Ich habe gerade 2 Bücher mit sehr ähnlichem Titel gelesen. Einmal “Big Bang” von Simon Singh und danach “Big Bang, zweiter Akt” von Harald Lesch und Jörn Müller. Allerdings sind sie thematisch nur teilweise verwandt. Die jeweiligen Untertitel zeigen, womit sich die beiden Bücher beschäftigen: Singh schreibt über den “Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft” und Lesch/Müller sind “Auf den Spuren des Lebens im All”. Und sehr unterschiedlich fand ich auch die Qualität der beiden Bücher…
Big Bang
Schon bevor ich die erste Seite gelesen hatte, war mir eigentlich klar, dass es sich um ein gutes Buch handelt. Bis jetzt war noch jedes Buch von Simon Singh hervorragend – es wäre überraschend, wäre es diesmal anders. Die Lektüre hat dieses Urteil dann auch absolut bestätigt. Singh beschreibt in seinem Buch nicht nur die physikalischen Vorgänge beim und Hintergründe des Urknalls sondern beschäftigt sich vor allem auch mit der historischen Entwicklung dieser Theorie.
Angefangen bei den alten Griechen bis hin zur Nobelpreisverleihung im Jahr 2006 berichtet Singh ausführlich über die Entwicklung unseres Bildes vom Kosmos. Zuerst gab es nur die Erde, die den Mittelpunkt des Universums darstellte, umgeben von ätherischen Sphären, auf denen sich die Planeten bewegen. Die himmelsmechanische Theorie des Claudius Ptolemäus beschrieb die Bewegung der Planeten auf ihrer Bahn um die Erde und blieb Jahrhunderte lang unangefochten die akzeptierte Beschreibung des Kosmos. Natürlich gab es auch damals schon alternative Theorien, die die Sonne in den Mittelpunkt stellten und nicht die Erde. Richtig durchsetzen konnte sich dieses heliozentrische Weltbild allerdings erst viel später. Auch wenn die grundlegende Beschreibung dazu von Nikolaus Kopernikus stammt, war es doch Galileo Galilei, der dem geozentrischen Weltbild den Todesstoß versetzte.
Hier beschreibt Singh nicht nur spannend und verständlich die Entwicklung der Astronomie; er erklärt auch hervorragend, wie sich wissenschaftliche Theorien durchsetzen. Denn auch wenn wir heute wissen, dass das heliozentrische Weltbild der Realität entspricht, hatte es damals eher die Außenseiterrolle. Auch wenn die ptolemäische Epizykeltheorie der Planetenbewegung im Vergleich zum kopernikanischen Weltbild kompliziert und unelegant war, war sie doch in der Lage, die Bewegung der Planeten genauer vorherzusagen. Dieses Problem wurde erst durch Johannes Kepler gelöst, der feststellte, dass sich die Planeten auf Ellipsen bewegen und nicht auf Kreisbahnen. Aber selbst dann wurde das heliozentrische Weltbild immer noch nicht von allen akzeptiert. Beide Theorien waren mehr oder weniger gleichwertig; es gab keine konkrete Möglichkeit festzustellen, welche richtig ist – also wählten die meisten die Theorie, die der alltäglichen Erfahrung am ehesten entspricht.
Die Wende brachte (wie immer in der Wissenschaft) erst das Wechselspiel aus Vohersage und Beobachtung. Es gab nämlich eine Möglichkeit, festzustellen, wer Recht hatte. Kopernikus hatte in seiner Arbeit eine konkrete Vorhersage gemacht: je nachdem, ob sich die Himmelskörper um die Erde oder die Sonne drehen, würde man eine andere Abfolge der Venusphasen beobachten können. Leider waren zu dieser Zeit die Teleskope noch nicht erfunden und es war nicht möglich, die Phasen der Venus zu sehen. Als aber Galileo Galilei als erster sein Teleskop zum Himmel richtete, war er sich natürlich bewusst, dass er nun die Möglichkeit hatte, den Streit der Theorien zu entscheiden. Er beobachtete die Abfolge der Venusphasen und stellte fest, dass sie genau dem entsprachen, was das heliozentrische Weltbild vorhersagte. Und von dem Moment an war klar, dass man das geozentrische Weltbild aufgeben wird müssen.
Eine ähnliche Revolution wie zu Beginn des 17. Jahrhunderts spielte sich auch 400 Jahre später, am Beginn des 20. Jahrhunderts ab. Damals versuchten die Astronomen, die “große Debatte” zu lösen: bestand das Universum nur aus unserer Milchstrasse oder ist es noch größer? Man hatte im Laufe der Zeit am Himmel viele “Nebel” beobachtet: verschwommene Lichtflecken, von denen man nicht genau wusste, was sie darstellen. Viele Astronomen waren der Meinung, es handle sich um Objekte, die Teil unserer Galaxie sind. Andere waren der Ansicht, es seien andere Galaxien, außerhalb unserer Milchstrasse und das Universum damit viel größer als bisher gedacht. Wieder waren beide Möglichkeiten gleich plausibel und wieder musste man auf entsprechende Beobachtungen warten, um den Streit zu entscheiden.
Diese Beobachtung wurde 1929 von Edwin Hubble gemacht. Er fand eine spezielle Art von Sternen (sg. Cepheiden) die es im ermöglichten, die Entfernung eines dieser Nebel zu bestimmen: er lag eindeutig außerhalb der Milchstrasse!
Diese Entdeckung war der Ausgangspunkt für eine noch größere Revolution. Aus späteren Messungen folgerte Hubble, dass sich die Nebel (bzw. Galaxien) alle von uns fortbewegten und zwar umso schneller, je weiter sie entfernt sind! Daraus kann man aber auch schließen, dass sie früher viel näher beieinander waren als heute. Und ganz früher war vielleicht alle Materie des Universums an einem einzigen Punkt vereint. Das Universum schien also einen Anfang zu haben!
Auch diese Hypothese war anfangs sehr unpopulär. Es gab immer noch große Probleme bei der Bestimmung der Entfernung und des Alters der Himmelskörper. Es gab große Probleme zu erklären, wie denn die Materie überhaupt entstehen konnte (den wenn das Universum einen Anfang hat, dann ist so eine Erklärung nötig). Einer der größten Kritiker dieser Theorie war Fred Hoyle. Hoyle war ein genialer Astronom – einer der bedeutensten (vielleicht sogar der bedeutenste) Astronomen des 20. Jahrhunderts. Er löste das Problem, wie neue Elemente in Sternen entstehen können. Und er war überzeugt, dass das Universum keinen Anfang hatte. Er entwickelte die sg. “Steady-State-Theorie”, die besagt, dass das Universum sich zwar ausdehnt – es aber trotzdem keinen Anfang gegeben hat. Im durch die Ausdehnung “freiwerdenen” Raum entstünde laufend neue Materie so dass das Universum immer gleich aussieht – egal wie alt es ist. Zu seinem Ärger war es Hoyle selbst, der den Namen “Big Bang” erfand. Er verwendete diese eigentlich abwertende Bezeichung für die Theorie seiner Konkurrenten in einer öffentlichen Radiosendung und irgendwie blieb er dann hängen.
Wieder standen beide Theorien gleich gut bzw. schlecht da. Es gab keine Möglichkeit, zu entscheiden, wer Recht hatte und wer nicht. Die Astronomen entschieden mangels anderer Möglichkeiten mehr oder weniger nach Gefühl, welcher Theorie sie den Vorzug gaben. Doch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging es langsam voran. Physiker berechneten, dass ein “Big Bang” eigentlich heute noch nachweisbar sein müsste – und zwar in Form einer über das ganze Universum verteilten Strahlung. Und tatsächlich gelang es 1964 Arno Penzias und Robert Wilson (mehr durch Zufall) diese kosmische Hintergrundstrahlung zu beobachten!
Nun zweifelten nur noch wenige Wissenschaftler an der Urknall-Theorie – einer davon war Fred Hoyle. Er modifizierte seine Steady-State-Theorie so, dass auch die Hintergrundstrahlung erklärt werden konnte. Aber es lief immer schlechter für seine Theorie. Allerdings gab es auch für den Urknall Probleme: Wenn die Urknall-Theorie tatsächlich die Realität beschreibt, dann durfte die Hintergrundstrahlung nicht völlig gleichförmig sein. Es musste winzig kleine Variationen geben (Variationen, die mit Hoyles Theorie nicht in Einklang zu bringen wären). Also machte man sich auf die Suche – fand aber nichts. Die Hintergrundstrahlung schien völlig gleichförmig zu sein.
Einer, der an dieser Suche maßgeblich beteiligt war, war George Smoot. Von 1976 bis 1989 arbeitete er an der Entwicklung eines Satelliten, der diese Variationen endlich aufspüren sollte. Und als der Cosmic Background Explorer (COBE) endlich die ersten Daten lieferte, konnte man 1992 die vorhergesagten Variationen der Hintergrundstrahlung tatsächlich messen!
Dieses Ergebnis stellte das Ende der Steady-State-Theorie dar und der Paradigmenwechsel hin zum Big Bang war abgeschlossen. 2006 wurde Smoot (zusammen mit John Mater) für seine Entdeckung auch mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
Ein geniales Buch
Hmm – man merkt an der Beschreibung des Inhalts (die sehr ausführlich geworden ist), dass mich dieses Buch wirklich fasziniert hat. Auch wenn ich als Astronom über viele der beschriebenen Dinge schon vorher Bescheid wusste, hat Simon Singh sie doch auch so spannende Art beschrieben und verknüpft, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Man lernt in diesem Buch nicht nur die Hintergründe einer der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien kennen – sondern auch die Personen, die hinter dieser Theorie stehen. Diese persönlichen Einblicke und Biografien der einzelnen Wissenschaftler machen das Buch besonders lebendig und interessant.
Ich kann “Big Bang” nur uneingeschränkt empfehlen! Ein hervoragendes Buch – genauso soll Wissenschaft beschrieben werden!
Morgen, im zweiten Teil widme ich mich dann “Big Bang, zweiter Akt” von Harald Lesch und Jörn Müller. Dieses Buch war etwas enttäsuchend – aber dazu mehr morgen. (Nachtrag – der zweite Teil befindet sich hier.)
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