Vor ein paar Tagen erst habe ich darüber geschrieben, dass in der Öffentlichkeit meist nur die “serlöse” Seite der Homöopathie präsentiert und die abergläubisch-rückständige Wirklichkeit gerne ausgeblendet wird. Und heute reisst mich dieser Artikel im österreichischen Standard vom Hocker: “Mit ein paar Fläschen selbst heilen“. Darin wird die Homöopathin Birgit Kapfinger-Bruckner interviewt und gibt Tipps zur Zusammenstellung einer homöopathischen Reiseapotheke. Und das ohne jegliche kritische Betrachtung! (auch das EsoBlog berichtet darüber)
Der Standard war mir eigentlich aus jahrelanger Leseerfahrung immer als eine der wenigen qualitativ hochwertigen österreichischen Zeitungen bekannt. Dieser Artikel lässt mich jetzt aber an meinem Urteil zweifeln.
Alleine schon die Einleitung zeigt, wohin es gehen wird:
“Die homöopathische Reiseapotheke behandelt nicht Erkrankungen
sondern heilt individuell: wie man das im Urlaub selbst angeht, erklärt
Birgit Kapfinger im Interview”
Von Anfang an wird kritiklos davon ausgegangen, das Homöopathie “heilt”. Der Rest des Interviews verläuft ähnlich:
derStandard.at: Macht es bei all der Individualität überhaupt
Sinn eine fertig geschnürte homöopathische Reiseapotheke in den Urlaub
mitzunehmen?Kapfinger: Ja, wenn man die beschriebenen
Beschwerden hat auf jeden Fall. Es ist sinnvoll etwas in der Hand zu
haben, da es auch klare Indikationen gibt. Wie zum Beispiel für Apis.
Das Gift der Biene hilft sicher gegen Bienenstiche. Oder Nux vomica,
die Brechnuss: Sie ist ein Muss für alle Arten von Überessen,
Überfeiern und Überkonsum, aber auch bei verdorbenen Speisen.
“Das Gift der Biene hilft sicher gegen Bienenstiche”… Hier geht es wieder mal um das unlogische Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie – gleiches wird angeblich mit gleichem geheilt. Natürlich wird aber nicht das Bienengift an sich eingenommen sondern nur eine “potenzierte” – also bis zur Unkenntlichkeit verdünnte – Lösung dieses Gift das auf unerklärbare Weise die “Informationen” des Bienengifts aufgenommen haben soll.
Vermutlich hat die Interviewerin (Andrea Niemann) diese Frage für ausreichend kritisch gehalten:
derStandard.at: Können falsch eingenommene Globuli auch eine schädliche Wirkung haben?
Kapfinger:
Grundsätzlich nein, weil es dann nur eine Leerinformation darstellt,
die nichts bewirken kann. Die einzige Ausnahme ist Hartnäckigkeit:
Nehme ich dreimal täglich über drei Tage Medikamente die nicht wirken,
dann setzt man viele Reize und man macht ungewollt eine
Arzneimittelprüfung durch.
Klar, dass homöopathische Mittel keine Nebenwirkungen haben – sie haben ja auch keine eigentliche Wirkung….
Und schön seriös-medizinisch endet der Artikel auch:
“Die richtige Dosierung
Die empfohlene Stärke/ Potenz aller angeführten Arzneien ist die C30.
Dies ist eine im Akutfall schnell wirkende, kräftige Potenz.
Nach der Einnahme von 5 Kügelchen (Globuli) sollte im Idealfall eine rasche Besserung eintreten.
Läßt die Wirkung nach, kann die Gabe wiederholt werden, wenn das Beschwerdebild noch immer gleich ist.
C30 kann 3mal täglich eingenommen werden. Eine zu häufige Wiederholung
ist nicht sinnvoll. Es soll immer die Wirkung einer Gabe abgewartet und
ausgeschöpft werden.”
Will jemand wissen, was “C30” bedeutet? Das heisst, der Ausgangsstoff wurde 30 mal auf ein hundertstel verdünnt. Das entspricht einem Teil Grundstoff und 10030 (=1060) Teilen Lösungsmittel! 1060 ist eine verdammt große Zahl! So groß, dass einem kaum ein vernünftiger Vergleich dazu einfällt. Für die Globuli-Herstellung müsste man z.B. ein Gramm Bienengift mit 1060 Gramm Milchzucker mischen. Das ist etwa das eine Billion mal einer Billion mal Zehntausend-fache des Gewichts der Erde! Man kann also absolut sicher sein, dass sich in den Globulis absolut kein Wirkstoff mehr befindet. Das, was die Homöopathen als Globulis verkaufen, sind reine Milchzuckerkügelchen ohne Wirkung (bzw. höchstens mit der Wirkung eines Placebos).
Im Artikel des Standards wird darüber aber kein Wort verloren. Es existiert nur ein Link mit dem Titel: Wissen – das Prinzip der Homöopathie. Dort findet man in gleicher unkritischer Weise die homöopathische Lehre präsentiert:
“Die Homöopathie ist eine ärztliche Heilkunst (…)”
So geht es gleich mal los…
“Sie verwendet Arzneimittel, die aus dem Tier-, Pflanzen- und Mineralreich stammen.”
Über die absurden Zutaten der homöopathischen Mittelchen habe ich ja schon vor ein paar Tagen geschrieben.
“Die Arzneien werden in sogenannten Arzneimittelprüfungen an gesunden
Menschen, die probeweise die Substanz eingenommen haben, getestet”
Auch die Absurdität der Arzneimittelprüfungen, bei denen anhand von Träumen und anderen seltsamen Effekten die Wirksamkeit der Mittel bestimmt wird, habe ich im letzten Artikel schon dargestellt.
Und am Schluss des “Wissen”-Artikels wird nochmal schön der Mythos der “sanften, natürlichen Alternative” zementiert:
“Die Homöopathie ist ein zutiefst humaner Zugang zum menschlichen Leiden
und höchst wirkungsvoll. Ganzheitlich betrachtet ist Heilung ein
Entwicklungs- und Reifungsprozess. Die sanften, kleinen und passenden
Reize der Homöopathie helfen dabei”
Und die allerletzte Zeile des Beitrags erklärt dann auch das Fehlen jeglicher Kritik (oder Vernunft):
“Der Text wurde von Birgit Kapfinger-Bruckner
zur Verfügung gestellt.”
Ja – wenn die Homöopathin selbst ihre Disziplin vorstellen kann, dann ist so ein einseitiges Bild nicht verwunderlich.
Ich bin wirklich enttäuscht vom Standard. An die weitesgehend unkritische Betrachtung der Homöopathie in der Öffentlichkeit habe ich mich ja leider schon gewöhnt. Aber von einer Qualitätszeitung mit einem guten Ruf hätte ich mir doch etwas anderes erwartet. Ein Minimum an Recherche hätte zumindest zu der Erkenntnis führen müssen, dass Homöopathie nicht so unumstritten ist, wie es die Homöopathen gerne darstellen.
Dieser Artikel ist einer Qualitätszeitung absolut nicht würdig! Ich werde mal probieren, ob ich vom Standard eine Reaktion zu diesem Thema bekommen kann – es würde mich wirklich interessieren, wie dieser Artikel entstanden ist
(Nachtrag vom 22. Juni: Es gibt bis jetzt keine Reaktion vom Standard.)
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