Früher war die Astronomie vergleichsweise unkompliziert. Der Astronom ging nachts nach draußen und schaute in den Himmel. Die einzigen Instrumente die zur Verfügung standen waren Auge und Gehirn. Im Laufe der Zeit entwickelte man ein paar weitere Hilfsmittel: Quadranten zum Beispiel. Seit etwas mehr als 400 Jahren gibt es auch Teleskope – aber das waren alles nur Geräte, die dem Auge dabei behilflich waren, mehr Licht aufzufangen. Auch als die Fotografie in der Astronomie Einzug gehalten hat, änderte sich am Grundprinzip nichts: Man sah das, was man theoretisch auch mit dem freien Auge sehen hätte können, wenn es denn gut genug dafür gewesen wäre. Eine fundamentale Änderung kam erst mit der nicht-optischen Astronomie.
Den das was wir im Alltag als “Licht” bezeichnen ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem viel größeren elektromagnetischen Spektrum. Zu dem gehört auch Infrarotstrahlung (Wärme), UV-Strahlung, Radiostrahlung, Mikrowellenstrahlung, Röntgenstrahlung und Gammastrahlung. Es dauerte lange bis die Astronomen entdeckten, dass es sich auch lohnt, den Himmel abseits des schmalen Wellenlängenbereichs zu betrachten, den das optische Licht ausmacht. Im Wesentlichen mussten sie dazu bis zum Beginn der Raumfahrt warten. Denn die Erdatmosphäre blockt einen großen Teil der elektromagnetischen Strahlung aus dem All ab und lässt nur das sichtbare Licht und ein bisschen Infrarot-, UV- und Radiostrahlung durch. Erst als wir Teleskope direkt im Weltall positionieren konnten, war es möglich, den Himmel komplett, in allen Wellenlängenbereichen zu sehen. Mittlerweile sind Röntgenteleskope, die Gammastrahlendetektoren oder Mikrowellenobservatorien aus der modernen Astronomie nicht mehr wegzudenken und so gut wie alle Erkenntnisse der aktuellen Forschung wären ohne die nicht-optische Astronomie nicht möglich gewesen.
Ein schönes Beispiel dafür ist RCW 86. Das ist die Bezeichnung eines Supernovaüberrestes. Davon gibt es viele, aber RCW 86 ist die älteste Supernova, von der Aufzeichnungen existieren. Am 7 Dezember im Jahr 185 beobachteten Astronomen in China wie plötzlich ein “Gaststern” am Himmel auftauchte. Für einige Monate war der neue Stern eines der hellsten Objekte, bis er dann irgendwann wieder verschwand. Ohne astronomische Instrumente konnten die Forscher von damals nur aufzeichnen, wann der neue Stern auftauchte, wann er wieder verschwand und wie sich seine Helligkeit dazwischen verändert hatte. Heute sind wir wesentlich schlauer. Die vielen Augen der Astronomie die in allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums sehen können, haben uns viel über die Natur der Sterne verraten. Wir wissen zum Beispiel, dass Sterne nicht ewig existieren, sondern entstehen und – nach langer, aber endlicher Zeit – wieder vergehen. Kleinere Sterne wie unsere Sonne blähen sich am Ende ihres Lebens enorm auf und stoßen die äußeren Schichten ihrer Atmosphäre ab. Übrig bleibt nur ein kleiner, enorm massereicher und dichter Kern (etwa so groß wie die Erde). Diese Objekte nennt man Weiße Zwerge und ihnen findet keine Kernfusion mehr statt. Sie tun nichts mehr, außer ganz langsam abzukühlen.
Es kann aber passieren, dass der weiße Zwerg Teil eines Doppelsternsystems ist. Es kann sein, dass sich in seiner einer zweiter, normaler Stern befindet. Und wenn die beiden sich wirklich nahe sind, dann kann Material vom normalen Stern auf den weißen Zwerg gelangen. Die Masse des weißen Zwerges erhöht sich, solange bis er eine gewisse Grenze überschreitet. Dann beginnt er unter seinem eigenen Gewicht zu kollabieren, in seinem Inneren wird es dichter und heißer und irgendwann setzt die Kernfusion plötzlich wieder ein. Der weiße Zwerg explodiert. Er wird dabei enorm hell und auf der Erde können wir einen neuen “Stern” am Himmel beobachten, der nach der Explosion langsam wieder verblasst. Am Ende dieser Supernova bleibt vom weißen Zwerg nichts übrig, als ein sogenannter Supernovaüberrest, also ein Nebel, der aus dem ganzen Material besteht, dass ins All geschleudert wurde. Den konnten die chinesischen Astronomen natürlich nicht sehen. Wir können das heute aber:
Selbst wenn wir uns noch so anstrengen würden; selbst mit den besten Teleskopen würden wir RCW 86 so nicht sehen können. Nicht mit unseren menschlichen Augen jedenfalls. Dieses Bild wurde mit den vielen Augen der Astronomie gemacht und zeigt uns Informationen, die innerhalb des optischen Bereichs des elektromagnetischen Spektrums unsichtbar sind. Um diese Aufnahme zu erhalten, wurden die Daten zweier verschiedener Teleskope kombiniert. Im Bild gelb und rot ist die Infrarotstrahlung, so wie sie das Weltraumteleskop Spitzer sieht. Sie zeigt uns vor allem die Bereiche an, in denen sich warmer Staub befindet. “Warm” ist hier im Vergleich zur Umgebung zu verstehen, der Staub hat Temperaturen von etwa -100 Grad Celsius. Blau und Grün im Bild zu sehen ist die abgestrahlte Röntgenstrahlung, gesehen vom Röntgenteleskop Chandra. Die Strahlung entstand, als die Schockwellen der Supernova das interstellare Gas verdichtet und auf einige Millionen Grad aufgeheizt haben. Eine Analyse all dieser Beobachtungen bei verschiedenen Wellenlängen hat den Astronomen gezeigt, dass es sich hier tatsächlich um eine Supernova wie oben beschrieben gehandelt haben muss.
Ohne die vielen unterschiedlichen Augen und ihre verschiedenen Fähigkeiten würde die Astronomie nicht mehr funktionieren. Aber auch wenn wir heute so viel mehr sehen können als früher, ist das kein Grund, aufzuhören. Nicht nur das elektromagnetische Spektrum kann Informationen liefern. Es gibt noch viele andere Quellen, viele Möglichkeiten, komplett neue Augen mit völlig anderen Fähigkeiten zu entwickeln. Irgendwann werden wir in der Lage sein, den Himmel im Licht der Gravitation zu sehen. Wir werden Neutrinoaugen bekommen. Wir werden Wege entwickeln, die Welt zu sehen, an die heute noch niemand gedacht hat. Und diese Augen werden unseren Blick auf das Universum komplett verändern.
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