So kanns gehen. Erst vor wenigen Wochen habe ich ausführlich über die Nemesis-Hypothese berichtet. Also darüber, dass die Sonne eventuell einen noch unentdeckten Begleitstern hat der sich ihr in regelmäßigen Abständen nähert und dabei etwa alle 26 Millionen Jahre die Bahnen der Kometen aus den äußersten Bereichen des Sonnensystems so verändert, dass sie auch der Erde nahe kommen bzw. mit ihr kollidieren können. Eine neue Untersuchung des Problems scheint nun aber zu zeigen, das gar kein Bedarf für Nemesis besteht.
Die Sache mit dem unbekannten Begleitsstern hat man sich in den 1980ern natürlich nicht einfach so ausgedacht. Dass die Sonne kein Einzelstern sondern Teil eines Doppelsternsystems sein soll, ist ja doch eine sehr starke Behauptung und dafür gab es gute Gründe. Die Paläontologen David Raup und John Sepkoski untersuchten damals die großen Massensterben in der Vergangenheit (z.B. die Zeit vor 65 Millionen Jahren als die Dinosaurier ausstarben). Dabei stellten sie fest, dass diese Massensterben anscheinend periodisch auftraten, in etwa alle 26 Millionen Jahre. Aber was könnte die Ursache so einer langen Periodizität sein, was könnte alle paar Millionen Jahre fast alles Leben auf der Erde auslöschen? Asteroideneinschläge! lautete die plausibelste Antwort – immerhin wissen wir ja, dass die Dinosaurier durch genau so einen Einschlag ausstarben. Aber es war schwierig, einen plausiblen Mechanismus zu finden, der alle 26 Millionen Jahre für häufigere Asteroideneinschläge sorgt. Der Astronom David Muller schlug Nemesis vor: den Begleitstern der Sonne, der ihr alle 26 Millionen nahe kommt. Zumindest so nahe, um die Bahn der Kometen in der weit entfernte Oortschen Wolke zu stören und sie auf einen Kollisionskurs mit der Erde zu schicken. Weitere Untersuchungen passten gut zur Nemesis-Hypothese. Zum Beispiel schien auch die Verteilung des Alters der Einschlagskrater auf der Erde der 26-Millionen-Jahre-Periode zu folgen.
Genau das aber bestreitet nun Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. In seiner Arbeit mit dem Titel “Bayesian time series analysis of terrestrial impact cratering“ hat er sich dem Problem mit einem neuen statistischen Ansatz genähert (“neu” in Bezug auf die Nemesis-Hypothese; die verwendete statistische Methode existierte schon länger). Es handelt sich dabei um die Bayessche Statistik. Christian hat die Grundlagen in seinem Blog schön zusammengefasst. Kurz gesagt geht es darum, dass man nicht mehr wie üblich eine bestimmte These mit der Nullhypothese vergleicht. Also in unserem Beispiel die These “Asteroidenkrater entstehen mit einer Periode von 26 Millionen Jahren” gegen die Nullhypothese “Asteroidenkrater entstehen völlig zufällig” testet. Wenn die beiden Möglichkeiten – Periode von 26 Millionen Jahre und völliger Zufall – tatsächlich die einzig möglichen Szenarien wären, dann wäre das ja in Ordnung. Aber das ist ja nicht so, es gibt viele verschiedene Alternativen. Die Periode könnte anders sein. Die Einschläge könnten weder zufällig noch periodisch sein sondern im Lauf der Zeit stetig zu- oder abnehmen. Oder es ist eine Mischung aus allem. Solange man nicht mehr über das Problem weiß, ist das alles gleich wahrscheinlich. Beim Bayesschen Ansatz vergleicht man nun alle möglichen Alternativen miteinander und schaut, wie sich die Wahrscheinlichkeit ändert, wenn man die Beobachtungsdaten mit einbezieht. Das kann im konkreten Fall natürlich ziemlich knifflig sein und wer mehr über die Details wissen will, der liest am besten den Artikel von Bailer-Jones; da ist das alles ausführlich erklärt.
Uns interessieren hier vor allem die Ergebnisse. Immerhin haben ja jede Menge wissenschaftliche Arbeiten der letzten Jahrzehnte (Bailer-Jones listet sie alle in seinem Artikel auf) Periodizitäten in der Altersverteilung der Krater gefunden. Haben die alle Unsinn geredet? Nicht unbedingt, mein Bailer-Jones – aber mit der Standardstatistik sei es einfach, dort Perioden zu sehen, wo eigentlich keine sind bzw. sei es schwierig, die Signifikanz gefundener Perioden einzuschätzen. Außerdem sind Kraterdaten schwierige Daten. Sie sind nicht komplett – wir haben ja mit Sicherheit nicht alle Krater gefunden die jemals auf der Erde geschlagen wurden. Sie lassen sich oft schlecht datieren und es ist schwierig, Fehlergrenzen anzugeben. Krater verschwinden durch die Erosion im Laufe der Zeit wieder und umso schneller, je kleiner sie sind. Das alles führt dazu, dass es schwierig ist, die richtigen Daten für seine Untersuchungen auszuwählen und es ist leicht, dabei bewusst oder unbewusst Fehler zu machen die am Ende genau zu den Ergebnissen führen die man gerne hätte. Bailer-Jones selbst hat für seine Untersuchung alle Krater der Earth Impact Database berücksichtigt, deren Alter bekannt war (und für das Fehlergrenzen angegeben wurden). Außerdem wurden nur Krater verwendet, die jünger als 250 Millionen Jahre waren und deren Durchmesser mehr als 5 Kilometer beträgt. Davon gibt es 59 Stück und wenn man ihren Durchmesser gegen ihr Alter aufträgt, dann sieht das so aus:
Gibt es hier eine Periode? Schwer zu sagen. Auf den ersten Blick könnte man sagen: ja, das sieht schon irgendwie mehr nach Periode und weniger nach Zufall aus. Aber wir Menschen sind immer gut darin, irgendwo Muster zu erkennen, selbst wenn da gar keine sind. Klarheit kann nur eine objektive Statistik schaffen. Die Bayessche Statistik, meint Bailer-Jones und seine Ergebnisse sind überraschend.
Es gibt keine Periode in den Daten! Auch Bailer-Jones findet zwar ein paar mögliche Perioden – aber die stellen sich als nicht signifikant heraus. Die Hypothese das Krater periodisch entstehen ist nicht wahrscheinlicher als die Alternativmodelle. Es zeigt sich allerdings, dass die Zahl der Krater in den letzten 250 Millionen Jahren leicht ansteigt! Bevor jetzt hier Panik ausbricht: das muss nicht bedeuten, dass Asteroideneinschläge immer wahrscheinlicher werden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass einfach weniger alte Krater bekannt sind – immerhin ist es umso schwieriger sie zu finden, je älter sie sind. Bailer-Jones hat sich auch die Daten aller Krater angesehen die größer als 35 km und jünger als 400 Millionen Jahre alt sind und hier keinen Anstieg gefunden.
Wo steht also jetzt die Nemesis-Hypothese? Natürlich kann es immer noch sein, dass die Sonne Teil eines Doppelsternsystems ist. Eben ein netterer Stern, der keine Kometen auf uns schmeißt 😉 Aber mit Nemesis als Grund für die periodischen Massensterben sieht es momentan schlecht aus. Aber als komplett widerlegt würde ich die These trotzdem noch nicht betrachten. Statistik mit so wenig Daten ist immer schwierig, egal ob normale oder Bayessche Statistik. Und dann gibt es da ja auch noch die Periodizitäten in den fossilen Daten der Paläontologen. Sollten die real sein, dann braucht man immer noch eine Erklärung für die periodischen Massensterben. Ich denke, wir müssen noch ein paar Jahre warten, bis wir definitiv Bescheid wissen. Wenn erstmal der Vermessungssatellit Gaia in zwei Jahren ins All gestartet ist und den Himmel mit bisher noch nicht gekannter Genauigkeit vermessen hat, dann werden wir auch wissen, ob da draussen noch ein Stern ist, der zur Sonne gehört oder nicht. Und wir werden wissen, ob dieser Stern für periodische Kraterbildung sorgen kann oder nicht. Bis da alle Daten ausgewertet sind, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern. Aber so gegen 2020 sollten wir definitiv sagen können, ob Nemesis existiert oder wir seine Existenz ausschliessen können. Bis dahin können wir uns ja den anderen interessanten Fragen widmen, die Bailer-Jones aufgeworfen hat. Zum Beispiel der, ob der Anstieg der Kraterbildung wirklich nur ein Auswahleffekt ist oder vielleicht doch auch ein Stückchen real? Denn Untersuchungen über die Kraterbildung am Mond – wo die Erosion keine Rolle spielt – zeigen auch, dass die Krater heute häufiger entstehen als früher. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, welcher Effekt dafür verantwortlich sein könnte, dass die Wahrscheinlichkeit für Asteroidentreffer im Laufe der Zeit ansteigt. Oder ist es vielleicht doch periodisch, nur mit einer viel längeren Periode als man bisher dachte? Jede Menge Stoff zum Nachdenken jedenfalls und jede Menge Möglichkeiten für neue Forschung!
C. A. L. Bailer-Jones (2011). Bayesian time series analysis of terrestrial impact cratering MNRAS arXiv: 1105.4100v2
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