Die GWUP-Konferenz in Essen geht weiter. Lorenz Meyer hat gestern schon vom ersten Tag berichtet; hier kommt der Bericht von Tag 2.
Der zweite Tag der 20. GWUP-Konferenz “Warum Menschen Unfug glauben” findet im Colosseum Theater Essen statt, einer ehemaligen Industriehalle mit toller Atmosphäre oder wie es auf den Internetseiten der Stadt Essen so unnachahmlich heißt: “Das anregende Ambiente klassischer Industriearchitektur geht eine ästhetisch spannende Verbindung mit zeitgemäßen, postindustriellen Strukturen ein.”
Auf dem Weg von meinem nach Art des russischen, vom Purismus und Alkohol geprägten Sheng Fuis erbauten Hotels zum Veranstaltungsort spüre ich die positiven spirituellen Schwingungen der Stadt Essen. Eine Stadt, in der Buddha im Schaufenster über die Fusspflege wacht, kann nicht böse sein.
Zwischen 9.30 Uhr und 12.30 Uhr findet dort zunächst eine Mitgliederversammlung der GWUP statt. Selbst als Pressevertreter und hochrangiges Mitglied von Sheng Fui International ist es mir nicht gelungen, eine Auskunft über Art und Inhalt des geheimen (nicht öffentlichen) Zusammentreffens zu bekommen. Ich habe aber auch nicht danach gefragt.
Für mich fängt der Konferenztag also um 14.30 Uhr mit dem ersten Vortrag von Peter Brugger über “Das gläubige Gehirn” an in dem Herr Brugger über den Glauben an das Paranormale aus neurophysiologischer Sicht berichtet. PD Dr. Peter Brugger leitet die Abteilung Neuropsychologie der Neurologischen Klinik der Universität Zürich und versteht es, komplizierte Sachverhalte unterhaltsam zu vermitteln. Trotzdem ist es einer dieser Vorträge, die man zum besseren Verständnis gerne noch ein zweites Mal hören würde.
Hier die Kurzfassung wie sie den Konferenzunterlagen zu entnehmen ist:
Menschliche Versuchspersonen vermuten hinter zufälligen Ereignissen generell „mehr als Zufall” – Gläubige an paranormale Phänomene tun dies in erhöhtem Maße. Das „Vermuten versteckter Bezüge” ist eine höhere Assoziationsleistung, die vorwiegend von rechtshemisphärischen Komponenten des Sprachsystems unterstützt wird. Tatsächlich zeigen neuere Experimente, dass der Glaube ans Paranormale mit einer erhöhten Beteiligung der rechten Hirnhälfte an Sprachprozessen einhergeht. Der funktionellen Asymmetrie der Hirnhälften kommt damit eine zentrale Rolle für die Genese paranormaler Ideen zu – ähnlich wie dies bereits im Falle von schizotyper Persönlichkeitsstörung und Schizophrenie bekannt ist. Ein einseitiges Pathologisieren paranormalen Denkens ist aber unangebracht, sind doch weite und ungewöhnliche Assoziationen auch für höchste Kreativitätsleistungen erforderlich. Dem Studium des „paranormalen Gehirns” kommt somit eine wichtige Vermittlerrolle zu; es hilft, die neuropsychologischen Prozesse zu erhellen, die Kreativität und Wahn miteinander verbinden.
Der nächste Vortrag ist auf eine Gemeinschaftsarbeit der Autoren Jan Cwik, Mario Iskenius und Günter Molz zurück zu führen und hat zum Thema: “Aberglaube, magisches Denken und paranormale Überzeugungen”.
Hier der entsprechende Abstract aus den Tagungsunterlagen:
Die wissenschaftliche Erforschung des Aberglaubens und paranormaler Überzeugungen steckt noch in den Kinderschuhen. Gerade in der psychologischen Forschung steht die Basis theoretischer Annahmen sowie experimenteller Forschung in diesem Bereich menschlichen Erlebens und Verhaltens noch am Beginn ihrer Entwicklung. Einen Teil wissenschaftlicher Überlegungen steuerten die Psychologinnen Marjaana Lindeman und Kia Aarnio bei, als sie ein theoretisches Modell zur Erklärung von Aberglauben, magischem Denken und paranormalen Überzeugungen vorstellten und dieses empirisch überprüften.
Ziel unserer Untersuchung war zum einen eine teilweise Wiederholung der Untersuchung von Lindeman und Aarnio. Zum anderen aber auch die experimentelle Überprüfung, inwieweit diese Befunde unabhängig vom einem bestimmten Kontext sind, in dem sich eine Person befindet, und somit, ob es sich bei Aberglaube und paranormalen Überzeugungen tatsächlich um eine zeitlich stabile Persönlichkeitseigenschaft von Menschen handelt oder ob dies vom Umfeld beeinflusst wird. Hierzu wurde der Zusammenhang zwischen Lebensinhalten und dem Grad der paranormalen Überzeugung mit Fragebögen erhoben.
Die Ergebnisse zeigten, dass die von Lindeman und Aarnio postulierten Persönlichkeitseigenschaften des Aberglaubens und der paranormalen Überzeugungen nicht so eindeutig anzunehmen sind, wie von ihnen beschrieben wurde. Unsere Untersuchung zeigte aber auch, dass dies durch den Kontext, in dem sich eine Person befindet, kaum beeinflusst wird. Diese Ergebnisse ermöglichen eine Diskussion über eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Persönlichkeitsmodells.
An der Untersuchung waren beteiligt:
- Jan Cwik: Diplompsychologe am St. Vinzenz Hospital in Dinslaken, ist Psychologischer Psychotherapeut in Ausbildung und Promotionsstudent der Psychologie.
- Mario Iskenius: Diplompsychologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeitsmedizin und Ergonomie, an der Bergischen Universität Wuppertal und Promotionsstudent der Sicherheitstechnik.
- Dr. Günter Molz: Diplompsychologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Psychologische Methodenlehre und Diagnostik, an der Bergischen Universität Wuppertal.
Am Schluss seines Vortrags geht der die Gruppe vertretende Referent auf die Frage ein, ob der Glaube an Unfug selbst Unfug sei. Aus Sicht der Entscheidungspsychologie könnten nicht-rationale Entscheidungen im Alltag effizienter sein als rationale Entscheidungen. Als Beispiel führt er die Entscheidung eines Bahnfahrenden an, der sich fünf Minuten vor Abfahrt seines Zuges in der Bahnhofsbuchhandlung auf die Schnelle ein Buch für die Reise kaufen will. Dieser würde sich aus Zeit- und Effizienzgründen wahrscheinlich nicht-rational entscheiden.
Aus Sicht der Denkpsychologie würden kognitive Abkürzungen (Heuristiken ) im Alltag meist zu korrekten Ergebnissen führen. Als Beleg wird angeführt wie Personen, die nach den größten Städten gefragt wurden, dies mit Hilfe von Überlegungen wie “eigener ICE-Bahnhof/eigene Bundesligamannschaft vorhanden?” etc. eingrenzten und bestimmten.
Die Frage, ob Unfug in die gleiche Kategorie wie Denkfehler oder nicht-rationales Entscheiden gehöre, sei nach S. Epstein zu bejahen. Der letzte Gedanke des Vortrags: “Ob der Glaube an Unfug als Unfug gewertet wird, muss von der situationsbedingten Nutzen-/Schadensbewertung abhängig gemacht werden.”
Um 17.00 Uhr spricht Dipl.-Psych.Sebastian J. Bartoschek über das Thema “Wer glaubt an Verschwörungstheorien?”. Der Referent ist ausgewiesener “Verschwörungsexperte”, beschäftigt er sich doch im Rahmen seiner Dissertation an der WWU Münster mit „Verschwörungstheorien & Transliminalität”.
Die Konferenzunterlagen fassen den Vortrag wie folgt zusammen:
Reptilien-Aliens unter uns Menschen? Jesus und Maria Magdalena ein Ehepaar? Die Apollo-Landung ein Hoax? Paul McCartney seit 40 Jahren tot? So und so ähnlich lauten kursie¬rende Ver¬schwö¬rungs¬theorien. Oft fragt man sich: Wer glaubt denn sowas? Und die Antwort verweist all zu gern auf Randgruppen, Unverbesserliche, Esoteriker und Ewig-Gestrige. Empirische Daten hierzu sind jedoch zumeist Mangelware oder betrachten isoliert eine einzelne spezielle Theorie.
Grundlage des Vortrags ist eine laufende Dissertation, in deren Rahmen eine Große Anzahl von Personen (n > 1000) zur Bekanntheit und Zustimmung von 95 Verschwörungstheorien online befragt wurden. Das Kernergebnis: Verschwörungstheorien sind kein Randgruppenphänomen, sondern stabil in der Mitte der Gesellschaft verortet. Bekanntheit und Zustimmung korrelieren dabei und einige soziodemographische Faktoren haben signifikanten Einfluss.
Peter Bartoschek beginnt seinen Vortrag zunächst mit der Definitionsbestimmung des Wortes “Verschwörungstheorie” und zieht dazu die Defintion der Wikipedia heran. Er hat die Definition im Rahmen seiner Untersuchung jedoch weiter gefasst: “Eine Aussage ist dann eine Verschwörungstheorie, wenn sie unter diesem Label wahrgenommen wird und wenn sie im Gegensatz zu einer offiziellen erklärung steht.”
Vorteile dieser Definition seien: es würde keine Aussage über den Wahrheitsgehalt gemacht, es gäbe keinen Streit, wer Verschwörungstheoretiker sei und es sei keine Hypothese über die Entstehungsgeschichte inkludiert.
Danach beschreibt der Referent die Umstände der Erhebung. er habe zwei Fragebögen entwickelt, bei denen die Bekanntheit (kenne ich/kenne ich nicht) und die Zustimmung (in Prozent bzw. unbekannt) abgefragt wurde.
Die Fragebögen waren wie folgt aufgebaut: Nach einer einer Einleitung und einiger Kontrollfragen folgten 95 Verschwörungstheorien als Pflichtfelder. Anschließend gab es fakultativ zu beantwortende Fragen zu demographischen Daten der Befragten. Die Fragebögen seien so gehalten gewesen, dass man sie bequem online in 10 bis 15 Minuten ausfüllen konnte und seien vor allem in bestimmten dazu geeigneten Gruppen der VZ-Netzwerken zum Ausfüllen angeboten worden.
Als bekannteste Verschwörungstheorie sei die Theorie um das Bermudadreieck (98 %) genannt worden. Die Theorie mit dem höchsten Zustimmungsgrad stellt die sogenannte “unterschwellige Werbung” dar, der 74 % der Befragten Glauben schenkten.
Am unbekanntesten sei die Verschwörungstheorie, dass Bill Gates erschossen wurde (2 %) und den niedrigsten Zustimmungsgrad hatte die sog. Ausschwitz-Lüge mit 5,7 %.
Verschwörungstheorien seien kein Randphänomen wie der Referent mit einem Diagramm deutlich macht.
Als nächstes widmet sich Peter Bartoschek der Frage: Was hat keinerlei Einfluss darauf, ob jemand einer Verschwörungstheorie anhängt?
- Politische Präferenz
- Angehörigkeit zu einem bestimmten Glauben
- Familienstand
- Arbeitszeit / Woche
- Kinder
Einflussfaktoren seien hingegen:
Hinsichtlich der Bekanntheit: Das Geschlecht (Männer 48,8 % / Frauen 38,9 %)
Hinsichtlich der Zustimmung:
- Das Geburtsjahr
- gläubig/religiös
- Geschlecht (Männer 35 % / Frauen 40,3 %)
- Schulabschluss
Man könne vereinfacht sagen: “Menschen, die nach Strukturen suchen, landen beim Glauben. Oder eben bei Verschwörungstheorien!”
Der Referent schließt mit der Aussage, es gäbe hinsichtlich der Untersuchung Probleme und offene Fragen, die es lohnen würden weiter untersucht zu werden. Hier zählten:
- Unterschiedliche Stichproben
- Repräsentativität der Stichproben
- Weitere Einflussfaktoren
- Die Frage, wer an welche Cluster glaube
Nach dem Vortrag entwickelt sich eine spannende Diskussion in der die von Peter Bartoschek gewählte Definition der Verschwörungstheorie hinterfragt wird und Nachfragen zu statistischen Daten bzw. deren Erhebung gestellt werden. Auch die Interpretation der Daten um die Ausschwitz-Lüge wird unterschiedlich interpretiert und zeigt, dass auch hier weiterer Forschungsbedarf besteht.
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