinie der Erkenntnis ist kein Ergebnis in Stein gemeißelt. Die Entfernung ist immer noch nicht mit letzter Sicherheit geklärt, und damit ist auch der genaue Massenanteil von Dunkler Materie noch nicht letztendlich bestimmt; auch MOND ist damit nicht widerlegt. So leicht gibt sich die MOND-Anhängerschaft nicht geschlagen. Van Dokkum dürfte aber auf jeden Fall nachlegen. Es sind weitere Beobachtungen mit noch besseren Teleskopen und Geräten nötig, bis die Ergebnisse konvergieren und man den Fall irgendwann abhaken kann.
Referenzen
[1] Eric Emsellem, Oliver Müller et al., “The ultra-diffuse galaxy NGC 1052-DF2 with MUSE:
I. Kinematics of the stellar body”, eingreicht bei Astronomy & Astrophysics, Preprint 19. Dezember 2018; arXiv:1812.07345.
[2] Oliver Müller, “NGC1052-DF2 zum Dritten – Oh du herrliche Dunkle Materie“, Prosa der Astronomie (Blog), 19. Dezember 2018.
1Die Galaxie wurde so benannt, weil sie der größeren Galaxien NGC 1052 benachbart ist und von van Dokkums Team mit einer Matrix von Teleobjektiven abgelichtet wurde, das vage an ein Insektenauge, inbesondere Libellenauge (Libelle = Dragonfly→DF) erinnert.
2Lambda Cold Dark Matter – Lambda steht hier für die Dunkle Energie, die das Weltall zunehmend schneller auseinander treibt, und “kalt” muss die Dunkle Materie sein, damit sie sich unter ihrer Schwerkraft in Galaxien verdichten kann; heiße Teilchen sind schnell unterwegs und würden die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxie überschreiten und in alle Richtungen auf Nimmerwiedersehen davon fliegen.
31 Mpc = 1 Megaparsec = 1 Million Parsec = 3,26 Millionen Lichtjahre.
4 Radius, in dem die Helligkeit relativ zum Zentrum um 1/e abgenommen hat.
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