Gestern habe ich probiert zu erklären, was Störungsrechnung eigentlich ist und warum man sie bei der Betrachtung der Bewegung der Planeten in unserem Sonnensystem verwenden kann. Heute möchte ich das noch etwas vertiefen und zeigen, wie genau man solche störungstechnischen Untersuchungen anstellt.
Dazu muss man zuerst einmal wissen, wie man die Bahn eines Himmelskörpers beschreibt. Das macht man mit den Bahnelementen und die habe ich früher schon mal genau beschrieben.
Im Prinzip handelt es sich bei den Bahnelementen um sechs Zahlen. Zwei davon – die große Halbachse a und die Exzentrizität e – geben an, wie groß die Bahnellipse ist und wie stark sie von der Kreisform abweicht. Drei Bahnelemente – die Inklination i, die Länge des aufsteigenden Knotens Ω und das Argument des Perihels ω – sind Winkel und definiern die Lage der Ellipse im Raum. Das letzte Bahnelement – die mittlere Anomalie M – gibt an, wo genau sich der Planet entlang der Ellipse befindet.
Würde ein Planet nur allein von der Anziehungskraft der Sonne beeinflusst werden, dann würde sich seine elliptische Bahn nicht ändern; die Bahnelemente wären konstant. In der Realität wird ein Planet aber auch von allen anderen Planeten gravitativ beeinflusst und die Bahnelemente ändern sich!
Die Bahn eines Planetens ist also keine unveränderliche Ellipse: sie wird größer und kleiner, ändert ihre Form und sie “wackelt” im Raum hin und her. Um das genau analysieren zu können, muss man wissen, wie sich die Bahnelemente im Laufe der Zeit verändern.
Dafür gibt es mehrer Methoden. Es gibt die Lagrange-Gleichungen – ein Satz von Differentialgleichungen, der so aussieht:
Ich will diese Gleichungen gar nicht erst erklären – sondern einen etwas einfacheren Ansatz vorstellen. Die Lagrange-Gleichungen basieren auf den Bahnelementen, die ich weiter oben erklärt habe. Man kann aber auch andere Bahnelemente verwenden aus denen sich nicht ganz so komplexe Gleichungen ergeben.
Ein Beispiel dafür sind die Delaunay-Elemente. Die sehen so aus:
Auch hier beschreiben sechs Parameter die Bahn. L entspricht der großen Halbachse, G der Exzentrizität, H der Inklination und l,g und h entsprechen direkt den alten Bahnelementen M, ω und Ω. Das große X (das eigentlich ein griechisches Chi sein soll) ist eine Konstante die von der Gesamtmasse (Masse der Sonne plus Masse des Planeten) und der Gravitationskonstante k abhängt.
Der Vorteil dieser neuen Schreibweise ist aber, dass die Gleichungen nun kanonisch sind. Im Prinzip bedeutet das, dass es eine spezielle Funktion – die wir hier F nennen – gibt, mit der sich die Änderungen der Delaunay-Elemente leicht beschreiben lassen:
Für diejenigen, die mit der mathematischen Notation nicht mehr so vertraut sind: Bei den Gleichungen oben handelt es sich um Differentialgleichungen. Das bedeutet, dass man sich ansieht, wie sich die Änderungen bestimmter Größen verhalten. Steht in der Gleichung z.B. ein Bruch (der kein echter Bruch ist) der Form: dL / dt dann bedeutet das, das man die komplette zeitliche (das “t” steht für “time”) Änderung des Paramaters L betrachtet. Beim Symbol ∂ dagegen betrachtet man nur die ganz konkrete Änderung von L die auftritt, wenn man einen ganz bestimmten Parameter ändert.
Die erste Gleichung oben heisst also übersetzt: Die komplette zeitliche Änderung des Bahnelements L (dL/dt) ist genauso groß wie die Änderung der Funktion F, wenn ich nur den Wert von l ändere (∂F/∂l). Der Index i steht hier für den Planeten, den man jeweils betrachtet (Planet 1 hat die Parameter L1, G1, usw – Planet 2 die Parameter L2, G2, usw).
Die Funktion F nennt man Störungsfunktion und sie sieht so aus:
In diesem Fall betrachten wir erstmal nur 2 Körper, die sich um einen Zentralkörper (die Sonne) bewegen:
Die Massen m1 und m2 bewegen sich um die Sonne. Ihr jeweiliger Abstand von der Sonne wird mit den Vektoren q1 und q2 beschrieben. Ein Vektor ist ein Set aus Zahlen das in diesem Fall eine Richtung und eine Entfernung angibt und unterscheidet sich von der einzelnen Zahl (r! oder r2), die nur die Entfernung zur Sonne angibt. Der Abstand der beiden Planeten voneinander wird durch den Parameter Δ angegeben.
Mit dieser Störungsfunktion und den kanonischen Gleichungen der Delaunay-Elemente hat man nun einen einfachen Weg die Änderungen der Planetenbahnen zu berechnen. Im nächsten Teil der Serie werde ich skizzieren, wie diese Berechungen aussehen und wie man schnell herausfinden kann, dass unser Sonnensystem stabil bleiben wird.
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