Mit Zahlen ist das so eine Sache. So wie Listen und Rankings sind sie für uns immer besonders interessant. Wenn Wissenschaftler sich der mit der Frage beschäftigen, ob es irgendwo andere intelligente Lebewesen im All gibt und zu der Antwort kommen, dass das sehr wahrscheinlich ist, dann ist das eine Sache. Wenn sie aber eine genaue Zahl nennen und sagen wieviel bewohnte Planeten es in unserer Milchstrasse gibt, dann beeindruckt uns das immer ganz besonders – obwohl ja eigentlich klar sein müsste, dass man solche Zahlen nicht so einfach berechnen kann.
Ich habe vor einiger Zeit schonmal über die Arbeit eines schottischen Wissenschaftlers geschrieben, der die Anzahl der außerirdischen Zivilisationen mit 37964,97 angegeben hat. Eine interessante Arbeit – aber die Zahl ist mehr oder weniger willkürlich.
Gestern ist mir bei arXiv ein ähnlicher Artikel aufgefallen. In “Probability Distribution of Terrestrial Planets in Habitable Zones around Host Stars” beschäftigen sich Jianpo Guo und seine Kollegen von der Yunnan Sternwarte in China mit der Frage nach der Anzahl der erdähnlichen Planeten in unserer Milchstrasse.
Wir haben ja mittlerweile schon über 400 extrasolare Planeten entdeckt – aber so gut wie alle davon sind große Gasplaneten wie Jupiter oder Saturn. Sogenannte terrestrische Planeten kennen wir kaum; den ersten hat das Weltraumteleskop CoRoT vor knapp einem Jahr entdeckt.
So ein terrestrischer oder erdähnlicher Planet muss nicht unbedingt wie die Erde aussehen (also mit Atmosphäre, Ozeanen usw). Mit diesem Begriff werden generell Planeten bezeichnet, die felsig sind – also keinen Gasriesen wie Jupiter – und deren chemische bzw. mineralogische Zusammensetzung der Erde ähnelt (das ist zumindest die Definition die Guo und seine Kollegen verwenden). Die Massen dieser Planeten können dabei zwischen etwa einer halben Erdmasse und der zehnfachen Erdmasse variieren.
Aber nur ein passende Masse und eine ähnliche Zusammensetzung reichen noch nicht aus damit sich auf so einem Planeten auch Leben entwickeln kann. In unserem Sonnensystem zählen Merkur, Venus, Erde und Mars zu den terrestrischen Planeten und nur auf der Erde gibt es Leben (die Spekulationen über Mars lasse ich jetzt mal außen vor). Ein terrestrischer Planet sollte sich nämlich auch noch in der habitablen Zone seines Planetensystems befinde. Normalerweise bezeichnet man damit den Bereich um einen Stern, wo dessen Strahlung genau richtig ist, damit es auf der Oberfläche eines Planeten flüssiges Wasser geben kann.
Guo und seine Kollegen wollen in ihrem Artikel nun herausfinden, wieviele terrestrische Planeten in unserer Milchstrasse sich in den habitablen Zonen um ihren Stern befinden. Dazu haben sie erstmal ausgerechnet, wo sich die habitable Zone bei den verschiedenen Sterntypen befindet. Denn je nachdem wie schwer bzw. wie hell ein Stern ist, ist diese Zone woanders. Außerdem verändert sich die Lage der habitablen Zone auch noch im Laufe der Zeit – denn auch ein Stern leuchtet nicht immer exakt gleich hell.
So sehen ihre Ergebnisse aus:
Auf der x-Achse ist hier die Masse des Sterns aufgetragen (angegeben in Sonnenmassen); auf der y-Achse der Abstand vom Stern (angegeben in Astronomischen Einheiten und logarithmischen Maßstab). Der grüne Bereich ist die jeweilige habitable Zone; wobei die mit Punkten markierte Grenze für die ganz jungen Sterne gilt; die mit Sternen markierte für die ganz alten. Je älter ein Stern ist bzw. je massiver er ist, desto weiter draußen liegt die habitable Zone.
Jetzt muss man nur noch rausfinden, wieviele terrestrische Planeten es um einen typischen Stern gibt und ob die sich in der habitablen Zone befinden oder nicht. Das dumme ist nur, dass wir hier keine Beobachtungsdaten haben. Es bleibt einem also nichts anderes übrig als zu schätzen bzw. die Situation am Computer zu simulieren. Guo et al haben selbst keine solchen Simulationen durchgeführt – sie beziehen sich auf die Ergebnisse von Ida & Lin aus dem Jahr 2005. Die haben genau das gemacht: Simuliert, wie Planeten um verschiedene Sterne entstehen und dann nachgesehen, wo die sich befinden. Die Ergebnisse zeigt das Bild rechts. In Abhängigkeit der Sternmasse (0.2, 0.4, 0.6, 1.0, 1.5 Sonnenmassen von oben nach unten) zeigt das Diagramm wo sich in der Simulation die verschiedenen Planeten gebildet haben (x-Achse: Abstand des Planeten von der Sonne; y-Achse: Masse des Planeten).
Diese Daten haben Guo et al benutzt, um daraus die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, dass ein bestimmter Stern habitable terrestrische Planeten besitzt. Dabei muss man die vorhandenen Informationen zur große der habitablen Zone und zur Verteilung der Planeten noch mit der Anzahl der jeweiligen Sterntypen in der Milchstrasse kombinieren.
Guo und seine Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass es in der Galaxis 45,507 Milliarden terrestrische Planeten gibt, die sich in der habitablen Zone ihres Sterns befinden. Die Planeten befinden sich dabei hauptsächlich bei den kleineren Sternen mit den Spektraltypen M und K (11.548 Milliarden Planeten und 12.93 Milliarden Planeten). Um sonnenähnliche Sterne mit dem Spektraltyp G kreisen nur 7,622 Milliarden Planeten.
So weit, so gut. Ich sag nachher gleich noch ein bisschen was zu der Verläßlichkeit dieser Zahlen. Aber vorher muss ich noch kurz den letzten Abschnitt im Artikel von Guo et al. erwähnen. Da haben sie es meiner Meinung nach mit den Zahlen dann doch ein wenig übertrieben. Sie verweisen auf eine Arbeit, die sich mit der Wahrscheinlichkeit beschäftigt, dass auf einem Planeten Leben unterschiedlicher Komplexität entsteht und schließen daraus, dass es in unserer Milchstrasse 4.3 Milliarden Planeten mit primitiven Leben, 3.7 Millionen Planeten mit komplexen Leben und 360000 Planeten mit intelligenten Leben gibt.
Das ist wirklich ein bisschen zuviel des guten. Abschätzungen dieser Art sind natürlich vollkommen zulässig und durchaus auch sinnvoll. Aber man sollte dann auch dazu sagen, wie verläßlich die ganze Sache ist. Und das machen Guo und seine Kollegen in der ganzen Arbeit nirgends! Weder bei ihrer Abschätzung zur Anzahl der Planeten generell noch zur Abschätzung der Planeten mit Leben. Das ist ein grober Mangel – denn sie vernachlässigen einige wichtige Faktoren deren Einfluß auf das Ergebnis zumindest erwähnt werden hätte müssen!
Man hätte zum Beispiel die dynamische Evolution der Planeten berücksichtigen müssen. Die terrestrischen Planeten befinden sich ja vermutlich nicht alleine im Planetensystem und ihre Bahnen werden von den anderen Planeten beeinflusst werden. Es gibt die planetaren Migration; die Position der Gasriesen beeinflusst dann wieder die Asteroiden – was sich auf die Habitabilität auswirken kann; die Schwankung der Planetenachse spielt eine Rolle – usw. Natürlich kann man nicht alle Faktoren in einer einzigen Arbeit unterbringen – aber man hätte sie zumindest erwähnen können und erläutern, warum es sinnvoll ist, sie in diesem Zusammenhang zu ignorieren. Aber einfach so ein paar Zahlen zu veröffentlichen und zu behaupten, es gäbe so und so viele Planeten mit intelligentem Leben (oder prinzipiell Leben) ohne irgendwas zur Verläßlichkeit der Methodik zu sagen: das ist nicht in Ordnung. Ich weiß nicht, wer der Gutachter bei diesem Artikel war (er erschien im August 2008 in Astrophysics and Space Science) – aber sowas hätte man nicht durchgehen lassen sollen. Das hinterlässt einen schlechten Nachgeschmack den dieser ansonsten interessante Artikel nicht verdient hat.
Guo, J., Zhang, F., Chen, X., & Han, Z. (2009). Probability distribution of terrestrial planets in habitable zones around host stars Astrophysics and Space Science, 323 (4), 367-373 DOI: 10.1007/s10509-009-0081-z
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