Heute mal wieder ein paar Grundlagen. In Kommentarbereich von Artikeln zum Urknall tauchen gerne, sagen wir mal “kritische Stimmen” auf, denen das Konzept des Urknalls so gar nicht zusagen will, weil sie lieber an ein ewiges statisches Universum glauben mögen, mit dem Konzept einer expandierenden Raumzeit nichts anfangen können oder ihnen nicht gefällt, dass einer der Väter der Urknalltheorie im Hauptberuf Priester war. Und sie scheinen zu glauben, dass der einzige Hinweis, den wir auf den Urknall haben, die Rotverschiebung des Lichts ferner Galaxien sei – die man ja womöglich auch gaaanz anders erklären könne.
Dass sich die Urknalltheorie nach ihrer ersten Formulierung durch Georges Lemaître 1927 nun schon 92 Jahre gehalten hat und alle ernstzunehmenden wissenschaftlichen Kritiker verstummt – oder verstorben – sind, liegt allerdings daran, dass die Urknalltheorie auf mehr als einem Bein steht, sie ist eher ein Tausendfüßer. Das möchte ich in den nächsten Artikeln erläutern.
Was besagt die Urknalltheorie – und was nicht?
Bevor wir mit den Argumenten beginnen, sei zunächst kurz zusammengefasst, was die Urknalltheorie eigentlich aussagt – und was nicht. Man beobachtet, dass sich das Universum ausdehnt, (fast) alle Galaxien (mit sehr wenigen Ausnahmen in unmittelbarer Nähe der Milchstraße) entfernen sich von uns und wir scheinen genau im Zentrum der Expansion zu sein. Da es bei 100-1000 Milliarden Galaxien im beobachtbaren Universum furchtbar unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet hier der Mittelpunkt des Universums sein soll, von dem sich alles entfernt, ist die plausiblere Annahme, dass es von jedem anderen Ort im Universum ziemlich genau so aussieht. Damit dehnt sich das Universum insgesamt und überall aus.
Beim Blick in die Vergangenheit kehrt sich die Ausdehnung um, das Universum muss in der Vergangenheit kleiner gewesen sein und je weiter man zurück blickt, desto kleiner und dichter wird es. In der Zeit, bevor die Galaxien und Sterne entstanden, trifft man auf ein heißes ionisiertes Gas (Plasma), das den Raum erfüllte und mit dessen Ausdehnung abkühlte, so dass es irgendwann zu neutralem Wasserstoff wurde, aus dem Sterne und Galaxien entstanden. Geht man noch weiter zurück, so war das Plasma irgendwann so heiß und dicht, dass Atomkerne fusionieren konnten, wie im Inneren der Sonne. Geht man noch weiter zurück, dann kommt man auf Dichten wie in Neutronensternen und darüber hinaus, wo die Kernteilchen (Neutronen, Protonen) nicht mehr existieren können und nur ein Plasma aus Quarks und Gluonen (Austauschteilchen der starken Kernkraft zwischen den Quarks) bestehen kann. Und noch weiter zurück kann nur noch Strahlung bestehen. Bis zu den Energiedichten des Quark-Gluonen-Plasmas kann man experimentell mit Teilchenbeschleunigern vordringen und diesen Zustand für Sekundenbruchteile auf winzigem Raum herstellen. Darüber hinaus beginnt das Spekulieren und die Unsicherheit.
Wir beobachten, dass Galaxien und Sterne sich so bewegen, als sei deutlich mehr Masse vorhanden, als sich direkt beobachten lässt und (unter anderem) deswegen geht man in der aktuellen Form der Urknalltheorie davon aus, dass vier Fünftel der Materie in einer bisher unentdeckten Form von Teilchen vorliegen, die bei der Entstehung der großräumigen Strukturen im Universum eine große Rolle spielten, genannt Dunkle Materie. Falls sich irgendwann zeigen sollte, dass die anscheinend vorhandene Extra-Masse eine andere Erklärung hat, änderte dies nur die spezielle Ausgestaltung der Urknalltheorie, die Grundidee würde davon nicht beeinflusst. Gleiches gilt für die in den 90er Jahren entdeckte Beschleunigung der Expansion, genannt Dunkle Energie, für deren Ursache wir keine funktionierende Theorie haben, nur die Beobachtung der zeitlichen Entwicklung der Expansion, wenn man sehr weit in den Raum und damit weit zurück in die Vergangenheit schaut. Die Urknalltheorie gab es schon vor der Entdeckung von Dunkler Materie und Dunkler Energie, sie sind nur Bestandteile des aktuell präferierten ΛCDM-Modells, bei dem Λ (Lambda) für die Dunkle Energie und CDM für cold dark matter, also kalte Dunkle Materie steht. “Kalt”, weil sie sich nur langsam bewegen soll.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es eine Phase sehr schneller, exponentieller Expansion gab, die das Universum in 10-33 Sekunden um einen Faktor > 1030 aufblähte (eine Trillion billionenmal, wem das mehr sagt…), die sogenannte “kosmische Inflation”. Es gibt aber auch alternative Theorien. Die Urknalltheorie beinhaltet nicht notwendigerweise die Inflation.
Die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die die Expansion des Universums (und auch die Inflationsphase) beschreiben können, sagen für den Zeitpunkt 0 eine unendliche Dichte und einen Punkt voraus, in dem das beobachtbare Universum komprimiert gewesen sein soll, während die Quantenphysik einen solchen Punkt nicht zulässt. Die beiden Theorien passen dort nicht zusammen und wenigstens eine (aber vermutlich beide) wird modifiziert werden müssen. Da wir noch nicht genau wissen, wie die Modifikation aussieht, können wir nichts zu der Realität der Singularität sagen – möglicherweise gab es statt dessen ein kleinstes elementares Volumen, das nicht unterschritten wurde. Die Urknalltheorie beinhaltet nicht notwendigerweise die Singularität.
Man ist sicher, dass das Universum größer als der von uns beobachtbare Teil ist, möglicherweise unendlich groß. Ein unendlich großes Universum kann nicht in begrenzter Zeit aus einem Punkt entstanden sein, demnach wäre es schon immer unendlich groß gewesen, aber zu Beginn viel dichter. Schon deswegen besagt die Urknalltheorie nicht notwendigerweise, dass das ganze Universum auf einen Punkt beschränkt gewesen sein muss.
Nach der klassischen Urknalltheorie begann mit dem Entstehen des Raums aus der Singularität auch die Zeit und die Frage nach einem Vorher wäre sinnlos. Mittlerweile gibt es ein paar Hypothesen, nach denen unser Universum einen Vorgänger oder viele Nachbarn haben könnte und in diesem Zusammenhang gibt es einen Zeitbegriff auch vor dem Urknall. Das Universum muss auch nicht aus dem Nichts entstanden sein, es kann einen Vorläufer oder eine Umgebung haben. All das sind Feinheiten der Ausgestaltung, aber keine notwendigen oder in irgendeiner Weise bestätigten Zutaten der Urknalltheorie, über die wir ein anderes Mal reden können.
Wenn also jemand sagt, die Urknalltheorie müsse falsch sein, weil er sich nicht vorstellen könne, wie das riesige Universum in einem Punkt zusammengequetscht worden sein soll oder dass es ohne Ursache gewesen sein soll, dann kritisiert er nur Einzelaspekte, über die auch unter Experten teils keine Einigkeit herrscht. Die Urknalltheorie wird nur dann negiert, wenn man die Expansion des Raums und den heißen Ursprung in Frage stellt. Und um Belege für diese soll es im folgenden gehen.
Kosmologische Rotverschiebung
Beginnen wir doch mit der Rotverschiebung. Je weiter entfernt eine Galaxie ist, desto mehr ist ihr Licht zu roten Wellenlängen verschoben. Das kann man präzise messen, wenn man sich die Spektrallinien anschaut. Hier ein paar Originalspektren aus den 1930ern:
Man sieht, wie für die zunehmend lichtschwächer erscheinenden Galaxien das Paar heller Linien, auf das die Pfeile jeweils zeigen, immer weiter nach rechts zum Roten hin verschoben ist (da hier auf lichtempfindlichen Schwarzweiß-Platten belichtet wurde, sieht man die Farbe natürlich nicht, und das dargestellte Bild ist ein Negativ, in dem hell und dunkel vertauscht sind). Die dunklen Linien oberhalb und unterhalb der Galaxienspektren sind Referenzspektren einer Linien-Lichtquelle im Spektrographen, anhand deren bekannter Position man die Wellenlängen des Sternenlichts ablesen kann. Die entsprechenden Geschwindigkeiten (wenn es denn eine Raumbewegung wäre) stehen rechts von den Galaxien. Modernere Spektren und Fotos findet man auf dieser Seite, das Linienpaar (Kalzium H und K) erscheint als zwei tiefe Zacken (und dürfte das gleiche wie das Linienpaar im Bild oben sein).
Aus dem ganzen wird aber erst ein Schuh, wenn man die genaue Entfernung kennt und sie in Beziehung zur Rotverschiebung setzen kann. Die Entfernungsbestimmung war damals noch sehr rudimentär, ist aber heute Dank dem Hubble-Weltraum-Teleskop und HIPPARCOS bzw. Gaia auf wenige Prozent genau. Mit diesen Weltraumteleskopen konnten “Standardkerzen” wie Cepheiden-Veränderliche und Typ-Ia-Supernovae kalibriert werden und heute mit Supernovae und Quasaren kosmologische Entfernungen bis an den Rand des beobachtbaren Universums gemessen werden.
Das sieht dann so aus:
Auf der x-Achse sieht man die Rotverschiebung z (0: nicht verschoben, 1: jede Wellenlänge ist auf den doppelten Wert verschoben), auf der y-Achse die Leuchtkraftentfernung. Das ist diejenige Entfernung, die man alleine aus dem Vergleich zwischen beobachteter und absoluter Helligkeit erschließt, die allerdings größer erscheint, als die Lichtlaufzeitentfernung oder die Eigendistanz, siehe dazu diesen Artikel. Für heute reicht es zu wissen, dass dies eine der kosmologischen Entfernungsskalen ist. Und die Gerade, die durch die Punkte gezogen ist, hat eine bestimmte Steigung, es ist die berühmte Hubble-Konstante H0. Die Rotverschiebung wächst linear mit der Entfernung: doppelt so weit entfernt heißt doppelte Rotverschiebung.
Die Urknalltheorie erklärt die Rotverschiebung damit, dass sich der Raum ausdehnt und mit ihm auch die Wellenlänge des Lichts, während es diesen durchläuft. Tatsächlich bewegt sich keine Galaxie von der Stelle (bis auf lokale Bewegungen innerhalb des Galaxienhaufens, in dem sie sich befindet; z.B. fallen die Andromedagalaxie und die Milchstraße aufeinander zu, so dass Andromeda blauverschoben erscheint), sondern die Entfernung zwischen den Galaxien wächst wie der Teig zwischen den Rosinen in einem Rosinenkuchen im Backofen, während die Rosinen aus der Sicht des Teigs auf der Stelle bleiben. Und Objekte, die durch Kräfte wie die Schwerkraft aneinander gebunden sind, nehmen an der Expansion nicht teil. Deswegen wachsen die Lokale Gruppe, Milchstraße, das Sonnensystem oder die Erde nicht mit.
Kann es denn kein Dopplereffekt sein?
Könnte sie auch anders erklärt werden? Licht wird auch rotverschoben, wenn sich die Lichtquelle vom Beobachter fortbewegt, der sogenannte Doppler-Effekt. Könnte es sich nicht einfach um eine Explosion von Materie in leeren, zuvor vorhandenen Raum handeln?
Nein! Denn dann wäre die Expansion nur perfekt symmetrisch für einen Beobachter im exakten Zentrum. Der Ursprung läge ansonsten in einer bestimmten Richtung, man würde dort mit Blick in die Vergangenheit den heißen Ursprung sehen und in anderen Richtungen jenseits der Galaxien mit Vorsprung nur schwarze Kälte, ggf. eine Ausdünnung der Materie oder einen Rand der Explosionswolke. Man beobachtet jedoch, dass das Universum in jeder Richtung gleich (isotrop) aussieht und sieht den heißen Ursprung in jeder Richtung (dazu mehr im nächsten Teil). Der Urknall fand nicht an einem bestimmten Ort im Universum statt, sondern überall.
Wie wär’s mit einem Schwerefeld?
Auch ein Gravitationsfeld verursacht eine Rotverschiebung des Lichts, wenn sich dieses gegen die Schwerkraft nach oben kämpfen muss. Es muss dann Hubarbeit leisten und verliert Energie (bzw. wandelt es sie in potenzielle oder Lageenergie um); da Licht nicht wie ein nach oben geworfener Stein langsamer werden kann, ändert sich statt dessen seine Wellenlänge, denn langwelligeres Licht hat weniger Energie als kurzwelliges, es erleidet also eine gravitative Rotverschiebung. Könnte das Universum nicht in jeder Richtung eine nach außen gerichtete Gravitation aufweisen, die das Licht rotverschiebt, wenn es von dort zu uns kommt? Weil sich in der Ferne eine große Masse befindet, die alle Photonen anzieht?
Nein! Denn eine schalenförmige Massenverteilung erzeugt gar keine Schwerkraft in ihrem Inneren, nirgendwo (Satz von Gauss, auch: Newtonsches Schalentheorem). Und wenn wider die Erkenntnisse von Newton und Einstein dennoch eine Gravitationskraft das Licht bremsen würde, dann würde dieselbe Kraft die Galaxien doch ebenfalls nach außen beschleunigen und man hätte zusätzlich einen Dopplereffekt und genau die Expansion, die man eigentlich wegerklären will. Denn eine umgebende Masse könnte man nicht umkreisen und ihre (hier mal hypothetisch angenommene) Anziehungskraft mit irgendeiner Fliehkraft kompensieren. Im Gegenteil, die Fliehkraft würde nach außen wirken und die Beschleunigung noch vergrößern!
Und wenn das Licht schlapp macht?
Und als letzte alternative Idee für die Rotverschiebung sei noch das gelegentlich angeführte “müde Licht” genannt. Kann Licht nicht einfach mit der Zeit “altern” und so langwelliger werden? Ein Effekt, den wir im Labor einfach noch nicht beobachtet haben? Und die Galaxien hängen in Wirklichkeit bewegungslos im Raum?
Nein! Zunächst würde das den Energieerhaltungssatz verletzen, denn anders als bei der gravitativen Rotverschiebung würde hier keine Energie in Lageenergie gewandelt, die man zurückerhalten könnte (z.B. indem man das Photon an einem Spiegel zurück reflektierte so dass es dann in einem Schwerefeld wieder nach unten fiele und blauverschoben würde).
Moment – die kosmologische Rotverschiebung verletzt dann doch auch die Energieerhaltung, oder nicht? Richtig. Die Energieerhaltung gilt nach der Allgemeinen Relativitätstheorie jedoch in expandierenden Raumzeiten nicht uneingeschränkt – aber in einer nicht expandierenden Raumzeit muss sie hingegen immer gelten.
Wen das nicht überzeugt: Nicht nur Lichtwellenlängen nehmen in einer expandierenden Raumzeit zu, sondern auch der zeitliche Abstand zweier Signale, etwa zweier Lichtpulse. Sendet man beispielsweise zwei Lichtpulse im Abstand von einer Sekunde los, dann hat der erste Impuls zu Beginn einen Vorsprung von einer Lichtsekunde vor dem zweiten. Sind die Pulse lange genug unterwegs, dann wächst durch die Raumexpansion der räumliche Abstand zwischen den beiden, z.B. auf zwei Lichtsekunden (bei Rotverschiebung z=1). Wenn sie dann bei einem Beobachter eintreffen, sieht dieser den zweiten Puls demgemäß erst zwei Sekunden nach dem ersten eintreffen. Das gilt nicht nur für die Aussendung von Lichtwellen und Lichtpulsen, sondern universell für alle Prozesse – jeder kosmologisch weit entfernte Prozess scheint um den gleichen Faktor (z+1) verlangsamt, um den die Lichtwellenlänge vergrößert wird. Man beobachtet denselben Effekt an der Dauer von Supernovalichtkurven (Helligkeitsanstieg und -abfall über Wochen) und von Gammastrahlenschauern (Gamma Ray Bursts), wie sie z.B. bei der Verschmelzung von Neutronensternen entstehen – sie erscheinen mit wachsendem z zeitlich zunehmend gedehnt. Es ist also nicht nur Licht von der kosmologischen Expansion betroffen, sondern jeder zeitliche Ablauf, und somit handelt es sich nicht um einen Effekt des Lichts alleine bei in Wahrheit statischer Raumzeit und unbewegten Quellen.
Soviel für heute und die Rotverschiebung. Im nächsten Teil schauen wir uns die kosmische Hintergrundstrahlung an.Eine Übersicht und Zusammenfassung aller Artikel dieser Reihe gibt es hier.
Referenzen
[1] Goldhaber, Perlmutter et al. (The Supernova Cosmology Project), “Timescale Stretch Parameterization of Type Ia Supernova B-band Light Curves“, The Astrophysical Journal, Volume 558, Number 1, 4. Mai 2001; arXiv:astro-ph/0104382.
[2] Fu-Wen Zhang, Yi-Zhong Fan, Lang Shao, Da-Ming Wei, “Cosmological Time Dilation in Durations of Swift Long Gamma-Ray Bursts“, The Astrophysical Journal Letters, Volume 778, Number 1, 6. November 2013; arXiv:1309.5612.
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