Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel über Dimensionen geschrieben. Darin habe ich erklärt, was man aus mathematischer bzw. physikalischer Sicht unter diesem Begriff versteht, warum das ganze nichts mit Esoterik zu tun hat und wie das mit dem 11-dimensionalen Raum der Stringtheorie ist.
Über Dimensionen gibt es aber natürlich noch viel mehr zu sagen. Da gibt es zum Beispiel fraktale Dimension. “fraktal” kommt von “Fraktur”; von “Bruch”.
Fraktale Dimensionen sind “gebrochene Dimensionen” – wobei das “gebrochen” hier mathematisch zu verstehen ist. Die Zahl der Dimensionen, die ein Objekt haben kann, ist hier nicht mehr auf ganze Zahlen wie 1, 2 oder 3 beschränkt. Eine fraktale Dimension kann beliebige Werte annehmen; es kann zum Beispiel Objekte geben, die eine Dimension von 1,5849… haben.
Aber was soll man sich unter nicht ganzzahligen Dimensionen vorstellen?
Die normalen Dimensionen habe ich ja damals als “Anzahl der Freiheitsgrade der Bewegung” beschrieben. Im dreidimensionalen Raum kann ich mich vorwärts/rückwärts, links/rechts und oben/unten bewegen – also 3 Richtungen. Bin ich in meiner Bewegung auf eine zweidimensionale Oberfläche beschränkt, dann kann ich nur in 2 Richtungen gehen (das “oben/unten” fällt hier weg).
Wie soll man sich aber jetzt ein Objekt vorstellen, dass z.B. eineinhalb Dimensionen hat?
Überdeckungen
Dazu ist es sinnvoll, sich ein spezielles Konzept für die Definition der Dimensionen anzusehen.
Stellen wir uns eine Linie vor. Diese Linie soll einem Meter lang sein und wir wollen sie überdecken. Das bedeutet, wir nehmen lauter QuadrateS mit gleicher Seitenlänge (es könnten auch Kreise oder sonstige Formen sein, das Prinzip bleibt das gleiche) und zählen, wie viele Quadrate wir brauchen, um die Linie abzudecken. Nehmen wir an, unsere Quadrate hätten eine Seitenlänge von 10 cm, dann brauchen wir 10 Quadrate, um die Strecke von einem Meter abzudecken:
Jetzt verkleinern wir die Seitenlänge der kleinen Quadrate um die Hälfte auf 5 cm – nun brauchen wir doppelt so viele Quadrate – nämlich 20.
Verkleinern wir sie ein auf ein Drittel der ursprünglichen Länge – 3,333… cm – braucht man dreimal so viele Quadrate – usw. Man sagt, die Anzahl wächst linear mit der Verkleinerung der Seitenlänge: Die Anzahl N der Quadrate ist also indirekt proportional der Länge L: N ~ 1/L
Mathematisch sagt man, dass die Zahl der Quadrate der ersten Potenz der Länge L proportional ist, also N ~ 1/L1 (“erste Potenz” heisst ja nichts anders als L1 und das ist wieder gleich L).
So weit zur Strecke. Nun spielen wir das gleiche Spiel nochmal mit einem Quadrat. Unser Quadrat soll eine Seitenlänge von einem Meter haben und wir wollen es mit kleinen Quadraten der Seitenlänge 10 cm abdecken. Jetzt brauchen wir dafür schon 100 Stück!
Halbieren wir nun die Seitenlänge der kleinen Quadrate auf 5 cm – verdoppelt sich dann die Anzahl der kleinen Quadrate, die wir zur Überdeckung benötigen? Nein, mit 200 Quadraten kommt man hier nicht aus – wir brauchen 400 Stück!
Und kürzen wir die Seitenlänge auf ein drittel, dann brauchen wir nicht 300 sondern gleich 900 Stück! Die Anzahl der zur Überdeckung nötigen Quadrate sinkt also nicht mehr linear bzw. mit der Potenz 1, sondern quadratisch, mit der Potenz 2: N ~ 1/L2.
Würde man das gleiche nochmal mit einem Würfel statt einem Quadrat machen und zählen, wieviele kleine Würfel man braucht, um den großen auszufüllen, dann würde man sehen, dass analog zu den obigen Fällen, die Anzahl nicht linear oder quadratisch sinkt – sondern mit der dritten Potenz: N ~ 1/L3.
Dieses Schema kann man verallgemeinern und definieren, das ein Objekt die Dimension D hat, wenn die Anzahl der Formen, die für eine Überdeckung nötig sind, indirekt proportional zur D-ten Potenz der Größe der Formen N ~ 1/LD (das ist mathematisch ein bisschen unsauber formuliert, genauere Formeln gibt es z.B. bei der Wikipedia).
Diese Definition stimmt mit den uns bekannten Werten überein: eine Linie ist eindimensional – und D ist hier auch gleich 1. Für ein Quadrat bzw. generell eine Fläche erhält man D=2 und diese Objekte sind zweidimensional. Räumliche Objekte sind mit D=3 dreidimensional.
Aber diese Definition ist nun nicht mehr auf die ganzen Zahlen beschränkt. D kann theoretisch irgendwelche Werte annehmen. Aber gibt es überhaupt Objekte, für die D keine ganze Zahl ist?
Fraktale
Ja, die gibt es. Man nennt sie “Fraktale” und ein Beispiel dafür ist das Sierpinski-Dreieck. Man kann es sich folgendermaßen vorstellen:
Man starte mit einem normalen, gleichseitigen Dreieck. Dann bestimme ich von jeder Seite den Mittelpunkt und verbinde diese Punkte: das Dreieck wird nun in 4 gleich große Dreicke aufgeteilt. Das mittlere Dreieck wird entfernt und der gleiche Prozess auf die restlichen Dreiecke angewandt – und immer weiter, unendlich oft. Graphisch sieht das so aus:
Natürlich kann man das endgültige Dreieck nicht zeichnen – man müsste ja erstmal unendlich viele Konstruktionsschritte durchlaufen. Jetzt könnte man denken, dass in diesem Fall irgendwann mal alle Teile des ursprünglichen Dreiecks verschwunden sind und nichts mehr übrig bleibt. Das ist aber nicht der Fall!
Die Frage ist nur: was bleibt übrig? Am Anfang hatten wir eine zweidimensionale Fläche. Wird durch den Konstruktionsprozess so viel weg genommen, dass nur noch einzelne, unzusammenhängende Punkte übrig bleiben? Dann hätte das Sierpinski-Dreieck die Dimension Null. Oder bleibt vielleicht nur die äußere Begrenzungslinie des ursprünglichen Dreickes übrig? Dann hätten wir eine eindimensionale Linie und das Sierpinski-Dreieck die Dimension 1.
Man kann mathematisch berechnen, welche Dimension das Dreieck nach unendlich vielen Schritten hat. D ist in diesem Fall gleich 1,58496… (genauer: D = log 3 / log 2). Das bedeutet, das Sierpinski-Dreieck ist weniger als eine vollständige Fläche mit Dimension 2 – aber auch mehr als eine Linie mit Dimension 1!
Ein ebenso gutes Beispiel dafür ist die Koch-Kurve (oder “Schneeflockenkurve”). Hier startet man mit einer simplen Linie der Dimension 1. Dann macht man aus dem Mittelteil der Linie eine Art offenes Dreieck. Nun hat man 4 Liniensegmente und macht bei allen nochmal das gleiche – usw:
Nach unendlich vielen Schritten kommt man so schließlich zu einem Objekt, dass keine simple Linie mehr ist. Veranschaulicht ausgedrückt, hat sich die Linie so sehr verschachtelt und in den Raum gewunden, dass sie nicht mehr nur eindimensionale Linie ist, sondern auch ein wenig die Qualität einer Fläche angenommen hat – aber eben nicht ganz. Die Dimension der Koch-Kurve liegt daher auch zwischen 1 und 2 bei etwa 1,26 (genau: log 4 / log 3).
Solche Fraktale haben oft verblüffende Eigenschaften. Berechnet man die Länge der “fertigen” Koch-Kurve, so sieht man schnell, dass sie unendlich lang sein muss. Sie wird ja bei jedem Konstruktionsschritt ein klein wenig länger. Berechnet man aber die Fläche, die unter dieser unendlich langen Koch-Kurve liegt, dann ist diese nicht ebenfalls unendlich! Sie beträgt exakt 9/5 (vorausgesetzt die Fläche unter dem ersten Dreieck beträgt genau 1).
Natürliche Fraktale
Ok, das Mathematiker manchmal auf seltsame Ideen kommen, ist ja nichts neues 😉 Da sind auch solche komischen Gebilde wie die Fraktale nichts außergewöhnliches. Aber in der Natur, in der echten Welt gibt es sowas doch wohl nicht?
Doch, auch in der Natur trifft man auch fraktale Objekte. Natürlich keine “echten” mathematischen Fraktale mit “echten” fraktalen Dimensionen. In der Natur hat alles drei Raumdimensionen (oder 11, falls die Stringtheorie richtig ist). Aber näherungsweise kann man das Konzept der Fraktale auch auf die Natur übertragen und findet dabei jede Menge interessante Objekte.
Das klassische Beispiel ist die Frage, wie lang die Küstenlinie der britischen Insel ist. Das ist erstmal leicht zu beantworten: Ich nehme mir einen Atlas und ein Lineal und messe einfach nach. Wenn ich mir dann allerdings eine genauere Karte ansehe, mit mehr Details und nochmal messe, dann werde ich einen anderen, größeren Wert für die Gesamtlänge bekommen. Und eine noch genauere Karte wird einen noch größeren Wert liefern.
Je genauer ich messe, desto länger wird die Küste von England werden! Das ist das selbe Prinzip wie bei der Koch-Kurve: eine eigentlich unendlich lange Linie begrenzt trotzdem eine endliche Fläche.
Ein weiteres wichtiges Konzept ist die Selbstähnlichkeit. Fraktale sind oft selbstähnlich; das heisst, ein Teil von ihnen sieht aus wie das Ganze. Das sieht man gut am Sierpinski-Dreieck:
Auch diese Selbstähnlichkeit findet man häufig in der Natur. Zum Beispiel bei Blumenkohl oder Romanesco:
Über Fraktale und fraktale Dimensionen könnte man noch dutzende Artikel schreiben – und vielleicht tue ich das auch noch, wenn Interesse besteht. Ich werde aber auf jeden Fall nochmal über meine eigene Arbeit zu diesem Thema bloggen.
In meiner Diplomarbeit habe ich nämlich herausgefunden, dass sich fraktale Dimensionen dazu eignen, chaotische Systeme zu charaktersieren bzw. herauszufinden, ob ein System chaotisch ist oder nicht…
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