Wenn ein Asteroid oder Komet mit der Erde zusammenstößt, kann das für die Lebewesen unangenehm werden. Schon kleinere Objekte, die nur ein paar dutzend Meter durchmessen können große lokale Zerstörung anrichten. Und sollte ein kilometergroßer Brocken auf die Erde stürzen sind die Auswirkungen global und Massensterben die Folge.
Ob solche Kollisionen stattfinden, hängt von vielen Faktoren ab. Die Bewegung der erdnahen Asteroiden ist prinzipiell chaotisch und schwer für lange Zeiträume vorhersagbar. Die Population der erdnahen Asteroiden ist außerdem nicht stabil: Kollisionen mit Planeten und der Sonne verringern ihre Zahl; außerdem verlassen viele nach nahen Begegnungen mit größeren Himmelskörpern und dem folgenden gravitativen “Stoß” das Sonnensystem. Andererseits wird das Reservoir an erdnahen Asteroiden immer wieder aus dem Hauptgürtel der Asteroiden (zwischen den Bahnen von Jupiter und Mars) nachgefüllt.
Jupiter spielt hier eine besondere Rolle. Er ist der massivste und größte Planet in unserem Sonnensystem und beeinflusst die Dynamik der Kleinkörper maßgeblich. Es wird ihm auch nachgesagt, er würde die Erde vor allzu vielen Kollisionen beschützen. Seine Gravitationskraft würde Asteroiden, die vielleicht ansonsten irgendwann in die Nähe der Erde kommen, vorzeitig aus dem Sonnensystem werfen bzw. auf ungefährliche Bahnen zwingen.
Aber wie steht es wirklich mit der Beschützerrolle des Jupiters? Astronomen aus Großbritannien haben die Angelegenheit kürzlich mal genau nachgerechnet.
Jonathan Horner und Barrie Jones von der Open University in Milton Keynes haben die Rolle des Jupiters kritisch betrachtet. Jupiters “Beschützerfunktion” wird zum Beispiel oft erwähnt, wenn es darum geht, die Bedingungen in extrasolaren Planetensystem einzuschätzen.
Braucht es nicht nur einen erdähnlichen Planeten, der sich in der lebensfreundlichen, sogenannten “habitablen Zone” um einen Stern befindet sondern vielleicht auch noch einen Gasriesen wie Jupiter, der diese “zweite Erde” vor dem Bombardement mit Asteroiden schützt damit sich dort (höheres) Leben entwickeln kann?
Horner und Jones haben festgestellt, dass es zu diesem Thema erstaunlich wenig konkrete wissenschaftliche Arbeiten gibt. Finnische Forscher haben 2006 einen ähnlichen Ansatz untersucht und kamen zu dem Schluß, dass der Schutz durch Jupiter vielleicht gar nicht so groß ist, wie wir denken.
Und auch wenn man frühere Zeiten betrachtet, wäre die Erde ohne Jupiter vielleicht besser dran gewesen. Während der planetaren Migration in der Frühzeit des Sonnensystems hat Jupiter maßgeblich dazu beigetragen, dass die Erde gerade mit Asteroiden bombardiert wurde. Dieses “Late Heavy Bombardement” hätte es ohne Jupiter wohl nicht gegeben.
Horner und Jones wollten nun durch ausführliche numerische Simulationen der sache auf den Grund gehen: wie sehr beschützt uns Jupiter wirklich? Ihre Ergebnisse werden in Kürze im International Journal of Astrobiology veröffentlicht und können auch hier, hier und hier nachgelesen werden.
Die Asteroiden
Zuerst untersuchten sie den Einfluß von Jupiter auf die Asteroiden im Hauptgürtel. Aus diesem Bereich zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter kommt der überwiegende Teil der erdnahen Asteroiden, die uns dann schließlich gefährlich werden können. Resonanzen mit Jupiter können zu Bahnänderungen der ansonsten ungefährlichen Hauptgürtelasteroiden führen die dann Orbits entwickeln, die die Bahnen der inneren Planeten kreuzen. Jupiter erzeugt quasi erst die gefährlichen Asteroiden, vor denen er uns dann schützt!
Aber wie stark ist der Einfluß von Jupiter hier genau? Um das herauszufinden, simulierten Horner und Jones wie sich eine konkrete Ausgangspopulation von Asteroiden im Laufe der Zeit verändert und vor allem wieviele von ihnen schlußendlich mit der Erde kollidieren. Diese Simulation wurde dann für verschiedene schwerer “Jupiters” durchgeführt. Sie verwendeten 12 verschiedene Werte für die Masse die von einem hunderstel der Jupitermasse bis zur doppelten Jupitermasse reichten.
Die Ergebnisse waren interessant. Wenn Jupiter sehr viel kleiner wäre als normal – also in etwa so groß wie Uranus und Neptun – dann wäre der Schutz den er der Erde bieten könnte circa so gut wie mit seiner aktuellen Masse! So ein kleiner Jupiter ist zwar nicht so gut darin, Asteroiden aus dem Sonnensystem zu werfen – dafür ist er aber auch leicht genug, um nicht so viele Asteroiden aus dem Hauptgürtel in die Nähe der Erd zu bringen.
Ein noch kleinerer Jupiter wäre natürlich noch besser. Der würde dann fast gar keine Asteroiden mehr in die Nähe der Erde bringen. Aber dann wäre sowieso alles anders in unserem Sonnensystem. Dann würde es vielleicht gar keinen Asteroidengürtel geben. Der existiert ja nur, weil die Gravitationskraft des großen Jupiter dafür gesorgt hat, das sich dort kein Planet bilden konnte.
Auch ein größerer Jupiter brächte kaum eine Verbesserung. Die Schutzfunktion eines doppelt so schweren Jupiters unterscheidet sich kaum von der des normalen Jupiter.
Richtig interessant wird es aber bei den mittleren Größen! Ein Jupiter der zwischen einem fünftel (das ist etwa so groß wie der Saturn) und der Hälfte der aktuellen Masse hätte, wäre für die Erde sehr schlecht! Die Zahl der kollidierenden Asteroiden würde stark ansteigen. So ein Jupiter wäre kein guter Schutz – eher eine Gefahr für die Erde!
Diese Grafik fasst die Ergebnisse zusammen: die x-Achse zeigt die Masse, die Jupiter in der jeweiligen Simulation hatte; die y-Achse die Anzahl der Asteroidenkollisionen mit der Erde. Die vier Kurven geben den Zustand nach jeweils 1, 2, 5 und 10 Millionen Jahren (von unten nach oben) wieder. Man sieht gut, wie sich die Form der Kurve im Lauf der Zeit stabilisiert (Bild: Jones & Horner, 2009)
Grund für das unterschiedliche Verhalten der Asteroiden bei unterschiedlichen Massen sind übrigens die Resonanzen. Ich habe ja schon mal beschrieben, dass es zwei verschiedene Arten gibt: Resonanzen der mittleren Bewegung und säkulare Resonanzen. Die Positionen (allerdings nicht ihre Größe) der Resonanzen der mittleren Bewegung hängt dabei nur von der Position des Jupiter ab – und die ändert sich ja bei den Simulationen nicht. Die säkularen Resonanzen hingegen werden von der Masse beeinflusst.
Eine einflußreiche säkulare Resonanz (für die Experten: die v6-Resonanz) liegt in der aktuellen Situation an der inneren Grenze des Asteroidengürtels. Verringert man die Masse des Jupiters, dann landet sie mitten im Gürtel und kann dort viel mehr Asteroiden in erdnahe Regionen schmeissen.
Die Beschützerrolle des Jupiters ist also weniger klar, als man bisher angenommen hat. Mit einem viel leichteren oder auch schwereren Jupiter wären wir genauso gut dran wie jetzt. Und ein Jupiter, der nur ein wenig leichter wäre als der aktuelle wäre sogar ein deutlich schlechterer Beschützer!
Zumindest gilt das für die Asteroiden…
Die Zentauren
Nicht nur die erdnahen Asteroiden können der Erde gefährlich werden – auch kurzperiodische Kometen können bei einer Kollision unangenehme Folgen verursachen.
Solche Kometen, die für einen Umlauf die Sonne weniger als 200 Jahre brauche, stammen aus dem Kuipergürtel. Das ist ein weiterer Asteroidengürtel der sich außerhalb der Neptunbahn befindet. Auch hier können Asteroiden durch Resonanzen aus ihren angestammten Bahnen geworfen werden und in die Gegend zwischen den Bahnen der äußeren Planeten geraten. Diese Gruppe von Objekten nennt man dann Zentauren. So wie die erdnahen Asteroiden sind auch sie wegen der vielen nahen Begegnungen mit den großen Planeten prinzipiell auf instabilen Bahnen unterwegs und beenden ihre Existenz irgendwann in einer Kollision mit einem Planeten, der Sonne oder werden aus dem System geworfen.
Die Asteroiden des äußeren Sonnensystems: in grün sind die Objekte im Kuipergürtel eingetragen; die Zentauren sind orange (pink sind die Trojaner des Jupiter). Bild: Drink Beer!
Einige werden aber von Jupiter auf neue Bahnen gezwungen – sie werden zu kurzperiodischen Kometen und können nun auch der Erde gefährlich werden.
Horner und Jones haben deswegen im zweiten Teil ihrer Arbeit untersucht, wie der Einfluß von Jupiter auf die Zentauren aussieht und welche Folgen sich für die Erde ergeben.
Wieder haben sie viele Simulationen mit unterschiedlichen Jupitermassen gemacht und auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Asteroiden im Hauptgürtel:
Unser Jupiter ist schwer genug, um viele potentiell gefährlichen Objekte unter den Zentauren gleich aus dem System zu werfen so das sie uns nicht gefährlich werden können. Ein viel leichterer Jupiter würde andererseits gar nicht erst so viele Zentauren auf gefährliche Bahnen schicken. Gefährlich sind wieder die mittleren Massen und wieder liegt das Maximum bei etwa einem Fünftel der aktuellen Jupitermasse. Hier ist der Planet gerade schwer genug um viele Zentauren auf einen potentiellen Kollisionskurs zu bringen, aber noch nicht schwer genug, um ausreichend Asteroiden aus dem Sonnensystem zu werfen.
Hätten wir also einen zweiten Saturn anstatt unseres Jupiters, dann wäre es aus mit der Beschützerrolle – so ein Planet wäre keine Hilfe um Asteroidenkollisionn zu vermeiden.
Kometen
Es gibt noch eine dritte Gruppe an potentiell gefährlichen Objekte: die Kometen aus der Oortschen Wolke. Diese Wolke umgibt das Sonnensystem kugelförmig – ist aber sehr, sehr weit entfernt. Sie reicht fast bis zur Hälfte der Strecke zum nächsten Stern (Alpha Centauri) und enthält einige Milliarden Asteroiden. Manche von ihnen haben extrem langgestreckte Bahnen und können so auch ins innere Sonnensystem gelangen.
Diese langperiodischen Kometen besuchen uns meistens nur einmal. Auch wenn sie vielleicht nach zehntausenden Jahren (oder noch länger) einen Orbit beendet hätten und wieder kommen würden, reichen meistens die gravitativen Störungen ihres ersten Besuchs aus, um ihre Bahnen so zu ändern, dass sie aus dem Sonnensystem fliegen bzw. nie wieder das innere Sonnensystem erreichen.
Auch hier ist es meist Jupiter, der die Kometen aus dem System wirft. Aber er kann sie unter Umständen auch erst auf die potentiell gefährlichen Bahnen brungen. Also haben Horner und Jones auch diesen Fall untersucht um hier Klarheit zu schaffen.
Und endlich zeigt sich Jupiter als echter Freund! Was die Gefahr durch langperiodische Kometen aus der Oortschen Wolke angeht, ist Jupiter tatsächlich ein Beschützer. Hier ist das Ergebnis klar und eindeutig: je größer die Masse des Jupiters ist, desto besser kann er Kometen entfernen und desto geringer ist die Zahl der Einschläge auf der Erde.
Fazit
Zusammengefasst bietet sich also ein wesentlich komplexeres Bild als bisher. Die Beschützerrolle des Jupiter ist viel weniger deutlich ausgeprägt als man dachte. Was Asteroiden und Zentauren angeht, wären wir mit einem wesentlich kleinerem Planeten (oder gar gar keinem Jupiter) wahrscheinlich genauso gut dran wie jetzt und ein Jupiter der nur die Masse des Saturn hätte, wäre ein wesentlich schlechterer Beschützer.
Trotz ihrer Ausführlichkeit stellt diese Arbeit von Horner und Jones nur einen ersten Schritt dar. Um wirklich herauszufinden, welche Rolle ein Gasriese wie Jupiter für die Bewohnbarkeit eines Planeten in der habitablen Zone spielt, muss man auch die komplette Entwicklung des Systems betrachten. Ohne Jupiter wären die Bedingungen zur Zeit der Planetenentstehung sicherlich anders gewesen und unser Sonnensystem würde heute ganz anders aussehen. Aber um auch diese Effekte in die Simulationen mit einzuschließen wird man noch ganz andere Methoden und vor allem viel schnellerer Computer brauchen.
Bis wir also ganz genau wissen, ob Jupiter ein Freund oder Feind ist, wird noch ein bisschen Zeit vergehen.
- J. Horner, & B. W. Jones (2008). Jupiter – friend or foe? I: the asteroids International Journal of Astrobiology, vol. 7, parts 3&4, 251-261 (2008) arXiv: 0806.2795v3
Jonti Horner, & Barrie W Jones (2009). Jupiter – friend or foe? II: the Centaurs International Journal of Astrobiology arXiv: 0903.3305v1
J Horner, B W Jones, & J Chambers (2009). Jupiter – friend or foe? III: the Oort cloud comets International Journal of Astrobiology arXiv: 0911.4381v1
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