Die Venussichel am 19. Mai 2012 durch ein 12-cm-Linsenteleskop, ähnlich dramatisch wie zur Zeit. Bild: Autor.

Viele Wochen stand die Venus strahlend hell am Abendhimmel, seit sie im vergangenen Herbst auf der östlichen Seite ihrer Bahn hinter der Sonne hervorgekommen war. In nur wenigen Tagen schon ist es damit vorbei und der helle Abendstern überholt die Erde auf ihrer schnelleren Bahn um die Sonne und wechselt auf die westliche Seite der Sonne, bevor sie wieder als Morgenstern am Himmel erscheint.

Da sie zwischen Sonne und Erde steht, sehen wir sie im Moment als sehr schmale Sichel. Nur 3,5% der Venusfläche sind noch beleuchtet, mit abnehmender Tendenz. Trotzdem ist sie immer noch heller als -4. Größenklasse, nur von Mond und Sonne am Himmel übertroffen. Denn sie steht der Erde nun fast so nahe, wie sie ihr nur kommen kann, 0,3 Astronomische Einheiten oder 45 Millionen km. Deswegen erscheint sie jetzt auch besonders groß, 55 Bogensekunden, also fast eine Bogenminute, 1/60 eines Winkelgrads, 1/30 des scheinbaren Durchmessers des Mondes. Das ist in etwa die Grenze des Auflösungsvermögens des menschlichen Auges, d.h. theoretisch könnte man mit guten Augen erkennen, dass die Venus kein Punkt ist. Ein so strahlend helles Objekt blendet das Auge jedoch vor dunklem Hintergrund, so dass nur ein heller Klecks zu erkennen ist.

Ansicht der relativen Positionen von Erde, Venus und Merkur auf ihren Bahnen um die Sonne. Alle drei Planeten bewegen sich gegen den Uhrzeigersinn, wobei die Venus auf ihrer weiter innen liegenden schnelleren Bahn die Erde überholt, von der westlichen (linken) Seite der Sonne auf die östliche (rechte) Seite wechselt und somit vom Abendstern zum Morgenstern wird. Die größte Annäherung an die Sonne wird übrigens untere Konjunktion genannt und findet am 3. Juni 2020 statt. Wenn Venus hinter der Sonne durchzieht, nennt man dies hingegen obere Konjunktion. Untere und obere Konjunktionen zur Sonne gibt es nur bei den inneren Planeten Merkur und Venus, bei anderen Planeten heißt es nur Konjunktion, wenn sie hinter der Sonne vorbei ziehen. Bild: Autor, Celestia.

Die Sichel kann man ganz sicher nicht mit bloßem Auge erkennen, aber es reicht schon sehr moderate Optik, wie sie in vielen Haushalten vorhanden ist: ein Feldstecher. Ich hatte als Kind von vielleicht 6 Jahren ein ausziehbares “Piratenfernrohr” geschenkt bekommen mit vielleicht 10- oder 15-facher Vergrößerung, und es an einem Abend auf jenen hellen “Stern” gerichtet, der da am Himmel stand, und ihn als Sichel gesehen – das war für mich vollkommen unerwartet und total aufregend. Es war der Anstoß dafür, mit immer größeren Teleskopen immer tiefer ins Weltall blicken zu wollen.

So sieht der Himmel am 25. Mai 2020 kurz nach Sonnenuntergang  Richtung West-Nordwest aus (für Köln gegen21:50, je nach Standort im deutschsprachigen Raum auch bis zu 30 Minuten früher). Sowohl Mond als auch Venus sind in Wahrheit schmale Sicheln. Die Erkennung der Venussichel erfordert allerdings einen Feldstecher oder ein Teleskop. Mond und Venus sind leicht aufzuspüren, der Planet Merkur findet sich mit dem Feldstecher auf der Linie zwischen den beiden, sobald es dunkel genug ist. Bild: Autor, Stellarium.

Wer also ein Fernglas mit mindestens 7-facher Vergrößerung hat, sollte in den nächsten Tagen bei klarem Wetter den hellen Stern im Nordwesten anpeilen, der kurz nach Sonnenuntergang am noch blauen Himmel auftaucht. Man kann ihn schon gleich nach Sonnenuntergang suchen, im Feldstecher findet man die helle Venus sogar am Tage – was sich wegen der Nähe zur Sonne allerdings vor Sonnenuntergang strengstens verbietet! Denn die Sonne darf niemals versehentlich ins Blickfeld geraten, sonst drohen bleibende Augenschäden.

Nach Sonnenuntergang ist dieses Risiko nicht mehr gegeben. Die Venus steht mittlerweile bei Sonneuntergang nur noch gute 10° (ein handbreit bei ausgestrecktem Arm) über dem Horizont, d.h. es braucht unbedingt freie Sicht nach Nordwesten, z.B. von einem hohen Balkon oder Dach aus, in flacher Ebene, am Strand oder von einem Hügel aus. Idealerweise sucht Ihr Euch eine stabile Unterlage oder seitliche Stütze, gegen die Ihr das Fernglas bzw. Hand oder Arm stützen könnt, um eine ruhige Hand zu haben; ein Haus, Laternpfahl, Baum, Bank, Fahrrad, Auto, was gerade in Reichweite ist. Die Schärfe stellt Ihr separat für beide Augen ein, erst mit dem Rädchen in der Mitte für das linke Auge, dann am rechten Okular für das rechte. Wenn der Feldstecher zu sehr “schielt”, was viele tun, könnt Ihr über einemder  Objektive die Kappe aufgesteckt lassen oder das Auge schließen, links oder rechts, wie’s am angenehmsten ist oder je nachdem welches das bessere Auge ist.

Aktuelle Aufnahme von Merkur und Venus am Abendhimmel. Eingefügt sind Detailaufnahmen der Planeten durch ein Teleskop mit 32 cm Öffnung.
Bild: © Sebastian Voltmer / astrofilm.com, mit freundlicher Genehmigung.

Gleich nebenan, nur 5° oder 2-3 fingerbreit links von Venus in Richtung 10 Uhr findet sich zur Zeit außerdem noch der Planet Merkur, der nur selten am Himmel zu sehen ist und mit -0,4 Größenklassen wesentlich lichtschwächer, etwa vergleichbar mit den hellsten Fixsternen (nach Sirius). Merkur ist mit 1,03 AE (155 Millionen Kilometer) sehr viel weiter als die Venus entfernt und zeigt im Feldstecher keinerlei Form oder gar Struktur. Im Teleskop sieht man zur Zeit einen “Halbmerkur”. Nur wenigen sehr guten Astrofotographen wie Sebastian Voltmer, von dem das Bild unten stammt, ist es gelungen, Details auf der Oberfläche des Planeten aufzulösen, die wir ansonsten nur mit Hilfe von Raumsonden erkunden können, wie Mariner 10, Messenger oder der europäischen Sonde BepiColombo, die gerade auf ihrem langen Weg zum sonnennächsten Planeten ist und ihn im Oktober kommenden Jahres passieren wird, bevor sie nach mehreren Swingbys erst im Dezember 2025 in eine Umlaufbahn um Merkur einschwenken soll. Merkur gewinnt zur Zeit noch an Höhe über dem Horizont. Mit Venus als Aufsuchhilfe ist er besonders leicht zu finden.

Sehr schöne Aufnahme der Konstellation von Mond, Merkur und Venus am Montagabend, 25.05.2020.
Bild: © Ludger Hartmer, mit freundlicher Genehmigung

Also versucht Euch doch mal mit dem Fernglas an der Venus, ich habe die Sichel gestern problemlos im 10×50 gesehen. Aber wartet nicht zu lange, zwar wird die Sichel täglich spektakulärer, aber jeden Tag sinkt Venus zu Beginn der Dämmerung ein Stück tiefer Richtung Horizont und wird am Freitag wohl vom Himmel verschwunden sein. Merkur bleibt uns noch ca. eine Woche länger erhalten, dann versinkt der flinke Planet im Dunst bevor es dunkel genug für ihn wird, während es zunehmend später dunkel wird.

Am Mittwochabend gibt’s dann (voraussichtlich) als Nachschlag noch ein Raumfahrt-Highlight zu beobachten, darüber schreibe ich noch einen separaten Artikel.

Kommentare (17)

  1. #1 Spritkopf
    25. Mai 2020

    Hm, im Moment weiß ich nicht, was bei mir überwiegt. Die Enttäuschung darüber, dass ich die Venus wegen bedecktem Himmel nicht beobachten kann oder die Erleichterung, dass endlich der dringend notwendige Regen fällt.

  2. #2 Alderamin
    25. Mai 2020

    @Spritkopf

    In NRW sollen wir heute und den Rest der Woche gutes Wetter haben, also für heute Abend einplanen!

  3. #3 Spritkopf
    25. Mai 2020

    Hier hängen im Moment noch dicke Wolken, aber die Wetter-App behauptet, heute abend würde es klaren Himmel geben. Habs mir auf alle Fälle mal vorgemerkt.

  4. #4 Karl-Heinz
    25. Mai 2020

    @Spritkopf

    Dann bitte unbedingt berichten was du gesehen hast. 🙂

  5. #5 wereatheist
    Berlin
    25. Mai 2020

    Die Venussichel habe ich mir schon am Mittwoch betrachtet, durch einen Drei-Zoll-Reflektor simpelster Bauart. Es gibt auf dem Parkplatz beim nächsten Aldi so einen schönen schwarzgelben Poller, auf den ich das Ding stellen kann.
    Bei 75x war die Sichel recht auffällig.
    Merkur war nicht im Blickfeld, da war das Berghain vor.
    Für Venus & Merkur beisammen bin ich am Do auf die Warschauer Brücke (freier Blick nach Westen). Da hatte ich ein leicht schielendes 30×60 Fernglas mit. Trotz Wolkenbänken waren beide Objekte sichtbar, die Sichel auch gut zu erkennen. Ich finde Merkur mit bloßem Auge betrachtet fast rührend. Aber alle antiken “Hochkulturen” wussten von ihm, und nicht nur die.
    Als Dreingabe kam gegen 22:20 noch die ISS vorbei.

  6. #6 Spritkopf
    25. Mai 2020

    Hier hatten wir leider im Nordwesten starken Dunst. Vielleicht morgen. 🙁

  7. #7 Alderamin
    25. Mai 2020

    Gerade eben: Himmel fast wolkenlos.
    Sichel gut erkennbar im 7×50. Grandios im 20×80. Merkur auch im 20×80 am noch hellen Himmel gefunden, erstaunlich weit weg von der Venus.

    Auch toll die andere Sichel weiter links. Das Mare Crisium eben ganz beleuchtet, macht eine Art Todesstern-Effekt. Sehr geil im 20×80.

  8. #8 Peter Paul
    25. Mai 2020

    Vielen Dank für diese Anregung. Bei uns waren gerade wenige Wolken am Himmel, und so gelang es mir doch tatsächlich die Venus zu sehen, mit so nem ganz kleinen Oma-Fernrohr, vielleicht 30 fache Vergrößerung.
    Wunderbar das winzig kleine Mondsichelchen neben der richtigen Mondsichel: soooo schön!
    Danke lieber Alderamin.

  9. #9 Alderamin
    25. Mai 2020

    @Peter Paul

    Immer gerne! Keep looking up!

  10. #10 Alderamin
    25. Mai 2020

    Gerade auf Twitter Fotos von heute:

  11. #11 Alderamin
    25. Mai 2020

    Um 20 nach 10 folgt übrigens noch ein hoher Überflug der ISS, wer gerade draußen ist…

  12. #12 Ludger
    26. Mai 2020

    Danke, hat sich gelohnt. Standort
    Foto vom 25.05.2020, 22:19Uhr Sommerzeit per PN
    Standort: Haarstrang bei Wickede Ruhr Blick nach Nordwesten.
    Ludger

  13. #13 Alderamin
    26. Mai 2020

    @Ludger

    Danke, sehr schöne Aufnahme!

  14. #14 Mars
    stuttgart
    27. Mai 2020

    27.05 – 21:20 bis 21:35
    ca 4° über – meinem – horizont
    sichtbarkeit mit bloßem auge … eher unscheinbar
    leichte wolkenschleier
    aber selbst mit dem ganz kleinen feldstecher
    ist die sichel in ihrer schönheit gut sichtbar
    heute ging es nochmal
    21:38 geht hinter die wolken …
    grüssle

  15. #15 Karl-Heinz
    27. Mai 2020

    Auch ich konnte die Sichel der Venus in der Abenddämmerung mit einem kleinen Feldstecher sehen. Sehr eindrucksvoll. 🙂

  16. #16 Bullet
    29. Mai 2020

    Ich hatte als Kind von vielleicht 6 Jahren ein ausziehbares “Piratenfernrohr” geschenkt bekommen mit vielleicht 10- oder 15-facher Vergrößerung

    Ach du grüne … DU AUCH? Ich dachte, ich wäre der einzige, der mit solchem Spielzeug angefangen hat … ^^

  17. #17 Alderamin
    30. Mai 2020

    @Bullet

    War wohl damals in Mode oder so.

    Das nächste war dann ein 10-30 x 30 Zoom-Fernröhrchen auf Mutters Trockenhaubenständer als Stativ. Damit “entdeckte” ich die Jupitermonde, die dunklen Hauptbänder auf Jupiter und die Saturnringe. Ich weiß noch, wie ich aufgeregt meine Oma vom Fernseher weggeholt habe, um ihr die Ringe zu zeigen. 😀