Das katastrophale Erdbeben in Japan und dessen schlimme Folge dominieren momentan die Medien und auch das Internet. Dabei sind die Tatsachen schon schlimm und tragisch genug – was viele Leute aber nicht daran hindert, sich noch weitere Horrorszenarien auszudenken und pseudowissenschaftlichen Unsinn über den “Supermond“, HAARP o.Ä. in die Welt zu setzen. Eine dieser Tage oft gehörte Behauptung lautet: “Es gibt immer mehr schlimme Erdbeben! Wir steuern auf eine große Katastrophe zu!” Stimmt das?
Nun, man könnte zumindest diesen Eindruck gewinnen. Gerade erst im Februar gab es ein schweres Erdbeben in Neuseeland mit großem Schaden und vielen Toten und jetzt das gewaltige Beben in Japan mit all seinen katastrophalen Folgen. Ist das nicht doch irgendwie eine seltsame Häufung?
Um das zu beantworten muss man sich erstmal über ein paar Dinge im Klaren sein. Die Erde ist kein idyllisches Paradies das für uns Menschen gemacht wurde sondern ein geologisch aktiver Planet. Mit Plattentektonik, Vulkanismus und allem drum und dran (übrigens ist diese geologisch Aktivität eine wichtige Voraussetzung dafür, dass überhaupt Leben auf der Erde existieren kann). Und wenn sich die Kontinentalplatten bewegen – was sie ja ständig tun – dann kommt es eben auch zu Erdbeben. Die Erde bebt jeden Tag an vielen verschiedenen Orten. Meistens merkt man nichts davon weil die Beben schwach genug sind. Erst vor ein paar Tagen bebte beispielsweise die Erde in Bonn. Aber außer den empfindlichen Geräten der Geophysiker hat das niemand gemerkt. Wenn die breite Öffentlichkeit etwas von Erdbeben erfährt, dann nur von den schweren Beben.
Aber was ist ein “schweres Beben”? Das schwere Beben in Neuseeland das so viele Todesopfer gefordert hat und so großen Schaden anrichtete, hatte beispielsweise “nur” eine Stärke von 6.3. Aber es hat eben ein dicht besiedeltes Gebiet betroffen und dementsprechend verheerende Folgen gehabt. Letzte Woche fand ein Beben der Stärke 6.5 in Papua-Neuguinea statt das aber kaum Schäden anrichtete und dementsprechen wenig mediale Aufmerksamkeit fand. Was wir als “schweres Beben” wahrnehmen und was nicht ist also nicht nur rein eine Frage der Erdbebenstärke. Es kommt auch sehr stark darauf an, wo das Beben stattfindet. Der Großteil der Erde ist unbewohnt und viele Beben die dort stattfinden und die anderswo großen Schaden angerichtet hätten bemerken wir (wenn wir nicht zufällig Geophysiker sind) genausowenig wie die Minibeben (z.B. das oben erwähnte aus Bonn) die unsere Welt täglich erschüttern.
Will man also hier irgendwelche halbwegs brauchbaren und objektiven Antworten auf die Frage nach Erdbebenhäufigkeiten haben, dann darf man sich nicht auf den Eindruck verlassen den man durch die mediale Aufarbeitung von Erdbeben bekommt sondern muss sich auf vernünftige Statistiken beziehen. Solche findet man zum Beispiel beim US Geological Survey oder beim GFZ Potsdam (ich werde mich hier in diesem Artikel immer auf die Zahlen des USGS beziehen).
Erdbeben zeichnet man schon seit langer Zeit auf und macht man eine entsprechende Statistik, dann sieht man, dass sich beispielsweise jedes Jahr auf der Erde etwa 1,3 Millionen Beben mit Stärken zwischen 2 und 2.9 ereignen. Wie gesagt, davon kriegen wir normalerweise nichts mit, weil sie viel zu schwach sind um von uns ohne technische Hilfsmittel bemerkt zu werden. Beben mit einer Stärke zwischen 6 und 6.9 – also so wie das Beben in Neuseeland – finden statistisch gesehen etwa 134 Mal im Jahr statt. Und auch mit wirklich schweren Beben der Stärke 8 und größer – so wie das in Japan – ist statistisch einmal pro Jahr zu rechnen.
Erdbeben finden also immer statt und wenn wir Menschen Pech haben, dann trifft es ein dicht besiedeltes Gebiet und die Folgen werden katastrophal (viele Ballungsräume wie z.B. Tokyo oder Los Angeles liegen ja auch noch mitten in extrem erdbebengefährdeten Gebieten). Wie sieht es aber nun mit der Häufigkeit aus? Werden die schweren Beben mehr oder nicht? Die kurze Antwort: Nein! (Ich habe hier schonmal ein wenig dazu geschrieben).
Ich habe hier mal die Zahlen aus der USGS-Statistik der Jahre 2000 bis 2010 zusammengefasst (die Tabelle enthält nur Beben mit einer Stärke größer als 5 weil die kleineren Beben vom USGS seit einigen Jahren nicht mehr weltweit gemessen werden):
Sieht das so aus, als würden die Beben immer mehr werden? Nicht wirklich, oder. Ich habe hier nochmal die Anzahl der Beben der Stärke 6 bis 6.9 (hierzu gehört auch das Beben in Neuseeland) grafisch zusammengefasst:
Auch so sieht das nicht wirklich nach einem dramatischen Anstieg der Erdbebenhäufigkeit aus (Übrigens: es kann durchaus sein, dass man in solchen Statistiken bei schwächeren Beben einen leichten Anstieg der Häufigkeit sieht. Das liegt aber nicht daran, dass es immer mehr Beben gibt – sondern dass wir immer mehr davon messen können weil es eben auch immer bessere Meßgeräte gibt die an immer mehr Orten der Erde platziert werden). Eine entsprechende Grafk für Beben der Stärke 8 und größer wie in Japan spare ich mir mal – hier sind die Zahlen ja recht übersichtlich. So schlimm das Beben in Japan auch war, es ist – leider – auch normal für die Erde, in dieser Stärke zu beben. In der Liste der stärksten Beben, die man seit 1900 gemessen hat, landet das Beben von Japan auf Platz 5. Stärker als jetzt in Japan bebte die Erde beispielsweise beim “Kafreitagsbeben” 1964 in Alaska oder beim Erdbeben von Valdivia im Jahr 1960, dem stärksten je gemessenen Beben (9.5).
Wenn aber – auch starke – Erdbeben normal sind (zumindest normal im geophysikalischen Sinn; sicher nicht “normal” für die Betroffenen) und die Zahlen zeigen, dass sie nicht häufiger werden: warum haben dann so viele Menschen diesen Eindruck? Meine These: es liegt an der veränderten Art und Weise der Berichterstattung.
Wenn heute irgendwo auf der Welt eine Katastrophe (oder Revolution, ein Krieg, o.Ä.) stattfindet, dann können wir von der Sicherheit unserer Sofas oder Schreibtische aus trotzdem quasi live mitten dabei sein. Dutzende Fernsehsender berichten live vor Ort und teilweise rund um die Uhr. Das Internet, vor allem Dienste wie Facebook und Twitter, bringen ständig neue Infoschnipsel in Echtzeit; wir können uns bei YouTube Minuten nach dem Ereigniss die ersten Videos von Augenzeugen ansehen. Wir fühlen uns nicht mehr nur als passive Beobachter einer Katastrophe; wir fühlen uns selbst betroffen; wir können live mitverfolgen wie sich die Dinge entwickeln; wir bekommen jede Spekulation sofort über verschiedenste Nachrichtenkanäle übermittelt…
Wie war das wohl beim Beben 1960 in Chile? Auch das war ein dramatisches und tragisches Ereignis bei dem tausende Menschen starben und Millionen obdachlos wurden. Aber damals gab es keine Liveberichterstattung direkt aus der Region die weltweit empfangen wurde. Damals gab es keine dutzenden Kabelfernsehprorgramme die berichten – 1960 hatte man vielleicht noch nicht mal einen Fernsehapparat zuhause. Wenn man fern von Chile überhaupt etwas von dem Beben mitbekommen hatte, dann durch eine Nachrichtensendung der Öffentlich-Rechtlichen und durch Artikel in Zeitungen. Alles wesentlich unaufgeregter als die heutigen Medien. Man muss aber gar nicht so weit zurück gehen. Selbst vor 15 Jahren (oder auch nur 5) war die Situation eine ganz andere. Flächendeckenden Internetzugang und Computer in jedem Haushalt gibt es erst seit wenigen Jahren. Nachrichtenverbreitung via Twitter ist noch jünger – aber so wie alle neuen technischen Entwicklungen, gerade was Computer angeht, werden sie für uns so schnell zum Alltag das wir uns kaum noch an die Zeit erinnern, als es anders war. Heute nicht sofort und live im Internet und Fernsehen informiert zu werden wenn in Japan die Erde bebt oder ein Atomkraftwerk vor dem GAU steht ist für uns alle unvorstellbar – früher war das aber Alltag. Und genau diese Allgegenwärtigkeit der Information; das Unmittelbare und das “Mitten-Drin-Sein” ist meiner Meinung nach der Grund, dass wir einen viel stärkeren Bezug zu diesen Katastrophen aufbauen als es früher der Fall gewesen wäre. Auch die entlegensten Ereignisse “betreffen” uns und da auf der Erde immer etwas passiert (Naturkatastrophen, Revolution, Krieg, Flugzeugabstürze, Unfälle, etc) und wir dank Internet und Medien immer mitten drin stecken haben wir vielleicht aus das Gefühl, es würde alles immer schlimmer (und wenn dann auch noch gerade wieder mal die Weltuntergangshysterie grassiert ist das auch nicht hilfreich).
Darum ist es auch nochmal extra wichtig, hier nicht nur rein auf sein Gefühl und den subjektiven Eindruck den man beim Konsum der Medien bekommen hat zu vertrauen. Man muss sich solchen Fragen objektiv nähern; wissenschaftlich. Denn nur dann ist sichergestellt, dass man auch tatsächlich alle Fakten berücksichtigt hat und nicht der selektiven Wahrnehmung auf den Leim gegangen ist. Was die Beben angeht zeigen die Zahlen klar: die Häufigkeit von Erdbeben wird nicht größer.
(Disclaimer: Ich bin Astronom und kein Geophysiker oder Statistiker. Mein Beitrag hier ist daher keine Expertenmeinung sondern fasst meine persönlichen Gedanken zu diesem Thema zusammen und beruht auf Fakten und Zahlen die auch jedem anderen zugänglich sind und Überlegungen die auch jeder/jede andere anstellen kann.)
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