Ich bin ja im Moment immer noch damit beschäftigt, mich in Heidelberg einzuleben und -arbeiten (falls jemand in Heidelberg wohnt und Möbel oder sonstigen Hausrat abzugeben hat: bitte Bescheid sagen!). Deswegen freut es mich auch sehr, dass mir andere die Arbeit abnehmen und Artikel schreiben 😉 Heute hat mir Roswitha Trimmel, Stammleserin und -kommentatorin bei Scienceblogs, einen sehr schönen Text zugeschickt denn ich hier gerne als Gastbeitrag veröffentlichen möchte.
Es geht um Wiedergeburt. Immer wieder liest und hört man ja von Leuten, die sich unter Hypnose an ein früheres Leben erinneren. Und das sehr oft sehr detailreich. Roswitha berichtet von so einem Fall – und auch von der Überprüfung der Details. Daraus ergibt sich ein schönes Fallbeispiel für esoterische Methodik und Denkweise (etwas, über das hier in diesem Blog ja schon öfters diskutiert wurde):
Sie wissen nicht, wer Guy Lafarge ist? Und erst recht quält Sie die Frage, worin dessen schlechtes Karma bestehen könnte? Nun, der Mann hat ein handfestes Problem mit seiner Inkarnation. Warum das so ist und was Wissenschaftsjournalist und Autor Holdger Platta damit zu tun hat, das erfahren Sie hier!
Der Abend des 3.Juni 1968 sollte für Thorwald Dethlefsen lebensentscheidend werden. Der Psychologe und Psychotherapeut – heute einer der bekanntesten Vertreter der esoterischen Psychologie – führt in entspannter Runde ein paar Psychoexperimente vor, „age regressions”, in deren Verlauf die Versuchspersonen in hypnotischen Tiefschlaf versetzt und dann vom Therapeuten in frühere Lebensalter zurückdirigiert werden. Mittendrin kommt Dethlefsen der grandiose Einfall, nicht bei der Geburt stehen zu bleiben, sondern gleich noch weiterzusurfen, zurück in das frühere Leben seiner Medien.
Als der 25-jährige Technik-Student Rudolf T. tatsächlich in die Haut eines Elsässers aus dem 19. Jahrhundert zu schlüpfen scheint, ist der Hypnotiseur schockiert. Und zwar so sehr, dass er den Versuch nochmals, und zwar nach genauem Plan und per Tonbandmitschnitt dokumentiert, wiederholt, freilich ohne dem Medium sein Vorhaben zu verraten. (Die Abschrift dieses Tonbands ist nachzulesen in Thorwald Dethlefsen: “Das Leben nach dem Leben. Gespräche mit Wiedergeborenen”. München: Bertelsmann 1974, S.17-40)
Dethlefsen hält sich nicht lange mit der zeitgenössischen Biographie seiner Versuchsperson auf, überspringt alsbald die Geburtsschranke auf dem Weg zurück in das Dunkel früherer Zeiten und erteilt seinem Medium den Auftrag, so lange zurückzugehen, bis ein markantes, beschreibbares Ereignis auftauche.
Schon bald wird er fündig – der junge Mann in Hypnose (M für Medium) berichtet plötzlich von einem Marktplatz – und nun wird Dethlefsen (H für Hypnotiseur) hellhörig:
H: In welchem Land befinden wir uns?
M: In Frankreich.
H: Welches Jahr schreiben wir?
M: 1870.
H: Was tust du auf diesem Marktplatz?
M: Isch verkaufe Gemise. (S.21)
In der Folge entlockt der Hypnotiseur Rudolf T. eine ganze Reihe erstaunlich konkreter Angaben: Guy Lafarge heißt der junge Mann, der in Wissembourg/ Weißenburg im Elsass lebt, 1852 geboren wurde, zwei Geschwister hat, in der Rue du Connétables wohnt und davon lebt, auf Marktplätzen Gemüse, z,B. Weißkraut zu 8 Centime das Stück, zu verkaufen. Lafarge kann die Einwohnerzahl Wissembourgs beziffern (250), ist katholisch und besucht regelmäßig die „Eglise de la Sainte Marie”. Sogar seinen Todeszeitpunkt im Februar 1880 vermag er zu nennen.
Nach ausgiebigster Befragung zu weiteren Lebensumständen und -gewohnheiten wird das Medium auf die Rückreise in die Gegenwart geschickt – mit Zwischenstadien des Schwebezustandes, die Dethlefsen in Dialogperlen wie der folgenden auslotet:
H: Kannst du die Menschen auf der Erde beobachten?
M: Nein.
H: Weißt du von der Existenz der Menschen etwas?
M: Nein.
H: Nein?
M: Nein. (S.36)
Am Ende der Sitzung ist Dethlefsen nach eigenen Angaben „erschüttert”. Gleichwohl zwingt er sich tapfer in die Position eines Skeptikers und fragt furchtlos: „Welche Zweifel waren möglich?”(S.40)
Den Einwand, das Medium hätte bei den Suggestionen des Hypnotiseurs bereitwillig mitgespielt, wischt er vom Tisch, denn dieses sei absolut ahnungslos in die zweite Hypnosesitzung gegangen und hätte von seiner Absicht nichts gewusst.
Zu schockiert sei er selbst außerdem gewesen, um den jungen Mann auf telepathischem Wege mit den nötigen Informationen zu versorgen.
Dass Guy Lafarges biographische Details von Rudolf T. irgendwo gelesen oder aufgeschnappt worden wären, schließt Dethlefsen kategorisch aus: „Das unbedeutende Leben des Guy Lafarge kann nicht aus einem Buch stammen, dazu ist das Ganze zu unliterarisch, zu banal”(ebd.). Nachdem der Meister der Hypnose also solcherart scharf nachgedacht hat, sind für ihn alle Zweifel beseitigt – Rudolf T. hat schon einmal als Guy Lafarge gelebt und Reinkarnation ist eine Tatsache.
Heute gehört die Reinkarnationstherapie zum Methodenrepertoire der New- Age-Therapieverfahren – und ausgerechnet bei deren kritischer Analyse tritt nun Holdger Platta auf den Plan.
In seinem – überaus informativen – Buch „New-Age-Therapien. Rebirthing, Reinkarnation, Transpersonale Psychologie: pro und contra”(Hamburg: Rowohlt 1997) lässt er Befürworter wie Kritiker ausführlich zu Wort kommen und steuert zur Guy Lafarge-Episode ein erhellendes Recherche-Ergebnis bei.
Mit der für Skeptiker typischen „Kleinlichkeit” stieß sich Platta an der im Protokoll genannten falschen Einwohnerzahl Wissembourgs (250 statt tatsächlich 5400 Einwohner). 1984 fuhr er daher im Auftrag der WDR-Wissenschaftsredaktion nach Wissembourg, um Guy Lafarges Angaben vor Ort zu überprüfen:
“Gemeinsam mit dem Weißenburger Lokalhistoriker, Orientalisten und langjährigen Leiter des dortigen Fremdenverkehrsamtes Auguste Schaaf überprüfte ich die Angaben aus diesem Tonbandmitschnitt. Das Ergebnis: Sämtliche Angaben der hypnotisierten Versuchsperson Rudolf T. waren falsch. Eine Sichtung von Straßenplänen, Adreßverzeichnissen und Stadtansichten, von Zeitungsberichten und Tauf-, Heirats- und Sterberegistern bei Kirche und Standesamt (=vollständig erhalten seit dem Jahre 1793) ergab eine hundertprozentige „Falsifikation” der unter Hypnose zutage geförderten „Fakten”. (S.85)
Platta fragt sich zu Recht, warum sich Dethlefsen nicht für die einzig wasserfeste Überprüfung seines ersten „Reinkarnationsfalles” interessierte, und zitiert die Bilanz Auguste Schaafs angesichts der Guy Lafarge-Biographie: „Ich bin der Verwahrer der meisten Dokumente zur Geschichte Weißenburgs und kann nur feststellen: alles reine Fantasie.” (Ebd.)
Was wird sichtbar an diesem exemplarischen Fall?
Einmal mehr der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und esoterischem Denken: Vermeintlich scharfes Nachdenken innerhalb des eigenen Bezugssystems genügte Dethlefsen, um felsenfest an seine Reinkarnations-Hypothese zu glauben. Wozu noch ein Reality-Check?
Dass Enthüllungen wie jene Plattas – wiewohl sie bereits über 20 Jahre zurückliegen – jemals eine breitere Öffentlichkeit erreichen werden, ist fraglich: Bunte fantasievolle Luftballons mit spektakulären Fantasien über Leben und Sterben sind sichtlich attraktiver als zerplatzte Illusionen vor dem Hintergrund mühsamer Detailrecherche.
Das Geschäft mit der Reinkarnationstherapie boomt unterdessen. Und auch ein Dethlefsen-Adept wie Rüdiger Dahlke hat mit der Tatsächlichkeit von Reinkarnation nur ein theoretisches Synchronizitäts-Problem, wie er im Gespräch mit Holdger Platta einräumt:
“Für mich ist Zeit, prinzipiell betrachtet, eine Illusion. Davon geht die Esoterik aus – und auch die heutige Physik, die Relativitätstheorie zum Beispiel oder überhaupt die moderne Physik. Das bedeutet jedoch: Wenn Zeit eine Illusion ist, ist natürlich auch Reinkarnation eine Illusion. (S.66)“
(Was wohl die mitlesenden Physiker und Physikerinnen dazu sagen?)
Verstehen Sie nun, worin die karmische Last des Guy Lafarge liegen dürfte?
Andererseits – hat diese fiktive Figur nicht doch einen edlen Daseinszweck erfüllt?
Schließlich hat sie mir als falsifizierte parawissenschaftliche Behauptung einen interessanten Erkenntnisgewinn beschert.
Und noch etwas verdanke ich dieser Episode – das befreiende Lachen über die bedeutungsschwangeren Fantasiegebilde der Esoterik: „Alles reine Fantasie”.
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