- D2nξ = ( − 1)nα2nξ
- D2n + 1ξ = ( − 1)nα2nη
Ich muss also nicht alle unendlichen Terme berechnen, sondern kann einfach für n eine beliebige Zahl einsetzen und sofort den entsprechenden Term ausrechnen. Diese Terme kann ich nun in die Lie-Reihe einsetzen und bekomme:
Wenn man diese Ausdrücke noch ein wenig umsortiert, dann sieht das so aus:
Die Experten werden in den Reihen in den beiden Klammern wieder (so wie schon oben bei der Exponentialfunktion beschrieben) die alternativen Darstellungen zweier bekannter Funktionen erkennen: Kosinus und Sinus. Die Lösung lautet also:
Und das ist glücklicherweise auch tatsächlich die Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators. Wir haben die Differentialgleichung also gelöst – und das ganz ohne integrieren!
Lie-Integration in der Himmelsmechanik
Natürlich schafft man es nicht immer, als Lösung einen geschlossenen Ausdruck zu erhalten, wie in obigem Beispiel. Oft muss man sich damit begnügen, die unendliche Reihe der Lösung nach etwa 10 bis 20 Termen abbzubrechen. Das ist aber nicht sonderlich tragisch – denn die Lie-Reihen sind konvergent – jeder nachfolgende Term ist also immer kleiner als der vorhergehende. Man macht keinen großen Fehler, wenn man die Reihe abbricht und kann das Ergebnis sogar beliebig genau berechnen, wenn man mehr und mehr Terme berücksichtigt. Und da die Terme alle automatisch von Computerprogrammen berechnet werden können, lässt sich das alles wunderbar automatisieren.
Auch die Gleichungen des gravitativen N-Körper-Problems – also die Bewegung von N Himmelskörpern – konnten mit den Lie-Reihen (numerisch) gelöst werden. Hier sogar besonders elegant, weil man – wie bei dem Beispiel mit dem harmonischen Oszillator – eine Iterationsformel für die Lie-Terme finden konnte. Man muss hier also nicht mehr jede Ableitung explizit berechnen sondern kann einfach jeden Term aus dem vorhergehenden ausrechnen. Wer die Details wissen will, kann diese beiden Artikel hier durcharbeiten:
- Integration of the restricted three-body-problem with Lie-Series
- Numerical Integrations with Lie-Series
Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung und am Einsatz der Lie-Integration in der Astronomie war Rudolf Dvorak, Leiter der Astrodynamik-Gruppe an der Wiener Universitätssternwarte. Und da auch ich dort meine Diplom- und Doktorarbeit geschrieben habe, hatte ich auch das Glück, in Kontakt mit dieser interessanten (aber leider wenig weit verbreiteten) Methode zu kommen.
Gerade für die Himmelsmechanik ist Lie-Integration sehr praktisch. Neben der hohen Genauigkeit erlaubt sie auch eine leichte Implementation einer Schrittweitensteuerung. Der Zeitschritt der Integration kann also während der Integration geändert werden – und damit kann man himmelsmechanische Probleme (nahe Begegnungen zwischen zwei Objekten, Objekte auf stark exzentrischen Bahnen,…) untersuchen, die mit anderen Methoden Probleme erzeugen. Auch für spezielle Fälle und Gleichungen lassen sich schnell die passenden Lie-Integratoren finden (ein Kollege hat sogar mal im Rahmen seiner Diplomarbeit eine Programm entwickelt, dass bei Eingabe einer Differentialgleichung automatisch ein fix und fertiges Lie-Integrationsprogramm ausgeworfen hat).
Wer selbst Lust hat, das ganze Mal auszuprobieren, kann hier einen Lie-Integrator runterladen (der allerdings nur unter Windows läuft).
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