Gestern habe ich schon ausführlich über das hervorragende Buch “Big Bang” von Simon Singh berichtet. Heute ist “Big Bang, zweiter Akt” von Harald Lesch und Jörn Müller an der Reihe. Und ganz im Gegensatz zu “Big Bang” gibt es hier einiges zu kritisieren.
Big Bang, zweiter Akt
Erstmal zum Inhalt: Lesch und Müller (ein Physiker) beschäftigen sich in diesem Buch mit dem Leben. Wie ist es entstanden und vor allem: welche Voraussetzungen mussten erfüllt sein, damit es entstehen konnte. Zuerst definieren die Autoren, was eigentlich Leben ist bzw. was wir darunter verstehen. Danach wird über die Materie gesprochen: welche Teilchen gibt es, wie halten die Atome und Moleküle zusammen und wie funktionieren die grundlegenden chemischen Prozesse. Schließlich wird auch erklärt, wie die Materie eigentlich beim Urknall und später in den Sternen eigentlich erzeugt wurde. Es folgt ein Abschnitt über Biochemie und die Entstehung des Lebens auf der Erde.
Dann machen sie Lesch und Müller auf die Suche nach Leben außerhalb der Erde. Alle Planeten in unserem Sonnensystem werden auf ihre Eignung für Leben hin untersucht (mit dem bekannten negativen Ergebnis: einzige Ausnahme ist die Erde). Im Anschluß wird allgemein diskutiert, welche Sterne überhaupt geeignet sind, um Leben zu unterstützen und welche Eigenschaften Planeten haben müssen, um Leben hervorzubringen.
Im nächsten Teil des Buches gibt es einen Überblick über die bisherigen Versuche der Menschheit, mit außerirdischer Intelligenz in Kontakt zu treten (OSZMA, SETI, etc). Hier wird auch diskutiert, wie man sich außerirdisches Leben eigentlich vorzustellen hat und was wir erwarten können? Aliens wie aus Star Trek, die nicht anders aussehen als wir und höchstens mal anders geformte Nasen oder Ohren haben? Oder gruselige Insektenmonster, wie aus den Hollywood-Horrorfilmen?
Auch der Raumfahrt wird ein Teil des Buches gewidmet. Angenommen, wir würden außerirdisches Leben entdecken: bestünde eine Chance, es auch zu besuchen? Wie weit kommt man mit der heutigen Technologie und welche Möglichkeiten würden zukünftige Technologien bieten?
Im letzten Teil schließlich, spekulieren Lesch und Müller darüber, warum unser Universum genau so ist, wie es ist. Wie würde das Universum aussehen, wenn die Naturkonstanten nur minimal anders wären? Wäre es immer noch lebensfreundlich?
Gutes Thema – Schlechte Umsetzung
Das Thema des Buches ist auf jeden Fall interessant – auch wenn vielleicht probiert wurde, ein bisschen zuviel Inhalt auf den knapp 400 Seiten unterzubringen. Die Umsetzung des Buchs ist jedoch sehr schlecht gelungen!
Eigentlich finde ich ja Harald Lesch richtig gut. Er macht genau das, was jeder Wissenschaftler machen sollte: er geht an die Öffentlichkeit und erzählt über seine Forschung. Und sehr viele Menschen sind sehr begeistert davon. Bei mir selbst “funktioniert” Lesch allerdings irgendwie nicht so gut wie bei anderen. Ich bin zwar beeindruckt von seiner Begeisterung für die Astronomie – aber seine Erklärungen vieler astronomischer Phänomene finde oft nicht ganz so gut gelungen. Aber das ist Geschmackssache, vermute ich. Harald Lesch hat jedenfalls durch seine öffentlichen Auftritt viele Menschen für die Astronomie und Wissenschaft begeistert. Deswegen tut es mir jetzt auch ein bisschen leid, dass ich das Buch kritisieren muss.
Aber daran führt kein Weg vorbei, denn die Umsetzung ist wirklich mies. “Lieblos” war das Wort, das mir beim Lesen ständig durch den Kopf gegangen ist. Und, für ein populärwissenschaftliches Buch, meiner Meinung nach viel zu verwirrend aufgebaut. In den ersten 4 Kapiteln wird der Text ständig durch “Boxen” unterbrochen – also vom eigentlichen Haupttext abgetrennte Einheiten, in denen verschiedene Dinge erklärt werden. All diese Dinge sind eigentlich für das Verständnis des Buches und des Themas durchaus wichtig – man hätte sie genauso gut in den Haupttext einbinden können. Außerdem ist der Text in den Boxen wesentlich komplizierter als man es normalerweise von einem populärwissenschaftlichen Buch erwarten würde. “Box 4: Energieniveaus der Elektronen eines Atoms” liest sich wie ein Ausschnitt eines einschlägigen Physik-Lehrbuchs und bereitet dem durchschnittlichen Leser vermutlich einige Verständnisschwierigkeiten.
Neben den Boxen wird der Lesefluss immer wieder durch Verweise auf den farbigen Abbildungsteil in der Buchmitte unterbrochen. Neben den normalen Schwarz-Weiss-Bildern im Text gibt es dort einen eigenen Abschnitt mit Farbbildern (die man eigentlich alle einigermassen vernünftig auch in Graustufen umsetzen hätte können).
In der ersten Hälfte des Buches ist man also ständig damit beschäftigt, hin und her zu blättern bzw. irgendwelche Boxen zu lesen. Das stört den Lesefluss ziemlich – und die teilweise sehr umständlich bzw. komplizierten Erklärungen der Autoren machen das nicht unbedingt besser. Sätze wie
“Die Proteine, die Eiweißkörper, sind makromolekulare hochpolymere Substanzen und die wichtigsten Baustoffe biologischer Organismen.”
findet man überall im Buch. Natürlich handelt es sich um ein Wissenschaftsbuch und wissenschaftliche Sprache ist zu erwarten. Aber in dem Ausmaß wie bei “Big Bang, zweiter Akt” ist es meiner Meinung nach deutlich übertrieben. Immer wieder werden im Text auf Fachbegriffe verwendet und einfach gar nicht erklärt: “abiogen”, “Valenz” sind nur ein paar Beispiel. Auch die Abbildungen wirken lieblos und irgendwie wahllos zusammenkopiert. Und auch hier sind manche, wie beispielsweise Abbildung 28, die die Gezeiten auf der Erde erklärt, unnötig kompliziert.
Man hat fast das Gefühl, Lesch und Müller hatten keine Lust dieses Buch zu schreiben bzw. waren nicht ganz bei der Sache. Auch die Kapitel selbst wirken schlecht organisiert: Inhalte wiederholen sich, Dinge werden erst erklärt, nachdem sie schon mehrmals früher im Text aufgetaucht sind, usw. Irgendwie scheint sich dieses Buch vor der Veröffentlichung niemand mehr allzu genau angesehen haben. So wird beispielsweise einmal geschrieben, dass das Wasserstoffbrennen (die Phase, in der die Sonne Wasserstoff zu Helium fusioniert) in der Sonne in etwa ein bis zwei Milliarden Jahren zu Ende geht und zwei Seiten weiter liest man auf einmal, das die Sonne noch 4,5 Milliarden Jahre lang Wasserstoff fusionieren wird (was auch stimmt). Manche Dinge sind schlecht recherchiert. Etwa dann, wenn behauptet wird, dass
“(…) die Verhältnisse in einem Doppelsternsystem reichlich verwickelt sind und vermutlich Planeten von Doppelsternen für Leben völlig ungeignet.”
Da ich selbst früher über die Dynamik von Planeten in Doppelsternsystemen gearbeitet habe, kann ich hier nur widersprechen. Das, was Lesch und Müller sagen, mag vielleicht für Systeme gelten, bei denen die beiden Sterne sehr eng beieinander stehen (und selbst da gibt es oft noch genügend Ausnahmen) – aber bei den typischen Entfernungen zwischen den Komponenten eines Doppelsternsystems gibt es meistens ausreichend Platz für habitable Planeten. Und darüber wurden auch schon genügend Arbeiten veröffentlicht – das hätte man rausfinden können.
Und bei einem Satz habe ich mich wirklich gewundert, wie er ein Buch geraten konnte, dessen Autor auch Harald Lesch ist:
“Vielleicht müssen wir in Zukunft den Jupiter mit seinen Trabanten als ein eigenständiges Planetensystem im Sonnensystem betrachten.”
Hier wurde über die Jupitermonde gesprochen, von denen manche durchaus die nötigen Eigenschaften zu haben scheinen, Leben zu entwicklen. Aber Jupiter und seine Monde als “Planetensystem” zu bezeichnen?? Es gibt so viele Menschen, die von Astronomie wenig Ahnung haben, und denen es schwer fällt, zwischen Planet/Stern, Sonnensystem/Galaxie, etc zu entscheiden. Da muss man mit so einem Satz (der astronomisch auch wenig Sinn macht) nicht auch noch zusätzlich Verwirrung stiften!
Fazit
Ok – jetzt habe ich wirklich genug gemeckert. Das Buch hat nämlich auch durchaus seine guten Seiten. Vor allem in der zweiten Hälfte, wenn Lesch und Müller über SETI, die Suche nach Außerirdischen, über Raumfahrt und die Möglichkeit, die Sterne zu erreichen, sprechen. Hier stören auch keine Boxen mehr, die Erklärungen sind gut und einfach und das Lesen macht Spaß und ist interessant (Immerhin hab ich jetzt endlich mal verstanden, wie ein Bussard-Rammjet funktioniert – und warum man vermutlich nie einen bauen wird können). Hier scheinen Harald Lesch und Jörn Müller wieder Freude am Schreiben gehabt zu haben. Lesch und Müller sind beides keine Fachleute für Biologie/Chemie – vielleicht ist das der Grund für die geringere Qualität im ersten Teil, der sich hauptsächlich mit diesen Themen beschäftigt? Vielleicht haben sich die beiden hier nicht so wohl gefühlt, wie bei der Astronomie und der Raumfahrt?
Um zum Ende zu kommen: Das Buch ist durchaus interessant. Aber leider schlecht umgesetzt und deswegen auch oft schlecht zu lesen und schlecht zu verstehen. Zu den Themen des Buches (Urknall, Entstehung der Materie, Entstehung des Lebens, Außerirdische,…) gibt es auch andere, bessere Bücher. Aber am besten ist es, jeder bildet sich selbst ein Urteil. Hat jemand der Leserinnen und Leser dieses Buch vielleicht schon gelesen? Über Kommentare würde ich mich freuen. Habe ich das Buch vielleicht zu kritisch beurteilt?
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