D2nξ = ( − 1)nα2nξ
D2n + 1ξ = ( − 1)nα2nη

Ich muss also nicht alle unendlichen Terme berechnen, sondern kann einfach für n eine beliebige Zahl einsetzen und sofort den entsprechenden Term ausrechnen. Diese Terme kann ich nun in die Lie-Reihe einsetzen und bekomme:

i-5a42e8c410f2878c4754e8041eab1c59-gleichung18.jpg

Wenn man diese Ausdrücke noch ein wenig umsortiert, dann sieht das so aus:

i-e6113c72068c088605f6c2a7643c9727-gleichung19-thumb-500x39.jpg

Die Experten werden in den Reihen in den beiden Klammern wieder (so wie schon oben bei der Exponentialfunktion beschrieben) die alternativen Darstellungen zweier bekannter Funktionen erkennen: Kosinus und Sinus. Die Lösung lautet also:

i-789dcc35bc2914f3e4530e13587f599d-gleichung20.jpg

Und das ist glücklicherweise auch tatsächlich die Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators. Wir haben die Differentialgleichung also gelöst – und das ganz ohne integrieren!

Lie-Integration in der Himmelsmechanik

Natürlich schafft man es nicht immer, als Lösung einen geschlossenen Ausdruck zu erhalten, wie in obigem Beispiel. Oft muss man sich damit begnügen, die unendliche Reihe der Lösung nach etwa 10 bis 20 Termen abbzubrechen. Das ist aber nicht sonderlich tragisch – denn die Lie-Reihen sind konvergent – jeder nachfolgende Term ist also immer kleiner als der vorhergehende. Man macht keinen großen Fehler, wenn man die Reihe abbricht und kann das Ergebnis sogar beliebig genau berechnen, wenn man mehr und mehr Terme berücksichtigt. Und da die Terme alle automatisch von Computerprogrammen berechnet werden können, lässt sich das alles wunderbar automatisieren.

Auch die Gleichungen des gravitativen N-Körper-Problems – also die Bewegung von N Himmelskörpern – konnten mit den Lie-Reihen (numerisch) gelöst werden. Hier sogar besonders elegant, weil man – wie bei dem Beispiel mit dem harmonischen Oszillator – eine Iterationsformel für die Lie-Terme finden konnte. Man muss hier also nicht mehr jede Ableitung explizit berechnen sondern kann einfach jeden Term aus dem vorhergehenden ausrechnen. Wer die Details wissen will, kann diese beiden Artikel hier durcharbeiten:

Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung und am Einsatz der Lie-Integration in der Astronomie war Rudolf Dvorak, Leiter der Astrodynamik-Gruppe an der Wiener Universitätssternwarte. Und da auch ich dort meine Diplom- und Doktorarbeit geschrieben habe, hatte ich auch das Glück, in Kontakt mit dieser interessanten (aber leider wenig weit verbreiteten) Methode zu kommen.

Gerade für die Himmelsmechanik ist Lie-Integration sehr praktisch. Neben der hohen Genauigkeit erlaubt sie auch eine leichte Implementation einer Schrittweitensteuerung. Der Zeitschritt der Integration kann also während der Integration geändert werden – und damit kann man himmelsmechanische Probleme (nahe Begegnungen zwischen zwei Objekten, Objekte auf stark exzentrischen Bahnen,…) untersuchen, die mit anderen Methoden Probleme erzeugen. Auch für spezielle Fälle und Gleichungen lassen sich schnell die passenden Lie-Integratoren finden (ein Kollege hat sogar mal im Rahmen seiner Diplomarbeit eine Programm entwickelt, dass bei Eingabe einer Differentialgleichung automatisch ein fix und fertiges Lie-Integrationsprogramm ausgeworfen hat).

Wer selbst Lust hat, das ganze Mal auszuprobieren, kann hier einen Lie-Integrator runterladen (der allerdings nur unter Windows läuft).

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Kommentare (33)

  1. #1 Florian Freistetter
    6. Mai 2009

    Und wehe ich krieg hier nicht mindestens genauso viele Kommentare wie bei der letzten Homöopathie-Diskussion 😉

    Naja – vielleicht kann mir zumindest Thilo sagen, ob ich bei der Mathematik irgendeinen groben Blödsinn gemacht habe (ich hab ja einiges bei der Ableitung ausgelassen…)

  2. #2 Thorsten S.
    6. Mai 2009

    Gleich mal diesen Artikel weiter empfohlen, somit erübrigt sich Deine Befürchtung, ob jemand überhaupt diesen Artikel ließt! 😉
    Gruß
    Thorsten

  3. #3 Thilo Kuessner
    6. Mai 2009

    Hervorragender Artikel, ein Kandidat für die ‘Auslese 2009’!

  4. #4 Christian Reinboth
    6. Mai 2009

    Uff … das dürfte eine Weile dauern, bis ich den Artikel gründlich (und in Ruhe) gelesen habe. Aber gelesen wird er – keine Sorge. Allein schon wegen der enormen Mühe mit den Formeln…

  5. #5 Georg Hoffmann
    6. Mai 2009

    Super

  6. #6 Georg Hoffmann
    6. Mai 2009

    Toll (ich habe super und toll getrennt, das zaehlt am Ende doppelt!)

  7. #7 MartinB
    6. Mai 2009

    Klasse Artikel!

  8. #8 Marcus Anhäuser
    6. Mai 2009

    gibs uns.
    ich geb´s gerne zu: Ich habe nicht ein Wort verstanden. Muss aber auch nicht.

  9. #9 hape
    6. Mai 2009

    sieht ziemlich interessant aus, auch wenn ich es doch eher was überflogen hab. Was mir nur aufgefallen ist, du erklärst an einer Stelle das Summenzeichen, nur bezweifle ich, dass man mit Differentialgleichungen etwas anfangen kann, wenn man das Summenzeichen nicht kennt ;).

    Wenn ich also mal in einer meiner Diplomprüfungen aus irgendeinem Grund eine einfache DGL lösen muss, nehm ich einfach die Lie-Integration, um ein wenig Zeit zu schinden, anstatt einfach (zumindest wie in Exphysik üblich) die Lösung hinzuschreiben, weil man sie ja eh kennt.

  10. #10 Ludmila Carone
    6. Mai 2009

    Hach schön. Jetzt muss ich nicht mehr meine Vorlesungsnotizen raussuchen, sondern kann immer hier reinschauen, wenn ich mal schnell was nachschlagen will. *Grübel* Wo sind eigentlich die Vorlesungsnotizen?

  11. #11 Jörg W.
    6. Mai 2009

    ich bin doch nicht lebenslang vor jeglicher Mathematik geflohen, um mir dann hier freiwillig so was anzutun! Frechheit! Ich könnte mich jetzt noch 400 Kommentare lang darüber aufregen, hierher geklickt zu haben 😉
    Mit Wohlwollen begonnen, mit Resignation beendet – trotzdem toll. Wo, wenn nicht in einem Blog darf auch Spezialinfo untergebracht werden?

  12. #12 sil
    6. Mai 2009

    Florian Freistetter· 06.05.09 · 13:38 Uhr:
    “Und wehe ich krieg hier nicht mindestens genauso viele Kommentare wie bei der letzten Homöopathie-Diskussion ;)”

    Ha Ha!

    😉

  13. #13 sil
    6. Mai 2009

    Weiß jemand, woher die Formulierung:
    “Ich versteh nur Bahnhof”
    stammt?

    Geht das vielleicht auf die schlechte Qualität der Lautsprecherdurchsagen auf Bahnhöfen zurück?

  14. #14 Birgit
    6. Mai 2009

    HA! wenn ich den Lösungsweg aus dem Cartoon gekannt hätte, hätt ich mir etliche Probleme bei Matheprüfungen erspart! 😉

  15. #15 Simon
    6. Mai 2009

    Genialer Artikel.

    Bei uns an der Uni wurde auch ein Seminar über ein ähnliches Thema angeboten.

    Leider bin ich nicht hineingekommen.

  16. #16 cimddwc
    6. Mai 2009

    Ich denke auch, dass die, die sich durch die ganzen ∂s nicht gleich abschrecken lassen, schon das Σ kennen (sollten)…

    Was die Kommentaranzahl betrifft: Warten wir doch, bis Frau Lopez hier hereinschneit, die leugnet bestimmt das eine oder andere Gleichheitszeichen – schon allein weil etwas, das “Lie” im Namen hat, doch eine Lüge sein *muss* 😉 –, dann muss nur jeder einmal nachfragen und schwups gibt’s je eine Wiederholung ohne weitere Aussage, drei Zitate und zwei Beschwerden wegen Beleidigung.

  17. #17 Eddy
    6. Mai 2009

    Ich schliesse mich an. Das verdient die Tapferkeitsmedaille ;-))

    Fragen wird es wohl keine geben?! Wie in der Schule, ALLE haben es gleich verstanden! ;-)))

    Kann man den Blog nicht irgendwie bewerten im Netz?

    Hochachtungsvoll
    Eddy

  18. #18 rolak
    6. Mai 2009

    falls überhaupt jemand bis hier mitgelesen hat;)

    bin ich denn heute nur von Pessimisten umgeben? Zwei Anmerkungen:
    1) guter, schöner Text
    2) ich sehe die 400+ Kommentare trotz JörgWs Androhung nicht anrollen..

  19. #19 Arno
    6. Mai 2009

    In welchem Sinne sind Lie-Reihen denn konvergent? Und gibt es Garantien, wie schnell sie konvergieren?

  20. #20 Sim
    6. Mai 2009

    Wieso müssen alle gleich so tun als ob es um schwarze Magie geht nur weil es mal etwas mathematisch wird?

    Ich finds cool geschrieben, auch wenn ich noch nicht so der Fan von Differentialgleichungen bin. Ist natürlich nicht alles mathematisch sauber (Eine Potenzreihen ist natürlich nicht die Summe unendlich vieler Glieder mit einem letzten Wert unendlich , sondern der Grenzwert der Partialsummen, wenn er existiert 😉 ). Aber im großen und ganzen doch eine brauchbare Info. Wenn ich also im Laufe meines Studiums zum ersten mal auf die Lie-Reihen treffe werd ich daran denken.

    Danke Florian für diesen einen von vielen Mosaiksteinen des Wissens, welche in ihrer Vielfallt zu Erkentnis und echtem Verständnis führt!

  21. #21 Florian Freistetter
    6. Mai 2009

    Hui! Da tut sich ja doch einiges 😉 Schön… 🙂

    @hape: Ja, du hast recht, dass das mit dem Summenzeichen vermutlich überflüssig war. Am Anfang wollte ich den Artikel wohl noch so schreiben, das ihn wirklich jeder verstehen kann. Aber im Zuge des Schreibens hat sich dann gezeigt, dass das dann doch ein bisschen ausarten würde und dann wahrscheinlich zu nem Buch anstatt nem Blog-Artikel wird 😉 Und der Artikel ist sowieso schon lang – da hab ich dann am Schluß auf weitere Detail-Erklärungen verzichtet.

    @Arno: Zu den Details der Konvergenz müsste ich nochmal im Buch von Gröbner nachsehen – ich schau mal, ob ich das noch irgendwo finde.

    @Sim: Ja, klar – als “echte” Mathematik geht das nicht durch 😉 Ich hab auch einiges von den verschiedenen Bedingungen und Vorraussetzungen unterschlagen (die theta_i müssen z.B. holonom sein) und auch beim Vertausschungssatz war ich mehr als knapp. Aber ansonsten wäre das ganze so extrem mathematisch geworden, dass wirklich kaum jemand mehr durchgestiegen wäre…

    @Jörg W: Wo hat denn die Resignation eingesetzt? Mathematisch gesehen ist da wirklich nichts schwieriges dabei, eigentlich. Sollte mit Schulmathematik zu packen sein – vielleicht ists aber stellenweise etwas kompliziert formuliert.

  22. #22 marco
    6. Mai 2009

    Hey danke,
    wieder ein Trick mehr

  23. #23 Ronny
    7. Mai 2009

    Mein Kommentar: Endlich mal eine Formel 🙂

    Bezieht sich auch auf diverse Bücher die nur um das Publikum nicht zu verschrecken auf Formeln verzichten und dann sprachliche Verrenkungen machen müssen anstatt eine einfache Formel hinzuschreiben 🙂

    @Florian
    Schulmathematik dritte Klasse Oberstufe (HTL, Gymnasium). Ich muss es wissen, hab meinen Junior letzhin beim Integrieren erwischt.

  24. #24 luckydudey
    9. Mai 2009

    Höhere Mathematik 1. Semester *gähn*… Da besuch ich lieber eine HöMa Vorlesung und muss mich nicht Ellenlange Texte lesen. Trotzdem ein netter Versuch den Laien Mathe näherzubringen.

  25. #25 Jörg W.
    10. Mai 2009

    @Florian
    ich glaube nicht, dass du es sehr kompliziert geschrieben hast und eventuell ist es mit Schulmathemathik zu verstehen- nur hat mir schon die Schulmathematik Probleme bereitet (ab dem Bruchrechnen 😉 – ich hab da eine Insel-Unbegabung, bin also sicher kein Maßstab.

  26. #26 Florian Freistetter
    10. Mai 2009

    @luckydudey: “Höhere Mathematik 1. Semester *gähn*… Da besuch ich lieber eine HöMa Vorlesung und muss mich nicht Ellenlange Texte lesen.”

    Ach, kann man heute schon Mathe studieren, ohne lesen zu müssen?

  27. #27 Wolfgang Graßmann
    14. Mai 2009

    Sehr schön, erinnert mich ein bißchen an das Heisenbergbild, da war auch so eine zeitentwicklung

    PSI(t) = exp(iHt)Psi(0) für die Wellenfunktion zur Zeit t.
    das gab dann einen Operator

    Hheisenberg = exp(-iHt)*hschrödinger*exp(iHt)

    H= Hamilton-Operator
    Scheint ein Spezialfall zu sein.

  28. #28 Constantin
    20. Mai 2009

    Sehr interessanter Beitrag. Kannst du vielleicht einen Link zum Vertauschungssatz von Gröbner online stellen? Ich find nämlich nichts darüber im Bronstein, und ich dachte der wäre das Nachschlagewerk der Mathematik.
    Und mich hat das auch ein bischen an die Zeitentwicklung in der QM erinnert.

  29. #29 Florian Freistetter
    20. Mai 2009

    @Constantin: Ich glaube, der Vertausschungssatz ist online nicht zu finden. Der steht in Gröbners Buch. Wenn du mir ein Mail schickst, dann kann ich dir ein pdf schicken.

  30. #30 effjot
    28. Mai 2009

    Hey, wieder was gelernt. Danke!

    Mit den Formeln in dem Artikel sieht ja nach Arbeit aus. Schade daß MathML immer noch nicht anwendbar ist. 🙁

  31. #31 regow
    18. Oktober 2010

    Ich bin begeistert. Ich bin auch schon einmal über die Lie-Ableitung gestolpert und wußte dann schlicht nicht weiter – was im Netz zu finden war hab ich nicht verstanden.
    Die erste Zeile schaut ja aus wie ein Mittelding aus Divergenz und Gradient von f mal innerem Vektorprodukt mit theta; und dann die verLiete Taylorreihe.
    ad sim, wenn ich alles richtig verstanden habe, dann ist alles was man als exp(irgendwas) darstellen kann, sowieso konvergent.
    Danke, noch einmal für die super Info. Ich bin ja erst kürzlich über scienceblogs.de gestoppert und grase jetzt Deine blogs ab um meine Wissenslücken zu füllen.

  32. #32 regow
    19. Oktober 2010

    Stimmt natürlich nicht, was ich gesagt habe; die erste Zeile ist ganz einfach nur der Gradient von f mal dem innernen Vektorprodukt mit theta.

  33. #33 vidar
    München
    6. September 2015

    Hallo Florian,
    bin eben mit ein paar Jahren Verspätung auf diesen deinen Artikel gestoßen…
    Ich habe selbst einiges mit numerischer Physik zu tun gehabt und und lese hin und wieder etwas zum Thema, Lierheien waren mir bisher aber nicht untergekommen.
    Von daher fand ich den Artikel sehr spannend – und habe jetzt ein bisschen Literatur zum lesen beim Pendeln 😉
    Vielen Dank fürs (aus meiner Sicht sehr gelungene) Erklären und den Mut, auch mal ein paar Formeln zu bringen!