Das hier ist die Rezension eines
Kapitels von “Der Stoff aus dem der Kosmos
ist” von Brian Greene. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel kann man hier finden.
Das Buch neigt sich langsam dem Ende zu. Greene hat nun den aktuellen Stand der theoretischen Physik dargelegt, er hat über zukünftigen Entwicklungen spekuliert und im letzten Kapitel experimentelle Methoden zu deren Überprüfung vorgestellt. Das waren ganz konkrete Experimente über Raum und Zeit – in Kapitel Nr. 15 geht es nun wieder weit in die Zukunft und Greene macht sich Gedanken über Experimente mit Raum und Zeit! Wird es irgendwann möglich sein, uns direkt durch den Raum zu “beamen”? Können wir vielleicht sogar durch die Zeit reisen?
Was Reisen durch den Raum angeht, haben wir es mittlerweile ja weit gebracht. Noch vor nicht allzu langer Zeit musste man so gut wie immer zu Fuß gehen, wenn man irgendwo hin wollte. Nur wenige konnten Pferde, Schiffe oder Kutschen benutzten. Dann kamen Eisenbahnen, Autos und Flugzeuge und heute können wir – im Prinzip – innerhalb eines einziges Tages so gut wie jeden Punkt auf der Erdoberfläche erreichen. Und mit Raketen haben wir es sogar schon ein Stückchen weiter geschafft; bis zum Mond. Aber natürlich könnte es immer noch ein Stückchen schneller gehen.
Beam me up!
Beim Raumschiff Enterprise ist es ganz simpel: von einem Augenblick zum anderen kann man sich einfach überall hin beamen lassen. Ist sowas realistisch oder reine Science-Fiction? Was sagt die Physik dazu? Wenn unser Universum deterministisch wäre, so wie es die Gesetze der klassischen Physik beschreiben, dann wäre das kein Problem. Man müsste “nur” die Position und Geschwindigkeit aller Teilchen eines Objektes (oder einer Person) bestimmen und die dann irgendwo anderes genau die gleichen Teilchen mit den gleichen Eigenschaften platzieren. Das Problem ist hier ein technisches und kein physikalisches. Aber wie wir gesehen haben, leben wir in einem Universum, das von der Heisenbergschen Unschärferelation beherrscht wird die uns verbietet, Position und Geschwindigkeit eines Teilchens beide gleichzeitig exakt zu messen. Also nix mit beamen?
Vielleicht doch! Erstmal ist in gewissen Sinne auch die Quantenmechanik deterministisch. Die Gleichungen dort beschreiben Quantenzustände von Teilchen und wenn wir die reproduzieren, dann klappt es wieder. Aber trotzdem bleibt immer noch das Meßproblem: das was wir messen, beeinflussen wir auch und nach der Messung hat ein Teilchen andere Eigenschaften als vorher. Aber auch dieses knifflige Problem haben die Wissenschaftler mittlerweile gelöst. 1993 haben ein paar Physiker Artikel veröffentlicht, in dem sie gezeigt haben, wie man einen unbekannten Quantenzustand von einem Teilchen auf ein anderes übertragen kann. Und zwei Teilchen mit identischen Quantenzuständen sind identisch – der einzige Unterschied zwischen ihnen ist ihre räumliche Position. Und da der Quantenzustand eines der beiden Teilchen bei der Prozedur verändert wird, kann man tatsächlich von einer “Teleportation” sprechen. Das genaue Verfahren ist nicht ganz trivial. Man benutzt dazu verschränkte Teilchen und misst nicht den Quantenzustand des Teilchens selbst sondern den kombinierten Zustand des Teilchens und einem der beiden verschränkten Teilchen. Die “Störung” durch die Messung überträgt sich auf das verschränkte Partnerteilchen und kann so quasi isoliert werden und am Zielort kann das Originalteilchen im originalen Quantenzustand reproduziert bzw. erzeugt werden ohne das eine konkrete Messung stattgefunden hätte. Hier gibt es eine übersichtliche Zusammenfassung.
Übrigens: Bei der Quantenteleportation muss immer auch eine “klassische” Informationsübertragung stattfinden. Die Ergebnisse der kombinierten Messung an Ursprungs- und dem einen verschränkten Teilchen müssen an den Zielort übermittelt werden (z.B. ganz simpel per Computer oder Telefon). Das “Beamen” kann also niemals schneller als mit Lichtgeschwindigkeit stattfinden
Beamen unter der Donau (Bild: Rupert Ursin, CC-BY-SA 3.0)
In den letzten Jahren haben Experimentalphysiker (darunter besonders Anton Zeilinger und sein Team) diese Teleportation tatsächlich durchgeführt. Dabei wurden Distanzen von einigen hundert Metern überbrückt – allerdings immer nur mit einzelnen Teilchen. Rein prinzipiell könnte man mit dieser Methode auch größere Objekte – Autos, Menschen, Tiere, … – “beamen”. Man bräuchte dann halt nicht nur ein einziges Paar an verschränkten Teilchen sondern ein paar Billiarden Billiarden (soviele Teilchen, wie das zu beamende Objekt hat) Protonen, Neutronen, etc die mit ebensovielen Billiarden Billiarden Protonen, Neutronen, etc am Zielort verschränkt sind und muss es dann nur noch hinkriegen, die kombinierten Eigenschaften der verschränkten Teilchen und der Teilchen des Objekts zu messen. Dann telefoniert man die etwa 1030 Messungen mal eben schnell zum Zielort durch und schon hat man gebeamt!
Natürlich weiß man heute nicht mal ansatzweise, wie sowas möglich sein soll und es ist zweifelhaft, ob es jemals möglich sein wird. Es war schon enorm schwierig, auch nur zwei verschränkte Photonen zu erzeugen – wie man ein paar Billiarden Teilchen miteinander verschränkt weiß heute niemand.
Wie man seinen Vater umbringt
Noch schlechter stehen die Chancen was Reisen durch die Zeit angeht. Aber auch hier hat die Physik einige interessante Möglichkeiten! Reisen in die Zukunft sind sogar relativ simpel. Die relativistische Zeitdilatation sagt uns, dass die Zeit umso langsamer vergeht, je schneller wir uns bewegen. Wenn wir uns in ein Raumschiff setzten dass mit 99,9999999996% der Lichtgeschwindigkeit fliegen könnte müssten wir nur einen Tag lang durch die Gegend fliegen und würden bei der Rückkehr zu unserem Startpunkt merken, dass dort 1000 Jahre vergangen sind! Und wenn wir 27 Jahre lang fliegen, dann reisen wir gleich 10 Millionen Jahre in die Zukunft! Diese Zeitdilatation ist eine experimentell bestätigte Tatsache! Die Zeitreise in die Zukunft wäre also “nur” eine Frage der Geschwindigkeit – und man müsste irgendwie rausfinden, wie Menschen so starke Beschleunigungen überstehen könnte.
Aber was ist mit Zeitreisen in die Vergangenheit? Da siehts ganz anders aus – denn hier stoßen wir sofort auf jede Menge Pardoxa. Das klassische Problem – Was passiert, wenn ich in der Vergangenheit meinen eigenen Vater umbringe? – kennt jeder, aber Greene bringt noch ein anderes interessantes Beispiel. Angenommen, Greene würde in die Zukunft reisen. Dort informiert er sich natürlich als erstes über die Fortschritte in der Stringtheorie. Und erfreut stellt er fest, dass mittlerweile alle Probleme gelöst worden sind. Die Stringtheorie ist korrekt und sie ist tatsächlich DIE fundamentale Theorie; die Weltformel. Und den bahnbrechenden Forschungsartikel, der alles das erst möglich gemacht hat hat niemand anderes geschrieben als Brian Greenes Mutter! Nun ist die zwar eine liebe und nette Person – aber keine theoretische Physikerin. In den Danksagungen schreibt sie aber, dass sie ihrem Sohn dankbar ist, der sie dazu ermutigt hat sich mit der Physik zu beschäftigen. Also reist Greene zurück in die Vergangenheit um dort seiner Mutter ein bisschen was über Stringtheorie zu erklären. Das läuft gut – aber irgendwie scheint Mama nicht den zu erwartendenden Durchbruch zu schaffen. Der Veröffentlichungszeitpunkt des Artikels rückt näher und näher – aber Greenes Mutter hat immer noch keine Weltformel entdeckt. Also entschließt sich Greene, den Artikel selbst zu schreiben – er erinnert sich ja an das was er in der Zukunft gelesen hat – und ihn unter dem Namen seiner Mutter zu veröffentlichen. Alles gut und schön – aber wer hat nun die Weltformel gefunden? Von wem stammt das Wissen aus dem Artikel? Nicht von Greene – denn er hat ihn ja erst in der Zukunft gelesen. Aber auch nicht von seiner Mutter. Wissen aus dem Nichts?
Bedeuten diese Paradoxa nun, dass Reisen in die Vergangenheit unmöglich sind? Viele Physiker glauben das. Aber Greene zeigt, dass die Paradoxa so schlimm nicht sind. Dazu müssen wir uns an Kapitel 5 erinnern. Ich wiederhole nochmal das damalige Fazit:
“Alle Ereignisse, egal ob “vergangen” oder “zukünftig” sind einfach. Die Zeit fließt nicht. Ich hab mich letzte Woche bei einer Party enorm amüsiert – und ich tue das noch immer denn das Ereignis ist “ein unveränderlicher Ort in der Raumzeit”. Das mag unserer Alltagserfahrung direkt widersprechen. Aber es ist genau der Schluß, zu dem die Wissenschaft uns führt. Die Zeit ist kein Fluß, sondern ein Eisblock und jeder Augenblick ist auf ewig an seinem Platz.”
Betrachten wir nun nochmal das Paradoxon des erschoßenen Vaters. Normalerweise stellt man sich das ja so vor, als würde es zwei verschiedene “Versionen” der Vergangenheit geben. Einmal die Vergangenheit, in der mein Vater gemütlich über die Brücke am Fluss spaziert, nach Hause kommt und dort in einer romantischen Nacht einen Sohn zeugt. Und dann die Version, in der dieser Sohn in der Zeit zurück reist, dem Vater auf der Brücke auflauert und ihn in den Fluss schubst. Aber das ist so nicht möglich. Ein Augenblick in der Raumzeit kann nicht verändert werden. Wenn ich auf der Brücke hinter einem Pfeiler gelauert habe, dann was das immer schon so und wir immer so bleiben. Und wenn mein Vater die Brücke unversehrt überquert hat, dann wird das immer so sein. Ich kann zwar in der zeit zurückreisen – aber wenn ich dann meinen Vater umbringen will, werde ich merken, dass mir das nicht gelingen wird. Eben weil schon feststeht, dass es mir nicht gelungen ist. Vielleicht erinnert sich mein Vater sogar noch daran, dass an diesem Abend ein Irrer auf der Brücke auf ihn zugestürmt kam – der dann aber plötzlich auf einer Bananenschale ausgerutscht ist bevor er ihn erreichen konnte…
Das wirft natürlich das Problem der Willensfreiheit auf. Ich will doch meinen Vater umbringen – aber anscheinend spielt das keine Rolle weil ich schlicht und einfach nicht erfolgreich sein kann. Natürlich kann es sein, dass der freie Wille nur eine Illusion ist und das wir in Wahrheit einfach unbeirrt den Gesetzen der Physik folgen (müssen) und es uns nur so vorkommt, als könnten wir selbst über unser Schicksal entscheiden.
Aber was, wenn wir wirklich einen freien Willen haben? Wie ist das dann mit den Zeitreisen? Hier kommt die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik ins Spiel. Die würde besagen, dass man im Fall der Zeitreise nicht ins eigene Universum zurückreist, sondern in ein anderes, ein Paralleluniversum. Dort kann ich meinen armen Vater problemlos meucheln, den mein Vater aus meinem eigenen Universum passiert ja nichts. Und auch das Problem des aus dem nichts auftauchenden Wissen wäre dann gelöst. Greene wäre in ein Universum gereist, in dem seine Mutter tatsächlich die Weltformel gefunden hat. Auf der Rückreise wäre er dann in ein anderes Universum gelangt, wo seine Mutter die Formel nicht findet und er dafür das Wissen seiner “Parallelmutter” aus dem ersten Universum einsetzt. Die Paradoxa der Zeitreise in die Vergangenheit sind also logisch nicht ganz so zwingend wie ursprünglich gedacht und kein unüberwindliches Hindernis. Aber wie sieht es mit der praktischen Umsetzung aus?
Bis jetzt hat man noch kein physikalisches Gesetz gefunden, das Zeitreisen in die Vergangenheit explizit verbietet. Im letzten Jahrhundert haben Physiker sogar herausgefunden, dass unter bestimmten Bedingungen solche Zeitreisen sogar direkt aus der allgemeinen Relativitätsttheorie folgen! Wilhelm Jacob van Stockum konnte 1937 zeigen, dass Teilchen, die um einen rotierenden, unendlich langen Zylinder kreisen, in die Vergangenheit reisen können (weil der Zylinder den Taum und auch die Zeit “verdreht”). Unendlich lange Zylinder sind allerdings etwas schwer zu bauen – darum ist das erstmal eher von theoretischen Interesse. Auch der große Kurt Gödel hat das Thema untersucht und herausgefunden, dass Zeitreisen in einem rotierenden Universum möglich sind. Und neuere Erkenntnisse haben uns sogar Ideen geliefert, wie man sowas umsetzen könnte.
Dazu braucht man ein Wurmloch. Solche Wurmlöcher sind quasi Abkürzungen durch den normalen Raum. Ein Wurmloch kann zwei weit enfernte Bereich des Raums verbinden und der Weg durch das Wurmloch wäre wesentlich kürzer als durch den normalen Raum. Wenn wir also von Ort A nach Ort B gelangen wollen, dann können wir entweder den normalen Weg gehen – oder durch das Wurmloch. Stellen wir uns nun vor, das eine Ende des Wurmlochs wäre in einem Raumschiff. Mit dem Raumschiff würden wir dann schnell durchs All fliegen und wieder zurück. Wegen der Zeitdilatation sind wir nun in der Zukunft gelandet. Das gilt aber nur für unser Ende des Wurmlochs. Das andere Ende ist dort geblieben wo es war und immer noch in der gleichen Zeit. Dadurch, das wir eine Ende des Wurmlochs relativ zum anderen bewegt haben, haben wir eine Zeitdifferenz hergestellt und können nun durch das Wurmloch zwischen Vergangenheit und Zukunft wechseln.
Ein Wurmloch von Tübingen nach Boulogne sur Mer (Bild: Corvin Zahn, CC-BY-SA 2.5)
Allerdings gibts ein paar Probleme. Erstmal wissen wir nicht, ob Wurmlöcher tatsächlich existieren. Theoretisch könnte es sie geben – aber wir haben bis jetzt keins gefunden und auch nicht die geringste Ahnung, wie man welche künstlich herstellen könnte. Dann zeigt sich außerdem, dass die Dinge äußerst instabil wären. Um sie am sofortigen Einsturz zu hindern, bräuchte man exotische Materie mit negativer Energie – von der wir ebenfalls nicht wissen, ob sie existiert bzw. wie man sie herstellen könnte. Außerdem hat Stephen Hawking darauf hingewiesen, dass es zu einer Art “Rückkopplung” zwischen den Vakuumfluktuationen in Vergangenheit und Zukunft kommen kann die zum Kollaos des Wurmlochs führt.
Gegen die Möglichkeit von Zeitreisen wird auch oft eingewandt, dass wir bis jetzt noch keinen einzigen Zeitreisenden zu Gesicht bekommen haben. Wo sind die ganzen Forscher und Touristen aus der Zukunft? Aber auch das ist kein wirklicher Einwand – denn alle bisher vorgeschlagenen “Zeitmaschinen” erlauben nur Reisn rückwärts bis zu dem Zeitpunkt an dem die erste Zeitmaschine gebaut wurde.
In naher Zukunft brauchen wir jedenfalls weder damit rechnen, komfortabel in den Urlaub gebeamt zu werden – noch darauf, unseren Urlaub in Vergangenheit oder Zukunft zu verbringen. Aber es ist faszinierend, dass wir abseits von Science-Fiction, mit konkreter Physik über diese Möglichkeiten nachdenken können!
P.S. Hier habe ich schonmal ein bisschen was über Zeitreisen geschrieben. Damals aber mit Schwerpunkt auf der einschlägigen Science-Fiction-Literatur.
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