Heute kennen wir den Kuipergürtel als Asteroidengürtel in den äußeren Bereichen des Sonnensystems; außerhalb der Neptunbahn. Aber in der Frühzeit des Planetensystems gab es noch mehr Asteroiden und sie haben die Planeten erneut zum wandern gebracht.

Beschrieben wird dieser Vorgang (die Typ-III-Migration) durch das Nice-Modell. Das heisst nicht so, weil es die Astronomen nett (“nice”) finden, sondern weil es von Wissenschaftlern aus Nizza (frz.: Nice) entwickelt wurde.

Im Nice-Modell geht man davon aus, dass die großen Planeten des Sonnensystems – Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun – ursprünglich nicht so weit von der Sonne entfernt waren wie heute. Neptun, heute der äußerste Planet bei einem Abstand von etwa 30 Astronomischen Einheiten (das ist die 30fache Entfernung zwischen Erde und Sonne) soll sich damals nur etwa 17 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt befunden haben. Außerdem waren ihre Bahnen damals alle noch annähernd kreisförmig.

Knapp außerhalb von Neptuns Bahn befanden sich die Asteroiden der Trümmerscheibe. Und immer wieder mal kam es vor, dass einer in den EInflußbereich des Neptun geraten ist. Die Asteroiden wurden von Neptun nach innen geworfen und – aus Gründen der Impulserhaltung – Neptun selbst bewegte sich ein winziges Stückchen nach außen. Der Asteroid wird dann von Uranus “aufgefangen” und weiter nach innen geschubst und auch Uranus wandert nach außen. Das gleiche passiert mit Saturn und dann macht Jupiter dem Spielchen ein Ende. Als größter und schwerster Planet schmeisst der die Asteroiden aus dem Sonnensystem oder schickt sie auf extrem langgestreckte Bahnen; die weit weg von der Sonne führen. Dadurch wird Jupiter selbst nach innen bewegt.

Im Einzelfall sind die Auswirkungen der Begegnungen mit den Asteroiden minimal. In Summe und über lange Zeiträume hinweg haben sich die Planeten jedoch merklich bewegt. Jupiter wanderte ein wenig nach innen und die anderen Planeten weiter nach außen. Das ging ein paar hundert Millionen Jahre so weiter – bis Jupiter und Saturn plötzlich in einer 2:1 Resonanz angelangt waren (hier habe ich mehr über Resonanzen erklärt). Das bedeutet, dass Jupiter sich genau doppelt so schnell um die Sonne bewegt als Saturn.

In so einer resonanten Konfiguration können die Gravitationskräfte verstärkt wirken und das hat die Exzentrizität von Jupiter und Saturn erhöht – ihre Bahnen waren nun nicht mehr kreisförmig sondern wurden immer ovaler. Dadurch wird alles ein wenig chaotisch. Saturn, nun auf seiner langgestreckten Bahn, kommt Uranus und Neptun nahe. Das führt dazu, dass diese beiden Planeten nicht mehr nur am Rande der Trümmerscheibe ihre Bahnen ziehen sondern ebenfalls exzentrischere Bahnen bekommen und mitten in die Asteroidenscheibe hinein knallen.

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Das Bild ganz links zeigt die Situation vor der 2:1 Resonanz. In der Mitte sieht man die neue Bahn von Neptun, die nun mitten durch die Scheibe verläuft. Ganz rechts ist der Zustand nach der Migration abgebildet (Bild:AstroMark, Creative Commons 3.0)

Zehntausende Asteroiden aus der Scheibe werden aus dem Sonnensystem hinaus bzw. in die inneren Bereiche des Systems (dort wo sich auch die Erde befindet) geschleudert. Von der ursprünglichen Trümmerscheibe bleibt fast nichts übrig – nur das, was wir heute als Kuipergürtel sehen können. Die Planeten wechselwirken weiter mit den Überresten der Scheibe und diese “dynamische Reibung” führt dazu, dass ihre Bahnen wieder kreisförmiger werden. Dabei wandern sie weiter bis irgendwann zu wenig Asteroiden übrig sind, die Migration stoppt und die Planeten auf ihren heutigen Bahnen angekommen sind.

Das große Bombardement

Eine dramatische Geschichte! Aber auch auf die nicht an der Wanderung beteiligten Planeten des inneren Sonnensystems (Merkur, Venus, Erde und Mars) hatte die Migration Auswirkungen.

Untersuchungen des von den Apollo-Missionen auf die Erde gebrachten Mondgesteins haben gezeigt, dass vor etwa 4 Milliarden Jahren besonders viele Krater entstanden sind. Damals gab es ein “Großes Bombardement” oder “Late Heavy Bombardement (LHB)”. Nach dem ursprünglichen Dauerbeschuß von Asteroiden, bei dem sich die Planeten erst gebildet haben gab es also noch ein zweites, späteres Bombardement von Asteroiden.

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Kommentare (24)

  1. #1 Sephira
    17. November 2009

    Ein Holperwort: dirkteInteraktion = direkte Interaktion

    In Bild 3 scheint die Neptunbahn ursprünglich innerhalb der Uranusbahn zu sein. Bedeutet daß, das der Neptun stärker als Uranus nach außen gewandert ist, oder ist das nur eine falsche Farbmarkierung im Bild?

  2. #2 Thomas J
    17. November 2009

    @Florian

    Die Panspermie postuliert ja, dass schon vorher Leben enstanden sein müsste und dann eingefrorern zu uns gekommen sein müsste.
    Ist das wirklich plausibel?
    Und danke für den Artikel.

  3. #3 Geoman
    17. November 2009

    Florian Freistetter schrieb:

    “Wie auch immer – unser Planetensystem hat eine bewegte Vergangenheit und sicher noch die eine oder andere Überraschung parat!”

    Viel besser hätte es der selige Dr. Immanuel Velikovsky auch nicht formulieren können!

  4. #4 Florian Freistetter
    17. November 2009

    @Sephira: gut gesehen! 😉 Ja, in den Simulationen haben Uranus und Neptun die Plätze getauscht. Ich wollte das aber nicht noch komplizierter machen, drum hab ich das nicht erwähnt…

    @Thomas: Also es ist zumindest nicht unplausibel 😉 Man weiß von vielen Bakterien, dass sie extremste Bedingungen aushalten können – auch das Vakuum des Weltraums. Und wenn anderswo Leben entstanden ist, dann kann das durchaus über Asteroiden zu uns gekommen sein. Ob das aber auch wirklich so wahr, ist schwer rauszufinden… Die Leute, die das vertreten sind aber tatsächlich echte Wissenschaftler, keine Spinner 😉 Obwohls die natürlich auch gibt – die glauben dann vor allem an gerichtete Panspermie -also die absichtliche “Befruchtung” der Erde durch Aliens.

  5. #5 Thomas J
    17. November 2009

    @Florian

    Aber wo genau müssten denn dieses Leben enstanden sein? und wie käme es in die protoplanetare Scheibe? (oder habe ich da etwas falsch verstanden…. dass eingefrorenes Leben auch ausserhalb des Sonnensystems auf unserer Erde “landen” konnte… ?)

    Gibt es eigetnlich Modelle, wann frühestens Leben entstehen konnte und in welchem Abstand das dann zu uns hätte enstehen müssen um uns zu erreichen?

  6. #6 Florian Freistetter
    17. November 2009

    @Geoman: Jetzt hör doch mal mit deinem Velikovsky auf. Nur weil der das Wort “Katastrophe” verwendet hat, ist nicht jede Theorie in der ein bisschen Chaos vorkommt gleich eine Bestätigung von Velkikovskys wirren Thesen. Das du das immer wieder erwähnen musst, ist nur mehr lächerlich.

    Velikovskys “Theorien” haben damals den Naturgesetzen widersprochen und das tun sie heute auch noch…

  7. #7 Florian Freistetter
    17. November 2009

    @Thomas: “Aber wo genau müssten denn dieses Leben enstanden sein?”

    Irgendwo… Auf nem anderen Planeten in nem anderen Sonnensystem vielleicht. Dort schlug ein Asteroid ein, ein Stück des Planets wurde in den interstellaren Raum geschleudert und landete irgendwann in unserem Sonnensystem. Oder vielleicht entstand primitives (Proto)Leben auf einem Kometen – dort gibts jede Menge komplexe Moleküle und der schlug dann bei uns ein.

    Alles sehr unwahrscheinlich – aber nicht unmöglich.

  8. #8 Thomas J
    17. November 2009

    @Florian

    Aber grundsätzlich schon in unserer Galaxie (100 Tausend Lichtjahre durch 0.x Geschwindigkeit eines lebentranportienrenden Mediums)?

    Wirklich feststellbar(beweisbar) für unseren Planeten nicht, oder? oder erst, wenn man Leben an sich genau definiert hat?

  9. #9 Florian Freistetter
    17. November 2009

    @Thomas: “Aber grundsätzlich schon in unserer Galaxie”

    Ja, doch… Andere Galaxien sind dann doch ein wenig weit weg. Obwohl ich mir nicht sicher bin, obs nicht auch Mikroorganismen gibt, die auch ein paar Milliarden Jahre Vakuum aushalten.

    Aber wie gesagt: Panspermie nachzuweisen ist schwer bis unmöglich.

  10. #10 schrauber2
    18. November 2009

    Hallo Florian, danke für den Artikel. Kann man denn heute solche Vorgänge in den Scheiben der Planeten beobachten – besonders Saturn? Die Effekte wären ja gleich, oder? Ein Mond wächst, reißt eine Lücke in den Gürtel, wandert nach innen oder außen – alles live. Oder überwiegen dort die Gezeitenkräfte und verdecken solche Migrationsbewegungen um’s Vielfache?
    Kleine Klugscheißerei am Rande: “…doppelt so schnell… als Saturn.” müsste lauten “…wie Saturn”.

  11. #11 schlappohr
    18. November 2009

    Ein Wissenschaftler (hab leider den Namen vergessen, sorry) hat mal die Vermutung aufgestellt, dass auf praktisch jedem Gesteinsbrocken im Universum genügend komplexe organische Moleküle vorhanden sein können, aus denen sich Leben entwickeln kann (zumindest in den “gemäßigten Zonen” des Alls). Die Frage ist nur, ob diese Moleküle im Laufe ihrer Existenz auf einen lebensfreundlichen Planeten gelangen und so eine Evolution zünden können. So gesehen ist die Entstehung des Lebens auf der Erde gar kein so großes Wunder und erst recht kein Zufall. Wenn ich mich recht erinnere, meinte er auch, dass einige der komplexen Moleküle per Einschlag auf die Erde kamen, während andere auf der Erde entstanden sind, deswegen hielt er die Frage nach Panspermie ja oder nein nicht für so relevant für die Entstehung des Lebens.

  12. #12 Arnd
    18. November 2009

    Weiss eigentlich jemand wie groß die Masse des Kuipergürtels insgesamt ist? Und wenn wir grad dabei sind, wie groß ist die Masse des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter?

  13. #13 Flaschengeist
    18. November 2009

    “Als größter und schwerster Planet schmeisst der die Asteroiden aus dem Sonnensystem oder schickt sie auf extrem langgestreckte Bahnen; die weit weg von der Sonne führen. Dadurch wird Jupiter selbst nach innen bewegt.”

    Hm, da komme ich nicht ganz mit. Wie sich die Bewegung der anderen Planeten nach außen erklären lässt habe ich verstanden, aber warum schickt Jupiter die Asteroiden von der Sonne weg?

    Viele Grüße!

  14. #14 Florian Freistetter
    18. November 2009

    @schlappohr: Um die Migration im Saturnring beobachten zu können, ist der Effekt dort wohl zu klein (und die Zeitskalen zu kurz). Die Teilchen im Saturnring sind ja doch sehr winzig.

    @Arnd: Also die Gesamtmasse des Asteroidengürtels schätzt man auf 5 Prozent der Masse des Erdmondes. Im Kuipergürtel soll es ein Zehntel der Erdmasse (=8fache Mondmasse) sein.

    @Flaschengeist: Jupiter ist viel massiver als die anderen Planeten. Dadurch kann er die Planeten aus dem Sonnensystem rausschmeissen. Das schaffen die anderen Planeten nicht so gut.

  15. #15 Stargazer
    18. November 2009

    Unsachliche Bemerkung am Rande: Die Stromatolithe sehen aus wie Koprolithe …- was die Panspermiehypothese natürlich wahrscheinlicher macht. 😉

  16. #16 Bullet
    18. November 2009

    Warte mal … kann ich das übersetzen mit “die sehen aus wie hingekackt”??

  17. #17 Stargazer
    18. November 2009

    @ Bullet: Genau so sehen sie doch aus, oder?

  18. #18 Bullet
    18. November 2009

    Äääähmmm.

    Ja.

    In der Tat.

  19. #19 Florian Freistetter
    19. November 2009

    Zur Panspermie ist gerade hier ein neuer Artikel erschienen: anscheinend können Mikroben auch ein paar Millionen Jahre im Weltall überleben.

  20. #20 Geoman
    23. November 2009

    @ Florian Freistetter schrieb:

    “Jetzt hör doch mal mit deinem Velikovsky auf. Nur weil der das Wort “Katastrophe” verwendet hat, ist nicht jede Theorie in der ein bisschen Chaos vorkommt gleich eine Bestätigung von Velkikovskys wirren Thesen. Das du das immer wieder erwähnen musst, ist nur mehr lächerlich.

    Velikovskys “Theorien” haben damals den Naturgesetzen widersprochen und das tun sie heute auch noch…”

    Je länger ich Deinen Blog lese, desto mehr verdichtet sich bei mir der Eindruck, dass die so genannten Naturgesetze oder daran anknüpfende Theorien, sich Velikovskys kosmischen Szenarien beständig anschmiegen.

    Ich darf Dir jetzt schon weissagen, wie die Geschichte endet. Irgendwann, in nicht gar so ferner Zeit, wird der Wissenschaftsbetrieb sich Velikovskys zentralen Thesen (natürlich nicht allen, denn er war ja nicht der liebe Gott) soweit angenähert haben, dass Übereinstimmungen kaum noch zu verbergen ist. Dann wird man sagen, es gab da vor fünfzig oder sechzig Jahren mal einen durchgeknallten Psychiater, der zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist, aber eben rein spekulativ und völlig wirr und eben nicht auf dem Boden wissenschaftlicher Tatsachen…

  21. #21 Florian Freistetter
    23. November 2009

    @Geoman: “Ich darf Dir jetzt schon weissagen, wie die Geschichte endet. Irgendwann, in nicht gar so ferner Zeit, wird der Wissenschaftsbetrieb sich Velikovskys zentralen Thesen (natürlich nicht allen, denn er war ja nicht der liebe Gott) soweit angenähert haben, dass Übereinstimmungen kaum noch zu verbergen ist.”

    Du meinst die tollen Thesen wie die Entstehung der Venus aus dem Planet Jupiter? (Seltsamerweise ohne bei ihrem Abflug die Bahnen der Jupitermonde zu stören). Oder die Bahn der Venus nach Velikovksy, die sämtlichen Erhaltungssätzen widerspricht?

    Ja… sicher wird sich da die Wissenschaft noch “annähern”. Wir müssen nur das gesamte Wissen der letzten paar Jahrzehnte nehmen und wegwerfen – dann hat der gute Velokovsky wieder ne Chance.

    Aber wenn wir Velikovsky unbedingt diskutieren müssen, dann bitte im passenden Artikel. Hier gehts um planetare Migration – die hat nicht das geringste mit Velikovsky zu tun.

  22. #22 Outerrim
    27. November 2013

    “…Die Asteroiden (des LHB) stammen ja ursprünglich aus dem äußeren Sonnensystem…”

    Geht man nicht mittlerweile davon aus, dass die Asteroiden des LHBs aus dem Asteroidengürtel stammen und NICHT aus dem äußeren Sonnensystem (Kuipergürtel…)?

  23. #23 Jens
    22. Februar 2015

    Sind die Monde der großen Gasplaneten vor oder nach deren Migration durchs Planetensystem entstanden?

  24. #24 Alderamin
    23. Februar 2015

    @Jens

    Die müssten eigentlich vorher entstanden sein, zumindest vor der Typ-II-Migration, da war ja das Baumaterial für die größeren Monde außer Reichweite. Ein paar Asteroiden werden sie sich später noch als zusätzliche Monde eingefangen haben (z.B. während der Typ-III-Migration).