Auch die ominöse “Arzneimittelprüfung” der Homöopathie funktioniert mit selektiver Wahrnehmung. Bei so einer Prüfung, mit der bestimmt wird, gegen welche Beschwerden ein homöopathisches Mittel “wirkt”, bekommen die (gesunden!) Probanden die “Medikamente” über einen längeren Zeitraum verabreicht. Ihre Aufgabe ist nun, alles zu protokollieren – und zwar wirklich alles. Gesundheitliche Beschwerden, Gefühle, Träume, Probleme – etc. Da findet sich natürlich immer etwas: auch in einem gesunden Körper passiert jede Menge. Zum Beispiel kribbelt mein linker Fuß gerade ein bisschen und meine Nase juckt (und das, obwohl ich gar keine Globuli eingenommen habe). Normalerweise fällt mir so etwas gar nicht auf – aber wenn ich extra darauf achte und – wie bei einer Arzneimittelprüfung – gezielt danach Suche, dann werde ich jede Menge Sinneseindrücke finden, die ich ansonsten einfach ignoriert hätte. Jeder Proband kann also bei der Prüfung frei spekulieren und assozieren. Ich habe hier und hier schon mehr dazu geschrieben – hier ist nochmal ein sehr schöner Eintrag aus einem echten und typischen Prüfungsprotokoll:
Prüfer 6:
Globuli erhalten. Ich bin gespannt, freue mich, hoffentlich klappts.Gefühl, es geht keine Gefahr aus von dem Mittel.
Visualisierung: Ich sehe alten Seeräuberkapitän, der seinen
Lebensunterhalt durch Diebstahl verdient, dadurch aber früher oder
später eingesperrt wird. Er baut dadurch keine sichere Zukunft für sein
Kind auf. Er ist schwach, hätte er seinen Sohn mehr im Kopf, wäre er
jung.
Auch diese Gedanken an den alten Piraten werden dann später homöopathisch ausgewertet. Deswegen ist auch nicht verwunderlich, dass man bei jedem noch so absurden Grundstoff immer etwas findet. Bittet man einen Haufen Leute, über ein paar Tage hinweg alles aufzuschreiben, was ihnen so durch den Kopf geht, dann kann man sich leicht ein entsprechendes Wirkstoffprotokoll zurechtbasteln. Bei der Prüfung der Ignatiusbohne hat Hahnemann selbst beispielsweise 795 Symptome aufgeführt und ein späterer Prüfer gleich 852!
Selektives Denken mit selektiven Daten
Bei der homöopathischen Arzneimittelprüfung spielt nicht mehr nur unsere selektive Wahrnehmung eine Rolle sondern auch eine selektive Datenauswahl. Auf die trifft man besonders oft in den Pseudowissenschaften. Ich habe früher schon mal am Beispiel von Immanuel Velikovsky beschrieben, wie das abläuft – damals ging es um seltsame Erdbebenhäufigkeiten.
Was ich meine zeigt sich auch schön in einem aktuellen Blogeintrag des Astrologen Markus Termin (die Stammleser werden sich sicher an ihn erinnern 😉 ). Dort hat er das kürzlich in Italien stattgefundene Erdbeben astrologisch “untersucht” und schreibt:
“es ist nicht immer so, dass Mars und Saturn zu Erdbeben eine Opposition
bilden, wie am 06.04.09 um 3:32. Allerdings habe ich sofort ein
Erdbeben gefunden, welches ebenso eine Mars-Saturn Opposition aufweist: Jenes verheerende in Lissabon vom 01.11.1755 um 09:40. Beim Tsunami in Thailand (…) war es die Opposition
Chiron- Saturn gardgenau und beim Erdbeben in San Francisco vom
18.04.1906 um 05:12 die Opposition von Uranus und Neptun”
Mars und Saturn standen also am 6. April in Opposition – und wenn man noch ein bisschen länger sucht, dann wird man sicherlich noch jede Menge andere Erbeben finden, auf die das zutrifft. Immerhin gibt es pro Jahr über eine Million Erdbeben – da sind sicher einige passende dabei. Aber es muss ja sowieso nicht immer Mars und Saturn sein – Uranus und Neptun tuns auch, wie Markus Termin erklärt. Und wenn bei einem anderen großen Erdbeben Venus und Merkur in Opposition gestanden wären, dann wäre das sicher auch eine Bestätigung für irgendwas gewesen.
Mit dieser Art der Analyse kann man alles und jedes belegen. Ich habe soviele Möglichkeiten der Interpretation aus denen ich auswählen kann, dass sich meine “Theorien” immer irgendwie untermauern lassen werden. Markus Termin meint übrigens auch
“Nirgendwo sonst, als bei dem Anliegen, Katastrophen vorherzusagen und zu begegnen, vermißt man so schmerzlich eine intakte Wissenschaft. Eine Wissenschaft, die frei von Dünkel und Arroganz die Weisheit alter Zeiten ebenso ernst nimmt, wie die Informationen der neuen
Zeit. Die es nicht als Hauptaufgabe betrachtet, andere Sonnensysteme zu
erforschen, sondern erst mal unser eigenes zu verstehen.”
Ja – eine Wissenschaft, die Katastrophen vorhersagen kann, wäre wirklich gut. Manchmal klappts ja auch schon. Asteroideneinschläge sind prinzipiell vorhersagbar und auch die Geologen machen Fortschritte, was die Vorhersage von Erdbeben angeht. Aber ich denke, Markus möchte hier die Astrologie mit ihrer “Vorhersagekraft” ins Spiel bringen. Schade nur, dass kein Astrologe das Beben in Italien vorhersagen konnte. Aber das wird aus oben genannten Gründen sowieso nie funktionieren. Diese Art der astrologischen “Analyse” klappt immer nur hinterher. Dann hat man den vollen Assoziationsspielraum zur Verfügung und kann – wie bei den hunderten Symptonen der Homöopathie – die passenden astrologischen Deutungen auswählen. Und hier tritt dann wieder die selektive Wahrnehmung ins Spiel: passende Deutungen sehen wir als Bestätigung an; die nicht passenden ignorieren wir – oft auch unbewusst.
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