Castle Bravo, 1. März 1954. Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Castle_Bravo_004.jpg, gemeinfrei.

Es ist der erste März 1954, ein Jahr nachdem die Sowjetunion ihre erste Wasserstoffbombe gezündet hat. Im Wettlauf der Supermächte testet die USA auf dem Bikini-Atoll ihre zweite, neuartige Wasserstoffbombe, die auf 6 Megatonnen TNT kalkuliert worden war. Tatsächlich entfaltet sie eine Sprengkraft von 15 MT und wird zur stärksten Nuklearexplosion der USA überhaupt – mit furchtbaren Folgen. Die Einwohner mehrerer Atolle und die Besatzung eines japanischen Fischerboots werden durch den Fallout schwer verstrahlt – was war schief gelaufen?

 

Der Startschuss zum nuklearen Wettlauf

Die Sowjetunion und die USA, ehemalige Alliierte im 2. Weltkrieg, befanden sich wenige Jahre nach dem Ende des Krieges im kalten Krieg. Aus Angst vor der Möglichkeit, dass das dritte Reich eine Atombombe entwickeln könnte, hatten die ungarisch-amerikanischen Physiker Leó Szilárd, Edward Teller und Eugene Wigner Einstein gedrängt, einen Brandbrief an Präsident Roosevelt zu unterschreiben, die Bombe als erste zu entwickeln, denn es waren deutsche Chemiker (Otto Hahn und Fritz Strassmann) und österreichische Physiker (Lise Meitner und Otto Frisch), die die Grundlagen der kontrollierten Kernspaltung entdeckt hatten. Und so brachte Roosevelt das Manhattan-Projekt auf den Weg, das binnen 3 Jahren den Kernreaktor, die Urananreicherung, die Produktion von Plutonium, den Zündmechanismus, die erste Testzündung Trinity im Juli 1945 und schließlich zwei Bombentypen hervorbrachte, die noch im August 1945 gegen Menschen eingesetzt wurden und Tod und Verwüstung über Hiroshima und Nagasaki brachten. Ein Schicksal, dass Deutschland nur deshalb erspart blieb, weil es bereits im Mai zuvor kapituliert hatte.

Feuerball des ersten Atomtests Trinity (“Dreifaltigkeit”) am 16. Juli 1945 5:29:45 Ortszeit in White Sands, New Mexico. Die Sprengkraft der Plutoniumbombe betrug 21 Kilotonnen TNT. Das Bild zeigt den Feuerball 16 ms nach der Zündung bei einem Durchmesser von 215 m. Bild: United States Department of Energy, Wikimedia Commons, gemeinfrei.

 

Trinity-Detonation wenige Sekunden nach der Zündung. Der Feuerball steigt wie ein Heißluftballon auf und saugt Erdreich mit sich in die Höhe, das von den Neutronen der Kernreaktionen radioaktiv verstrahlt wird und später als “Fallout” auf die Erde zurückfällt. Bild: United States Department of Energy, Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Die Sowjets, die seit 1942 ihr eigenes Atombombenprojekt ebenfalls aus Angst vor Hitlers Bombe verfolgten und dieses nach den Atombombeneinsätzen der Amerikaner forciert hatten, zogen bald nach und zündeten 1949 ihre erste Spaltungsbombe.

Während der Leiter des Manhattan-Projekts Robert Oppenheimer nach dem Einsatz der Atombombe gegen Menschen entsetzt war und versuchte, die Verbreitung von Atomwaffen durch internationale Verträge zu stoppen, was ihn alsbald in Verruf brachte, die Sowjets mit Wissen über die Bombe versorgt zu haben, forderte Edward Teller die Weiterentwicklung der Spaltungsbombe zur thermonuklearen Fusionsbombe – er wurde der Vater der Wasserstoffbombe. Denn gegen Atomwaffen gibt es keinen Schutz. Kombiniert mit der Möglichkeit, per Rakete fast ohne Vorwarnung jeden Ort der Welt binnen 30 Minuten in Schutt und Asche zu legen, bleibt als möglicher Schutz nur die Drohung eines ebenso wenig abzuwehrenden Rückschlags, und so steigerten sich die Supermächte USA und UdSSR bald in ein mörderisches Wettrüsten um die zerstörerischsten Waffen.

Bikini-Atoll. Landsat-Satellitenaufnahme. Der Unterwasserkrater oben links stammt vom Castle-Bravo-Test. Bild: NASA Landsat satellite image GeoTIFF archive, Wikimedia Commons, gemeinfrei.

 

Ein Paradies fährt zur Hölle

Die Sprengkraft der Wasserstoffbombe und der durch sie verursachte Fallout war so stark, dass die Amerikaner ihre Tests von zunächst Nevada (wo weiterhin kleinere Bomben getestet wurden) auf die zu den Marshall-Inseln gehörenden Bikini- und Eniwetok-Atolle im Nordpazifik auslagerten. Die Marshall-Inseln (wie auch die Marianen und Karolinen) gehörten zum vor dem Krieg unter dem Mandat des japanischen Kaiserreichs stehenden Mikronesien, das die USA nach dem Pazifik-Krieg besetzten und das ihnen 1947 von den Vereinten Nationen als Treuhandgebiet zur Verwaltung übergeben worden war – ohne jede Nutzungsbeschränkung. Die US NAVY siedelte im Februar 1946 die 167 Bewohner des Bikini-Atolls in dem guten Glauben, bald wieder zurückkehren zu können, auf das wesentlich kleinere, unbewohnte Atoll Rongerik um, welches eine nur unzureichende Versorgung mit Süßwasser und Nahrungsmitteln bot, so dass sie bald darauf auf Versorgungslieferungen der Amerikaner angewiesen waren und schließlich erneut auf mehrere Atolle umgesiedelt wurden. Die Tests auf Bikini begannen noch im Jahr 1946 mit der Operation Crossroads, die zwei 22-Kilotonnen-Bomben vom Typ der Nagasaki-Bombe detonierte, eine davon (Baker) unter Wasser, deren Bilder sehr prominent wurden.

 

Der erste Test einer thermonuklearen Zündung fand am 8. Mai 1951 auf dem Eniwetok-Atoll statt. Der Test Greenhouse George beruhte nicht auf einem Design, das für eine als Waffe taugliche Wasserstoffbombe geeignet gewesen wäre: es verwendete einen torusförmigen Behälter, in dem eine Atombombe als Schale eine kleine Menge gekühlten, flüssigen Wasserstoff umgab, der aus den Isotopen Deuterium (2H, 1 Proton, 1 Neutron; gewöhnlicher Wasserstoff 1H hat nur 1 Proton als Kern) und Tritium (3H, 1 Proton, 2 Neutronen) bestand. Zwar hätten je zwei Deuteriumkerne alleine gereicht, zu Helium-4 (4He, 2 Protonen, 2 Neutronen) zu verschmelzen, aber die Energie der zündenden Spaltungsbombe wird größtenteils als Röntgenstrahlung frei, die vom Deuterium alleine nicht stark genug absorbiert wird, um die zur Fusion nötige Temperatur zu erreichen. Tritium war hingegen nur sehr teuer zu produzieren und zerfiel rasch – man hätte für das gleiche Geld eine größere Spaltbombe bauen können. So setzte Greenhouse George auch nur 225 kT frei – die meiste Energie entstammte der Kernspaltung, nur 25 kT kamen aus der Fusion von 30 Gramm an Wasserstoffisotopen. Aber die Fusion gelang und verstärkte die Explosionswirkung.

Die erste echte Wasserstoffbombe war Ivy Mike, ein riesiger, 6,2 m langer, 2 m durchmessender Zylinder mit 30 cm dicker Hülle, genannt Sausage (Wurst), der 82 Tonnen wog.  Als Fusionsbrennstoff enthielt er 2000 Liter flüssigen Deuteriums, dessen Kühlvorrichtung alleine 26 Tonnen auf die Waage brachte. Das Deuterium sollte durch ein neues Design nach Edward Teller und Stanislaw Ulam zur Zündung gebracht werden. Hierbei dient eine Spaltungsbombe an einem Ende des zylinderförmigen Stahlbehälters als Zünder für das Deuterium, das in einem inneren Gefäß aus nicht kritischem Uran-238 enthalten ist, in dessen Mitte sich ein Plutoniumstab als zusätzlicher Zündkern (Sparkplug) befindet. Das Urangefäß ist eingepackt in Bleimatten und der Leerraum zwischen Außenwand und Urangefäß ist mit einem wärmeisolierenden Kunststoff ausgefüllt. Die Röntgenstrahlung der Spaltungsbombe wird im Zylindergehäuse nach innen reflektiert, der Kunststoff verdampft und komprimiert die Fusionsladung; der Plutoniumstab wird dadurch überkritisch und beginnt eine Kettenreaktion, die Neutronen freisetzt, welche wiederum die Kernspaltung in der Uranhülle auslösen, so dass das Deuterium von innen und außen erhitzt, unter Druck gesetzt und mit Neutronen beschossen wird. Dies löst die Fusion des Deuteriums aus.

 

Explosion einer Wasserstoffbombe nach Ulam-Teller-Design:
A Bombe vor der Zündung; oben die primäre Fissionsbombe; unten die sekundäre Fusionsladung; beides eingebettet in Polystyrolschaum.
B Der konventionelle Sprengstoff komprimiert den Plutoniumkern zu einer überkritischen Masse und leitet so eine Kernspaltungsreaktion ein.
C Die Fissionsbombe emittiert Röntgenstrahlung, die an der Innenseite des Gehäuses reflektiert wird. Dadurch wird das Polystyrol thermalisiert.
D Der Polystyrolschaum wird in Plasma verwandelt und komprimiert die Fusionsstufe. Der Plutoniumstab fissioniert.
E Durch die Kompression und Erhitzung beginnt das Lithium-6-deuterid zu fusionieren. Die Neutronenstrahlung spaltet das U-238 in der 2. Stufe. Ein Feuerball beginnt sich zu bilden.
Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.5.

Ivy Mike wurde, wie vorher öffentlich angekündigt, am 31. Oktober 1952 auf der Insel Elugelab im Eniwetok-Atoll von einem Schiff aus 50 km Entfernung gezündet. Die Explosion setzte eine Energie von 10,4 Megatonnen TNT frei – 700mal so viel wie die Hiroshima-Bombe. Dies lag im Rahmen der Erwartungen von 5 bis 10 MT. Der Feuerball der Explosion erreichte initial bis zu 80 Millionen Kelvin und wuchs auf einen größten Durchmesser von ca. 3 km. Er stieg binnen 90 Sekunden auf 17 km Höhe und erreichte eine maximale Höhe von 43 km. Die Explosionswolke dehnte sich auf 160 km Breite aus. Die Insel Elugelab wurde vollständig verdampft – an ihrer Stelle verblieb nur ein Krater von 1,9 km Durchmesser und 50 m Tiefe. Ivy Mikes Pilzwolke sog 80 Millionen Tonnen verdampften und zertrümmerten Bodengrund mit sich in die Höhe. Noch in 56 km Entfernung fielen verstrahlte Korallenstücke auf ein Schiff. Der NAVY-Beobachter Harold Agnew, der die Explosion aus 40 km Entfernung beobachtet hatte, berichtete später, dass die ganze Welt in Flammen gestanden zu haben schien.

Was ich nie vergessen werde ist die Hitze – nicht die Druckwelle, sondern die Hitze, die kam und immer weiter andauerte – das ist eine wirklich beängstigende Erfahrung, weil die Hitze nicht aufhört. Bei einer Kilotonnen-Explosion gibt es einen Blitz und das war’s, aber bei diesen großen Explosionen ist es wirklich beängstigend.

Er fuhr fort, dass seiner Meinung nach die politischen Führer der Welt alle 5 Jahre eine Multi-Megatonnen-Explosion wie Ivy Mike persönlich miterleben sollten.

Das würde ihnen Ehrfurcht vor Allah, Gott, Mohammed, Buddha oder wem auch immer in die Adern jagen.

Edward Teller war nicht vor Ort, sondern 7700 km entfernt im Keller des geophysikalischen Instituts in Berkeley, Kalifornien, und konnte dort noch die Schockwelle mit einem Seismometer messen. Noch ehe das für die Konstruktion der Bombe verantwortliche Labor in Los Alamos über die erfolgreiche Zündung Nachricht erhalten hatte, sendete Teller dorthin ein Telegramm: “It’s a boy” – es ist ein Junge.

 

Auf der Nachbarinsel Engebi, 5 Kilometer von Ground Zero entfernt, fand man später nur den Körper eines toten Vogels und ansonsten keine Spur eines lebenden Wesens. Von der ursprünglichen Vegetation waren nur noch Stümpfe im Boden übrig. Man fand tote Fische, die verbrannt waren – bei einem fehlte auf einer Seite die Haut, so als ob ihn jemand in eine Pfanne mit heißem Fett geworfen hätte. Und man fing Jahre später noch Fische, die auf eine Röntgen-Fotoplatte gelegt ihr eigenes Röntgenbild hinterließen.

Zwar wurde auf dem Design von Ivy Mike aufbauend auch eine Fliegerbombe entwickelt, aber der Aufwand, das Deuterium auf -250 °C gekühlt zu halten, war zu groß für eine gefechtsmäßige, jederzeit für einen Gegenschlag bereite Waffe.

 

Der Killer ist nicht praktisch genug

Mit der Operation Castle kehrten die Tests erstmals wieder auf Bikini zurück. Castle Bravo war der erste Test in der Reihe. Für diese zweite große Wasserstoffbombe setzte man auf Lithiumdeuterid als Fusionsbrennstoff: LiD, das ist Lithiumhydrid LiH mit dem schwereren Wasserstoffisotop Deuterium (D) anstelle des Wasserstoffs (H). Lithiumdeuterid ist eine Art Salz, das bei Raumtemperatur ein Feststoff ist, also nicht gekühlt zu werden braucht und das sich dementsprechend beliebig lange lagern lässt. Durch Neutronenbeschuss sollte das Lithium teilweise zu Tritium und Helium zerfallen und das Tritium dann mit dem Deuterium zur Fusion gelangen. So war die Sprengkraft auf 5-6 Megatonnen TNT kalkuliert worden.

Castle Bravo SHRIMP-Behälter. Der Zylinder ist etwa 4,60 m lang und durchmisst 1,40 m. Bild: US Department of Energy, Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Der zylinderförmige Behälter, genannt SHRIMP, war 4,60 m lang, durchmaß 1,40 m und wog kanppe 11 Tonnen – leicht genug, um von einem Bomber ins Ziel gebracht zu werden. Er enthielt (nur) 400 kg Lithiumdeuterid. Man deponierte den SHRIMP auf einer künstlichen Insel nahe Namu am Nordwestende des Bikini-Atolls. Die Zündung war für den 1. März 1954 um 6:45 Ortszeit (28. Februar 19:45 MEZ) geplant. Der Zeitpunkt war geheim und es gab, anders als bei Ivy Mike, keine zivilen Evakuierungen, denn man erwartete, dass der lokale Fallout keine bewohnten Gebiete treffen würde und wollte sich im Übrigen die Kosten sparen. Natürlich verließen alle Militärs das ansonsten nicht mehr bewohnte Bikini-Atoll, bis auf das Zündkommando, das in einem atombomben- und wasserfesten Bunker am südöstlichen Ende auf der Insel Eneu, 30 km entfernt von Ground Zero, untergebracht war. 3 Tage vor dem Test hatte der Wetterdienst günstige Winde vorhergesagt, die den Fallout aufs offene Meer treiben sollten, aber 6 Stunden vorher drehte der Wind unerwartet und der Fallout drohte, auf unbewohnte Inseln niederzugehen. Dennoch hielt der zuständige Generalmajor Percy Clarkson am geplanten Termin fest, weil die Vorbereitungen so aufwändig gewesen waren.

Karte des Bikini-Atolls vor der Zündung von Castle Bravo. Die Wasserstoffbombe wurde 900 m entfernt von der Insel Namu im Nordwesten gezündet. Die Zündung erfolgte von einem Bunker aus auf der Insel Eneu im Südosten. Bild: Justass, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, vom Autor nachbearbeitet.

Die Zündung erfolgte planmäßig, aber die Explosion verlief alles andere als nach Plan. Der Feuerball breitete sich binnen einer Sekunde auf 7 km Durchmesser aus und verdampfte drei Inseln, an deren Stelle nun ein 2 km durchmessender Krater von 75 m Tiefe klafft. Die Pilzwolke wuchs binnen 10 Minuten auf 40 km Höhe und 100 km Durchmesser. Anwohner der Marschall-Inseln in 400 km Entfernung berichteten später, dass die Explosion am frühen Morgen wie ein Sonnenaufgang im Westen mit rotem und orangefarbenem Himmel ausgesehen habe – und wie sie die nachfolgende Schockwelle erschreckte.

Wie spätere Analysen ergaben, setzte die Explosion eine Sprengkraft von 15 Megatonnen TNT frei – 2,5 mal mehr, als die Physiker in Los Alamos berechnet hatten, 1000mal so viel wie die Hiroshima-Bombe und mehr als jede andere von Menschen herbeigeführte Explosion zuvor.

Marine-Veteran John Halderman war einer der am Test beteiligten Soldaten. Er befand sich an Bord der USS Curtiss und beobachtete die Explosion der Bombe, die er zuvor mit seiner Unterschrift signiert hatte, aus 40 km Entfernung. In einem TV-Interview berichtete er:

Wir trugen dunkle Schutzbrillen, aber als die Bombe hochging, konnten wir die Knochen in unseren Armen sehen, wie auf einem Röntgenbild. Und dann drehten wir uns um und nahmen die Brillen ab, wir alle dachten, [die Explosion] sei in weiter Ferne. Aber sie war direkt über uns. Dann konnte man die Schockwelle kommen sehen. Wie eine Mini-Flutwelle oder ein Tsunami. Du schnappst nach Rettungsleinen und hältst dich an Kanonenmontierungen fest und Kameraden rutschen über das Deck und du versuchst sie festzuhalten. Dann neigte [das Schiff] sich in die andere Richtung. Ich drehte mich zu meinem Kumpel um und sagte ‘Hey, ich glaube, wir sind erledigt’ und er sagte ‘ich glaube du hast Recht’.

20 Sekunden nach der Zündung wurde der Bunker auf Eneu von einem Erdbeben erschüttert. Nach 90 Sekunden traf die Schockwelle ein und verursachte Risse im Beton des Bunkers. Aber am meisten Angst machte den Soldaten des Zündkommandos die draußen ansteigende Strahlung. Die Geigerzähler stiegen immer weiter, denn der Fallout der Bombe wurde vom Wind in Richtung des Bunkers geweht. Die Soldaten wurden nach einigen Stunden, nachdem die stärkste Strahlung von bis zu 25 Röntgen pro Stunde etwas abgeklungen war, von einem Hubschrauber abgeholt, und hüllten sich zum Schutz vor dem von den Rotoren aufgewirbelten radioaktiven Staub in Betttücher.

Auch auf der USS Curtiss ging Fallout nieder. Halderman berichtet, dass die Besatzung 10 Tage lang unter Deck kommandiert wurde und sie den Befehl hatten, jeden der den Innenraum des Schiffs verlassen wollte, zu erschießen.

 

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf

In der Gegend hielt sich zufällig und unbemerkt ein japanisches Fischerboot auf, die Daigo Fukuryū Maru, deren Besatzung erschrocken und fasziniert zugleich das Lichtspiel der Explosion aus 145 km Entfernung beobachtete. Das Schiff befand sich damit außerhalb der von der US-Regierung verordneten Sperrzone. Besatzungsmitglied Oishi Matashichi berichtete:

Ein gelber Blitz strahlte durch das Bullauge herein. Ich wunderte mich, was das war, rannte an Deck und war verblüfft. Die Schiffsbrücke, Himmel und Meer wurden schlagartig sichtbar, gebadet in flammende Sonnenuntergangsfarben. Ich sah mich völlig verwirrt um – ich hatte keine Ahnung, was da vor sich ging.

Nach 7 Minuten hörten die 23 Seeleute den Donner der Explosion und nach zwei Stunden begann der Fallout, der aus pulverisierten Korallen bestand und an fallende Schneeflocken erinnerte, auf das Schiff zu rieseln. Die Seeleute sammelten das Pulver, das an Haaren und Kleidung haften blieb, in Säcken und einer prüfte sogar mit der Zunge seinen Geschmack. Die gesamte Besatzung erkrankte danach wochenlang an der Strahlenkrankheit. Einer verstarb, allerdings nur indirekt an den Folgen der Verstrahlung, denn während der Behandlung, unter anderem mit unreinen Bluttransfusionen, zogen sich die Seeleute eine Hepatitis-Infektion zu, die der Funker des Schiffs nicht überlebte.

Der zunächst vertuschte Vorfall, der den geheim gehaltenen Castle Bravo Test erst an die breite Öffentlichkeit brachte, führte zu einer diplomatischen Krise zwischen Japan und den USA, insbesondere als das Gerücht für Panik in der Bevölkerung sorgte, dass verstrahlter Thunfisch des Fischerboots auf den japanischen Markt gelangt sei.

Karte des Fallouts von Castle Bravo mit Strahlendosen in Röntgen pro Stunde. Entfernungen in Meilen (1,609 km). Bild: Wikimedia Commons, gemeinfrei.

5 Stunden nach der Explosion erreichte der Fallout die bewohnten Marschall-Inseln der Rongelap-, Rongerik-, Utrik und Ailinginae-Atolle und rieselte stundenlang herunter, bis die Inseln von einer 2 cm tiefen weißen Staubschicht bedeckt waren. Die Kinder hielten den Fallout für Schnee, von dem die Missionare ihnen erzählt hatten, spielten damit und aßen ihn sogar. Frauen rieben ihn sich in ihre Haare. Fast alle entwickelten Stunden später schwere Symptome der Strahlenkrankheit: Verbrennungen oder Entzündungen der Haut, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, brennende Augen oder anschwellende Gliedmaßen. Das US-Militär ordnete an, dass seine auf der Insel stationierten Meteorologen sich in Metallbunkern verschanzen sollten und dort auf die Evakuierung warten. Erst 48 Stunden später evakuierte das Militär hastig die rund 250 Einwohner der am stärksten betroffenen Atolle Rongelap und Rongerik, die ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen mussten, auf andere Inseln. Da man ihnen dort viel bessere Unterkünfte zur Verfügung stellte als daheim, hielt sich ihr Protest in Grenzen – anfänglich für 6-12 Monate geplant mussten sie 3 Jahre bis 1957 in der Evakuierung bleiben.

Sie hatten Strahlendosen von 60-300 rem erhalten – 5 bis 10 rem führen schon zu genetischen Schäden und 400 rem töten 50% der Betroffenen. 20 von 29 der Kinder, die dem Fallout ausgesetzt waren, entwickelten Knoten in der Schilddrüse, viele bösartig. Viele Frauen brachten entstellte Kinder zur Welt, manche mit vergrößerten Schädeln oder durchsichtiger Haut, die nur ein paar Tage überlebten. In den Jahren darauf starben noch viele Kinder an Leukämie. Die Bevölkerung wurde nie umfassend über die Verstrahlung aufgeklärt und viele erlitten psychologische Traumata. Währenddessen testete die US-Regierung allerlei Medikamente an der Bevölkerung, aber die Ärzte erklärten den Betroffenen nur selten, was die Ursache ihrer Krankheiten war.

 

Ein tödlicher Irrtum

Warum war die Explosion so viel heftiger ausgefallen als vorhergesagt?

Lithium hat 3 Protonen im Kern und kommt natürlicherweise als Gemisch der stabilen Isotope Lithium-7 (also mit 4 Neutronen) (92,5% Anteil)  und Lithium-6 (3 Neutronen) (7,5% Anteil) vor. Man hatte das Lithium für die Bombe auf 40% 6Li und 60% 7Li angereichert. Die Reaktion sollte nämlich wie folgt ablaufen:

Ein Neutron (initial aus den Spaltreaktionen der Zünder geliefert) zertrümmert einen 6Li-Kern in Tritium und 4He (das Neutron wird dabei von einem der Kerne eingefangen). Das Tritium fusioniert dann mit dem Deuterium zu 4He und einem freien Neutron, das die Reaktion beim nächsten 6Li-Kern fortsetzt. Das Lithium-7 sollte hingegen eingefangene Neutronen unverändert wieder abstoßen und somit an der Reaktion nicht teilnehmen.

Dem war jedoch nicht so. Das Lithium-7 wurde durch die eingefangenen Neutronen genau so in Tritium und 4He zertrümmert, wie das Lithium-6, nur dass das eingefangene Neutron dabei wieder frei wurde. Damit war 60% mehr Tritium für die Fusion verfügbar, was die Fusionsreaktion so viel heftiger ausfallen ließ. So führte neben dem verantwortungslosen Festhalten der Verantwortlichen am trotz sich ändernder Wetterbedingungen geplanten Zündzeitpunkt die Fehlkalkulation der Physiker in Los Alamos zur bis dahin größten nuklearen Verseuchung der Geschichte.

Castle Bravo Fusionsreaktionen. Oberste Zeile: Erläuterung der dargestellten Kernbausteine und Atomkerne. Zweite Zeile: Mengenanteile der Fusionsbestandteile im Lithiumdeuterid von Castle Bravo. Darunter: Reaktionen von Lithium-6 und Lithium-7, bei Lithium-7 die erwartete Reaktion (EXPECTED) und die tatsächlich eingetretene (GOT). Da Lithium-7 unerwarteterweise genau wie Lithium-6 unter Neutronenbeschuss Tritium produzierte, entstand die 2,5-fache Menge an Tritium (Tritium Bonus), was die Sprengkraft um eben diesen Faktor größer ausfallen ließ. Bild: Anynobody, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

Nachwirkungen bis in die Zukunft

1985 wurden die mittlerweile 350 Bewohner von Rongelap nach einer entsprechenden Bitte des Senators der Marshall-Inseln an Greenpeace durch deren Schiff Rainbow Warrior erneut evakuiert, mitsamt all ihrem Besitz. 1996 kehrten sie dann im Rahmen einer $45-Millionen-Dollar Vereinbarung mit der US-Regierung zurück und trugen die Oberfläche der Insel einige Zentimeter tief ab.

Frauen hatten nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1997 auf den Marshall-Inseln ein 60mal höheres Risiko für Gebärmutterhalskrebs als solche in den USA, sowie ein 5-fach erhöhtes Risiko für Brustkrebs. Das Risiko von Magen-Darm-Krebsarten war in der Bevölkerung fünffach und das für Lungenkrebs dreifach erhöht. Messungen aus dem Jahr 2014 ergaben schließlich, dass die Strahlung auf Rongelap nun nicht mehr gefährlich war.

Weniger Glück hatten die ehemaligen Anwohner des Bikini-Atolls – auch sie kehrten 1972 vorübergehend in ihre Heimat zurück, mussten sie aber 1978 wieder verlassen, weil in ihrem Urin Plutonium und in den Brunnen radioaktivees Strontium-90 gefunden worden war. Das Atoll wird noch für Jahrhunderte unbewohnbar bleiben – nur kurze Aufenthalte von Sporttauchern sind erlaubt. Die ehemaligen Bewohner sind immer noch auf Versorgungslieferungen der Amerikaner angewiesen.

Der bis in die Stratosphäre getragene Fallout wurde über die ganze Welt verteilt und führte zu den ersten internationalen Protesten gegen die überirdischen Atomversuche, die allerdings erst 1963 nach einem Abkommen zwischen den USA und der Sowjetunion eingestellt und durch unterirdische Versuche, die keinen Fallout freisetzen, ersetzt wurden (die von den USA bis 1992 fortgesetzt wurden, von Frankreich bis 1996 und Nordkorea hat zuletzt noch 2017 getestet). Castle Bravo wurde noch von drei Nukleardetonationen übertroffen, zwei 20-Megatonnen-Versuche und die berühmte Zar-Bombe mit 58 Megatonnen, allesamt sowjetische Versuche, die in großer Höhe gezündet wurden und daher kaum Fallout produzierten.

Castle Bravo führte zur Entwicklung kompakter, nur wenige hundert Kilogramm schwerer Sprengköpfe und Bomben mit Megatonnen-Sprengkraft, die immer noch zu Tausenden existieren, einige davon befinden sich noch auf deutschem Boden. In den Händen besonnener, rationaler Politiker sichern sie einem Land die Unangreifbarkeit, weswegen einige Länder nach Atomwaffen streben oder sie schon besitzen. In den Händen eines lebensmüden Psychopathen, dem wie zuletzt Hitler im Führerbunker alles egal ist, bringen sie uns nur einen Knopfdruck entfernt an den Rand des Weltuntergangs. Das einzige wirklich wirksame Mittel zur Abwehr der atomaren Bedrohung ist Vertrauen zwischen den Nationen.

 

Referenzen

Kommentare (29)

  1. #1 rolak
    26. Dezember 2019

    Das Geschehen erinnert ein wenig an die HorrorSzenarien insbesondere älterer SciFi, bei dem irgendein Experiment einen ~Weltenbrand auslösen könnte. Alternativ wird dann vom Helden in letzter Sekunde E verhindert oder W gelöscht. Ua bei Dominik oder Müller dürften entsprechende plots zu funden sein.

    Schön erzählt, schöner Schluß!

  2. #2 Stefan K.
    Laufenburg
    26. Dezember 2019

    Dein Artikel hat mir sehr gut gefallen.

    Ich finde diesen Zweig der Technik einfach nur wahnsinnig. Auch die Logik dahinter, die meines Wissens aus den 1920ern stammt mit der Idee eine Waffe zu entwickeln, die so fürcherlich ist, daß sie niemand tatsächlich einsetzt und genau damit “Frieden” zu “sichern”.

    Heute machen mir allerdings die Möglichkeiten von gentechnisch veränderten Organismen per CRISPR und CASPR zur militärischen Nutzung mehr Sorgen als die Bombe.

    Die Bemerkung, daß ein Beobachtungsoldat seine Armknochen sehen konnte, fand ich interessant. Ich habe mich gefragt, wie dieses Sehen zustande gekommen ist. Waren es Reflexionen im sichtbaren Wellenlängenbereich der frontalen Röntgenstrahlung an den Knochen oder eher ein Umwandlungseffekt der die Knochen von hinten durchdringenden Röntgenstrahlung auf dem Weg durchs Auge?
    Oder noch ein anderer Effekt?

  3. #3 orinoco
    26. Dezember 2019

    Doch ein Sprichwort lehrt:
    Vertrauen kommt zu Fuß, und geht zu Pferd.
    und ist vor allem schlecht für das Waffengeschäft.
    Und wenn man sich die Außen- und Wirtschaftspolitik der letzten, verbliebenen Supermacht und seiner Vasallenstaaten in den letzten zwei Jahrzehnten gegenüber den asiatischen Großmächten ansieht, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass diese genau wissen was sie tun, aber das hat mit Vertrauen oder Entspannung nicht viel zu tun.

  4. #4 Alderamin
    26. Dezember 2019

    @Stefan K.

    Heute machen mir allerdings die Möglichkeiten von gentechnisch veränderten Organismen per CRISPR und CASPR zur militärischen Nutzung mehr Sorgen als die Bombe.

    Oder KI. Nicht, dass diese uns irgendwann versklavt oder ausrottet, aber sie kann von denen, die sie beherrschen, eingesetzt werden, um uns zu beherrschen, z.B. Meinungen zu beeinflussen (soziale Netze) oder Wege zu finden, uns zu überlisten, wie in einem Strategiespiel. Meinte Max Tegmark neulich in einem Interview. Aber die Bedrohung durch die Bombe ist noch real und sie wird schlimmer, wenn Russland und die USA nicht kooperieren und wenn immer mehr verfeindete Länder ihrer habhaft werden. Ich denke nicht, dass die Erde schon die letzte oberirdische Atomexplosion gesehen hat.

    Die Bemerkung, daß ein Beobachtungsoldat seine Armknochen sehen konnte, fand ich interessant. Ich habe mich gefragt, wie dieses Sehen zustande gekommen ist. Waren es Reflexionen im sichtbaren Wellenlängenbereich der frontalen Röntgenstrahlung an den Knochen oder eher ein Umwandlungseffekt der die Knochen von hinten durchdringenden Röntgenstrahlung auf dem Weg durchs Auge?

    Röntgenstrahlen können wir nicht sehen und gemeinhin wird sichtbares Licht im Körper zu stark gestreut, um Knochen erkennen zu können – ich hab’ als Kind oft genug mit hellen Lampen durch die Finger geleuchtet und nie einen Knochen gesehen. Vielleicht hat er auch nur ein wenig übertrieben (insbesondere wenn er, wie er sagt, mit dem Rücken zur Explosion stand). Dass die Explosion extrem hell war und ohne Schutzbrille durch die geschlossenen Lider hindurch geleuchtet hätte, daran besteht allerdings kein Zweifel.

  5. #5 Alderamin
    26. Dezember 2019

    @orinoco

    Zwischen den USA und China sehe ich derzeit keinen drohenden nuklearen Konflikt (was sich ändern könnte, wenn China Taiwan einsackt), aber Russland und die USA könnten wieder auf einen kalten Krieg zu steuern und Iran/Israel, Indien/Pakistan oder Nordkorea/Südkorea sind stark gefährdet, in Nuklearkonflikte hinein zu rutschen mit unabsehbaren Folgen für den Rest der Welt.

    Frankreich und Großbritannien haben die Bombe, aber es besteht keine Gefahr, dass sie sie gegeneinander einsetzen. Warum? Weil sie kooperieren. Und so müsste es mit den genannten Konfliktparteien ebenfalls sein.

    Aber leider müssen sich einige Staatsoberhäupter als Obermuftis profilieren, oft um von den landesinternen Problemen abzulenken, die sie selbst verursacht haben. Diese Ämter scheinen für Psychopathen so attraktiv zu sein wie Misthaufen für Fliegen. Natürlich geht’s auch um viel Geld in den Taschen einiger weniger.

  6. #6 Adam
    Berlin
    27. Dezember 2019

    Sehr guter Artikel, Alderamin, aber was den Part des “besonnenen Politikers” angeht, die Funktion der A-Waffen als Garant für Frieden durch Abschreckung, so halte ich das für eine sehr oberflächliche Betrachtung.

    Schon zu meiner Zeit beim Militär brachte man mir bei, dass gerade durch die Anwesenheit von Atomwaffen Konflikte mit konventionellen Waffen nicht unwahrscheinlicher, sondern im Gegenteil, nur noch umso wahrscheinlicher geworden sind. Ich glaube, das meinten die durchaus ernst, es wirkte nicht wie die sonstige Hurra-Propaganda.

    Man kann die perfide Schutz-Logik nämlich auch invertieren: Gerade WEIL jeder Beteiligte weiss, dass ein Atomkrieg keinen Sieger kennt, schon gar keinen territorialen Zugewinn, wird auch niemand die Gefahr eines Armageddon eingehen. Es wird sich immer einer finden, der nicht bereit ist den letzten Schritt zu tun. Wie einst geschehen beim sowjetischen Oberstleutnant Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow (https://de.wikipedia.org/wiki/Stanislaw_Jewgrafowitsch_Petrow), der bei einem Fehlalarm, von dem er nicht wusste, ob es einer war, eben keinen sowjetischen Gegenschlag anordnete und damit ein extremes Risiko einging und gleichzeitig die Welt vor dem sicheren Untergang rettete. Gleichwohl aber ebendieser invertierten Logik folgte. Umso eher sogar, wenn man selbst den ersten (atomaren) Schritt ebenfalls nicht tat. Aber nur atomaren – nicht konventionellen!

    Darüber hinaus sind sie die letzten Waffen einer Ära von Kriegen, die sich dem Ende entgegen neigt, nämlich den territorial fixierten und synchronen. Mit der Weiterentwicklung konventioneller Waffensysteme, weg vom statischen Feldmilitär, hin zu einem mobilen, getarnten, in Guerillakämpfen erprobten, stets auf Luftdominanz und Aufklärung setzenden; mit der Hybridisierung von Kriegen in Form von Wirtschaftsteilhabe, wirtschaftlichen Übernahmen, Beeinflussung direkter Art durch politische Attentate durch Geheimdienste und indirekter Art durch Manipulation von Wahlen; durch Kommerzialisierung und Outsourcing “klassischen” Militärs (private Söldnerunternehmen global agierender Art mit entsprechend geringen Gesamtkosten und geringerer Gefahr internen Widerstands, weil die Särge ohne Flaggen zurück kommen); mit der Entwicklung von taktischen Nuklearwaffen, die einen massiven Gegenschlag nicht länger rechtfertigen oder zumindest massiv erschweren und mit dem Aufkommen asynchroner Kriege hat sich die Gefahr für konventionelle Konflikte tatsächlich erhöht – und die “Versicherung” durch Abschreckung von Massenvernichtungs-Nuklearwaffen verringert.

    Gleichzeitig erhöht sich die Gefahr eines Unfalls, Missverständnisses, Entwendung oder doch eines Einsatzes durch einen eben nicht ganz so besonnenen Politiker (man denke mal an “Superhirn” Trump mit seiner Frage ans US Militär vor seiner Wahl, die in ihrer gefährlichen Naivität selbst Hardliner erschreckte: “We got those nuclear weapons, so why dont we use them?”) vollautomatisch, und zwar mit jedem Jahr, das vergeht.

    Einstein hatte also absolut Recht, als er sagte, dass er nicht wisse mit welchen Waffen man den dritten Weltkrieg führen würde, wohl aber den vierten, nämlich mit Keulen. Einstein hatte auch Recht, als er darauf hinwies, dass die menschliche Dummheit unendlich ist. Einstein hatte bei so vielem Recht – und auch der Vater der Atombombe, Oppenheimer, hat die große Idiotie hinter allem eingesehen, obschon er durch Hitler in einer Zwangssituation war, zumindest am Anfang des Manhattan-Projekts.

    Es ist am Ende wie mit der “noblen” Idee von Alfred Nobel. Es ist wie mit Dynamit. Einst erdacht, um Kriege ein für allemal zu beenden, läutete es eine völlig neue Ära ein, die in weitere überging. Kriege hörten nie auf und das werden sie auch niemals, solange der Mensch sich nicht grundsätzlich ändert. Daran ändern auch Atomwaffen nichts.

  7. #7 Alderamin
    27. Dezember 2019

    @Adam

    was den Part des “besonnenen Politikers” angeht, die Funktion der A-Waffen als Garant für Frieden durch Abschreckung, so halte ich das für eine sehr oberflächliche Betrachtung.

    Schon zu meiner Zeit beim Militär brachte man mir bei, dass gerade durch die Anwesenheit von Atomwaffen Konflikte mit konventionellen Waffen nicht unwahrscheinlicher, sondern im Gegenteil, nur noch umso wahrscheinlicher geworden sind.

    Ich habe nicht geschrieben, dass die atomare Abschreckung Kriege unwahrscheinlicher gemacht hat. Ich schrieb, dass sie ein Land unangreifbar macht. Die USA werden kein Pearl Harbour mehr erleben und Russland kein Unternehmen Barbarossa. Man sieht es an Nordkorea – niemand wagt, den fetten Zwerg anzugreifen, weil man nicht mit Sicherheit würde verhindern können, dass er eine nukleare Kurzstreckenrakete auf Seoul abfeuert oder ein Flugzeug kurz über die Grenze schickt – obwohl die USA damit rechnen müssen, dass er eines Tages sogar ihr Territorium bedrohen kann. Wogegen diese sich mit einem Abwehrraketensystem schützen wollen. Was wiederum Russland empört, weil es deren atomare Rückschlagfähigkeit vermeintlich reduzieren würde (obwohl das Unsinn ist – bei einem massiven Schlag kann man nicht alle Raketen und Sprengköpfe erwischen und schon die Drohung eines einzigen Nuklearschlags gegen eine Stadt würde einen Angreifer hinreichend abschrecken – siehe Seoul). Vermutlich wäre die Krim noch ukrainisch, wenn die Ukraine nicht im Rahmen der Einigung mit Russland ihre Atomwaffen an dieses abgetreten hätte.

    Hingegen haben die von Atomwaffen geschützten Länder reichlich konventionelle Stellvertreterkriege geführt, weil sie selbst ja unangreifbar waren. Als Land ohne Atomwaffen ist man da verhältnismäßig wehrlos, man kann nur den Angriff selbst abzuwehren versuchen, indem man dem Feind große Verluste zufügt. Oder sich einem Beistandsbündnis anschließen, das atomar abschreckt.

    Dass dennoch eine große Gefahr von der Abschreckung ausgeht, habe ich, denke ich, hinreichend zum Ausdruck gebracht. Die Menschheit müsste sich einmütig dazu bereit erklären, alle diese Waffen abzuschaffen. Das ist derzeit vollkommen utopisch, wahrscheinlich wird es sogar zunehmend schwieriger. Es ginge nur über Kooperation und Vertrauen. Aber solange es Diktaturen gibt, wird es weiterhin Misstrauen und Kriege geben, und Demokratie ist gerade dabei, für immer mehr Menschen unpopulär zu werden. Ich habe auch keine Idee, wie man die Welt vor “Oppenheimer’s deadly toy” wird retten können.

  8. #8 Adam
    Berlin
    27. Dezember 2019

    Ja, setzt aber wieder auf der Prämisse klassischer Konflikte auf – wo du zwei Kontrahenten A und B in festen Orten C und D hast. Doch dem ist nicht immer so. Als bei Nine Eleven die Flugzeuge in die Wolkenkratzer flogen, erlebte die USA ihr zweites Pearl Harbor und ich bin mir sicher, dass sie einen atomaren Vergeltungsschlag zumindest im Moment des Schocks nicht nur befürwortet, sondern sogar als notwendig erachtet haben. Nur gegen wen? Wo?

    Im Falle Nordkoreas ist die eigentliche Gefahr der Bündnispartner und atomare (und konventionelle) Großmacht China. Die Konflikte sind also komplexer geworden – und das ist der eigentliche Grund, warum atomar gerüstete Staaten einen gewissen Schutz geniessen. Das ist aber kein Schutz der Unangreifbarkeit, sondern einer der Uneinehmbarkeit.

  9. #9 Leser
    27. Dezember 2019

    Eigentlich wollte ich nichts dazu schreiben. Das Ungeschick Alderamins, politische Vorgänge vernünftig darzustellen, ist bekannt.

    Daß “Peacemaker” (“Friedensmacher”) Waffen die Menschengruppen so unter Druck setzen, politisch zum “Frieden” erpressen, nicht funktionieren, ist schon seit Jahrhunderten bekannt ! Sogar Alfred Nobel ist diesem Irrtum aufgesessen. Er dachte, wenn alle Dynamit hätten, wären Kriege unmöglich. Im ersten Weltkrieg setzte man Giftgas ein. Giftgas wurde verboten (geächtet) und trotzdem wird es weltweit immer noch eingesetzt. Und die USA-Politiker sollten nicht auf andere zeigen, ihre chemische und sonstige Kriegsführung in Vietnam entsprach auch nicht den gültigen Rechtsnormen. Die USA setzen sich auch heute noch über geltendes Völkerrecht hinweg.

    Asimov hat Regeln für Roboter aufgestellt. Eine Regel war, daß ein Roboter nie einen Menschen verletzen oder töten darf. Nun gibt es inzwischen Roboter, die darauf programmiert wurden, Menschen zu töten. Das ist genau so unmoralisch, wie der Einsatz von Giftgas / giftgen Substanzen oder Atombomben. Und unmoralisch handelt nicht nur der, der tötende Roboter, giftige Substanzen oder Atombomben einsetzt, sondern auch derjenige, der sie entwickelt und herstellt.

    Ich glaube, wenn man Einstein heute fragen könnte, was seine gößte Eselei gewesen ist, dann würde er sagen, die Unterschrift unter Scilards Brief und nicht die kosmologische Konstante. Ich glaube, wenn er es könnte, würde er sich dafür im Grabe rumdrehen !

  10. #10 Bbr
    Niedersachsen
    27. Dezember 2019

    Ich bin mir sicher, dass die Bombe auch ohne Einsteins Unterschrift unter den Brief gekommen wäre, selbst gänzlich ohne diesen Brief. Nur eben später. Ob die Geschichte dann besser oder schlechter verlaufen wäre, darüber kann man nur spekulieren. Die Bomben wären nicht auf Japan gefallen, aber möglicherweise oder sogar wahrscheinlich in einem anderen Krieg.

  11. #11 Leser
    27. Dezember 2019

    @Bbr

    Man kann über alles spekulieren. auch dein :

    Ich bin mir sicher, dass die Bombe auch ohne Einsteins Unterschrift unter den Brief gekommen wäre

    ist eine solche Spekulation ! Die Atombombe hat auch damals sehr viel Geld gekostet. So eine Atombombe kann also nur zu Stande kommen, wenn genügend viele Wissenschaftler von der unmoralischen Tat überzeugt werden, und wenn genügend viel Geld da ist, diese Entwicklung der Atombombe auch zu bezahlen. Wäre das ohne die politische Entwicklung in Deutschland der Fall gewesen ? Spekulation ! Wir wissen es nicht !

  12. #12 Alderamin
    28. Dezember 2019

    @Leser

    Das Ungeschick Alderamins, politische Vorgänge vernünftig darzustellen, ist bekannt.

    Vielleicht sind unsere politischen Ansichten auch einfach hinreichend verschieden aufgrund unterschiedlicher Sozialisation während der Schulzeit.

    Daß “Peacemaker” (“Friedensmacher”) Waffen die Menschengruppen so unter Druck setzen, politisch zum “Frieden” erpressen, nicht funktionieren, ist schon seit Jahrhunderten bekannt !

    Wie gut, dass ich dergleichen gar nichts behauptet habe… Jemanden von einem Angriff abschrecken hat nichts mit “Frieden erpressen” zu tun, sondern erhöht einfach den Preis des Angriffs. Es ist ja niemand gezwungen, einen Krieg anzufangen, also muss man ihn auch nicht erpressen, es zu unterlassen.

    Die USA setzen sich auch heute noch über geltendes Völkerrecht hinweg.

    Stimmt, und nicht nur die.

    Und unmoralisch handelt nicht nur der, der tötende Roboter, giftige Substanzen oder Atombomben einsetzt, sondern auch derjenige, der sie entwickelt und herstellt.

    Keine Frage. Oppenheimer, Fermi, Compton und Lawrence waren sogar unbedingt dafür, die Bombe gegen japanische Städte einzusetzen, u.a. um bei einem Fehlschlag einer angekündigten Demonstration nicht das Gesicht zu verlieren. Szilard war dagegen und wollte den Einsatz verhindern. Oppenheimer hat im Angesicht des Leidens der Opfer später seine Meinung geändert und trat als Projektleiter zurück. Andere argumentierten sich den Einsatz im Nachhinein gerecht, weil ein weiter andauernder Krieg angeblich noch mehr Opfer gefordert hätte (vor allem eigene Truppen).

    Ich glaube, wenn man Einstein heute fragen könnte, was seine gößte Eselei gewesen ist, dann würde er sagen, die Unterschrift unter Scilards Brief und nicht die kosmologische Konstante. Ich glaube, wenn er es könnte, würde er sich dafür im Grabe rumdrehen !

    Einstein, bekennender Pazifist, hatte noch zu Lebzeiten den Brief bereut und mit Szilard versucht, den Rüstungswettlauf mit der UdSSR zu verhindern, aber da hatten die Politiker und Militärs schon andere Pläne und in Leuten wie Teller willige Helfer gehabt.

  13. #13 Alderamin
    28. Dezember 2019

    @Bbr

    Ich bin mir sicher, dass die Bombe auch ohne Einsteins Unterschrift unter den Brief gekommen wäre, selbst gänzlich ohne diesen Brief. Nur eben später.

    Die Franzosen hatten, wie ich während der Recherchen gelesen hatte, schon 1939 ein Projekt zur Entwicklung der Atombombe gestartet, das sie durch den Krieg unterbrechen mussten und nachher wieder aufnahmen. Auch die UdSSR forschten daran. Wahrscheinlich wäre die Bombe erst nach dem Krieg fertiggestellt worden (der sich auch ohne ihren Einsatz gegen Japan dem Ende näherte) und dann wäre sie erst im Koreakrieg eingesetzt worden, oder auch nie. Aber sie wäre auf jeden Fall entwickelt worden.

  14. #14 Adam
    Berlin
    28. Dezember 2019

    “Das Ungeschick Alderamins, politische Vorgänge vernünftig darzustellen, ist bekannt.” (sorry, ich weiß nicht, wie man hier quotet)

    Das glaube ich nun eher nicht, zumal Alderamin mit vielen Dingen Recht hat. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die gerade zu Kalten Krieg Zeiten immer wieder propagierte “Es geht nicht anders”-These im Hinblick auf Schutz nur bedingt zutrifft.

    Man sieht es am Beispiel Israel: es ist eine Atommacht, aber das hält deren Feinde nicht von Angriffen ab. Umgekehrt auch nicht. Atomwaffen verhindern, dass man ein Land einfach einnehmen kann. Sie verhindern aber keine Angriffe und schon gar keine Kriege per se.

    Die Gesamtsituation, die durch eine globale Poltik, Diplomatie, Bündnisse und Wirtschaft bestimmt wird, ist entscheidend. Andernfalls hätte die Schweiz z.B. ganz schlechte Karten bei ihrem Mini-Militär (ihre Luftwaffe hat mWn sogar Öffnungszeiten) und Atomwaffenarsenal von Null. Sollte Iran irgendwann über Atomwaffen verfügen, ist es ebenfalls illusionär davon auszugehen, dass ihnen dann kein Konflikt mehr bevorsteht. Im Gegenteil.

    Atomwaffen sind also keinesfalls passive Problemlöser, das sieht nur so aus. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass kein Staat, der diese Weltenzerstörerwaffen besitzt, wie sie Oppenheimer selbst nannte, auf das damit einhergehende Machtpotential verzichten will. Aber je länger es sie gibt, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie doch eingesetzt werden – egal aus welchem Grund, egal in welcher Anzahl, egal von wem gegen wen und egal, ob geplant oder nicht.

  15. #15 Karl Mistelberger
    mistelberger.net
    28. Dezember 2019

    CASTLE BRAVO: Fifty Years of Legend and Lore – A Guide to Off-Site Radiation Exposures

    By Thomas Kunkle, Los Alamos National Laboratory, Los Alamos, New Mexico

    and Byron Ristvet, Defense Threat Reduction Agency, Albuquerque, New Mexico

    https://blog.nuclearsecrecy.com/wp-content/uploads/2013/06/SR-12-001-CASTLE-BRAVO.pdf

  16. #16 Alderamin
    28. Dezember 2019

    @Adam

    Eine Antwort auf #8 stand noch aus:

    Ja, setzt aber wieder auf der Prämisse klassischer Konflikte auf – wo du zwei Kontrahenten A und B in festen Orten C und D hast. Doch dem ist nicht immer so. Als bei Nine Eleven die Flugzeuge in die Wolkenkratzer flogen, erlebte die USA ihr zweites Pearl Harbor und ich bin mir sicher, dass sie einen atomaren Vergeltungsschlag zumindest im Moment des Schocks nicht nur befürwortet, sondern sogar als notwendig erachtet haben. Nur gegen wen? Wo?

    911 war ja kein Krieg zwischen Ländern, sondern ein terroristischer Anschlag, zwar gefördert von der Taliban-Regierung, die aber nicht direkt verantwortlich war, und Atombomben auf die Zivilbevölkerung wären maßlos unverhältnismäßig gewesen – die Bevölkerung trug am wenigsten Schuld. In asymmetrischen Auseinandersetzungen taugen Atomwaffen nichts, dafür kann der Gegner aber auch nur Nadelstiche zufügen.

    Im Falle Nordkoreas ist die eigentliche Gefahr der Bündnispartner und atomare (und konventionelle) Großmacht China. Die Konflikte sind also komplexer geworden – und das ist der eigentliche Grund, warum atomar gerüstete Staaten einen gewissen Schutz geniessen. Das ist aber kein Schutz der Unangreifbarkeit, sondern einer der Uneinehmbarkeit.

    Meinetwegen formuliere es so. Solange man eine Atommacht nicht existenziell bedroht, wird sie nicht atomar zurückschlagen, weil der Preis zu hoch wäre. Nicht nur der eigene, sondern auch der des Gegners. Im 2. Weltkrieg wurden noch Flächenbombardements durchgeführt, das würde man heute so nicht mehr tun. Was natürlich nicht heißt, dass die Zivilbevölkerung nicht auch in Mitleidenschaft gezogen würde.

  17. #17 Alderamin
    28. Dezember 2019

    @Adam

    Bezüglich Zitieren siehe Kommentierungs-FAQ.

  18. #18 Alderamin
    28. Dezember 2019

    Weil’s zum Thema passt: auf der Insel Runit/Eniwetok-Atoll gibt es eine Grube, in die der ganze radioaktive Abfall der Pazifik-Tests hineingekippt wurde, und die anschließend mit einem 40 cm dicken Betondeckel verschlossen worden war. Diese Grube wird gerade undicht und vom steigenden Meeresspiegel überflutet:

    https://www.popularmechanics.com/military/weapons/a30338371/congress-investigation-runit-dome-nuclear-waste/

  19. #19 rolak
    28. Dezember 2019

    Diese Grube

    Nichts gegen Spallation-RLsize generell – ävver et löpt nit. Nicht jetzt, nicht morgen, no termination possible. Kommt mir langsam vor wie ein Mantra der Comstar(BattleTech) oder prophylaktisch beschworene Technomancy.
    Ähnlich tolle Vorschläge gibts zum Klimawandel.

  20. #20 Adam
    Berlin
    29. Dezember 2019

    Bezüglich Zitieren siehe Kommentierungs-FAQ. :

    Danke 🙂

  21. #21 Adam
    Berlin
    29. Dezember 2019

    hmm..mit dem Alternativ-Tag gehts nicht.und edit ist wohl nicht möglich

  22. #22 Leser
    1. Januar 2020

    Nun schreibe ich doch noch etwas dazu. Ich schrieb von einem Ungeschick Alderamins, politische Vorgänge vernünftig darzustellen. Und dann kommt sowas zurück :

    Jemanden von einem Angriff abschrecken hat nichts mit “Frieden erpressen” zu tun, sondern erhöht einfach den Preis des Angriffs.

    Da kann/möchte jemand nicht denken ! Was ist denn die “Abschreckung eines Angriffs” ? Das ist doch die “Erpressung eines Friedens” ! Es gibt Gebiete auf dieser Erde, die kennen seit 3 Generationen keinen Frieden (z.B. Palästina). Deren junge Erwachsene kennen aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern nur Krieg und Entrechtung. Meinen Sie, Alderamin, der eigene Tod wäre für diese jungen Erwachsenen eine Abschreckung ? Abschreckung funktioniert nicht !! Und wenn Sie keinen Völkermord begehen wollen, in dem Sie diese jungen Erwachsenen im Rahmen der “Abschreckung” und “des Preises den Angriffs” alle umbringen, dann müssen Sie diesen Menschen im eigenen Land eine vernünftige gleichberechtigte Lebensperspektive bieten.

    Frieden auf Basis von Abschreckung funktioniert nicht. Weder mit Massenvernichtungswaffen und auch nicht ohne ! Und wenn Sie, Alderamin, sich dann auch noch am Vokabular der amerikanischen kalten Krieger bedienen, erscheint das mehr als ungeschickt. Es gibt Menschen, die dabei einen (gedanklichen) Brechreiz empfinden. Und das hat nichts mit der Sozialisation zu tun, sondern damit, wie man über die Beziehung von Menschen und Völkern denkt. Es hat nichts mit Humanität zu tun, wenn man ständig darüber nachdenkt, wie man den anderen am effektivsten umbringen kann. Man muß darüber nachdenken, wie man mit anderen Menschen und Völkern vernünftig zusammen leben kann ! Krieg muß undenkbar sein !

  23. #23 Alderamin
    1. Januar 2020

    @Leser

    Könnten Sie mal den Absatz im obigen Artikel zitieren, an dem Sie die ganze Zeit Anstoß nehmen? Ich wüsste jetzt nicht, wo ich die nukleare Abschreckung verteidigt hätte. Im Gegenteil, der Text war unter anderem als Kritik an derselben gedacht. Was ist so schwer daran zu verstehen, dass nukleare Arsenale gefährlich sind und es internationales Vertrauen braucht, um sie abzubauen? Was nun nicht gerade die Stärke von Leuten wie Trump, Putin, Kim oder Netanjahu ist?

  24. #24 Captain E.
    2. Januar 2020

    @Alderamin:

    […]

    Aber leider müssen sich einige Staatsoberhäupter als Obermuftis profilieren, oft um von den landesinternen Problemen abzulenken, die sie selbst verursacht haben. Diese Ämter scheinen für Psychopathen so attraktiv zu sein wie Misthaufen für Fliegen. Natürlich geht’s auch um viel Geld in den Taschen einiger weniger.

    Das Militär steht eigentlich immer unter Generalverdacht, die Karriere von Psychopathen zu fördern. Tatsächlich hat man als Psychopath aber grundsätzlich einen Vorteil in seinem beruflichen Lebensweg. Andere Menschen, ihre Nöte und ihre Bedürfnisse, sind Psychopathen herzlich egal. Zugleich sind Psychopathen oftmals exzellente Selbstdarsteller und Blender. Empathie haben sie nicht, können sie aber gut darstellen.

    Mit derartigen Eigenschaften macht man leicht Karriere als Manager. Für einen Politiker sind sie allerdings auch sehr nützlich, nur fragt sich der einfache Psychopath von der Straße , warum er sich den Stress eines Politikerlebens für eine so geringe Bezahlung überhaupt antun soll. In einer Diktatur sind die Verdienstmöglichkeiten natürlich ungleich höher als in einer Demokratie.

    In den USA gibt es in den letzten Jahrzehnten natürlich die Tendenz, den größten Teil seines Berufslebens in der freien Wirtschaft zu verbringen, um dann als Multimillionär oder -milliardär in die Politik zu wechseln. Das stimmt wenig hoffnungsvoll.

  25. #25 Adam
    Berlin
    3. Januar 2020

    @ Alderamin:

    Ich glaube, dass @Leser sich daran stösst:

    In den Händen besonnener, rationaler Politiker sichern sie einem Land die Unangreifbarkeit

    Das tat ich nämlich auch. Ich denke nicht, dass du damit – oder insgesamt – Atomwaffen oder Kriege verteidigen willst , aber es liest sich etwas komisch. Fast schon so, als ob da Folgendes stünde:

    “Rationalität ist kausales Denken. Wenn es kausal ist, dass man ohne A-Waffen angegriffen werden kann, dann ist es rational A-Waffen zu produzieren, damit das nicht geschieht.”

    Aber es ist eben nicht rational, weil man auf diese Weise die Büchse der Pandora von einer Generation zur nächsten reicht, wodurch es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis irgendjemand sie öffnet. Anschliessend wird keine Rede mehr sein von Rationalen, ganz im Gegenteil, was danach folgt ist der pure Wahnsinn.

    Nein, es ist nicht rational, es ist nur auf perfide Weise logisch im Rahmen der Erwartungshaltung, wie die Welt funktioniert, wie andere funktionieren. Genauso, wie es auch nicht rational ist die Klimaerwärmung weiter anzutreiben, jedoch im bisherigen (!) wirtschaftlichen Sinne perverse Weise logisch , da Kosten mini- und Gewinn maximierend.

    Doch logisch allein, das ist die Logik eines Wahnsinnigen auch, der in seiner Paranoia sich von Feinden umstellt sieht und daraus die Rechtfertigung zum Terror schlußfolgert, wodurch er erst selbst genau die Gefahren produziert, gegen die er sich zur Wehr setzen wollte.

    Logik ist nicht Ratio, nur ein Teil von jener! Reisst man sie raus, betrachtet man nur die kalte Logik als solche, ebnet man den Weg zum Irrationalen.

    Was du, völlig zurecht, auch selbst schreibst, wenn auch implizit:

    Das einzige wirklich wirksame Mittel zur Abwehr der atomaren Bedrohung ist Vertrauen zwischen den Nationen.

    Nicht missverstehen, es geht nicht um political correctness, höchstens um Goldwaagenkram-Befindlichkeiten wegen des etwas missglückten Satzes. Und natürlich, weil man vielleicht stereotypes Denken bei einem Wissenschaftler erwartet der Form: “Ich forsche nur. Andere müssen entscheiden, was sie damit anstellen.” Im Sinne eines Pilatusschen “Ich wasche meine Hände in Unschuld”. Das erzeugt solche Befindlichkeiten.

    Aber ich bleibe dabei, du hast mit vielen Dingen Recht, @ Alderamin, der Text war sehr gut und es ist nur eine kleine Formulierung, die man missverstehen kann. Nicht jedoch, wenn man sie im Gesamtkontext liest, auch durch deine Kommentare. Da gehst du, @Leser, zu weit, unterstellst Alderamin zu viel.

    Aber auch du hast Recht, @Leser, wenn du darauf hinweist, dass die menschliche Natur eine kriegerische ist, dass wir besonders kreativ werden, wenn es um neue Methoden geht uns gegenseitig an den Kragen zu gehen, nur nicht das Gegenteil. Das ist die wahre Perversion unserer Spezies, die wahre Dummheit, wie sie auch Einstein meinte und die stets drohende Nemesis.

    Sagt ein ehemaliger Soldat, der aufgrund der eigenen Dummheit zum überzeugten Pazifisten wurde.

  26. #26 Alderamin
    3. Januar 2020

    @Adam

    Das tat ich nämlich auch. Ich denke nicht, dass du damit – oder insgesamt – Atomwaffen oder Kriege verteidigen willst , aber es liest sich etwas komisch. Fast schon so, als ob da Folgendes stünde:

    “Rationalität ist kausales Denken. Wenn es kausal ist, dass man ohne A-Waffen angegriffen werden kann, dann ist es rational A-Waffen zu produzieren, damit das nicht geschieht.”

    So ähnlich ist es auch gemeint und damit versuche ich klar zu machen, warum Staaten sich solche Waffen beschafften und beschaffen wollen. In einer rationalen Welt wäre es so. Das Problem, dass Du ansprichst (und das ich oben ja auch selbst erwähnt habe) ist, dass es irrationale Staatenlenker und Gruppen, sowie unbeherrschbare technische Risiken bei der Überwachung der Gegenseite gibt. Auch Terrorismus ist irrational.

    Der Reihe nach: als ich das schrieb, hatte ich vor allem Nordkorea und Iran im Kopf. Warum wollte Kim unbedingt die Bombe? Damit er niemals von den USA oder Südkorea angegriffen werden kann. Du sagst, das geschehe nicht, weil China das Land schützt. Das hat China aber auch im Koreakrieg getan und das hat die USA nicht von einem militärischen Einsatz abgehalten. Ebenso wenig der Schutz von Russland den Angriff auf Serbien. Als die Lage in Korea vor ein paar Jahren zu eskalieren drohte, weil Kim mit Atomwaffenversuchen und Raketentests provozierte, wurde viel über die Optionen diskutiert – ein militärischer Angriff wurde dabei ausgeschlossen, weil Seoul nicht zu schützen war. Der Preis eines Angriffs war zu hoch. Und so wählte man Sanktionen und Verhandlungen.

    Saddam Hussein hatte hingegen keine Atomwaffen und wurde angegriffen, besiegt und endete am Strick. Ghaddafi ebenso. Damit es dem Ayatollah-Regime nicht genau so geht, strebt es nun nach Atomwaffen. Der vernünftige Weg war der, über Sanktionen und Verhandlungen und Abbau der Bedrohung einen friedlichen Umgang miteinander anzustreben. Leider gibt es aber irrational handelnde Staatenlenker (oder solche, die kurzfristig nur an ihren eigenen Wahlerfolg denken), die den Vertrag gekippt haben, und nun haben wir wieder die Eskalation. Am Ende wird Iran nicht daran zu hindern sein, sich die Bombe zu beschaffen und eine kleine Dummheit, ein fehlerhafter Sensor oder ein selbstmörderischer Regierungschef kann ganze Städte in Israel und Iran in radioaktive Wüsten verwandeln und den Startschuss zu einer noch größeren Eskalation geben, die die ganze Welt in den Abgrund reisst.

    Auch Terrorismus ist irrational. Ich wüsste keinen Fall, in dem Terrorismus etwas anderes als das Gegenteil dessen erreicht hat, was er vorgab, erreichen zu wollen. Sowohl im Falle der RAF wie auch beim islamischen Terrorismus hat er lediglich die Rachegelüste der Terroristen und ihrer Sympathisanten kurzfristig befriedigt und ihre Organisationen (RAF, Al Quaida, IS) am Ende komplett oder weitgehend ausgelöscht, wobei der Gegner sich in eine noch stärkere Position brachte.

    Die Situation in Palästina ist allerdings speziell. Die Hamas greift immer wieder Israel an, und Israel führt danach Vergeltungsschläge durch. Die Wut der Unterdrückten ist nachvollziehbar, die Angst der grenznahen Siedler auch, aber hier haben sich Hamas und rechtsorientierte Regierungen in eine gegenseitige Abhängigkeit voneinander manövriert, von der beide profitieren und unter der die Bevölkerungen beider Seiten leiden müssen. Denn die Hamas lebt von der Wut der Palästinenser und deren Angriffe stärken die Position der Falken im israelischen Parlament, die wiederum durch ihren harten Kurs die Unterstützung der Hamas stärken. Als Rabbin versuchte, den Knoten zu durchschlagen, wurde er von einem Rechtsterroristen erschossen. Hier herrscht meiner Ansicht nach eine perfide Rationalität, bei der beide Kontrahenten ihre Bevölkerungen in Geiselhaft genommen haben und selbst davon profitieren.

    Zwischen rational handelnden Regierungen hat die Abschreckung allerdings funktioniert (und funktioniert im Falle Nordkorea noch immer), es gab seit 75 Jahren keinen großen Krieg zwischen den Supermächten (oder gegen einen Staat, der Atomwaffen besitzt – Terroranschläge bewusst ausgeklammert). Trotzdem bestand mehrfach das Risiko einer irrationalen Handlung oder eines Fehlers und natürlich war es ein Irrweg, diese Waffen zu entwickeln und sich auf einen Rüstungswettlauf einzulassen, da hätte man besser auf Szilard und Oppenheimer gehört (obwohl auch schon andere Länder an solchen Waffen arbeiteten – letztlich hätte sie niemand auf ewig verhindern können).

    Die Strategen (auf beiden Seiten) als Idioten darzustellen, die vollkommen irrational gehandelt haben, verkennt die Komplexität des Kalten Krieges. Und da ist mir das Weltbild von @Leser wiederum ein wenig zu schwarz-weiß, der schon in anderen Kommentaren (z.B. im Apollo-8-Artikel) dargelegt hat, dass es für ihn nur einen einzigen Schurkenstaat auf der Welt gibt. Ich sehe die Schuld auf beiden Seiten. Wobei die Unterdrückung der Demokratie östlich des eisernen Vorhangs schwer wog.

  27. #27 Captain E.
    3. Januar 2020

    @Alderamin:

    […]

    Zwischen rational handelnden Regierungen hat die Abschreckung allerdings funktioniert (und funktioniert im Falle Nordkorea noch immer), es gab seit 75 Jahren keinen großen Krieg zwischen den Supermächten (oder gegen einen Staat, der Atomwaffen besitzt – Terroranschläge bewusst ausgeklammert). Trotzdem bestand mehrfach das Risiko einer irrationalen Handlung oder eines Fehlers und natürlich war es ein Irrweg, diese Waffen zu entwickeln und sich auf einen Rüstungswettlauf einzulassen, da hätte man besser auf Szilard und Oppenheimer gehört (obwohl auch schon andere Länder an solchen Waffen arbeiteten – letztlich hätte sie niemand auf ewig verhindern können).

    […]

    Einen großen Krieg hat es freilich nicht gegeben, aber einen so großen wie den Zweiten Weltkrieg hat es insgesamt auch nicht mehr gegeben. Kleine dagegen durchaus, und damit meine ich nicht einseitige Kriege wie USA-Grenada. Israel hattest du bereits genannt, auch wenn sich anscheinend seit Verbreitung des offenen Geheimnisses israelischer Atomwaffen kein Staat mehr getraut hat, offen anzugreifen. Pakistan und Indien sind aber beides Atommächte und stoßen trotzdem immer wieder im Kashmir aufeinander. Die Kubakrise hätte sehr leicht dazu führen können, dass die USA und die Sowjetunion sich gegenseitig nuklear beschossen hätten.

    Und dann wäre da noch so ein kleiner Krieg im Schatten der ersten Mondlandung. Die Volksrepublik China und die Sowjetunion haben damals im Jahre 1969 monatelang um den Besitz der Flussinsel Zhenbao Dao im Grenzfluss Ussuri gekämpft. Sogar der Einsatz von Kernwaffen wurde ernsthaft in Erwägung gezogen.

    Zwischenfall am Ussuri

  28. #28 Alderamin
    3. Januar 2020

    @Captain E.

    Einen großen Krieg hat es freilich nicht gegeben, aber einen so großen wie den Zweiten Weltkrieg hat es insgesamt auch nicht mehr gegeben.

    Was entscheidend ist. Bei all den Provokationen und kritischen Situationen im Kalten Krieg wäre ein großer Krieg sehr wahrscheinlich gewesen, wenn die Hemmschwelle niedriger gewesen wäre.

    Kleine Kriege unter Beteiligung von Atommächten waren entweder Stellvertreterkriege ohne unmittelbare Bedrohung des Heimatterritoriums der Atommacht, oder hinreichend asymmetrisch, so dass eine nukleare Eskalation vermieden wurde (z.B. Terrorismus, Ex-Jugoslawien, Irak).

    auch wenn sich anscheinend seit Verbreitung des offenen Geheimnisses israelischer Atomwaffen kein Staat mehr getraut hat, offen anzugreifen.

    Sic!

    Pakistan und Indien sind aber beides Atommächte und stoßen trotzdem immer wieder im Kashmir aufeinander

    Es bleibt hier aber bei lokalen Scharmützeln. Die gab es auch zwischen den Koreas. Ohne die nukleare Drohung wäre der Konflikt womöglich längst eskaliert. Den Ussuri-Konflikt kannte ich nicht, aber da scheint es ähnlich gewesen zu sein – am Ende hat man die offene Eskalation vermieden.

    Ich behaupte nicht, dass der Besitz von Atomwaffen militärische Konflikte unwahrscheinlicher macht – eher im Gegenteil, der Besitzer ist ja selbst gewissermaßen unbesiegbar und kann sich überall einmischen, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Da stimme ich Adam zu. Zwischen Konfliktparteien mit Nuklearwaffen auf beiden Seiten erhöht er aber den Preis eines totalen Krieges auf Unendlich. Das ist die perfide Logik hinter dem Gleichgewicht des Schreckens.

    Ich sag’s nochmal – ich will die nukleare Abschreckung nicht verteidigen, sondern nur erklären, warum dieser Weg gegangen wurde und immer noch wird. Mir wäre ein Gleichgewicht des Handels und Vertrauens wesentlich lieber.

  29. #29 Adam
    Berlin
    6. Januar 2020

    @ Alderamin

    Ja, so sieht die Lage aus, gut beschrieben.