Über Radioaktivität und Atomenergie zu sprechen, ist nicht immer einfach. Mit ein wenig Pech hat man es schnell mit jeder Menge aufgebrachter Menschen zu tun, die einen für einen Handlanger der bösen Atomlobby halten.
Die erste Assoziation, die den meisten Menschen bei “Radioaktivität” in den Sinn kommt, sind wahrscheinlich die Atomkraftwerke, die Gefahren der Atomkraft und die GAUs in Tschernobyl und Fukushima. Informationen über Radioaktivität und Kernkraft, die nicht als Argument gegen Atomenergie verwendet werden können, sind oft nicht erwünscht bzw. werden als Beleg dafür aufgefasst, dass man selbst Atomkraftbefürworter und damit “böse” ist. Ich habe das hier im Blog selbst immer wieder mal erlebt. Selbst wenn man explizit feststellt, dass ein Ausstieg aus der Atomkraft wünschenswert ist, reicht das nicht aus. Man muss auch aus den “richtigen” Gründen und ausreichend vehement dagegen sein um manche Leute zufrieden zu stellen. Ich habe auch gemerkt, dass es manchmal tatsächlich schwierig sein kann, auch nur über die Physik zu reden. Hier habe ich beispielsweise kurz ein paar Sätze über Radioaktivität geschrieben. Ich wiederhole sie nochmal, weil sie hier auch gut hin passen:
“Viele Menschen halten Radioaktivität ja für etwas, das exklusiv in bösen Kernkraftwerken und noch böseren Atombomben passiert. Aber natürlich stimmt das nicht, alles ist radioaktiv, mehr oder weniger. Mit „Radioaktivität” bezeichnet man die Tatsache, dass Atomkerne zerfallen und sich in andere Atomkerne umwandeln und dabei Energie abgeben. Das passiert immer und überall. Jeder Mensch besteht zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Kohlenstoff und da sind immer auch ein paar Atome des Isotops Kohlenstoff-14 mit dabei, das radioaktiv ist und mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren zu Stickstoff zerfällt (weswegen es auch zur Datierung von organischem Material verwendet werden kann). Jeder von uns strahlt also ein bisschen.”
Radioaktivität ist wirklich eine faszinierende Sache. Elemente wandeln sich in andere Elemente um – ganz von alleine! Ohne den radioaktiven Betazerfall von Atomkernen im Inneren der Sonne würde die Kernfusion nicht funktionieren und auf der Erde würde es kein Leben geben. Die Wärmestrahlung der radioaktiven Elemente im Inneren der Erde hat bei ihrer Entstehung eine wichtige Rolle gespielt und dafür gesorgt, dass die Erde heute so aussieht, wie sie aussieht. Radioaktivität gibt es überall, ganz von alleine. Sie ist ein natürliches Phänomen. Aber erwähnt man das irgendwo, dann kriegt man unter Umständen schnell Schwierigkeiten:
Und nein, ich sage das jetzt alles nicht, um Atomenergie zu rechtfertigen. Ich sage das, weil es interessante Fakten für diejenigen sind, die Radioaktivität verstehen wollen. Atomkraft ist ohne jede Zweifel ein wichtiges Thema. Es ist absolut angebracht, wenn Politiker und Öffentlichkeit eine Diskussion über ihre Gefahren und einen Ausstieg führen. Aber idealerweise sollte so eine Diskussion auf Basis von Fakten geführt werden. Gut, das ist in der Politik immer schwer, im Zweifelsfall zählen hier Emotionen immer mehr als Fakten. Aber gerade wenn es um kontroverse wissenschaftliche Themen geht, wird fast ausschließlich emotional diskutiert. Ob das nun Stammzellen sind, oder Präimplantationsdiagnostik, Gentechnik oder eben die Atomkraft: Diese Themen beschäftigen alle, alle reden mit aber nur sehr wenige haben wirklich Ahnung von den wissenschaftlichen Grundlagen der Dinge über die hier geredet wird.
Wer weiß schon genau, ein Atomkraftwerk funktioniert? Zumindest ein wenig davon sollte man aber wissen, um zu verstehen, wo die Gefahren liegen. Wie gefährlich sind andere Arten der Energiegewinnung? Atomkraft ist gefährlich, ja. Daran besteht kein Zweifel. Aber bei all den Emotionen die hier im Spiel sind, vergisst man oft, dass alles andere deswegen nicht ungefährlich sein muss. Wenn es um die Abschätzung von Risiken geht, dann darf man sich nicht von seiner Angst leiten lassen sondern muss probieren, objektiv zu sein. Vor der Atomkraft haben wir aber anscheinend so viel Angst, dass wir darüber alles andere vergessen. Wasserkraft erzeugt keine radioaktive Strahlung. Aber man muss dafür große Dämme bauen und solche Dämme können brechen. Auch hier sterben Menschen, oft sehr viele. Dramatisch viele, wie zum Beispiel beim Bruch des Banqiao-Staudamms bei dem hunderttausende Menschen starben. Kohlekraftwerke erzeugen keine Radioaktivität (obwohl das eigentlich nicht ganz richtig ist), aber sie blasen jede Menge CO2 in die Luft und schädigen das Klima. Hinzukommen die vielen Menschen die direkt (durch Unglücke im Bergbau) oder indirekt (durch die Luftverschmutzung) zu Schaden kommen oder sterben. Photovoltaikanlangen können Brände verursachen, Windkraftanlagen können die Umwelt schädigen, usw. Jede Form der Energiegewinnung ist gefährlich, auf die eine oder andere Art. Man kann sogar eine entsprechende Statistik machen um herauszufinden, wie viele Todesfälle die verschiedenen Arten der Energiegewinnung statistisch gesehen verursachen. Hier ist ein Beispiel dafür, basierend auf den Daten des ExternE-Projekts der EU (Nachtrag: Da sich – was fast zu erwarten war – sehr viele Menschen über diese Grafik aufgeregt haben, möchte ich noch einmal klar stellen, dass sie hier NICHT als Argument für die Atomkraft präsentiert wird. Sie wird überhaupt nicht als Argument präsentiert. Sie steht hier nur, um zu illustrieren, dass es Studien über die Risiken der Energiegewinnung gibt. Ob man die Ergebnisse dieser Studien gut findet oder nicht oder sie anzweifelt ist eine ganz andere Sache. Der Artikel handelt nicht von “Pro/Contra Atomkraft”.):
Nochmal: Ich sage das alles nicht, um die Atomkraft zu rechtfertigen oder zu verteidigen. Ich halte einen Ausstieg aus der Atomenergie für sinnvoll und wichtig. Aber wenn man das will, dann muss man sich auch Gedanken darüber machen, was das für Folgen hat. Investiert man Geld in neue Kohle- oder Wasserkraftwerke? Was bedeutet das im Kontext einer Risikoabschätzung? Soll man über die ketzerische Frage nachdenken dürfen, ob der Ausstieg aus der Atomkraft vielleicht sogar zu mehr Todesfällen führen wird? Baut man neue Windkraftanlangen und die dafür nötigen neuen Stromleitungen und Speicherkraftwerke? Akzeptiert man Windräder in der eigenen Nachbarschaft? Probiert man lieber, neue Methoden zu entwickeln, den Stromverbrauch zu senken? Importiert man Strom aus anderen Ländern? Wie wird dort der Strom erzeugt? Wo kommt eigentlich der Strom her, der den Strom der schon abgeschalteten AKWs ersetzt? Das sind alles wichtige Fragen, die man sich stellen und diskutieren sollte, wenn man über Atomkraft redet. Den Ausstieg zu fordern ist nicht wirklich sinnvoll, wenn man keine Ahnung von den möglichen Folgen hat. Mit “Atomkraft Nein Danke!”-Plakaten zu demonstrieren ist als politische Meinungsäußerung zwar völlig legitim – wenn man aber abseits des reinen Dagegenseins keine Position hat, auch nicht wirklich hilfreich. Leider scheint es – zumindest mir – so, als hätten viele Menschen gar kein Interesse an einer objektiven Herangehensweise. Atomkraft hat durch und durch böse zu sein und jedes Argument, dass diese Sichtweise eventuell ändern könnte, ist unerwünscht.
Warum komme ich eigentlich gerade jetzt auf dieses Thema? Grund sind die Science Busters, die gerade wieder auf Deutschlandtournee sind. Über ihr Wissenschaftskabarett habe ich ja schon früher berichtet. Ich bin ein großer Fan von ihnen und es gelingt ihnen jedesmal wieder, interessante und vernünftige Wissenschaft unter die Leute zu bringen. Am Donnerstag (17. November) spielen sie in Erfurt (und am Tag darauf in Dresden) ihr Programm mit dem Titel “Wie sprenge ich einen Präsidenten – Von Kofferbomben und Bombenkoffern”. Darin geht es auch um Radioaktivität, Kernkraft und Atomenergie. Die Science Busters sprechen genau die Fragen an, die ich oben im Text gestellt habe und ich bin schon äußerst gespannt, wie das Publikum in Deutschland darauf reagiert. Werden sie scharenweise das Theater verlassen? Oder haben am Ende vielleicht ein paar Zuseher ein bisschen mehr Ahnung von den Komplexitäten der Energiegewinnung? Ich werde auf jeden Fall in Erfurt mit dabei sei! Vielleicht bekomme ich von den Science Busters ja ein paar Tipps, wie man vernünftig über Radioaktivität oder Kernkraft redet…
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