Raumfahrt ist normalerweise extrem teuer, unter anderem wegen der großen Energien, die man braucht, um die Nutzlast auf hohe Geschwindigkeiten zu beschleunigen. Manchmal kann die Energie allerdings auch kostenlos sein: Bei Swing-by-Manövern, bei denen man ein Raumfahrzeug an einem Planeten vorbeifliegen lässt und es von dessen Schwerkraft mitschleppen und beschleunigen lässt. Damit kann man leider keine Geschwindigkeiten erreichen, wie sie für die Reise zu anderen Sternen nötig wären. David Kipping hat sich nun kürzlich eine Methode überlegt, wie dies dennoch möglich sein sollte – zumindest theoretisch.
Kostenlos Energie tanken – so geht’s
Swing-by-Manöver sind eine seit den Zeiten der Voyager-Raumsonden bewährte Technik, mit der sich Raumsonden Energie bei Vorbeiflügen an Planeten stibitzen. Das funktioniert folgendermaßen: wenn sich die Raumsonde nähert, wird sie vom Planeten angezogen und dadurch beschleunigt und abgelenkt. Entfernt sie sich wieder vom Planeten, so bremst dieser sie wieder ab. Aus seiner Sicht gesehen verlässt sie ihn am Ende mit derselben Geschwindigkeit, mit der sie sich ihm zu Beginn genähert hat, nur in einer anderen Richtung. Aus Sicht der Sonne hat sich jedoch zu der Geschwindigkeit der Sonde die des Planeten addiert und sie ist relativ zur Sonne effektiv schneller geworden. Den Preis dafür zahlt der Planet, der einen winzigen Ticken langsamer geworden ist, aber weil seine Masse (denke “Jupiter”) 1024-mal so groß ist wie die der Raumsonde, wird er auch nur den 1024ten Teil langsamer als die Sonde schneller geworden ist, und das kann niemand messen.
Das Prinzip ist ähnlich demjenigen, einen Ball gegen einen entgegen kommenden Lastwagen zu treten. Aus Sicht des Lastwagens kommt der Ball mit seiner Schussgeschwindigkeit, sagen wir mal 50 km/h, plus der Geschwindigkeit des LKWs, sagen wir 70 km/h, entgegen, das sind zusammen 120 km/h. Der Ball verlässt den LKW aus dessen Sicht dann auch wieder mit 120 km/h in der Gegenrichtung. Aus Sicht des Ballschützen wurde der Ball mit 50 km/h weggetreten und kommt nun mit 120 km/h relativ zum LKW plus dessen Geschwindigkeit von 70 km/h zurück, macht in Summe 190 km/h. Die Kollision mit dem LKW hat ihn also um satte 140 km/h schneller gemacht, das Doppelte der Geschwindigkeit des LKW.
Und das gilt auch für den Swing-by: man kann die Geschwindigkeit maximal um die doppelte Geschwindigkeit des Planeten vergrößern. Im Sonnensystem bewegen sich die Planeten mit Geschwindigkeiten zwischen 47,4 km/s (Merkur) und 5,4 km/s (Neptun) auf ihren Bahnen – auf einen nennenswerten Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit (knapp 300.000 km/s), den man für eine interstellare Reise bräuchte, kommt man so – leider – nicht.
Eine bessere Swing-by-Schleuder
1963 hat Freeman Dyson (ja genau, der mit den Dyson-Sphären) vorgeschlagen, wie man durch Swing-by-Manöver (auf Englisch auch Slingshot-Manöver genannt) auf relevante Bruchteile der Lichtgeschwindigkeit kommen könnte. Alles, was man braucht, ist ein enger Doppel-Neutronenstern. Ich hatte mal über den Doppel-Neutronenstern PSR J1946+2052 geschrieben, der engste bisher entdeckte, bei dem sich die Komponenten in einem Abstand von 346.000 km auf einer fast kreisförmigen Bahn alle 1h53m umkreisen – das entspricht einer Bahngeschwindigkeit von rund 160 km/s – das ist noch nicht sooo berauschend. Dyson dachte eher an so etwas wie die Quelle des LIGO-Gravitationswellenereignisses GW1708017: zwei Neutronensterne von jeweils ca. einer Sonnenmasse, die sich alle 5 Millisekunden einmal umkreisen – in diesem Fall läge die Orbitalgeschwindigkeit bei 40.500 km/s und ein Raumschiff könnte bei einem engen Vorbeiflug auf bis zu 81.000 km/s beschleunigt werden. Das sind immerhin 27% der Lichtgeschwindigkeit. Nachteil: die Gezeitenkraft in der Nähe des Doppelneutronensterns wäre gewaltig und würde das Raumschiff vermutlich spaghettifizieren (inklusive Bolognese durch die Crew). Nicht nur Schwarze Löcher können so was.
Die ultimative Schleuder
David M. Kipping (den wir schon kennengelernt haben) hat nun eine Idee ersonnen, wie man noch schneller werden könnte – ohne spaghettifiziert zu werden! Hierfür wählt man statt eines engen Neutronen-Doppelsterns ein enges Paar Schwarzer Löcher. Die Grundidee ist die folgende: Man kann Schwarze Löcher als Spiegel für einen Laser verwenden. Man sendet Laserlicht zu demjenigen Schwarzen Loch, das einem gerade entgegen kommt. Aber man sendet das Licht selbstverständlich nicht in das Schwarze Loch hinein – dann kehrt es nicht zurück, wie der Name des Objekts schon nahe legt. Nein, man lenkt das Licht sehr gezielt haarscharf am Schwarzen Loch vorbei. Dieses ist nämlich von einem sogenannten “Photonen-Halo” umgeben, einer Zone, in der Licht das Schwarze Loch ein- oder mehrfach umkreist. Licht, das dem Schwarzen Loch näher als anderthalb Schwarzschildradien kommt (dieser Wert gilt für nichtrotierende Schwarze Löcher), bleibt mindestens für einige Orbits im Photonen-Halo gefangen, aber Licht, das knapp außerhalb dieses Radius vorbei saust, wird um 180° umgelenkt und kehrt wie ein Bumerang zurück – da Licht sich auf sogenannten Null-Geodäten bewegt, das sind kürzeste Verbindungen durch die gekrümmte Raumzeit mit Eigenzeit 0, spricht man daher auch von Bumerang-Nullgeodäten.
Das Licht kehrt allerdings mit extra Schmackes zurück, denn das Schwarze Loch bewegt sich mit einem signifikanten Teil der Lichtgeschwindigkeit auf das Raumschiff zu. Das Licht kann selbstverfreilich nicht schneller werden, aber seine Frequenz nimmt zu und damit auch sein Impuls und seine Energie. Wenn das Raumschiff ein Laser-Photon aussendet, bekommt es einen kleinen Rückstoß durch den Impuls des wegfliegenden Photons und noch einmal einen deutlich größeren, wenn das Photon mit höherer Frequenz zurückkommt und vom Raumschiff wieder aufgefangen wird. Die ebenfalls höhere Energie kann genutzt werden, um weitere Photonen zu erzeugen. So wird man also kostenlos vom Schwarzen Loch angeschoben – ähnlich wie beim Swing-by-Manöver an einem Doppel-Neutronenstern, nur in sicherem Abstand.Man muss dem Schwarzen Loch nämlich nicht außerordentlich nahe kommen. Wie das folgende Bild nebst Bildunterschrift zeigt, ist der Schub der Photonen umso stärker in die gewünschte Richtung gerichtet, je weiter man sich vom Schwarzen Loch fernhält. Damit kann man die Spaghettifizierung vermeiden.
Allerdings kommt es mit zunehmender Entfernung zu fortschreitender Dispersion des Lichts, d.h. zum Aufweiten des Laserstrahls, da nicht jedes Photon exakt den gleichen Weg nehmen wird, sondern sie bei verschiedenen Minimalabständen zum Schwarzen Loch bei verschiedenen Ablenkwinkeln enden werden. Das Raumschiff müsste dann ein entsprechend größeres und schwereres Lichtsegel zum Auffangen der Photonen mitschleppen. Kipping hält dies aber für ein Ingenieursproblem, das man schon irgendwie in den Griff bekommen wird.Interessant ist schließlich noch, wie schnell ein Raumschiff denn werden könnte. Kipping gibt dafür folgende Formel an:
βterm = 4/3 βBH – 28/81 β³BH + O [β5BH]
wobei βterm die erreichbare Endgeschwindigkeit in Bruchteilen der Lichtgeschwindigkeit ist (v/c), βBH die Geschwindigkeit des Schwarzen Lochs, ebenfalls in Bruchteilen der Lichtgeschwindigkeit, und O [β5BH] für “irgendwas in der Größenordnung von β5BH” steht. Da βBH < 1 ist, ist β5BH ≪ 1 und damit vernachlässigbar. Die erreichbare Endgeschwindigkeit liegt demnach ungefähr bei 133% der Geschwindigkeit des Schwarzen Lochs. Für βBH = 0,5 (also 50% der Lichtgeschwindigkeit) kommt man so auf rund 62% c Endgeschwindigkeit und für βBH = 0,8 sogar auf 89% c. Das sind die Geschwindigkeiten, die man gerne erreichen möchte, damit die Zeitdilatation greift und die Flugzeit für die Besatzung erträglich bleibt.
Natürlich muss man dem Schwarzen Loch auch entkommen können – wenn man zu nahe dran ist, dann ist die Fluchtgeschwindigkeit von dort aus sehr groß und man verliert einen großen Teil der aufgenommenen Geschwindigkeit wieder. Kipping rechnet vor, dass man bei einem Schwarzen Loch mit nur 5% der Lichtgeschwindigkeit schon einen Abstand von ein paar tausend Schwarzschildradien einhalten muss, damit es sich lohnt – wir erinnern uns daran, dass ein Schwarzschildradius ca. 3 km · Masse des Schwarzen Lochs in Sonnenmassen beträgt und beachten, dass Schwarze Löcher mindestens knapp 3 Sonnenmassen haben müssen, sonst wären es Neutronensterne; wir reden hier also über ca. 10.000 km Abstand. Bei einem Schwarzen Loch mit 20% Lichtgeschwindigkeit reichen hingegen schon 100 Schwarzschildradien oder um die 1000 km.
Bleibt das Problem, ob man ein binäres Schwarzen Loch, das sich hinreichend eng umkreist, in erreichbarer Nähe finden kann. Kipping ist da ganz optimistisch, es muss so um die 10 Millionen Schwarze Löcher in der Milchstraße geben, da kann das nächste ja nicht so weit weg sein. Kipping kann sich vorstellen, das ausreichend fortgeschrittene Zivilisationen ganze Netzwerke von interstellaren Autobahnen zwischen Schwarzen Löchern nutzen, um quer durch die Galaxie zu reisen, denn natürlich kann man sich vom Laserstrahl auch mit Hilfe eines Schwarzen Lochs am Ziel abbremsen lassen, wenn man ihm entgegen fliegt.
Was tun ohne Doppel-Black-Hole?
Schwarze Löcher sind natürlich nicht alle doppelt und selbst wenn, dann noch lange nicht so eng, dass sie sich mit halber Lichtgeschwindigkeit und schneller umkreisen, aber zum Glück rotieren Schwarze Löcher ja gerne mal mit annähernd c, und so ein rotierendes Kerr-Black-Hole beschleunigt ebenfalls Photonen auf Bumerang-Geodäten, ganz alleine selbst vermöge seiner Rotation und der mitrotierenden Raumzeit. Die notwendigen Gleichungen verspricht uns Kipping in einem zukünftigen Artikel zu lösen. 😉
Eine interessante Idee des Autors ist schließlich noch, dass ein Raumschiff nicht notwendigerweise seine eigene Laserlichtquelle sein muss, sondern wie beim Breakthrough-Starshot-Projekt könnte der Laser etwa auf einem Planeten montiert sein und man wählt die Ablenkung des Laserstrahls so, dass das Raumschiff von dem Black-Hole-geboosteten Laserstrahl getroffen und angeschoben wird. Eine Art Nachbrenner für den Laser. Dann kann man einen sehr viel größeren Laser verwenden und beim Raumschiff selbst wiederum sehr viel Gewicht sparen. Statt Licht könnte man übrigens auch Teilchenstrahlen (denke: “Ionenantrieb”) verwenden, für massive Teilchen gibt es ebenfalls Bumerang-Geodäten.
Wie man sieht, ist es tatsächlich – und sehr zu meinem Erstaunen – im Rahmen der Relativitätstheorie möglich, kostenlos signifikante Bruchteile der Lichtgeschwindigkeit zu erreichen, denn der Halo-Drive liefert mehr Photonenenergie zurück, als zu Beginn aufgewendet werden muss. Das lässt sich grundsätzlich beliebig hochskalieren: Theoretisch könnte man damit ganze Planetenmassen in Bewegung versetzen. Nur ein paar ingenieurstechnische Probleme sind auf dem Weg dahin noch zu lösen. Eines davon ist das Erreichen des nächsten geeigneten Schwarzen Lochs in vertretbarer Zeit. Dies sei den Lesern als Übungsaufgabe überlassen. 😉
Referenzen und weiterführende Quellen
[1] David Kipping, “The Halo Drive: Fuel-Free Relativistic Propulsion of Large Masses via Recycled Boomerang Photons”, 28. Februar 2019; arXiv:1903.03423.
[2] Matt Williams, “Using Black Holes to Conquer Space: The Halo Drive!“, Universe Today, 13. März 2019.
[3] David Kipping, “The Halo Drive“, Cool Worlds-Youtube-Channel, 01. März 2019.
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