Wenn sich die beobachtenden Astronomen bei einer Konferenz treffen, dann erzählen sie nicht nur von den Dingen, die sie am Himmel gesehen haben, sondern auch von neuen Teleskopen die sie bauen wollen oder von besseren Messinstrumenten, die gerade entwickelt werden. Wenn sich die Himmelsmechaniker treffen, dann reden sie über Mathematik. Denn unsere Instrumente zur Datengewinnung sind der Computer und die Mathematik. Deshalb gibt es in diesem Bereich neben den Astronomen auch viele Mathematiker und beide beschäftigen sich oft intensiv mit der Entwicklung und dem Testen neuer mathematischer Methoden.
Über genau so eine Methode hat heute Veresa Eybl von der Universitätssternwarte Wien gesprochen. Der Titel ihres Vortrags lautete “The use of mapping methods for systems in mean motion resonance” und keine Angst: das klingt schlimmer als es ist 😉
Natürlich ist es tatsächlich ein wenig schwer, solche speziellen Themen so zu erklären, dass sie auch jemand ohne Hintergrundwissen versteht. Wenn ich jetzt sage, dass Veresa sich mit annähernd integrablen Hamiltonsystemen beschäftigt hat deren Störungsfunktion sie mittelt, dann die Hamiltonfunktion erweitert, Koordinatentransformationen durchführt und sich daraus schließlich eine Erzeugunsfunktion für die Hadjidemtriou-Mapping-Methode bastelt, dann wird das einige vielleicht etwas ratlos zurück lassen 😉 Aber wenn man das ein wenig aufdröselt, dann ist das Prinzip nicht allzu schwer zu verstehen.
Zu allererst muss man wissen, was ein Phasenraum ist. Das habe ich schonmal detailliert in meiner Serie über Chaostheorie erklärt. Ich wiederhole es aber nochmal kurz: jedes dynamische System hat eine gewisse Anzahl an freien Parametern. Ein Pendel zum Beispiel hat eine Geschwindigkeit und einen Winkel, der die Auslenkung aus der Vertikalen angibt. Diese zwei Größen bestimmen das System vollständig und beide Parameter bilden den Phasenraum. Also in diesem Fall einen abstrakten Raum mit zwei Dimensionen in dem jeder Punkt einem Wertepaar von Geschwindigkeit/Auslenkung entspricht. Jetzt kann so ein dynamisches System natürlich mehr als zwei Parameter haben die nötig sind, um es vollständig zu beschreiben. Will man wissen, wie sich ein Asteroid unter dem Einfluss zweier großer Massen – zum Beispiel Sonne und Jupiter – bewegt, dann hat gibt es hier im einfachsten Fall vier Parameter die die Bewegung des Satelliten beschreiben: zwei Ortskoordinaten und zwei Geschwindigkeitskoordinaten (wir bleiben erstmal im ebenen Raum und ignorieren die dritte Dimension). Diese sogenannte eingeschränkte Dreikörperproblem ist es auch, dass sich Veresa angesehen hat.
So ein System kann man dann auch durch eine Hamiltonfunktion beschreiben. Das ist eine mathematische Funktion, die – simpel gesagt – gebildet wird, in dem man die Gesamtenergie (also kinetische und potentielle Energie) des Systems in Abhängigkeit der freien Parameter aufschreibt. Solche Hamiltonfunktionen sind sehr wichtig denn aus ihnen kann man äußerst einfach die Bewegungsgleichungen des Systems bestimmen; also die Gleichungen, mit denen man dann tatsächlich ausrechnen kann, wie sich der Asteroid im Laufe der Zeit bewegt.
In meiner Serie über Störungsrechnung habe ich schonmal erklärt, dass es oft sinnvoll ist, sich ein dynamisches System zusammengesetzt zu denken: aus einem mathematisch leicht verständlich und behandelbaren Teil und einem komplizierten. Bei der Bewegung der Himmelskörper ist dieser leichte Teil – der “ungestörte Teil” – der, den schon Kepler beschrieben hat. Er fand damals heraus, dass sich die Himmelskörper in elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen. Und das stimmt auch, allerdings nur dann, wenn man die gegenseitigen gravitativen Störungen der Objekte vernachlässigt. Das kann man aber normalerweise nicht immer tun und deswegen braucht man noch einen “gestörten Teil” der genau diese Effekte beinhaltet. Mathematisch werden die durch die sogenannte Störungsfunktion beschrieben. Das war auch der Ausgangspunkt von Veresas Arbeit.
Jetzt kann man natürlich einfach weitermachen und die so gewonnenen Gleichungen z.B. mit numerischen Methoden am Computer näherungsweise lösen. So bekommt man zwar auch Ergebnisse, man kriegt als Output aber einfach nur ein paar Zahlen und verliert die Möglichkeit, direkt in den Gleichungen nach interessanten physikalischen Zusammenhängen zu suchen. Deswegen lohnt es sich oft, die Gleichungen mit mathematischen Methoden zu vereinfachen. Eine solche Methode sind sogenannte “Mappings”. Was das ist, habe ich auch schon mal ausführlich erklärt. Normalerweise könnte ja man einfach den Phasenraum benutzen, um dort alles Interessante über das System herauszufinden. Aber wenn der mehr als drei Dimensionen hat, dann wird es schwierig, das alles vernünftig zu visualisieren. Deswegen bedient man sich oft einer Technik, die man “Surface of Section (SoS)” nennt (und die auf Henri Poincaré zurück geht, der Ende des 19. Jahrhunderts die moderne Chaostheorie begründet hat). Wenn man aus einem Phasenraum eine SoS gewinnen will, dann betrachtet man nicht mehr den kompletten Raum, sondern nur den Schnittpunkt des vierdimensionalen Raums mit einer Ebene und kann so die Dimensionalität des Raums reduzieren. Man verliert dabei keine relevanten Informationen; in der SoS “>kann man immer noch die verschiedenen dynamischen Zustände des Systems unterscheiden.
Um so eine SoS zu bekommen, muss man allerdings immer noch die kompletten Bewegungsgleichungen des Systems berechnen und das kann oft lange dauern. Besser wäre es, man hätte eine Abkürzung, mit der sich aus einem Punkt der SoS direkt der nächste bestimmen lässt, ohne das man erst mühsam alle Punkte dazwischen auch noch ausrechnen muss. Genau so was leistet ein Mapping und genau deswegen sind sie auch so praktisch! Aus den Bewegungsgleichungen eines dynamisches Systems die Gleichungen eines Mappings zu bestimmen ist allerdings dann doch schwierige Mathematik. Ausgangspunkt ist die schon oben erwähnte Hamiltonfunktion die aus einem gestörten und einem ungestörten Teil zusammengesetzt ist. Diese Störungsfunktion wird dann gemittelt um die Dinge ein wenig einfacher zu machen. Das geht, in dem man zum Beispiel spezielle Koordinaten benutzt. Veresa hat dazu eine Abart der Delaunay-Elemente genommen die wiederum eine Variation der wesentlich geläufigeren Bahnelemente sind (also die sechs Zahlen, mit denen sich die Bahn eines Himmelskörpers beschreiben lässt). Hat man so eine neue Hamiltonfunktion bekommen, mittelt man die nun über die Bewegung des Körpers der den Asteroiden gravitativ stört – in diesem Fall ist das Jupiter.
Im weiteren Verlauf hat sich Veresa nun auf die Bewegung der Asteroiden in sogenannten Resonanzen konzentriert. Eine Resonanz tritt dann auf, wenn die Umlaufgeschwindigkeit eines Asteroiden in einem ganzzahligen Verhältnis zur Umlaufbahn eines anderen Körpers steht. Wenn z.B. ein Asteroid genau dreimal um die Sonne läuft während Jupiter einen Umlauf beendet, dann spricht man von einer “3:1”-Resonanz. Hier habe ich die Sache mit den Resonanzen im Detail erklärt. Resonanzen sind äußerst wichtig wenn man die Dynamik von Himmelskörpern verstehen will denn sie können gravitative Störungen entweder besonders verstärken und so zu chaotischen Zuständen führen oder aber Himmelskörpern vor genau solchen Störungen schützen. Veresa hat nun also die Hamiltonfunktion nochmal geändert um so genau die Bewegung von Asteroiden in der 3:1 Resonanz mit Jupiter zu beschreiben. Nach ein paar weiteren eher technischen mathematischen Manipulationen landet man schließlich bei einer Funktion, die man “generating function” nennt. Diese Funktion kann man nun mit einer speziellen Technik (in diesem Fall die Methode von Hadjidemtriou; ein Himmelsmechaniker aus Griechenland der übrigens ebenfalls an dieser Konferenz teilnimmt) so verwenden, dass man am Ende ein Mapping enthält.
Dieses Mapping besteht nun aus Gleichungen, bei denen man nur noch einen Punkt der Surface of Section als Input reinstecken muss um sofort und direkt den nächsten Punkt der Surface of Section zu erhalten. Man spart sich so die ganze aufwendige Rechnung des kompletten Phasenraumorbits und man spart eine Menge Zeit. Um die Dynamik eines Asteroiden während 150000 Umläufen des Jupiters zu berechnen, brauchte Veresa mit einem normalen Computer nur knapp 2 Minuten und das ist dann doch ziemlich fix.
Und warum macht man das alles? Weil man die Asteroiden besser verstehen will. Die Resonanzen sind zum Beispiel die Ursache, warum es im Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter so viele Lücken gibt. Die Resonanzen verstärken die gravitative Störung der Asteroiden in den entsprechenden Regionen und erhöhen deren Exzentrizitäten, d.h. die Bahnen wandeln sich von einer eher kreisförmigen Bahn zu einer stark elliptischen was dazu führt dass sie in die Nähe von anderen Planeten kommen – zum Beispiel Mars. Der kann sie dann mit seiner Anziehungskraft komplett aus dem Asteroidengürtel holen und zu erdnahen Asteroiden machen. Am Ende bleibt im Asteroidengürtel eine Lücke; genau dort, wo die Resonanz am stärksten wirkt. Man ist nun natürlich daran interessiert wie effizient dieser Mechanismus ist: wie schnell können die Exzentrizitäten anwachsen?
Formuliert man diese Frage mathematisch/dynamisch, dann lautet die Frage: gibt es im Phasenraum Verbindungen zwischen bestimmten Bereichen? Zum Beispiel dem Bereich, in dem die Asteroiden eher kleine Exzentrizitäten haben und dem, in dem die Exzentrizitäten größer sind. Denn der Phasenraum eines dynamischen Systems besteht ja im Allgemeinen aus Bereichen die reguläre, geordnete Bewegung beschreiben und Gegenden, in denen die Bewegung chaotisch ist. Befindet sich nun ein Asteroid in einem ordentlichen Bereich, dann bleibt er normalerweise auch dort und kann zum Beispiel nicht rauskommen, sich durch die chaotische Gegend schummeln und dann einen anderen regulären Bereich betreten. Wenn zwei reguläre Bereiche aber verbunden sind, dann geht das und sowas sieht man sofort und schnell mit Mappings.
Deswegen sind sie so wichtige Werkzeuge in der Himmelsmechanik und deswegen beschäftigen sich Astronominnen wie Veresa auch so intensiv mit der Mathematik die dahinter steckt! Die mag zwar manchmal ein wenig schwer zu verstehen sein (wenn die Mappingbastler so richtig loslegen, dann verstehe ich auch meistens nur Bahnhof 😉 ) – aber ohne sie wüssten wir wesentlich weniger über die Dynamik von Himmelskörpern!
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