Ich muss euch unbedingt ein absolut geniales Buch ans Herz legen! Es heisst “How I Killed Pluto and Why It Had It Coming” und wurde von Mike Brown geschrieben. Bei Twitter trägt er den Namen @plutokiller – und das durchaus zu Recht! Denn er war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Pluto seit einigen Jahren kein Planet mehr ist.
Manche mögen sich wundern. Warum ist Mike Brown so “stolz” darauf, Pluto gekillt zu haben und tritt selbst unter dem Namen “Plutokiller” auf? Sollte er nicht eigentlich wahnsinnig deprimiert sein, dass Pluto kein Planet mehr ist? Denn immerhin hat er im Jahr 2005 Eris entdeckt. Dieser Himmelskörper ist größer als Pluto (dachte man zumindest damals; heute sieht es so aus, als wären beide etwa gleich groß. Hätte man Pluto als Planet behalten, dann hätte man auch Eris zu einem Planeten machen müssen. Mike Brown wäre dann das einzige lebende Mitglied im sehr exklusiven Klub der Planetenentdecker gewesen (dem nur noch 3 weitere ehemalige Mitglieder angehören: Wilhelm Herschel, Urbain Le Verrier und Clyde Tombaugh).
Aber, und ich hab das schon in mehreren Artikeln erklärt: das wäre eine dumme Entscheidung gewesen. Pluto hätte niemals als Planet bezeichnet werden dürfen. Man wusste halt damals nicht, dass Pluto nur ein Objekt mitten im großen Kuipergürtel ist und eigentlich das Wort “Planet” gar nicht verdient. So war es ja auch beim Asteroiden “Ceres”. Als der 1801 entdeckt wurde, sprach man selbstverständlich von einem neuen Planeten. Auch als dann kurz danach weitere Objekte auf fast den gleichen Bahnen gefunden wurden – Pallas, Juno, Vesta, … – wurden sie noch als Planeten bezeichnet. Es brauchte einige Jahrzehnte und die Entdeckung einer ganzen Handvoll dieser “Planeten” bis sich die Erkenntniss durchsetzte, dass es sich hier um einen Asteroidengürtel handelt und Ceres nur dessen größtes Mitglied ist. Als Pluto 1930 entdeckt wurde konnte ebenfalls noch niemand wissen, dass er seine Runden um die Sonne nicht alleine zieht. Erst 1992 fand man das erste (bzw. zweite) Objekt des Kuipergürtels (ein weiterer Asteroidengürtel). Spätestens da war eigentlich klar, dass die Bezeichnung “Planet” für Pluto irreführend ist und als Mike Brown dann tatsächlich einen Asteroiden im Kuipergürtel fand, der größer als Pluto war, musste irgendwas geschehen. Im Jahr 2006 entschieden die Astronomen, dass Pluto kein Planet mehr ist. Absolut zu Recht und zu den großen Befürwortern dieser neuen Regelung gehört Mike Brown.
Wer genau wissen will, warum Mike Brown glücklicher ist, dass Pluto kein Planet mehr, der kann das in seinem Buch detailliert nachlesen. Es ist ein sehr gutes Buch und sehr spannend noch dazu. Brown erzählt hier die ganze Geschichte. Wie er damals überhaupt auf die Idee gekommen ist, neue “Planeten” im äußeren Sonnensystem suchen zu wollen. Wie frustierend diese Suche war und mit welchen Problemen er sich herumschlagen musste. Wie er schließlich doch erfolgreich wurde und reihenweise große Objekte fand. Die Aufregung, als er und seine Kollegen endlich einen Himmelskörper entdeckte, der größer als Pluto war…
Das Buch ist ein sehr persönliches Buch. Aber das ist gut so, es macht alles nur noch spannender. Anstatt einfach nur die wissenschaftlichen Fakten verständlich aufzubereiten, erzählt Brown die Geschichte seiner Arbeit auf einem äußerst persönlichen Level. Man versteht dabei die Fakten genauso gut – bekommt aber außerdem noch einen wunderbaren Einblick in das (Alltags)Leben eines Astronomen. Teilweise ist das spannend wie in einem Krimi. Teilweise war es ein Krimi! Brown und seine Kollegen entdeckten im Dezember 2004 ein sehr großes Objekt im Kuipergürtel. Wegen der terminlichen Nähe zu Weihnachten bekam es den Spitznamen “Santa”. Brown wollte das Objekt erstmal in Ruhe untersuchen, seine wichtigsten Eigenschaften feststellen und dann einen wissenschaftlichen Artikel dazu veröffentlichen mit dem die Existent von Santa offiziell wissenschaftlichen Gemeinde verkündet wird. Das normale Vorgehen in der Wissenschaft eben. Der Artikel war fast fertig und einen Tag vor der Veröffentlichung als Browns Tochter Lilah geboren wurde. Verständlicherweise hatte er erstmal wenig Gedanken für die Arbeit übrig. Man kann sich also vorstellen, wie schockiert Brown war, als er drei Wochen später feststellte, dass Wissenschaftler aus Spanien, die bisher noch keinen einzigen Kuiper-Asteroiden entdeckte hatten, plötzlich den Fund eines Objekts publizierten, das eindeutig mit “Santa” identisch war. Aber so kommts halt manchmal. In der Wissenschaft zählt die erste Publikation. Brown hatte sich zwar geärgert – aber zu diesem Zeitpunkt wusste er schon, dass er noch “Easterbunny” und “Xena” in Reserve hatte – zwei weitere große Objekte und “Xena” war sogar größer als Pluto. Das die Spanier ihm Santa weggeschnappt hatten war zwar ärgerlich aber nicht allzu tragisch und Brown gratulierte den Spaniern zu ihrem Fund. Die Story wurde allerdings noch obskurer. Brown und seine Kollegen wollten über Santa auf einer nahenden Konferenz sprechen und es waren schon entsprechende Vortragsankündigungen veröffentlicht worden. Darin war natürlich keine konkrete Information über das Objekt enthalten, es wurde nur die arbeitsgruppeninterne Klassifikationsnummer von Santa erwähnt. Diese Ankündigungen wurden publiziert, kurz bevor die Spanier ihren Fund bekannt gaben. Brown wurde dann doch ein wenig mißtrauisch und schaute einfach mal nach was passiert, wenn man die interne Bezeichnung von Santa die eigentlich nur für Brown und seine Kollegen Sinn machte, in eine Internetsuchmaschine eintippt. Überraschenderweise erhielt man als Ergebnis einen Link zu einer automatisch erstellten Seite einer Teleskopkamera die aufzeichnete, wann und wie das Teleskop ausgerichtet war (und die eigentlich gar nicht frei zugänglich sein sollte). Mit diesem Teleskop hatte Brown Santa beobachtet und man konnte dort also genau die Position des Asteroiden ablesen. Mit ein wenig weiterer Nachforschung konnte festgestellt werden, dass diese Seite in den Tagen vor der Entdeckung Santas durch die Spanier von Rechnern mit spanischen IP-Adressen aufgerufen wurden; Adressen, die genau den Computern der beiden “Entdecker” entsprachen. Es sah also ganz danach aus, als hätten sie – angeregt durch die Vorlesungsankündigung – einfach mal die Bezeichnung gegoogelt, so die Koordinaten von Santa herausgefunden, daraufhin ihre alten Himmelsaufnahmen nach diesem Objekt durchsucht und die Entdeckung als ihre eigene ausgegeben. Offiziell gab es nie ein Statement oder Schuldeingeständnis von der spanischen Gruppe. Auch die internationale astronomische Union (IAU) hat sich hier nicht getraut, eine klare Aussagen zu machen. Als es darum ging, Santa einen offiziellen Namen zu geben, wollten die Spanier ihr Recht als “Entdecker” wahrnehmen und ihn Ataecina nennen. Brown intervenierte und schlug den Namen Haumea vor. Die IAU brauchte einige Jahre um sich zu einer Entscheidung durchzuringen. Santa heisst heute offiziell Haumea. Man scheint also doch Brown als Entdecker anerkannt zu haben. Auf der IAU-Seite zu den Planetennamen gibt es allerdings keinen Entdecker. Die entsprechende Spalte wurde leer gelassen. Dafür ist als Entdeckungsort das Teleskop in Spanien angegeben…
Browns Buch ist voller spannender Stories dieser Art. Schön zu lesen sind auch die Geschichten über das Familienleben. Da die Gefahr bestand, dass auch Browns andere Entdeckungen – “Easterbunny” und “Xena” (die heute offiziell als Makemake und Eris bekannt sind) – geklaut werden, entschied er sich, sie so schnell wie möglich bekannt zu machen. Die Entdeckung von Xena, des “10. Planeten” – natürlich konnten die Medien nicht anders als ihn so zu bezeichnen obwohl Brown damit nicht so wirklich glücklich war – erzeugte einen gewaltigen Medienrummel und Brown war plötzlich prominent. Und das alles mit einem wenige Monate alten Kleinkind zuhause. Als echter Wissenschaftler, Nerd und leicht hysterischer (ist ja ganz normal 😉 ) Vater eines Babies hat Brown für seine Tochter eine eigene Internetseite eingerichtet und u.a. ihre Schlaf- und Essenszeiten wissenschaftlich ausgewertet 😉
Besorgt euch dieses Buch! Ich hoffe, es kommt auch irgendwann in deutscher Übersetzung raus aber bis dahin: wenn ihr halbwegs englisch lesen könnt, dann lest es! Es erklärt spannend und verständlich viele astronomische Fragen (“Was ist ein Planet”? ist nur die prominenteste davon) und darüber hinaus erhält man einen sympatischen und lesenswerten Einblick in den Alltag und die Gedanken des “Plutokiller”. Ich kann es nur absolut empfehlen!
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