Morgen wird die europäische Sonde Rosetta den Asteroiden Šteins ganz aus der Nähe untersuchen. Das ist auch ein guter Anlass um einmal einen ausführlicheren Beitrag über Asteroiden zu schreiben.
Von diesen Überbleibseln der Planetenentstehung gibt es in unserem Sonnensystem viele. Über die erdnahen Asteroiden habe ich schon vor einiger Zeit geschrieben. Weiter entfernt von der Sonne, zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter befindet sich der sogenannte “Hauptgürtel der Asteroiden”. Auch Šteins ist so ein Hauptgürtelasteroid.
Ich möchte aber heute über eine andere Asteroidengruppe schreiben: die Trojaner. Bei dem Wort “Trojaner” denken wohl die meisten an ein fieses Computerprogramm bzw. an den trojanischen Krieg. Als Trojaner wird aber auch eine spezielle Art von Asteroid bezeichnet: nämlich diejenigen, die sich in den “Lagrangschen Punkte” befinden.
Lagrange-Punkte
Der große Mathematiker und Astronom Joseph-Louis Lagrange hat im 18. Jahrhundert das eingeschränkte Dreikörperproblem untersucht. Dabei handelt es sich um einen Spezialfall der Bewegung von mehreren Himmelskörpern in der sich ein sehr kleiner Körper im Gravitationsfeld zweier deutlich größerer Massen bewegt. Ein typisches Beispiel wäre z.B. die Bewegung eines Satelliten unter dem Einfluss von Sonne und Erde oder die Bewegung eines Asteroiden unter dem Einfluss von Sonne und Jupiter.
Lagrange konnte nun zeigen, dass es im eingeschränkten 5 spezielle Gleichgewichtspunkte gibt an denen sich die Kräfte der beiden großen Himmelskörper auf den kleineren gerade gegenseitig aufheben. Himmelskörper die sich genau dort befinden sind also quasi dort “geparkt” und bleiben immer dort. Das folgende Diagramm zeigt die Position dieser Punkte (L1-L5):
Man kann hier den gelben Kreis als Sonne interpretieren und den blauen als Planet (z.B. Jupiter). Drei der Lagrange-Punkte findet man dann auf der Verbindungslinie zwischen Sonne und Jupiter; zwei weitere direkt auf der Bahn des Planeten – jeweils 60 Grad vor und hinter dem Planeten.
Bei den Punkte L1, L2 und L3 handelt es sich um labile Gleichgewichtspunkte: schon kleine Abweichungen von der exakten Position führen dazu dass einer der beiden Körper mit seiner Anziehungskraft die Oberhand gewinnt und den Himmelskörper aus dem Gleichgewichtspunkt “zieht”. L4 und L5 sind allerdings stabile Gleichgewichtspunkte: auch wenn sich ein Objekt nicht exakt in L4 oder L5 befindet bleibt es weiterhin in der Nähe des Lagrange-Punkts (bis zu einer gewissen Grenze natürlich).
Wie groß die Stabilitätsregion um die einzelnen Lagrange-Punkte ist hängt von der jeweiligen Konfiguration ab. Das Verhältniss der Massen der beiden großen Körper muss kleiner als 1/25 sein damit L4 und L5 stabil sind. In unserem Sonnensystem ist das z.B. für Sonne und Jupiter der Fall (hier beträgt das Massenverhältnis 1/1000) – es gilt aber auch für alle andere Planeten.
Der erste Trojaner
Lange Zeit blieben die Lagrange-Punkte eine rein theoretische Eigenschaft des eingeschränkten Dreikörperproblems. Am 22. Februar 1906 änderte sich das: da entdeckte der Heidelberger Astronom Max Wolf einen Asteroiden der überraschenderweise genausoweit von der Sonne entfernt war wie Jupiter. Eine nähere Untersuchung zeigte, dass sich dieser Asteroid tatsächlich in unmittelbarer Nähe des Lagrange-Punktes L4 des Jupiter befand. Wolf nannte diesen Asteroiden Achilles – nach dem Held des trojanischen Kriegs. In den folgenden Jahren wurden weitere Asteroiden in den Lagrange-Punkten gefunden und ebenfalls nach Figuren aus dem trojanischen Krieg benannt (L4 Asteroiden nach den Griechen; L5 Asteroiden nach Trojanern). Daher stammt auch die heute übliche Bezeichnung “Trojaner” für Körper die sich in den Lagrange-Punkten befinden.
Heute kennt man 1279 Asteroiden die sich in der Nähe von L4 des Jupiter befinden und 1271 in der Nähe von L5. Auch bei Neptun wurden 6 (L4) Trojaner gefunden und bei Mars fand man 3 Asteroiden in L5 und einen bei L4.
Die Trojaner-Asymmetrie
Da ich mich mit den Trojanern auch selbst wissenschaftlich beschäftigt habe möchte zum Abschluss noch eine nette Geschichte über ein Problem erzählen, das sich mittlerweile von selbst gelöst zu haben scheint.
Betrachtet man nur das eingeschränkte Dreikörperproblem, dann sind dort L4 und L5 dynamisch gesehen absolut gleichwertig. Deswegen ist auch zu erwarten, dass sich um L4 und L5 in etwa gleich viele Asteroiden befinden. Seit man aber genug Trojaner entdeckt hatte um vernünftige Statistiken zu machen waren immer mehr L4-Asteroiden bekannt!
Dieses Problem war als “Trojaner-Asymmetrie” bekannt. Folgende Grafik zeigt wie sich die Anzahl der bekannten Trojaner im Laufe der Zeit geändert hat:
Man sieht deutlich, dass immer mehr L4-Trojaner als L5-Trojaner bekannt waren und dass der Unterschied während der letzten Jahre mehr oder weniger konstant war.
Ich und meine Kollegen von der Universität Wien haben uns damals mit diesem Unterschied beschäftigt und probiert, herauszufinden, was dafür verantwortlich war. Hier gibt es vier potentielle Möglichkeiten:
- Beobachtungsgründe: L4 und L5 befinden sich ja an verschiedenen Stellen am Himmel. Vielleicht waren die Beobachtungsbedingungen für L4 besser als für L5 (weil L5 z.B. zeitweise dort am Himmel lag wo sich auch die Milchstrasse befindet und deswegen schlechter beobachtet werden konnte). Man vermutete, dass sich das Problem im Laufe der Zeit von selbst lösen wird. Dieses Argument wurde allerdings schon Ende der 80er Jahre gebracht – und eigentlich hat fast niemand an diese Lösung geglaubt da der Unterschied sich mit den neuen Entdeckungen nie verringerte.
- Unterschiedliche Entstehung: Manche Wissenschaftler vermuteten, dass die unterschiedliche Anzahl der Asteroiden auf verschiedene Entstehungsprozesse zurückzuführen ist. Unterschiedliche Kollisionsraten zwischen den Asteroiden bei L4 und L5 könnten in der heutigen Asymmetrie resultieren. Allerdings hat keine der dazu durchgeführten Arbeiten wirklich konkrete Ergebnisse gebracht.
- Chaos und Katastrophen: In der Frühzeit des Sonnensystems ging es ja ziemlich wild zu. Protoplaneten kollidierten miteinander (so entstand z.B. unser Mond) oder wurden durch die gravitative Wechselwirkung aus dem Sonnensystem geworfen. Ein solcher Protoplanet hat dabei vielleicht auch die Gruppe der L5 Trojaner durchquert und ihre Anzahl dezimiert. Das ist allerdings kaum wissenschaftlich nachzuweisen. Andere Simulationen beschäftigen sich mit der Migration der Planeten: in der Frühzeit des Sonnensystems haben sich die Umlaufbahnen von Jupiter und Saturn gemeinsam vergrößert – dabei könnte Jupiter die Trojaner quasi “eingefangen” haben. Dieser Einfangsprozeß verlief chaotisch, wodurch sich auch die unterschiedliche Anzahl der Asteroiden erklären läßt.
- Dynamische Gründe: Unser Sonnensystem ist ja eigentlich kein Dreikörperproblem – Saturn wirkt beispielsweise auch gravitativ auf die Trojaner (und Jupiter); auch die anderen Planeten haben einen kleinen Einfluss. Und je nachdem wie diese Einflüsse wirken könnte L4 stabiler sein als L5. Bei den Lagrange-Punkten von Neptun ist die unterschiedliche Größe der Stabilitätsregionen mittlerweile ganz klar nachgewiesen. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn auch bei Jupiter dynamische Gründe für die Trojaner-Asymmetrie verantwortlich sind. Allerdings hatte man auch hier eigentlich nur wenig überzeugende Hinweise auf Unterschiede gefunden.
Da mein Spezialgebiet die Dynamik von Kleinkörpern im Sonnensystem ist habe ich mich natürlich mit den dynamischen Gründen beschäftigt. Ich habe die Größe der Stabilitätsregionen in Abhängigkeit von vielen verschiedenen Parametern (Exzentrizität, Inklination der Asteroiden, Abstand von den Lagrange-Punkten) untersucht. Dabei habe ich allerdings auch keine großartigen Unterschiede entdeckt. Ein typisches Bild sah dabei so aus:
Auf der x-Achse ist hier der Winkel σ aufgetragen. Er gibt den (Winkel)Abstand des Asteroiden von Jupiter an; gemessen entlang der Umlaufbahn (Jupiter selbst ist bei 0°; L4 bei 60° und L5 bei 300°). Auf der y-Achse findet man die anfängliche Exzentrizität e der Trojanerbahn (also die Abweichung von der Kreisform – 0 wäre ein perfekter Kreis). Für jede Kombination aus σ und e habe ich nun die Bahn des entsprechendes Trojaners berechnet und überprüft, ob er noch stabil bleibt oder irgendwann die Umgebung des Lagrange-Punktes verlässt. Im Bild zeigen helle Farben (gelb, orange) stabile Bereiche an; dunkle Farben sind instabile Regionen. Man sieht also deutlich die Stabilitätsregionen um die beiden Lagrange-Punkte – und man sieht ebenso deutlich dass sich beide nicht dramatisch voneinander unterscheiden.
Ich habe dann deswegen noch ein paar andere Sachen ausprobiert. Unter anderem habe ich die Regionen maximaler Stabilität untersucht. Das bedeutet folgendes: ein normaler Trojaner pendelt gewissermassen um den Lagrange-Punkt. Wenn er sich nicht weiter als etwa 30° vom Lagrange-Punkt entfernt, dann wird er weiterhin stabil bleiben und sich um L4 oder L5 bewegen. Allerdings ist die Chance, dass ein Trojaner instabil wird umso größer, je größer diese Auslenkung ist. Je weniger er sich vom Lagrange-Punkt entfernt, desto stabiler ist er. Die Auslenkung nennt man “Librationsweite” und ich habe untersucht, innerhalb welcher Bereiche die Librationsweite eines Trojaners immer kleiner als 4° bleibt. Dabei habe ich folgendes Ergebnis erhalten:
Auf der x-Achse findet man hier die Anfangsexzentrizität des Trojaners, auf der y-Achse die anfängliche Neigung seiner Bahn. Der gelbe Bereich zeigt nun, für welche Werte man um L5 Librationsweiten kleiner als 4° erhält; der blaue Bereich zeigt das gleiche für L4. Man sieht sehr deutlich, dass der Bereich maximaler Stabilität um L5 deutlich kleiner ist als L4! L4 scheint also dynamisch gesehen wirklich stabiler zu sein. Aber woran liegt das? Das obige Bild habe ich mit einer Simulation erhalten, in der der gravitative Einfluss von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun enthalten ist. Man kann relativ leicht zeigen dass Uranus und Neptun so gut wie keinen relevanten dynamischen Einfluss auf die Trojaner haben. Aber was ist mit Saturn? Um das herauszufinden habe ich die ganze Simulation nochmal wiederholt – aber diesmal den Einfluss von Saturn weggelassen:
Nun gibt es also (fast) keinen Unterschied mehr zwischen L4 und L5! Wie auch immer der Unterschied im Detail zustandekommt: Saturn scheint hier die dominierende Rolle zu spielen.
Diese Ergebnisse (und noch ein bisschen mehr zur Dynamik der Trojaner) habe ich in einer zwei Jahre alten Arbeit mit dem Titel “The size of the stability regions of Jupiter Trojans” veröffentlicht (Astronomy & Astrophysics 453, 353-361).
Ich hatte eigentlich vor, bald wieder zu diesem Problem zurückzukehren. Ich hatte zwar festgestellt, dass ein Unterschied existiert – aber noch keine Vorstellung darüber, wie er sich konkret auf die Anzahl der Trojaner auswirkt und vor allem was genau an Saturn (seine Masse, seine Exzentrizität, seine Umlaufgeschwindigkeit, …) für den Unterschied verantwortlich ist. Als ich dann aber mal wieder die Anzahl der Trojaner nachgeschlagen habe, hat sich gezeigt, dass die Trojaner-Asymmetrie verschwunden war! Und wenn man sich die Zahlen von heute ansieht, dann findet man um L4 (1279) gerade mal 8 Asteroiden mehr als um L5 (1271)!
Es scheint also so, als hätten diejenigen Recht gehabt, die Beobachtungsgründe für die Asymmetrie verantwortlich gemacht haben. Das Problem hat sich wohl wirklich von selbst gelöst. Aber so kanns eben oft gehen in der Wissenschaft 😉
Aber mal sehen: wenn ich irgendwann mal die Zeit dazu habe, dann werde ich vielleicht doch noch mal an diesem Problem weiterarbeiten. Die von mir gefundenen dynamischen Unterschiede sind ja immerhin da. So wie es aussieht sind sie wohl zu klein um einen großen Effekt auf die Trojanerzahl zu haben. Aber auch dass kann man dynamisch nochmal absichern – und wer weiß – vielleicht findet man ja doch noch was interessantes 😉
Trojaner bleiben jedenfalls ein faszinierendes Thema. Bei Gelegenheit werde ich mal was über meine aktuelle Arbeit schreiben: extrasolare Trojanerplaneten.
F. Freistetter (2006). The size of the stability regions of Jupiter Trojans Astronomy and Astrophysics, 453 (1), 353-361 DOI: 10.1051/0004-6361:20054689
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