Schwarze Löcher gehören zu den astronomischen Objekten, an denen die Öffentlichkeit sehr große Interesse zeigt. Sie eignen sich wunderbar zum Spekulieren, sie haben ihren fixen Platz in Science-Fiction Geschichten, regen die Fantasie der Menschen an und machen ihnen auch ein bisschen Angst. Leider – oder vielleicht gerade deswegen – sind die allgemeinen Vorstellungen über schwarze Löcher durchsetzt von Mißverständnissen.
Am weitesten verbreitet ist die Vorstellung, dass schwarze Löcher einfach gnadenlos alles aufsaugen, was so im All rumschwirrt. Schwarze Löcher sind aber keine Staubsauger – sie üben wie jedes andere Objekt im Universum zwar auch eine anziehende Gravitationskraft aus, aber sie “saugen” nicht. Würde man die Sonne durch ein gleich schweres schwarzes Loch ersetzen, dann würde sich für die Erde genau nichts ändern (abgesehen davon dass es plötzlich dunkel und kalt würde). Sie würde weiterhin ihre Runden drehen; diesmal eben um das schwarze Loch. Die besonderen physikalischen Effekte des schwarzen Lochs entstehen durch dessen extreme Dichte und man bemerkt erst etwas davon, wenn man sich dem sogenannten “Ereignishorizont” nähert. Das ist die Grenze hinter der nichts mehr der Anziehungskraft des schwarzen Lochs entkommen kann. Egal wie schnell man sich bewegt – selbst wenn es mit Lichtgeschwindigkeit ist – man wird die Fluchtgeschwindigkeit nicht mehr erreichen und ist im schwarzen Loch gefangen.
Ein zweites Mißverständnis ist die Vorstellung des schwarzen Lochs als “Loch”. Im Prinzip ist sie nicht ganz falsch. Betrachtet man die klassischen populärwissenschaftlichen Vorstellungen der Raumzeit als zweidimensionale Fläche in der von Massen wie Sterne und Planeten Dellen erzeugt, dann kann man ein schwarzes Loch schon als eine Art “Loch” betrachten. Aber eigentlich ist es auch “nur” ein ehemaliger Stern der im Zuge einer Supernova-Explosion am Ende seines Lebens enorm stark komprimiert wurde. Dieses extrem dichte Objekt nennt man “Singularität” und es sitzt im Zentrum der Region die durch den Ereignishorizont definiert wird. Was aber passiert nun mit dem Material das den Ereignishorizont überschreitet? Fällt es sofort auf die Singularität?
Nicht unbedingt, meint Vyacheslav Dokuchaev von der russischen Akademie der Wissenschaften. Er hat eine (nicht peer-reviewte) Arbeit veröffentlicht die den spannenden Titel “Is there life inside black holes?” trägt. Ich bin kein Experte für die komplizierte Physik und Mathematik schwarzer Löcher und verstehe den Artikel daher nur teilweise – aber im Prinzip geht es um die Vorgänge in geladenen schwarzen Löchern. Denn neben seiner Masse ist die elektrische Ladung die zweite Eigenschaft die ein schwarzes Loch haben kann. Man wusste noch schon länger, dass hinter dem Ereignishorizont von rotierenden, geladenen schwarzen Löcher stabile periodische Bahnen um die Singularität möglich sind. Auf diesen Bahnen können dann beispielsweise Photonen um die Singularität kreisen anstatt auf sie zu stürzen.
Dokuchaev hat sich das nochmal genauer angesehen und probiert herauszufinden, welche Arten von Bahnen es dort nun wirklich gibt. Das ist wesentlich komplizierter als wenn man einfach nur nach stabilen Orbits um einen normalen Stern sucht. Beim schwarzen Loch muss man nicht nur die Gravitation berücksichtigen sondern auch die elektrische Ladung. Und man muss sich mit den seltsamen Dingen herumschlagen die das schwarze Loch mit den Dimensionen der Raumzeit anstellt. Da werden Raumdimensionen zu Zeitdimensionen (ein weiterer Grund, warum man nicht mehr aus dem Loch rauskommt wenn man mal drinnen ist: die entsprechende Richtung existiert einfach nicht mehr) und alles wird sehr verwirrend.
Ein schwarzes Loch hat aber neben dem Ereignishorizont noch einen weiteren, inneren Horizont. Der nennt sich “Cauchy-Horizont” und das “Lexikon der Astrophysik” (verfasst von Andreas Müller, Experte für schwarze Löcher) definiert ihn so:
“Eine Cauchy-Fläche ist eine Hyperfläche einer Raumzeit, die eine kausale Kurve exakt nur einmal schneiden kann.”
Tja… klingt simpel, nicht wahr? 😉 Worum es sich hier genau handelt ist mir selbst auch ein wenig unklar. Aber es handelt sich um eine Fläche, die ein wenig wie eine halbdurchlässige Membran funktioniert: man kann sie nur einmal durchqueren und dann bleibt man drinnen. Eine “kausale Kurve” ist eine “Weltlinie” als die Bahn, der ein Objekt durch die Raumzeit folgt. Innerhalb dieses Cauchy-Horizonts jedenfalls wird es wieder einfacher mit den stabilen Bahnen, meint Dokuchaev und die Verwirrung mit den vertauschten Dimensionen verschwindet. Dort konnte er nun einige stabile Bahnen um die Singularität finden auf der sich Planeten bewegen können – die aber natürlich völlig anders aussehen als die Planetenbahnen bei normalen Sternen. Mit den guten alten Keplerschen Gesetzen hat das hier nichts mehr zu tun:
Das rote in der Mitte ist die Singularität, die blaue Kurve stellt die Bahn eines Planeten dar und die bunte Linie zeigt die Bahn eines Photons. Dokuchaev kommt in seiner Arbeit dann zu einer interessanten Schlussfolgerung:
“The advanced civilizations may live safely inside the supermassive BHs in the galactic nuclei without being visible from outside. The naked central singularity lluminates the orbiting planets and provide the energy supply needed for living. An dditional highlighting at night come from the eternally circulating photons.”
Eine fortgeschrittene Zivilisation könnte seiner Meinung nach also im supermassiven schwarzen Loch im Zentrum einer Galaxie leben. Die Singularität würde die Planeten dort beleuchten und ausreichend Energie liefern; zusätzlich gäbe es noch Licht von den Photonen, die die Singularität umkreisen.
Was ist davon zu halten? Nun ja… Dokuchaev nennt selbst einige mögliche Probleme. Man muss eventuell mit Kausalitätsproblemen klar kommen und es können durch die eingefangenen Photonen sehr hohe Energiedichten erzeugt werden. Und dann wäre da noch die enorm starken gravitativen Gezeitenkräfte. Ich persönlich frage mich ja, wie Planeten dort überhaupt hinkommen sollen. Wurden die komplett und unversehrt vom schwarzen Loch eingefangen? Haben sie sich dort aus diversen Bruchstücken neu gebildet? Hat die fortgeschrittene Zivilisation sie absichtlich dorthin transportiert? Und wie ist das mit den Effekten in der Nähe des Cauchy Horizonts? Andreas Müller schreibt im Lexikon der Astrophysik:
“Gelangt nun ein Beobachter auf einer Geodäte hinter den Cauchy-Horizont, so wird er Zeuge, wie die gesamte Geschichte der Außenwelt in Zeitraffer abläuft. Denn er erreicht eine Region unendlicher Blauverschiebung. Dummerweise wird er dann auch von einem energetisch betrachtet unendlichen Strahlungsblitz getroffen.”
Inwiefern Dokuchaevs Arbeit für ein besseres Verständnis der schwarzen Löcher interessant ist, kann ich nicht beurteilen, das sollen die Experten machen. Was die Frage nach Leben hinter dem Ereignishorizont angeht, halte ich den Artikel für zu spekulativ um hier irgendwelche Aussagen machen zu können. Die theoretische Möglichkeit stabiler Planetenbahnen um eine Singularität alleine erklärt noch nicht, wo solche Planeten herkommen sollen und wie Leben sich darauf entwickeln bzw. überhaupt leben kann. Das ist ein Thema, dass man vorerst wohl weiter den Science-Fiction-Autoren überlassen muss. In der hervorragenden “Gateway”-Serie von Frederick Pohl haben beispielsweise die “Heechee” aus Angst vor einem übermächtigen Feind all ihre Planeten in das innere des zentralen schwarzen Lochs unserer Milchstrasse verfrachtet um sich dort zu verstecken. Und Robert Forward erklärt in “Dragon’s Egg” (dt. “Das Drachenei”) und der Fortsetzung “Starquake” äußerst spannend und überzeugend, wie sich Leben auf der Oberfläche eines Neutronensterns (nach einem schwarzen Loch das zweitdichteste Objekt im Universum) entwickeln und abspielen könnte (Martin hat das Buch rezensiert). Vielleicht inspiriert ja die Arbeit von Dokuchaev ja den einen oder anderen Science-Fiction-Autor dazu, eine neue spannende Geschichte zu schreiben!
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