Der große Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) des europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf wird in wenigen Monaten (Mitte November) wieder aktiviert. Nachdem letztes Jahr im September der erste Start hervorragend geklappt hat, hab es kurz danach Probleme mit den supraleitenden Magneten, die erst jetzt gelöst werden konnten.
Jetzt, wo die erneute Aktivierung des LHC näher rückt, berichten auch die Medien wieder vermehrt darüber. Und leider mehren sich auch die Kommentare von Leuten, die Angst haben, dass der Teilchenbeschleuniger den Weltuntergang verursacht. Ich habe zwar schon damals geschrieben, dass man vor dem LHC keine Angst zu haben braucht – aber viele Argumente finden sich bis jetzt auch nur verstreut in den Kommentaren zu den einzelnen Artikeln. Daher kommt jetzt hier noch einmal eine Zusammenfassung all der Argumente, die zeigen, dass sich niemand vorm LHC fürchten muß!
- Beim LHC werden Teilchen mit Energien von bis zu 7 Tera-Elektronenvolt miteinander kollidideren. Das muss doch gefährlich sein, oder? “Tera” bedeutet immerhin Billion – also 7 Billionen Elektronenvolt (eV). Die Einheit eV bezieht sich allerdings auch winzige Elementarteilchen – eben die Elektronen.
Ein besseren Eindruck von der Größe der Energie bekommt man, wenn man 7 Billionen eV in für Menschen vertrautere Einheiten umrechnet. Die Energie bei der die Teilchen im LHC kollidieren, entspricht 0.000001122 Joule oder 0,0000000003 Kilokalorien (kcal). Die Limonade auf meinem Schreibtisch hat 28 kcal pro 100 ml – das ist 90 Milliarden Mal mehr Energie als im LHC!
Die Energie ist also tatsächlich extrem klein. Im Teilchenbeschleuniger ist sie allerdings auch auf extrem kleinen Raum konzentriert – man schießt ja winzige Teilchen aufeinander. Deswegen kann man mit diesen kleinen Energien gute Ergebnisse erzielen. Aber für die Zerstörung der Welt reicht das nicht wirklich 😉
- Aber es können doch schwarze Löcher entstehen, oder? Und schwarze Löcher sind gefährlich?
Ja, es besteht die Möglichkeit, dass am LHC schwarze Löcher entstehen. Allerdings nur unter ganz speziellen Bedingungen. Unser Universum muss mehr als nur 3 Raumdimensionen haben, damit die schwarzen Löcher entstehen können. Eigentlich wäre es unmöglich, mit einem Teilchenbeschleuniger wie dem LHC ein schwarzes Loch zu erzeugen. Obwohl er groß ist, ist er dafür doch noch viel zu klein und schafft es nicht, die nötige Energie aufzubringen.
Die Sache sieht allerdings anders aus, wenn unser Universum noch zusätzliche kompakte Raumdimensionen hat. Also mehr als die 3 Dimensionen, die uns vertraut sind. Die zusätzlichen Dimensionen müssen sehr klein sein (sonst hätten wir sie schon bemerkt). Und bei diesen kleinen Entfernungen verhält sich die Gravitation dann anders, als wir es jetzt erwarten würden. Die Gravitationskraft wäre dann ausreichend, um am LHC schwarze Löcher entstehen zu lassen.
Es gibt tatsächlich wissenschaftlichen Theorien bzw. Hypothesen, die solche zusätzlichen Dimensionen voraussagen z.B. die Stringtheorie. Doch obwohl die Stringtheorie seit knapp 30 Jahren existiert, konnte sie immer noch keine einzige experimentell bestätigte Vorhersage machen. Ob die Stringtheorie also richtig ist, ist unbekannt. Und selbst wenn sie richtig ist und der Raum tatsächlich mehr als 3 Dimensionen hat, dann sagen die meisten Versionen der Stringtheorie Dimensionen vorher, die viel kleiner sind, als sie es sein müssten, damit schwarze Löcher entstehen.
Zusammenfassend kann man sagen: Am LHC können schwarze Löcher entstehen, wenn einige Varianten der (unbestätigten) Stringtheorie korrekt sind und unser Universum mehr als 3 Raumdimensionen hat.
- Aber gehen wir mal davon aus, dass das alles stimmt und tatsächlich ein schwarzes Loch entsteht. Dann sind wir geliefert, oder? Schwarze Löcher sind gefährlich und zerstören die Welt!
Auch das ist eine falsche Vorstellung. Schwarze Löcher sind nicht stabil. Auch sie geben Strahlung ab und lösen sich im Laufe der Zeit auf (sie “verdampfen” quasi). Dieses Phänomen nennt man Hawking-Strahlung. Wie schnell sich ein schwarzes Loch auflöst, hängt von seiner Masse ab. Ein Loch mit der Masse der Sonne würde 1064 Jahre brauchen, bis es verdampft ist. Eine “1” mit 64 Nullen hintendran. Das ist ein unvorstellbar langer Zeitraum. Aber die schwarzen Löcher, die am LHC erzeugt werden könnten, sind winzig. Wie ich schon im ersten Punkt geschrieben habe, sind die Energien, die am LHC erzeugt werden, recht klein. Und das schwarze Loch kann nicht mehr Energie bzw. Masse haben, als reingesteckt wird. Das erzeugte schwarze Loch wäre also extrem klein. Und je kleiner es ist, desto schneller wird es durch die Hawking-Strahlung aufgelöst. Die Zeitspanne von der Entstehung bis zum Zerfall des schwarzen Loches ist zu unvorstellbar kurz, dass man es anschaulich kaum darstellen kann. Das schwarze Loch kann uns also nichts tun.
- Aber was ist, wenn es die Hawking-Strahlung nicht gibt? Richtig – die Hawking-Strahlung schwarzer Löcher wurde bis jetzt noch nicht direkt nachgewiesen. Wir kennen bis jetzt nur sehr, sehr große schwarze Löcher (millionen- oder milliardenmal schwerer als unsere Sonne) und der Masseverlust durch Hawking-Strahlung ist hier viel zu gering, als das wir ihn beobachten können. Aber Stephen Hawking hat die Strahlungseigenschaften der schwarzen Löcher direkt aus der Relativitätstheorie bzw. der Quantentheorie abgeleitet. Beides sind Theorien, die in den letzten fast hundert Jahren in unzähligen Versuchungen bestätigt wurden und deren Vorhersagen bis jetzt alle eingetroffen sind. Es ist ein wenig inkonsequent, diese Theorien einerseits zu verwenden, um die Erzeugung schwarzer Löcher am LHC zu postulieren um dann die gleichen Theorien abzulehnen und zu behaupten, die Hawking-Strahlung würde nicht existieren.
- Aber was noch nicht beobachtet wurde, muss tatsächlich nicht zwangsweise existieren. Was also, wenn ein schwarzes Loch erzeugt wird und es keine Hawking-Strahlung gibt, die es wieder auflöst? Dann haben wir mitten in Genf ein schwarzes Loch sitzen und das saugt alles an und zerstört die Erde!
Die Vorstellung, ein schwarzes Loch wäre so eine Art Staubsauger, der alles ansaugt und vernichtet, ist zwar populär – aber auch falsch. Das was ein schwarzes Loch besonders macht, ist die extreme Dichte. Enorm viel Masse ist auf enorm winzigen Raum konzentriert – die daraus resultierende extreme lokale Krümmung der Raumzeit sorgt für die speziellen Eigenschaften eines schwarzen Lochs. Es wird aber deswegen nicht zum Staubsauger – seine Gravitationskraft ist auch nicht anders als bei anderen Objekten. Würde unsere Sonne von einem Moment zum anderen zum schwarzen Loch werden, dann würden wir auf der Erde nichts davon merken (außer der plötzlichen Dunkelheit natürlich). Es wäre dort immer noch ein Objekt mit einer Sonnenmasse und die Erde würde sich darum genauso drehen wie vorher um die Sonne.
Wie oben schon mehrmals gesagt wurde: das schwarze Loch, das eventuell am LHC erzeugt werden könnte, ist winzig. Sehr winzig. “Winzig” bedeutet in diesem Fall, dass es eine sehr geringe Masse hat – und damit auch nur extrem wenig Anziehungskraft ausübt. Dieses kleine schwarze Loch sitzt also effektiv mitten im Nichts und muss darauf warten, dass sich vielleicht irgendwann mal ein Elektron so weit in seine Nähe verirrt dass es von der Anziehungskraft des schwarzen Loches eingefangen wird. Und dann wartet das minimal größere schwarze Loch auf das nächste Elektron… usw.
Man kann sich schwer vorstellen, wie klein so ein schwarzes Loch wäre. Wir stellen uns den Mikrokosmos ja oft voller umherwirbelnder und fliegender Elementarteilchen vor. Doch das schwarze Loch ist so klein, dass die Welt aus seiner Sicht im Prinzip aus Nichts besteht und ab zu fliegt vielleicht mal ein Elektron durch dieses Nichts. Und die Gravitationskraft ist die schwächste aller Kräfte. Es würde also enorm lange dauern, bis dieses schwarze Loch genügen gewachsen ist, um uns gefährlich zu werden. Bis das schwarze Loch auf diese Art die Erde zerstören könnte, hat das schon längst die sterbende Sonne erledigt, die in einigen Milliarden zu einem roten Riesen werden wird und dabei die Erde verschluckt.
- Aber was ist, wenn das alles nicht stimmt? Wenn unsere Theorien über schwarze Löcher falsch sind und sie schneller wachsen?
Hier muss man sich klar machen, dass am LHC nichts fundamental neues passiert. Es werden dort eigentlich nur Prozesse nachgemacht, die in der Natur ständig von selbst passieren. Hochenergetische Teilchen der kosmischen Strahlung aus dem Weltall treffen ständig auf die Teilchen der Atmosphäre der Erde. Es gibt etwa 100000 Kollisionen pro Sekunde die teilweise bei viel höheren Energien stattfinden, als sie am LHC möglich sind. Wenn also bei solchen Kollisionen gefährliche schwarze Löcher entstehen können, dann können sie auch ganz von alleine auf natürlichem Weg entstehen – ohne LHC. Aber die kosmische Strahlung trifft schon seit Milliarden von Jahren auf die Erde. Wenn bei Kollisionen dieser Art tatsächlich schwarze Löcher entstehen würden, dann wären sie schon längst entstanden. Da sie das aber offensichtlich nicht sind, können wir daraus schließen, dass bei solchen Kollisionen entweder keine schwarzen Löcher entstehen oder, wenn sie entstehen, dass sie gleich wieder wegen der Hawking-Strahlung verdampfen.
Es gibt also wirklich absolut keinen Grund, Angst vor dem LHC zu haben. Sämtliche physikalische Theorien (wenn man sie richtig anwendet, etwas was z.B. der Panikmacher Otto Rössler nicht getan hat) sagen klar und deutlich, dass am LHC keine gefährlichen schwarzen Löcher entstehen können. Und auch im unwahrscheinlichen Fall, dass unsere ganze Physik falsch ist, sehen wir durch die Beobachtung der Natur, in der seit Milliarden Jahren das selbe abläuft, was am LHC ablaufen soll, dass keine Gefahr besteht.
Vielleicht abschließend noch ein Wort zu Wahrscheinlichkeiten. Viele Leute regen sich auf, dass die Experimente am LHC durchgeführt werden, obwohl man die Gefahr eines Weltuntergangs nicht “zu 100% ausschließen kann”.
Das ist Unsinn. Nichts auf dieser Welt kann zu 100 % ausgeschlossen werden. Jede Aktion, jede Tätigkeit die ein Mensch macht, kann mit einer Wahrscheinlichkeit, die nicht null ist, zum Weltuntergang führen. Wenn ich morgen früh meinen Toaster einschalte, entsteht vielleicht ein Kurzschluß. Der Toaster fängt an zu brennen, dann die Küche. Die Feuerwehr kommt. Auf der rasanten Fahrt zum brennende Haus überollt und tötet der Feuerwagen einen Fußgänger. Das war zufällig der russische Botschafter. Der Feuerwehrmann der gefahren ist, stammte aus Georgien. Der Unfall führt zu diplomatischen Spannung. Russland greift Georgien an. Der Westen mischt sich ein. Ein Weltkrieg bricht aus. Atomwaffen löschen alles Leben auf der Erde aus. Und das alles nur, weil ich Toast essen wollte. Soll ich deswegen jetzt nie wieder Toast essen, um den Weltuntergang zu verhindern (abgesehen davon kann ich mir genausogut ne Geschichte ausdenken, wie das nicht-toasten meines Toasts den Weltuntergang auslöst)?
Es gibt keine absolute Sicherheit. In der Justiz gibt es den Begriff “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit”. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat der Verdächtige den Mord begangen – aber es ist nicht völlig unmöglich, dass es unsichtbare Außerirdische von der Venus waren. Oder Dämonen aus der 5. Dimension. Oder Geist. Oder der Wille Gottes. Oder… In Alltagssprache übersetzt heisst das: Der Mord wurde mit Sicherheit vom Verdächtigen begangen
Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verursacht der LHC keinen Weltuntergang. Am LHC wird nichts passieren – außer ein paar wissenschaftlichen Durchbrüchen und neuen Erkenntnissen über unser Universum. Das sollte ein Grund zur Freude sein und nicht zur Panik!
Ähnliche Artikel: Kein Weltuntergang – LHC ist sicher, Neues vom LHC: Fehlersuche und offizielle Einweihung, Klage gegen den LHC wurde abgewiesen, LHC Neustart im September, LHC wurde abgeschaltet, Wissenschaftler, LHC und Science-Fiction Bücher, Wissenschaft am LHC: Die Suche nach dunkler Materie, LHC: Schlagzeilen-Check, Auch die Wissenschaftler am LHC sind Menschen, LHC: Das Sternentor zur Hölle
Kommentare (881)