Kommentator Pianoman ist ja hier bei Scienceblogs schon öfter durch äußerst gute und lesenswerte Kommentare aufgefallen. Einen davon möchte hier noch einmal extra als Gastbeitrag veröffentlich. Ich habe vor kurzem ja über den “Bewerbungsexperten” Hans Christian Schrader geschrieben, der Vorträge darüber hält, warum angeblich Astrologie sinnvolle Hinweise für die Arbeitssuche geben kann.
Pianoman hat sich so einen Vortrag von Schrader angehört und berichtet nun darüber.
Wer heute, angesichts der Unwägbarkeiten unserer Ökonomie und den daraus möglicherweise resultierenden Orientierungsschwierigkeiten, Hilfe dabei sucht, eigene Ressourcen in Lohn und Brot umzusetzen, d.h. einen Beruf zu erlernen oder sich nach einem neuen Arbeitsplatz umzuschauen, ist nicht nur ein potentieller Mandant der dafür ausgebildeten Berufsberater, sondern auch ein Objekt der monetären Begierde abgedrifteter Vertreter der akademischen Lebensberatergilde.
Die nennt ihre honorargenerierende Tätigkeit camouflierent “psychologische Astrologie”, und leitet – unter dem Deckmäntelchen vorgetäuschter wissenschaftlichkeit – aus der Konstellation willkürlich ausgewählter Himmelskörper die Begründung dafür ab, Menschen dazu zu veranlassen, Autos zu reparieren oder Orchesterdirigent zu werden; je nach dem, wie nahe Saturn bei Chiron steht. Beispielsweise.
So auch der aus vielen Publikationen bekannte “Bewerbungspapst” Dipl. Psychologe Hans Christian Schrader, der – im Duo mit seinem Studienkollegen Hesse – mannigfaltige Lektüre zum Thema Bewerbung verfasst hat. Bücher von Hesse/Schrader galten bis dato als seriöse, praxisorientierte Vorbereitung im Kampf mit den ideenreichen Selektionsmechanismen der Personalabteilungen.
Was die Seriosität der Beratung angeht, muss man zukünftig bei Herrn Schrader Abstriche machen. Der nämlich setzt sich vor seinen Laptop, gibt den Geburtszeitpunkt in ein Astroprogramm ein , und hat nach etwa 2 Min. ein atemberaubend präzises Bild der Seelenlandschaft des Klienten; sagt Schrader. Und das Volk glaubt´s ihm.
Zumindest die meisten von denen, die am 12.3.09 um 14.00 Uhr im Raum C des “Forum Berufsbildung” in der Berliner Charlottenstrasse saßen. Und das waren viele; so viele, dass sich der Veranstalter entschlossen hat, 2 Stunden später den Vortrag zu wiederholen. Dass von diesen Menschen der weitaus überwiegende Teil weiblichen Geschlechts war, erlaube ich mir ohne jeden chauvinistischen Hintergedanken anzumerken.
Dieses Faktum ist nämlich Bestandteil des soziologischen Rahmenbedingungen, die solche
Scharlatanerie erst ermöglichen. Neben der geschlechtsbedingten Affinität zu irrationalen Weltbegründungen ist noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Die meisten derjenigen, die einen “psychologischen” Rat suchen, befinden sich in einer Krise, in der die Illusion eines sicheren Ufers eine derartige Faszination ausübt, dass man den Kollegen der Erleuchtungsabteilung alles, aber auch wirklich alles an Glückseeligkeitsversprechen abzunehmen bereit ist, sofern nur die Zumutung der Ungewissheit endlich verschwindet. Egal welcher Unsinn dabei verzapft wird, Hauptsache, die Erlösung von den Bedrängnissen des Alltags winkt am Horizont.
Denn erst in einem solchen Klima, in dem es beispielweise nicht mehr bedeutsam ist, dass der Protagonist mehrfach wiederholt, es gäbe keinerlei wissenschaftlichen Nachweis für das angewendete Verfahren, und, von dieser Feststellung selbst völlig unbeeindruckt, trotzdem – mit unglaublicher Chuzpe – schon allein durch die Vermeidung sämtlicher konjunktivistischer Redewendungen jeden Zweifel am Gesagten ausschließt, erst in einem solchen Klima ist eine solche wie die erlebte Publikumsverblödung überhaupt möglich, ohne dafür anschließend geteert und gefedert zu werden.
Dass es dem psychologischen Astrologen Schrader nicht um Aufrichtigkeit, sondern um die Schaffung eines entsprechenden Klimas ging, konnte man schon an Kleinigkeiten erkennen. Beispielweise nannte Schrader als Hinweis für die Bedeutung des Mondes im Horoskop, die schon längst und auch mehr als nur einmal als Aberglaube entlarvte Häufung von Straftaten oder aggressiverem Verhalten während Vollmondnächten. Wir wissen, dass diese Behauptungen genau so jeder Grundlage entbehren, wie z. B. die angebliche Mehrzahl von Geburten; und die Vielfalt anderer außergewöhnlicher Effekte, die Vollmondnächte so bescheren.
Auch der Rest der Veranstaltung war eine klimagestaltende Maßnahme: Schrader interpretierte Mozarts Lebensaspekte an dessen Horoskop, danach ein anonymisierter Fall aus seiner Beratungspraxis, zum Schluss eine Dame aus dem Publikum, bei der die “2 Min. Psychoanalyse” per PC coram publico angewendet wurde
.
Was zu hören war, waren banale Barnum-Sätze, ubiquitäre Problemsituation (z.B. Vater- Sohn-Konflikt) und, bei der Dame aus dem Publikum, die Einbindung deren persönlicher Aussagen in die Horoskop-Interpretation. Nun ist bekannt, wie der Mechanismus der astrologischen Beratung funktioniert – und Schrader hat dabei nichts Neues geliefert:
Barnum-Aussagen (Manchmal ist Ihnen warm, an anderen Tagen dagegen frösteln Sie…) , geschicktes Ausfragen des Klienten, kommunikationsgesteuerte Interpretation und nicht zuletzt selbsterfüllende Prophezeiungen, lassen aus Zufallshypothesen stichhaltige Astrologie entstehen. Das “psychologische ” daran ist die fachkundige Exploration des Klienten und die Nutzung des Horoskops als Projektionsfläche für dessen offenbarte seelische Dispositionen.
Nun verwendet die Psychologie projektive Verfahren (Rorschach etc.) regelmäßig. Allerdings geht es dabei um freie, ergebnisoffene Auseinandersetzung mit Materialien oder Stimuli, ohne irgendeinen Bezug zu einem festgelegtes System von vorgeblich “richtigen” und als – zweifelsfrei feststehend – suggerierten Eigenschaften, wie sie in einem Horoskop angeblich dargestellt werden.
Insoweit ist Nachsicht für Schrader im Hinblick auf dessen möglicherweise auch fachlich angemessene Anwendung einer etwas unkonventionellen Projektionsfläche absolut nicht angebracht, da der Vorwurf der Manipulation des Klienten einfach nicht zu entkräften ist. Deshalb bleibt Schraders Behauptung, mit Hilfe eines PC-gestützten Analyse der Planetenkonstellation tatsächlich valide Aussagen über seelische Dispositionen oder Charaktereigenschaften treffen zu können, weiterhin der wesentliche Kritikpunkt.
Nicht nur, dass Schrader damit seiner früheren Einschätzung astrologischer Personalauswahl widerspricht: “Firmen bzw. Arbeitgeber, die nach dem Prinzip “Management by Astrology” arbeiten, genießen in der Wirtschaft einen höchst zweifelhaften Ruf. Machen Sie sich bei so einer Firma Sorgen um ihre berufliche Zukunft, oder besser noch, fangen Sie gar nicht erst dort an” (Hesse /Schrader, Das Neue Test-Trainingsprogramm, Goldmann, 1994, S. 125).
Man muss sich auch die Frage stellen, was Schrader dazu veranlasst – trotz seiner Ausbildung als Psychologe – sich und vor allem seinen Klienten den Weg in die Täuschungen eines Wahndenksystems zu eröffnen, das so typisch ist für Astrologie-Gläubige.
Die Nennung der Referenzgrößen Fritz Riemann und C.G. Jung zur Legitimation der Schraderschen Weltsicht komplettiert dann das Bild.
Was bleibt über ?
Zum einen das soziologische Erstaunen über die Mannigfaltigkeit der Parallelwelten und -wirklichkeiten von Menschen direkt neben uns. Das Erstaunen über Zauberei und Magie direkt aus dem Personal Computer, und die Frage, ob die von Max Weber beschrieben Entzauberung der Welt, unter den grünen Ampeln der postmodernen Beliebigkeit zum Ende des 20. Jahrhunderts, sich genau ins Gegenteil gekehrt hat ?
Und letztendlich auch die Frage, wie die, die sich der Faktizität des wissenschaftliche Beweises verpflichtet fühlen, mit dem sprudelnden Narrativum eines Welten-Erklärers umgehen, der sich ausschließlich seiner Phantasie und einer konstruierten Realität verpflichtet sieht.
Schrader praktiziert Magie. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Magie, die sich auf der Flucht vor Aufklärung, Wissenschaft und Technik, durch die Ausbildung neuer Sozialformen ins 21. Jahrhundert rettet, und ihr Auftreten an die Anforderungen des modernen Lebens anpasst. Mit seriöser – besonders “psychologischer” – Beratung hat das allerdings nichts zu tun, und es ist, liebe Leute vom Forum Berufsbildung, auch keine weiteres Beratungsangebot… Es ist der direkte Weg in ein Stadium des mythisierten Nichtwissens, der selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Schrader verrät seine Profession, die ethische Grundlage seines Berufstandes, wenn er die mühsame Suche nach der Begründung und den Antrieben des menschlichen Handelns, das eigentliche Motiv psychologischer Analysetätigkeit, durch ein absurdes, pseudowissenschaftliches Erkenntnisverfahren ersetzt.
Nun gibt es allerdings noch eine andere Sichtweise der Dinge: Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass die Verwendung eines PCs für den unbedarften Zeitgenossen eine wissenschaftliche Validität des Verfahrens suggeriert, so drängt sich der Eindruck auf, dass es möglicherweise nur um die Bequemlichkeit einer von jedem tieferen Auseinandersetzung mit der Lebenswelt des Klienten befreiten Beratungstätigkeit geht, letztlich um die “Faulheit des Psychologen”.
Dieser Ansatz ist zwar nicht moralischer, aber befreit Schrader zumindest vom Verdacht, die Bodenhaftung komplett verloren zu haben.
Dafür, dass Schrader nur die Bedürfnisse verunsicherter Zeitgenossen befriedigt, spricht nicht wenig: Auf eine Nachfrage aus dem Publikum nannte Schrader sein Honorar für eine psychologisch-astrologische Beratung, mit 75,- Euro/Std.
Nun muss man davon ausgehen, dass für dieses Geld ganz sicher keine fundierte Persönlichkeits-Analyse zu bekommen ist. Andererseits sind aber auch wohl die wenigsten der solchen Rat Suchenden, bereit und in der Lage, soviel Geld zu investieren, um einem Psychologen den zeitlichen Aufwand zu honorieren, der nötig ist, sich ein umfassendes Bild vom Klienten zu verschaffen.
Zwar nimmt die Sehnsucht nach einer “Anderen Realität” offenbar proportional zur gefühlten emotional-spirituellen Entleerung im technisch verwalteten Leben zu, aber der Gegenentwurf, – die selbstfinanzierte Erleuchtung – muss nicht nur in spektakulärer Eindeutigkeit erfolgen, sondern eben auch schnell und preiswert daher kommen. Insoweit sind nämlich auch die EinwenigüberdenTellerrandschauenden Kinder der von ihnen so verachteten, materialistischen Gegenwart.
Hier funktionieren also banale Marktgesetze: Der Nachfrage nach gesicherten Erst- und Letztbegründungen – am besten als Sonderangebot vom Wühltisch – steht das Angebot der astrologischen Lebensberater gegenüber: Erkenntnis per Kopfdruck aus dem PC, wie ein Pulverkaffee aus dem Automat, und, quasi wie der Keks auf der Untertasse, ´ne nette Geschichte als Beigabe.
Eben “Instant Karma”. Belanglose Erkenntnis “to go”.
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