Im ersten Teil der Serie habe ich die Grundlagen der Störungsrechnung erklärt; im zweiten Teil
habe ich – hoffentlich halbwegs verständlich – erläutert, wie man die
Bewegung der Planeten im Sonnensystem störungstechnisch formuliert. Im dritten Teil habe ich dann erklärt, wie man mit der Störungstheorie zeigt, dass unser Sonnensystem prinzipiell stabil ist.
Mit den Formeln aus dem letzten Teil kann man aber noch einen interessanten Aspekt der Himmelsmechanik demonstrieren. Aus den Formeln der Störungstheorie folgt nicht nur die prinzipielle Stabilität der Planetenbahnen – man kann auch sehen, wann sie nicht mehr stabil sind…
Die Lösung für die Änderung der großen Halbachsen aus dem letzten Teil sah so aus:
Gestern haben wir uns auf das zusätzliche j konzentriert, das sicherstellte, das kein böser Säkularterm in der endgültigen Lösung vorhanden ist. Heute möchte ich einen anderen Aspekt der Lösung näher betrachten: jn1 + kn2, den Term unter dem Bruchstrich.
Man darf nicht vergessen, dass man bei der Störungsrechnung von einer bestimmten Grundvoraussetzung ausgeht: Zusätzliche Terme in den Lösungssummen müssen i.A. immer kleiner sein, als der vorhergehende Ausdruck. Nur so ist sichergestellt, dass die Lösung nicht unendlich groß und damit sinnlos wird. In der Mathematik sagt man, dass die Reihen konvergieren müssen (anstatt zu divergieren).
Prinzipiell ist das bei den Reihen unserer Lösung auch der Fall. Allerdings muss man auf den Bruch aufpassen. In der Bruchrechnung ist es ja so, dass der Bruch selbst umso größer wird, je kleiner die Zahl unter dem Bruchstrich ist. Wird der jn1 + kn2 also sehr klein, dann wird die ganze Lösung sehr groß und es kann passieren, dass die Reihen nicht mehr konvergieren.
Kann dieser Ausdruck also sehr groß werden? Und wenn ja, unter welchen Umständen? (Das war übrigens auch die große Frage, die Henri Poincaré 1888 löste und damit die Chaostheorie begründete)
Dazu muss man erstmal schauen, was jn1 + kn2 eigentlich genau beschreibt. n1 und n2 sind die mittleren Bewegungen der Planeten. Zum Beispiel bewegt sich Jupiter mit 0,08309 Grad pro Tag; Saturn bewegt sich mit 0,03346 Grad pro Tag. Das ist erstmal nicht tragisch – allerdings durchlaufen die Indizes j und k der Summe ja sämtliche ganzen Zahlen, von minus unendlich bis plus unendlich. Und wenn wir Pech haben kommt es vor, dass sich n1 und n2 mit zwei bestimmten Zahlen j und k genau so kombinieren, das der gesamte Ausdruck jn1 + kn2 sehr klein wird.
Schauen wir mal, was passiert, wenn wir j=5 und k=-2 setzen: fünfmal die mittlere Bewegung von Saturn minus zweimal die mittlere Bewegung von Jupiter ist nur noch 0,00112 Grad pro Tag – eine sehr kleine Zahl. Die steht in der Lösung unter dem Bruchstrich – die Lösung selbst (die ja die Störung angibt) wird also sehr groß!
Immer dann, wenn die mittleren Bewegungen zweier Planeten in oder nahe einem bestimmten ganzzahligen Verhältnis stehen, werden die gravitativen Störungen also sehr groß. Man nennt das Resonanz und ich habe in einem anderen Artikel schon ausführlich darüber geschrieben. Die oben genannte 5:2 Resonanz zwischen Jupiter und Saturn ist eine der bekanntesten und prominentesten in unserem Sonnensystem.
Diese Resonanzen sind für die Bewegung und die Strukturen in unserem Sonnensystem extrem wichtig – und jetzt kennt ihr auch die mathematischen Gründe dafür 😉
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