Vor 2 Wochen habe ich über einen Artikel in der Online-Ausgabe der Zeitung “Der Standard” berichtet, in dem eine Serie über “Komplementärmedizin” angekündigt wurde. Darin fanden sich die für den Online-Standard leider schon üblichen unkritischen und uninformierten Aussagen über Homöopathie und Co. Zum Beispiel:
“Denn, dass die homöopathische Therapie mehr kann als Placebo, wurde in zahlreichen Arbeiten bewiesen.”
Heute ist nun der erste Artikel der Serie erschienen. Die Journalistin Regina Phillipp beschäftigte sich mit der Osteopathie (diese Lehre gehört zur “Alternativmedizin”, auch wenn sie einen seriös klingenden Namen trägt). Angesichts der vergangenen Berichterstattung im Online-Standard (z.B. hier oder hier habe ich keinen sonderlich seriösen Artikel erwartet. Andererseits versprach man in der Ankündigung aber
“Alle vier Wochen werden wir die Wirkungsweise einzelner Methoden gezielt hinterfragen.”
Hat das geklappt? Nein, der Artikel ist zu einer einzigen Werbeveranstaltung für die Osteopathie verkommen.
Aber was ist Osteopathie eigentlich? Erfunden hat sie 1874 der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still. Er war der Ansicht, dass sich Störungen der inneren Organe auf den Bewegungsapparat und das Fasziennetzwerk auswirken (und umgekehrt).
Krankheiten lassen sich also – seiner Ansicht nach – dadurch heilen, dass man Knochen, Gelenke und Bindegewebe manipuliert.
Aus der Osteopathie haben sich später z.B. die “Cranio-Sacral-Therapie” (da wird am Kopf herumgedrückt) oder die Chiropraktik (hier beschränkt man sich beim herumdrücken auf die Knochen) – die gerade dem Autor Simon Singh große Probleme bereitet – entwickelt.
Dafür, dass irgendeine dieser “Therapien” über den Placebo-Effekt hinaus irgendeine Wirkung zeigt, gibt es bis heute keine vernünftigen wissenschaftlichen Belege.
Aber das hat die Anhänger der Pseudomedizin ja noch nie gestört. Man sollte aber von einer Qualitätszeitung wie dem Standard erwarten, dass diese Tatsache dort zumindest kurz zur Sprache kommt.
Aber Fehlanzeige. Im Artikel wird kein einziges Mal erwähnt, dass die Osteopathie nicht wirklich durch fundierte Belege abgesichert ist.
“Da wo die Schulmedizin an ihre Grenzen stößt, fängt für ihn als Osteopathen die Arbeit erst an. (…) Die Verschränkung von Hülle und Inhalt ist es also, die den Osteopathen vornehmlich interessiert. Denn so wie die Brustwirbelsäule gelegentlich Herzbeschwerden macht, kann umgekehrt ein inneres Organ eine Funktionseinschränkung am Bewegungsapparat erzeugen. Der Osteopath beurteilt von außen was sich drinnen im Körper tut und verwendet als diagnostisches Werkzeug dabei nur seine Hände.”
Es wird sogar nochmal extra betont, dass das alles mit “Magie” nichts zu tun hat:
“[Das] Netzwerk aus Bindegewebe zeigt sich für die Verlagerung von Schmerzen, Spannungen oder Funktionsstörungen an andere Körperregionen verantwortlich. Der Osteopath weiß es für sich zu nützen und behandelt nicht selten an einer völlig anderen Stelle, als es die Symptomatik ursprünglich erwarten ließe.”
Klingt doch alles hochseriös und wissenschaftlich. Und selbstverständlich handelt es sich auch hier um “sanfte” Medizin:
“Oft genügen bereits kleine Gelenkseinstellungen um dem Körper zu seinem ursprünglichen Gleichgewicht zu verhelfen. Eine feine, sehr subtile Arbeit, die sich für jede Altersgruppe eignet und selbst Erkrankungen wie die Osteoporose von einer Behandlung nicht ausschließt.Oft genügen bereits kleine Gelenkseinstellungen um dem Körper zu seinem ursprünglichen Gleichgewicht zu verhelfen. Eine feine, sehr subtile Arbeit, die sich für jede Altersgruppe eignet und selbst Erkrankungen wie die Osteoporose von einer Behandlung nicht ausschließt.”
Ist das “kritisch hinterfragen”? Ist das überhaupt noch Journalismus oder schon Werbung? Im Artikel zu Wort kommt, neben der Autor, nur Andreas Kainz, Leiter der Abteilung für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Wiener Privatklinik und Präsident der Österreichischen Ärztegesellschaft für Osteopathie, zu Wort. Es wurde darauf verzichtet, noch andere Meinungen einzuholen…
Dr. Kainz hat diese Bühne dann natürlich auch sehr gut genutzt und nochmal ordentlich für seine Gesellschaft geworben:
“Patienten die vom Schulmediziner mit der Diagnose – ‚Damit müssen sie leben’ – kommen, sind mir am liebsten. (…) [Der Osteopath] gibt dem Körper nur die Information, wie er sich selbst wieder gesund machen kann. (…) Ein guter Osteopath respektiert die Größe des Gesamtsystems und sieht sich selbst nur als Mittel zum Zweck.”
Auch wenn ich mir vom Online-Standard keine wirklich kritische Berichterstattung in Sachen Komplementärmedizin mehr erwartet habe – diese nicht markierte Werbung für die Osteopathie hat mich dann doch überrascht. Hier ist ja nicht mal der Ansatz von Recherche erkennbar. Selbst bei Wikipedia bekommt man mehr seriöse Informationen als in diesem Artikel. Gleich der erste Artikel, der bei einer Suche nach “Osteopathy” bei Google Scholar erscheint, trägt den Titel “A Comparison of Osteopathic Spinal Manipulation with Standard Care for Patients with Low Back Pain” und kommt zu dem Schluß: “There was no statistically significant difference between the two groups in any of the primary outcome measures. “
Und wenn man sich bemüht und tatsächlich recherchiert, dann sollte ein Artikel so wie der im Standard eigentlich nicht möglich sein.
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