In Teil 2 der Urknall-Serie haben wir die Hintergrundstrahlung kennengelernt. Der Cosmic Background Explorer COBE hatte ein erstes grobes Bild geliefert und seine wichtigste Erkenntnis war die Gleichförmigkeit und die thermische Natur der Hintergrundstrahlung. Eigentlich Beweis genug für den heißen Ursprung des Universums, aber es soll ja noch ein paar vereinzelte Zweifler geben, für die die Strahlung angeblich nur Wärmestrahlung von durch Sternenlicht aufgewärmtem Staub ist. Dass diese Annahme absurd ist, zeigen die Ergebnisse, die von COBEs Nachfolger WMAP (und später PLANCK) sowie dem BOSS-Projekt gefunden wurden.
Das Kleingedruckte lesen
COBE hatte in der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung bereits eine Temperatur-Variation (Anisotropie – der Begriff bedeutet, dass die Strahlung nicht in jeder Richtung gleichförmig – isotrop – ist) im Mikrokelvinbereich gefunden, aber seine Auflösung von 7° war viel zu grob, um daraus irgendetwas abzulesen. Daher schickte die NASA 2001 die Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) ins All, deren Auflösung zwischen 0,9° bei 22 GHz und 0,23° bei 90 GHz lag, also von ca. 2 Vollmonddurchmessern bis zu einem halben reichte, und die 45-fach kleinere Temperaturdifferenzen messen konnte. Die Sonde verfügte dazu über zwei Radioteleskope mit 1,4 m Öffnung, die in verschiedene Richtungen des Himmels wiesen und Differenzen in der empfangenen Strahlungsleistung zwischen diesen Richtungen aufzeichneten. Die Sonde scannte über 9 Jahre lang vom aus Sicht der Sonne eine Million Kilometer hinter der Erde gelegenen Lagrange-2-Punkt den gesamten Himmel ab und erstellte die obige Temperaturkarte (hier mal als Kugel dargestellt, statt der üblichen Mollweide-Projektion).
Wenn auch die körnige Struktur auf den ersten Blick zufällig und nichtssagend erscheint – nichts könnte ferner von der Realität sein. Tatsächlich steckt in diesem Kleingedruckten Information über sämtliche Parameter des Urknallmodells und die Folgen dieser Strukturen finden lassen sich noch im heutigen Weltall wiederfinden.
Aber was sind das eigentlich für Sprenkel? Nach der Urknalltheorie sind es die Relikte von Druckwellen, die durch das Plasma gelaufen sind und die eingefroren wurden, als das Plasma des Feuerballs abkühlte und sich in ein transparentes, neutrales Gas wandelte. Der Theorie gemäß entstanden Materie und Strahlung nicht vollkommen gleichförmig verteilt an jedem Ort, sondern es gab minimale Dichteunterschiede (gemäß der Inflationstheorie hervorgerufen durch Dichtefluktuationen im Quantenvakuum, die durch die Inflation auf makroskopische Größe aufgebläht worden waren).
Dort, wo die Dichte zufällig etwas höher war, bestand ein gewisser Überschuss an Materie und Photonen. Die Photonen konnten sich aber im Plasma nicht frei bewegen, sondern wurden von jedem Elektron, dem sie begegneten, abgelenkt, und auch das Elektron erhielt dabei einen kleinen Stoß in die Gegenrichtung, denn Photonen haben bekanntlich einen Impuls.
Dort, wo aufgrund des Dichteunterschieds ein Photonenüberschuss bestand, herrschte demgemäß ein gewisser Licht-Überdruck, der die Elektronen nach außen anschob. Da die negativ geladenen Elektronen die positiven Wasserstoff- und Heliumkerne elektrostatisch anzogen, wurden so zwangsweise auch die Baryonen (die Kernteilchen, Protonen und Neutronen) mitgezogen.
Wenn das Plasma auf diese Weise ausgedünnt worden war, kühlte es ab und der Lichtdruck ließ nach, so dass es zunächst unter der eigenen Trägheit weiter expandierte, bis es durch die Schwerkraft abgebremst und wieder zu den ursprünglichen Massenzentren hin gezogen wurde. Denn dort ruhte noch die Dunkle Materie, die von den Photonen unbeeinflusst geblieben und von der im Vergleich 5-Mal leichteren baryonischen Materie nur wenig mitgezogen worden war. Die baryonische Materie kollabierte also wieder, komprimierte sich, erwärmte sich dabei, was wieder zu einem Photonenüberschuss führte und das Ganze begann von vorne – die Baryonen oszillierten um die Verdichtungszentren.
Photonen und Baryonen bildeten so etwas wie eine Flüssigkeit, in der die Druckunterschiede sich wie Schallwellen ausbreiteten. Daher bezeichnet man den Prozess als Baryonische Akustische Oszillationen oder BAOs [1]. Die ‘Schall’geschwindigkeit in dieser Flüssigkeit war extrem hoch, denn der Druck wurde im dünnen Gas fast ausschließlich vom schnellen Licht vermittelt, sie betrug etwa 170.000 km/s oder knapp 60% der Lichtgeschwindigkeit.
Als das Plasma dann durch die Raumexpansion so weit abgekühlt war, dass es rekombinierte (die Kerne die Elektronen wieder einfingen), konnten die Elektronen die Photonen nur noch bei wenigen Frequenzen absorbieren und die Photonen entkoppelten sich so von der Materie und gingen fortan alleine ihres Weges, die BAOs wurden in der Hintergrundstrahlung eingefroren, wo sie gerade waren.
Der Zusammenhang im Chaos
Das entstandene Muster kann man sich ungefähr so veranschaulichen: man schmeiße eine handvoll Kies in einen ruhigen Tümpel. Kurz nachdem die Steine im Wasser eingeschlagen sind, mache man von ein Foto der Wasseroberfläche. Jeder eingeschlagene Stein hat kreisrunde Wellen um den Einschlagsort verursacht, die sich nun alle überlagern, die einzelnen Wellenbögen sind nicht mehr erkennbar, man sieht nur ein Gewirr aus örtlichen Wellenbergen und -tälern. Wie weit sich eine jede Welle ausgebreitet hat, ist schwer zu erkennen, aber mit Statistik lässt es sich ermitteln: man untersucht dazu, in welchen Abständen die gleiche Wellenhöhe am häufigsten wieder auftritt (z.B. die Maxima der Wellenbögen), d.h. man betrachtet über welche Abstände die Wellenhöhen am stärksten miteinander korrelieren. Daraus lässt sich dann ein Diagramm anfertigen, das über den Winkelabstand die Stärke der Korrelation darstellt (wie oft sich im jeweiligen Abstand die gleiche Wellenhöhe im Tümpel bzw. gleiche Temperatur in der Hintergrundstrahlung wiederfindet).
WMAP ermittelte dabei folgendes Diagramm, welches rekonstruiert, wo die einzelnen Wellenberge der BAOs sich zur Zeit der Rekombination befanden:
Die Maxima der Kurve verraten etwas darüber, aus welchen Bestandteilen die Materie zusammengesetzt war [2]. Die ungeradzahligen Maxima (1, 3, 5…) entsprechen den Verdichtungen der baryonischen Materie, die geradzahligen (2, 4, 6…) den Ausdünnungen dazwischen. Die Verdichtung in den ungeraden Maxima wird durch die Eigengravitation der baryonischen Materie bestimmt – viel Masse sorgt hier für hohe Maxima. Die Ausdünnung wird durch die Rückstellkraft, d.h. Gravitation der zurückgebliebenen Masse im Zentrum bestimmt – hier verrät sich die Dunkle Materie.
Die Geometrie des Universums
Das erste Maximum (“First Peak”) liegt bei ca. 1° und entspricht der äußersten Wellenfront – so weit konnten sich die BAOs seit dem Urknall in Kombination ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit und der Hubble-Expansion ausbreiten. Den Absolutwert kann man aus den beiden bekannten Geschwindigkeiten ausrechnen und dem Winkelabstand gegenüber stellen – man erhält so ein Standardlineal. 1° in der Hintergrundstrahlung entsprechen 450.000 LJ Entfernung. Anhand der Größe dieses Winkels kann man weiter erschließen, ob die Geometrie des Raums flach, positiv (wie eine Kugel) oder negativ (wie eine Sattelfläche) gekrümmt ist.
“Flach” bedeutet hier, dass die Euklidische Geometrie gilt: Dreiecke haben eine Winkelsumme von 180°, der Satz des Pythagoras gilt, Kreise haben die Fläche πr² usw. Da unser Weltall dreidimensional ist, gilt alles dies auch in drei Raumdimensionen, “flach” heißt also nicht etwa zweidimensional wie ein Blatt Papier, sondern unverzerrt in allen drei Raumdimensionen.
Positiv gekrümmt ist eine Kugeloberfläche, hier gilt statt Euklid die sphärische Trigonometrie: Winkelsummen im Dreieck sind > 180°1, Pythagoras ist nicht erfüllt, Kreisflächen sind < πr² etc. Im dreidimensionalen Universum gilt dies wiederum in allen 3 Raumdimensionen, es gibt kein sichtbares “Kugelinneres”, wir befinden uns quasi in der Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel. Ein solcher Universum heißt auch “geschlossen”. Bei negativer Krümmung ist alles umgekehrt: Winkelsummen im Dreieck sind < 180°, Kreisflächen > πr², Pythagoras gilt aber auch nicht. So eine Weltall heißt “offen”.
Aus der bekannten Entfernung und der Raumexpansion können wir berechnen, in welchem Sehwinkel 450.000 LJ erscheinen sollten, und 1° ergibt sich genau dann, wenn das Weltall flach ist:
Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie kann das Weltall nur bei einer ganz bestimmten kritischen Dichte flach sein. Etwas dichter, und es kollabiert (geschlossen), etwas weniger, und es expandiert überproportional (offen). Ohne Dunkle Energie expandiert ein flaches Universum ewig mit einem Grenzwert des Hubble-Parameters von 0 (Stillstand im Unendlichen). Mit Dunkler Energie bestimmt diese den Grenzwert > 0.
Das Rezept des Universums
Das Verhältnis des zweiten Maximums zum ersten verrät die Dichte der baryonischen Materie: je höher das zweite Maximum ist, desto größer ist die Ausdünnung, desto leichter konnte der Lichtdruck die Materie auseinander treiben, und dies gelingt besser mit weniger baryonischer Materie. Das heißt umgekehrt, je niedriger das zweite Maximum im Vergleich zum ersten ist, desto mehr baryonische Materie ist vorhanden.
Die weiteren Maxima verraten etwas über die Dichte der Materie relativ zur Strahlung. Wenn der Strahlungsdruck gegenüber der anziehenden Masse zu stark dominiert, drückt sie die Materie so effektiv auseinander, dass sie sich danach kaum wieder verdichten kann, was die Maxima kleiner ausfallen ließe. Die Größe insbesondere des dritten Maximums besagt somit, dass eine bestimmte Menge Materie (gleich welcher Art) vorhanden gewesen sein muss und mit ihrer Gravitation alles zusammen gehalten hat. Zieht man die baryonische Materie davon ab, verbleibt die Dunkle Materie.
Durch sorgfältige Analyse des Spektrums und Vergleich mit Simulationen kann man somit erschließen, wie sich das Plasma zusammensetzte. Die sichtbare Materie trug demnach nur 5% zur kritischen Dichte bei, die aus dem Winkelabstand des ersten Maximums zwingend folgt, die Dunkle Materie weitere 27%. Der fehlende Rest von 68% muss demnach in der Dunklen Energie stecken.
Diese Zahlen passen gut zu den völlig unabhängig davon ermittelten Werten aus der lokalen Umgebung (Geschwindigkeiten von Galaxien in Galaxienhaufen, Hubble-Konstante und ihre zeitliche Entwicklung). Eine kleine, bisher unerklärte Differenz verbleibt.
Es erscheint jedoch vermessen, die Hintergrundstrahlung mit an Staub gestreutem Sternenlicht zu erklären, das dann nur ganz zufällig Strukturen aufweist, aus denen man unter Annahme der Urknalltheorie auf die richtigen Werte für die Dichten von leuchtender und Dunkler Materie sowie Dunkler Energie kommt.
Der End-BOSS macht den Deckel drauf
Und es gibt noch einen handfesten Beleg, dass die Hintergrundstrahlung das Plasma des Feuerballs sein muss: denn die BAO-Strukturen entwickelten sich weiter, während das Weltall expandierte. Dort, wo die Materie sich verdichtet hatte, zog sie sich zusammen und bildete Filamente aus Galaxienhaufen. Durch die Hubble-Expansion vergrößerte sich das Muster um den Faktor ca. 1100 (genauer: 1089). Das erste Maximum von ehemals 450.000 Lichtjahren liegt heute bei 500 Millionen Lichtjahren – also sollte sich in der großräumigen Verteilung der Galaxien bei diesen Abständen eine Häufung finden.
Ein Projekt namens BOSS (Baryon Oscillation Spectroscopic Survey) hat im Rahmen des Sloane Digital Sky Surveys (SDSS), eine systematische Kartierung von 1,5 Millionen Galaxien in einem umgebenden Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren vorgenommen, um nach den Spuren der BAOs im heutigen Universum zu suchen. Hier eine Karte, in der ich den relevanten Umfang von ca. 500 Millionen LJ als blaue Kreise an zwei prominenten Stellen hervorgehoben habe, wo schon für das bloße Auge eine ringförmige (in Wahrheit kugelförmige) Häufung erkennbar ist:
Die statistische Analyse von BOSS bestätigt den Eindruck. Man findet eine klare Häufung der Galaxiendichte in Abständen von knapp 500 Millionen Lichtjahren, wie das nächste Bild verdeutlicht, quasi das (allerdings spiegelbildliche) Pendant zum obigen räumlichen Spektrum der Hintergrundstrahlung:
Es ist argumentativ wenig überzeugend, dies alles als Zufall abzutun – die Strukturen in der Hintergrundstrahlung geben die auf unabhängige Weise bestimmte Zusammensetzung des Universums wieder und, expandiert um die aus der Größe der Strukturen ebenso folgenden Rotverschiebung, die auch aus der Temperatur der Hintergrundstrahlung ableitbar ist, finden sich eben jene Strukturen in der heutigen Verteilung der Galaxien wieder. Das heutige Universum ist also nachgewiesenermaßen ein Abkömmling des Feuerballs. Damit ist der Urknall meiner Auffassung nach absolut wasserdicht abgesichert.
Aber damit nicht genug, im nächsten Teil gibt’s noch weitere Argumente.
Eine Übersicht und Zusammenfassung aller Artikel dieser Reihe gibt es hier.
Referenzen
[1] Prof. Edward L. Wright, “Listening for the Size of the Universe“, UCLA Astronomy & Astrophysics, 2014.
[2] Prof. Wayne Hu, “Ringing in the New Cosmology, Intermediate Guide to the Acoustic Peaks and Polarization” (ff.), Kavli Institute for Cosmological Physics, University of Chicago, Chicago, IL 60637, 2001.
[3] “WMAP Observatory Overview“, NASA.
[4] Max Tegmark, “A high resolution foreground cleaned CMB map from WMAP“, The Universes of Max Tegmark, 11. Mai 2006.
[5] SDSS, “SDSS III, BOSS Publications and Results“, 2013.
[6] SDSS, “Astronomers map a record-breaking 1.2 million galaxies to study the properties of dark energy“, 14. Juli 2016.
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