Kürzlich bin ich über einen sehr interessanten Artikel gestolpert. Er handelt zwar von Biologie und die Arbeit ist schon 40 Jahre alt – aber spannend ist er trotzdem! Es geht um Zugvögel. Die fliegen ja teilweise erstaunlich weite Strecken und finden sich dabei erstaunlich gut zurecht. Die Frage ist nun: warum? Wie orientieren sich die Vögel? Ist das genetisch bedingt; wissen sie also schon von Geburt an, in welche Richtung sie fliegen müssen? Oder lernen die jungen Vögel das von den Erwachsenen? Oder machen sie es ganz anders. Diese Frage stellte sich 1970 auch der Biologe Stephen Emlen. Und um die Antwort herauszufinden, ging er in ein Planetarium.

Im direkten Experiment wollte er herausfinden, ob sich die Vögel – in seinem Fall waren es Indigofinken – vielleicht an den Sternen orientieren. Das man die Sterne zur Orientierung und Navigation benutzen kann, wussten die Menschen schon lange – aber möglicherweise haben auch die Finken herausgefunden, wie man durch einen Blick in die Sterne den richtigen Weg findet. Dafür hat sich Emlen erstmal 26 gerade geschlüpfte Indigofinken besorgt. Die heissen übrigens so, weil das Männchen schön blau ist:

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Bild. Birds of New York (New York State Museum. Memoir 12); Luis Agassiz Fuertes

Diese Vögel wurden nun in speziellen Käfigen im Labor aufgezogen. Dort wurde zwar mit einer astronomischen Uhr genau der selbe Tag- und Nacht-Rhythmus erzeugt wie draussen in der Natur. Durch spezielle Lichtfilter wurde es den Vögeln unmöglich gemacht, eine Lichtquelle direkt zu sehen; sie bekamen alle nur diffuses Licht. Nachdem die Vögel ausgewachsen waren, wurden sie in drei Gruppen eingeteilt:

  • Gruppe A wurde weiterhin im Labor behalten wo es ihnen unmöglich war, irgendwelche Informationen über den realen Tag- oder Nachthimmel zu erhalten.
  • Gruppe B wurde tagsüber ebenfalls im Labor gehalten – in der Nacht durften sie aber in ihren Käfigen ins Planetarium der Universität Cornell umziehen. Dort hatte Emlen einen Nachthimmel simuliert, der dem echten exakt entsprochen hat.
  • Gruppe C wurde, so wie Gruppe B, ebenfalls ins Planetarium gebracht. Diesmal hatte Emlen den Projektor allerdings verändert. Anstatt des Polarsterns war nun Beteigeuze (ein heller Stern im Sternbild Orion) der “Himmelsnordpol”, also der Punkt, um den sich die Sterne am Himmel scheinbar drehen.

Gruppe B und C hatten also nur die Sterne als potentielles Hilfsmittel bei der Orientierung (Mond und Planeten wurden im Planetarium deaktiviert) – die Sonne hat kein Vogel zu Gesicht bekommen. Gruppe A hatte überhaupt keine externen Hilfsmittel. Nun wartet Emlen auf die Zugunruhe. Damit bezeichnet man die erhöhte motorische Aktivität von Zugvögel kurz bevor sie tatsächlich losfliegen. Sitzen die Tiere dabei in einem Käfig, dann laufen sie tendentiell immer in die Richtung, in die sie dann auch ziehen wollen. Emlen hatte spezielle Käfige konstruiert, bei denen es möglich war, aufzuzeichnen in welche Richtung sich die Vögel bewegen. Die Vögel kamen nun wieder ins Planetarium unter den selben Himmel, den sie früher schon kennengelernt hatten – nur diesmal wurde die Projektion statisch gehalten. Wohin würden die Vögel nun fliegen wollen? So sah das im Fall der Gruppe A aus:

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Die Linien bzw. die Punkte in den Kreisen zeigen das selbe an: die Richtungen (gemittelt) in die Sich die Vögel bewegt haben. Man sieht gut, dass es bei Gruppe A so gut wie keine spezielle Richtung gibt. Die Tiere scheinen einfach wahllos durch die Gegend zu fliegen. Ganz anders ist es bei Gruppe B:

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Bei den Vögeln, die im Planetarium einen “echten” Sternenhimmel kennenlernen konnten sieht man deutlichj eine bevorzugte Richtung (sie wird bei den Kreisen durch einen kleinen Pfeil am Rand angezeigt). Mit einer Ausnahme (der Vogel “r47”) bewegen sich alle in Richtung Süden; genau in die Richtung, in die die Vögel auch in der freien Natur ziehen würden. Wie sieht es nun mit Gruppe C aus? So:

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Auch diese Vögel ziehen nach “Süden”. Allerdings nicht in die Richtung des echten Süden sondern in eine andere Richtung die Süden entsprechen würde wenn Beteigeuze genau im Norden steht!

Die Indigofinken scheinen sich also tatsächlich an den Sternen zu orientieren! Als sie im Planetarium wiederholt dem “echten”, rotierenden Nachthimmel ausgesetzt waren, haben sie anscheinend gelernt, welche Sterne sich in der Nähe des Himmelspols befinden – egal ob das nun der Polarstern oder Beteigeuze war. Solche unterscheiden sich ja von den anderen durch ihre viel kleineren Kreisbögen die sie im Laufe einer Nacht absolvieren. Und diese Sterne und Sternbilder (wobei die Tiere wohl nicht dieselben “Sternbilder” wahrnehmen wie wir) konnten sie dann später nutzen, um die Südrichtung zu finden!

Natürlich ist die Migration von Zugvögeln wesentlich komplexer und es spielen viele andere Faktoren eine Rolle. Aber ich finde es faszinierend, dass manche Vögel anscheinend tatsächlich herausfinden können, wo sich der Himmelsnordpol befindet und dann das Muster der polnahen zirkumpolaren Sterne zur Orientierung benutzen! Die Natur ist manchmal schon ziemlich cool!


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Emlen, S. (1970). Celestial Rotation: Its Importance in the Development of Migratory Orientation Science, 170 (3963), 1198-1201 DOI: 10.1126/science.170.3963.1198

Kommentare (11)

  1. #1 Florian Freistetter
    6. Oktober 2010

    Und was diese Tiere nun für Probleme mit der Lichtverschmutzung haben, möchte ich lieber gar nicht wissen 🙁

  2. #2 MartinB
    6. Oktober 2010

    Das wurde seinerzeit (da war ich noch jung) in Querschnitt bei von Dithfurth vorgestellt, da gab’s eine Sendung über den Vogelflug – das Buch ist so ziemlich das beste Wissenschaftsbuch überhaupt.

  3. #3 Manfredo
    6. Oktober 2010

    MartinB, welches Buch meinen Sie?

  4. #5 MartinB
    7. Oktober 2010

    @Manfredo
    Hoimar von Ditfurth “Querschnitt”
    Auf
    https://www.hoimar-von-ditfurth.de/querschnitte.html
    gibt es ein paar probekapitel.

  5. #6 cydonia
    7. Oktober 2010

    Jo, immer wieder faszinierend.
    Was ich mich allerdings frage, ist, wieso nachtaktive Tiere, wie z.B. Fledermäuse, sich nicht am Sternenhimmel zu orientieren scheinen. Die unternehmen nämlich, je nach Art, auch extrem lange Wanderungen, um ins Winterquartier zu kommen, haben aber ein ernsthaftes Problem, wenn die älteren Leittiere fehlen, um die genaue Richtung vorzugeben. Wieso hat sich bei denen die Sternorientierung nicht durchgesetzt?

  6. #7 cydonia
    7. Oktober 2010

    Ok, ich hab die Antwort. Aber spekuliert doch mal: Ist ne gute Übung, und macht Spaß.

  7. #8 Dete
    7. Oktober 2010

    @cydonia
    Weil die Sterne zu weit weg sind um sie mit Ultraschall zu orten 😉

    Dete

  8. #9 Alexander
    7. Oktober 2010

    Gut zu wissen, das mit der Sternennavigation. Ich kannte bisher nur die andere Methode, nämlich dass sich Vögel dank “magnetischer” Schnäbel am Erdmagnetfeld orientieren. Und da hat sich mir dann immer die Frage gestellt, was die armen Zugvögel machen, wenn sich das Erdmagnetfeld umpolt… 😉

    @cydonia: Ja, das ist tatsächlich nicht so schwer zu erraten 😉

  9. #10 Basilius
    7. Oktober 2010

    @Dete
    Nette Idee. War auch mein erster Gedanke, daß bei den Fledermäusen (sagenhafte Viecher sind das!) einfach der Fokus auf dem Sonar liegt und die deshalb das optische Sehen ganz verlernt haben. Wikipedia sagt dazu aber, daß die Fledermäuse durchaus noch sehen können. Das kann also noch nicht der Grund dafür sein, warum sie ihre Augen nicht zur Navigation nutzen. Aber einen Magnetsinn haben die noch eingebaut. Sind also noch um eins eher unabhängig von den Augen. Wer einen Kompass im Hirn hat, der braucht eigentlich keine Orientierung nach den Sternen, weil letztlich gibt die ja auch nicht viel mehr her, als eine Richtung. Man nennt den Polarstern ja nicht umsonst so.

  10. #11 cydonia
    7. Oktober 2010

    Jep, und das Entscheidende ist, dass die Fläuse ihr Quartier (Höhle oder Ähnliches) präzise anfliegen müssen. Dazu brauchen sie unbedingt ein erfahrenes Tier, das sie führt.