“Medizin ist keine Naturwissenschaft”. Nein – so einen Unsinn sage nicht ich. Das sagt Jörg-Dietrich Hoppe, der Präsident der Bundesärztekammer…
Ja, ernsthaft. Nachlesen kann man das in einem empfehlenswerten Spiegel-Artikel von Markus Grill und Veronika Hackenbroch: Rückfall ins Mittelalter. Dort wird über die zunehmende Etablierung der Homöopathie an den deutschen Universitäten berichtet (wie z.B. die Uni Magedburg, an der das Homöopathie-Studium als “modernes Wissenschaftskonzept einer medizinübergreifenden Community” bezeichnet wird). Die neue Approbationsordnung für Medizinstudenten sieht Homöopathie sogar als eigenes Wahlpflichtfach vor.
Unterstützt wird das alles von Jörg-Dietrich Hoppe laut dem Medizin keine Naturwissenschaft ist:
“Medizin ist keine Naturwissenschaft”, sagt der deutsche Ober-Arzt allen Ernstes, “sondern eine Erfahrungswissenschaft, die sich auch naturwissenschaftlicher Methoden bedient.”
Also jetzt mal unabhängig von der wissenschaftstheoretischen Einordnung der Medizin: eine Lehre die sich “naturwissenschaftlicher Methoden bedient” sollte wissen, was man mit Leuten zu tun hat, die behaupten das Zuckerkugeln ohne enthaltenen Wirkstoff Krankheiten heilen können. Nein – man scheucht sie nicht unter lautem “Buh!”-Rufen von der Universität. Man überprüft zuerst einmal, ob die Zuckerkugeln ohne Wirkstoff wirklich Krankheiten heilen können (immerhin gibts ja Leute, die behaupten dadurch wieder gesund geworden zu sein). Das hat man natürlich in der Vergangenheit gemacht; oft genug. Und keine einzige der vernünftigen Studien konnte eine Wirkung der Homöopathie zeigen, die über Placebo-Wirkung hinausging (was nicht überraschend war – die Grundlagen der Homöopathie sind so absurd das damit zu rechnen war). Heute weiß man also, dass Homöopathie 1) nicht wirkt, was 2) nicht überraschend ist da sie dem Rest der Naturwissenschaft widerspricht und kann 3) erklären, wie die scheinbare Wirkung zustande kommt. Und jetzt könnte man die Homöopathen unter lauten “Buh!”-Rufen von der Universität scheuchen. Könnte – tut man aber nicht.
Und das findet der Präsident der Bundesärztekammer ganz ok. Denn er hat ja den Belege das Homöopathie wirkt:
“Von der Homöopathie hätten ihn aber seine Enkelkinder überzeugt: “Die hatten im Gebirge bei Serpentinenfahrten Übelkeit”, gestand er gegenüber dem SPIEGEL. “Wenn sie aber vorher diese Kügelchen bekamen, war das mit der Übelkeit vorbei.”
Das mit “Medizin ist keine Naturwissenschaft” hat mich noch nicht so enorm aufgeregt. Da kann man unter Umständen tatsächlich drüber diskutieren. Aber von einem Präsidenten der Bundesärztekammer sollte man sowas wie das oben gesagte eigentlich nicht hören. Weiß der Mann tatsächlich nicht, dass Anekdoten keine Daten sind? Ich poste sicherheitshalber nochmal das gute Video dazu:
Und fällt Hoppe, der ja wohl ein Medizinstudium absolviert hat, wirklich keine Erklärung dafür ein, dass es den lieben Enkelkindern besser geht, wenn sie vor der Fahrt ein paar Zuckerkugeln kriegen von denen man ihnen sagt, dass sie gegen Übelkeit helfen? Eine Erklärung, die nicht den Gesetzen der Naturwissenschaft widerspricht? (Ich hätte da jedenfalls so ne Idee)
Wenn ich sowas lese, dann denke ich, das man eigentlich keine Wahl mehr hat. Man muss sich damit abfinden, dass wir in einem Land leben, dass sich aber immer weiter von den Erkenntnissen der Naturwissenschaft entfernt und sich stattdessen in die Arme einer 200 Jahren alten Lehre wirft deren Wirksamkeit während der ganzen Zeit nie belegt werden konnte. So weit, dass es mittlerweile eigentlich gar keinen Sinn mehr macht darauf hinzuweisen. Die Vorstellung der “sanften Naturmedizin Homöopathie” ist so fest in der Gesellschaft verankert dass die Realität keinen mehr interessiert.
Heinz Oberhummer von den Science Busters (heute übrigens mit dem Preis “Kommunikator des Jahres” ausgezeichnet) erzählt in deren Live-Show vom berühmten deutschen Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. Diese Koryphäe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dürfte heute wohl aus Sicherheitsgründen nichtmal einen Operationssaal betreten; geschweige denn Operationen durchführen – so sehr hat sich die Technik und das medizinische Wissen seitdem entwickelt. Samuel Hahnemann, der Gründer der Homöopathie, könnte dagegen ohne große Probleme auch heute noch homöopatisch behandeln. Seine Lehre hat sich in all den 200 Jahren nicht wesentlich weiter entwickelt (sie ist höchstens noch absurder geworden) – das sollte einem zu denken geben…
Man kann also Rudolf Happle, dem Hauptautor der Marburger Erklärung zur Homöopathie, nur resignierend zustimmen wenn er am Ende des Spiegel-Artikels sagt:
“Das Antiaufklärertum, das Hoppe fördert, trägt nicht zum Ansehen der deutschen Universitäten bei.”
Und wer jetzt so deprimiert ist wie ich, den heitert vielleicht das hier wieder ein wenig auf.
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