Ok, ich gebs zu, der Titel dieses Artikels ist bescheuert. Aber ich finde auch diesen ganzen Twilight-induzierten Vampirwahnsinn in den Buchläden bescheuert, also passt das ja. Und anscheinend kann sich die Astronomie dem Vampirhype ebenfalls nicht entziehen. Denn seit einiger Zeit gibt es hier den Begriff “Vampirstern”. Allerdings (noch?) nicht wirklich als echten Fachbegriff. Interessanterweise stammt die älteste Verwendung des Begriffs “Vampirstern” den ich finden konnte, aus dem Dezember 2005. Der erste Band der “Twilight”-Serie (unter dem absurden deutschen Titel “Bis(s) zum Morgengrauen”) erschien im Oktober 2005. Vielleicht wurde die Verwendung des Wortes “Vampirstern” ja tatsächlich durch die populären Vampirbücher beeinflusst? Wie auch immer – das, um was es hier wirklich geht, sind keine Teenager-Vampire, sondern “interacting binaries”. Das sind Doppelsterne, die miteinander in Kontakt stehen. Dabei kann es auch vorkommen, dass ein Stern Material vom anderen Stern absaugt. Ein Vampirstern eben…

Normalerweise ist zwischen den Sternen ja viel Platz. Unvorstellbar viel Platz. Die Abstände zwischen den Sternen sind im wahrsten Sinne des Wortes “astronomisch”. Auch zwischen den Komponenten der meisten Doppelsternen ist normalerweise viel Platz. Es gibt aber auch Systeme, bei denen sich die beiden Partner deutlich näher sind. Wenn sie sich wirklich nahe sind, dann beginnen sie, physisch in Kontakt zu treten. Material des einen Sterns kann vom anderen Stern angezogen werden. Wenn der eine Stern ein Weißer Zwerg ist, also ein ausgebrannter Sternenkern, dann kann er durch das Material, dass er von seinem Partner klaut, noch einmal kurzfristig zum Leben erwachen, enorm hell leuchten und explodieren. Das nennt man dann aber nicht “Zombiestern”, sondern “Supernova” (vom Typ Ia):

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Bild: NASA, ESA and A. Feild (STScI), chris, CC-BY 3.0

Das, was die Astronomen um Nicolas Blind vom Institut de Planetologie et d’Astrophysique de Grenoble und seine Kollegen im Sternbild Hase unter die Lupe genommen haben, hat allerdings nichts mit einer Supernova zu tun. Das Doppelsternsystem mit dem Namen SS Leporis war den Wissenschaftlern schon länger bekannt. Man wusste, dass es sich hier um zwei Sterne handelt, die einander mit einer Periode von nur 260 Tagen umkreisen. Eine so schnelle Umlaufzeit bedeutet, dass sie auch sehr nahe beieinander stehen müssen. Solche engen Systeme kann man meistens nur schwer beobachten. Die Sterne stehen zu nahe beieinander, um sie im Teleskop trennen zu können. Aber mit dem Very Large Telescope Interferometer (VLTI), das aus vier zusammengeschalteten Teleskopen der Europäischen Südsternwarte (ESO) besteht, haben es die Astronomen geschafft, die beiden Sterne einzeln aufs Bild zu bannen. Der eine davon ist ein kühler, großer M-Stern. Seine Masse beträgt nur wenig mehr als die der Sonne, er ist aber deutlich größer als sie und damit auch viel weniger dicht. Seine Temperatur beträgt nur etwa 3500 Kelvin. Der zweite Stern ist ein kleiner, heißer A-Stern. Er hat eine Temperatur von 9000 Kelvin und etwa die dreifache Masse der Sonne. Frühere Beobachtungen des Systems haben gezeigt, dass hier Masse vom M-Stern zum A-Stern fließt. Wenn sich ein Stern gegen Ende seines Lebens immer weiter ausdehnt, so wie das bei dem M-Stern der Fall ist, dann wird er irgendwann bis an seine Roche-Grenze heran reichen. Das ist der Abstand, bis zu dem das Material noch gravitativ an den Stern gebunden ist. Vergrößert sich ein Stern über die Roche-Grenze hinaus, dann kann er Gas und Plasma an einen anderen Stern verlieren, der sich in der Nähe befindet. Genau das passiert auch bei SS Leporis.

Dachte man bisher jedenfalls, die neuen Beobachtungen zeigen ein anderes Bild. So sehen die beiden Sterne aus:

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Der große M-Stern ist hier in rot zu sehen, der kleine A-Stern in blau. Die Farben wurden allerdings erst nachträglich zur Unterscheidung hinzugefügt. Man erkennt nicht nur schön, wie sich die beiden Sterne umeinander bewegen, man sieht auch in diesem hochaufgelösten Bild gut, wie groß die Sterne sind. Als die Astronomen aber die Größe des M-Sterns bestimmten und mit der Roche-Grenze verglichen, waren sie überrascht. Der Riesenstern hatte zwar etwa den 66-fachen Radius der Sonne – das aber reichte nicht, um die Roche-Grenze wirklich auszufüllen, wie dieses Diagramm zeigt:

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“A” und “M” sind die beiden Sterne. Die durchgezogene schwarze Linie gibt die Roche-Grenze an; die gestrichelte Linie den Radius des M-Sterns. Es reicht zwar fast bis zur Grenze, aber eben nur fast. Das Material kann also nicht direkt von einem Stern zum anderen fließen, es muss hier einen anderen Mechanismus geben. Wahrscheinlich ist es der Sternwind, vermuten die Forscher. Jeder Stern bläst ständig Material ins All (bei uns erzeugt der “Sonnenwind” der auf die Erdatmosphäre trifft übrigens die schönen Polarlichter). Das macht auch der M-Stern von SS Leporis und der A-Stern kann dieses Material dann einfangen. Ein Vampir auf Umwegen quasi. Man müsste eigentlich sogar sehen können, wie das ganze Gas, dass der A-Stern sich einverleiben will, ihn in einer Scheibe umkreist. Dazu reicht die Auflösung der Teleskope aber noch nicht. Noch nicht – denn den Vampirstern behalten die Astronomen auf jeden Fall im Auge!


N. Blind, H. M. J. Boffin, J. -P. Berger, J. -B. Le Bouquin, A. Mérand, B. Lazareff, & G. Zins (2011). An incisive look at the symbiotic star SS Leporis — Milli-arcsecond
imaging with PIONIER/VLTI, 2011, A&A, 536, A55, arXiv: 1112.1514v1

Kommentare (15)

  1. #1 Forodrim
    12. Dezember 2011

    also für den beitrags titel musst du 5 euro in die “miese wortspielkasse” zahlen 🙂
    aber ansonsten sehr cooler artikel, sowas würde ich gerne mal sehen, das muss ein sehr faszinierender anblick sein wenn der ein stern die masse eines anderen “absaugt”

  2. #2 noch'n Flo
    12. Dezember 2011

    “Twilight” – das sind doch keine Vampirbücher/-filme. “Nosferatu” (sowohl Original, als auch Zweitverfilmung), das ist ein Vampifilm! Oder auch “Interview mit einem Vampir”. Aber dieser Edel-Pseudo-Vampir-Werwolf-“Ich beiss Dich nicht”-Scheiss? Mann, wäre Dracula nicht schon längst gepfählt, er würde in seinem Sarg rotieren.

    Hier noch ein paar Vorschläge für weitere Episoden:
    Twilight 25 – Bis(s) zum Erbrechen
    Twilight 53 – Bis(s) der Arzt kommt
    Twilight 78 – Bis(s) in den Wahnsinn
    Twilight 104 – Bis(s) uns kein blödsinniger Titel mehr einfällt
    Twilight 237 – Bis(s) auch der letzte Dödel kapiert hat, dass das alles nur eine grosse Abzocke ist

  3. #3 Lars Fischer
    12. Dezember 2011

    Eeey! Das war mein mieses Wortspiel! ^^

    Schöner Beitrag!

  4. #4 Florian Freistetter
    12. Dezember 2011

    @Lars: “Eeey! Das war mein mieses Wortspiel! ^^ Schöner Beitrag! “

    Großer Geister denken ähnlich 😉 Ich hab deinen Tweet tatsächlich vorher nicht gelesen… Der Titel ist mir heute morgen spontan eingefallen, nachdem ich gestern den ganzen Abend über blöde Wortspiele mit “Twilight” nachgedacht habe…

  5. #5 Craula Gnora
    12. Dezember 2011

    @Lars: dann du bitte 5€… 😉

  6. #6 Gerry
    12. Dezember 2011

    Zu den nervigen Blutsaugern hab ich heute früh ein nicht ganz unpassendes Video bekommen (bitte bis(s) zum Ende durchhalten):

  7. #7 klauszwingenberger
    12. Dezember 2011

    Am Ende der Bilderfolge heißt es, der weiße Zwerg schleudere mit seiner Detonation den alternden Begleiter weg. Abgesehen davon, dass das Bild mißverständlich ist (nach der SN Ia bleibt kein dunkler runder Körper, der den Weg des lila Pfeiles gehen könnte, übrig), würde mich interessieren, ob es wirklich die Detonation ist, die da einen nennenswerten Beitrag leistet, oder ob die Fluchtbahn des Begleiters nicht eher darauf zurückzuführen ist, dass der Begleiter zwar noch den alten Impuls hat, aber keinen gravitativen Partner mehr, der ihn damit in einen Orbit zwingt?

  8. #8 Christina
    12. Dezember 2011

    Um.. das Wortspiel mit dem Vampirstern stammt aber eigentlich schon aus der ESO press release..? Im Originalartikel nennen sie das übrigens “symbiotischer Stern”. Passt auch irgendwie besser, ein Vampir ist ja etwas, das jemand anderen zum Vampir macht (dabei aber selber einer bleibt). Hier tauschen die zwei Sterne aber nur im Laufe ihrer Entwicklung gegenseitig Materie aus. Aber egal. Schöner Artikel, Florian! Durch deine Beiträge les ich wenigstens auch mal interessante paper völlig ausserhalb meines Feldes. 🙂
    Auf den Bildern von den zwei Sternen sieht es auf den ersten Blick so aus als wäre der grössere von beiden tatsächlich etwas deformiert. Im paper schreiben sie aber, das kommt von der Interferometrie und wäre sowieso viel zu groß im Vergleich zur erwarteten Deformation von ein paar Prozent (die könnte man wohl nicht auflösen). Wie du auch schreibst sollte wohl Materie um den kleineren Stern vorhanden sein, die kann man aber noch nicht sehen. Selbst wenn das auf dem Bild anders aussieht, Stern A (also der kleinere) ist NICHT eine aufgelöste Scheibe, die Grösse des Sterns entspricht etwa der maximalen Auflösung des Interferometers (und die kann ja mehr sein als ein paar Pixel auf dem Detektor, bei Radioteleskop-Bildern sieht man das auch immer schön, da nennt sich das dann “beam size” und die ist normalerweise sogar elliptisch).

  9. #9 Theres
    12. Dezember 2011

    Könnte man da von Gezeitenkräften sprechen?

  10. #10 schnablo
    12. Dezember 2011

    Woher weiss man, dass ueberhaupt Material transferiert wird? Aendert sich die Umlaufzeit oder sieht man es in den Spektren?

  11. #11 Alderamin
    12. Dezember 2011

    @schnablo

    Ich tippe mal auf Emissionslinien. Die möglicherweise noch Doppler-verbreitert sind. Das deutet auf Gas in der Umlaufbahn hin, das von den Sternen zum Leuchten gebracht wird.

  12. #12 schnablo
    12. Dezember 2011

    @Alderamin: Vielleicht. Aber wenn es nur Partikel des Sonnenwindes sind, dann sollte sich die Emissionslinien doch kaum von aehnlichen Systemen ohne bzw. mit weniger Massentransfer unterscheiden.

  13. #13 Christina
    12. Dezember 2011

    @Theres: Die wären eben viel zu klein um sie mit dem VLTI aufzulösen. Bei der Interferometrie wird ja nicht ein Bild an sich aufgenommen, das Bild wird hinterher aus der Überlagerung der “Signale”, also das Licht von den Sternen, rekonstruiert. Um das Bild bestmöglich zu rekonstruieren (man nimmt ja kein eigentliches “Bild” auf), muss man verschiedene Beobachtungen machen um die sog. u,v-Ebene zu füllen, pro Interferometer-Paar bekommt man aber pro Beobachtung nur einen Punkt in dieser Ebene. Um den Rest zu füllen bedient man sich der Erddrehung und wenn das Dings nicht im Zenit steht bekommt man dadurch Ellipsen. Bin leider auch kein Experte in Sachen Interferometrie.
    Wie im Originalartikel gesagt wird: “ We expect the distortion observed in the image to come from an asymmetric filling of the (u, v)-plane (implying a non-circular PSF on the reconstructed image) rather than to a real tidal distortion. As a matter of fact, the tidal distortion would be around 5∼7%, i.e. less than seen in the image. Additionally, its orientation in the image corresponds well with the asymmetry observed in the corresponding (u, v)-planes. It was actually not possible to image the circumbinary disc because of the lack of data with short baselines.”
    (hm, ich glaube das wird langsam zu technisch hier… sorry! 🙁 )

  14. #14 Alderamin
    12. Dezember 2011

    @schnablo

    Ich weiß natürlich nicht, wie es genau in diesem System mit dem Nachweis des Massenaustauschs ist, aber im allgemeinen hat man beim Massentransfer eine Akkretionsscheibe oder gemeinsame Gashülle, die sich durch ihre Emission verrät, selbst wenn man die Sterne nicht trennen kann (was man optisch ohnehin nie schafft).

  15. #15 Theres
    12. Dezember 2011

    @Christina
    Nein nein, mir wird das auf keinen Fall zu technisch, im Gegenteil!
    Ist lieb von dir, dass du mir/uns so ausführlich die Feinheiten erklärst und ich bin begeistert!
    Ich habe mir fünf Prozent von sehr groß halt zu groß vorgestellt, um es mal so zu sagen, außerdem steckt deine Begeisterung an, sicherlich nicht nur mich 🙂 Ich bedauere nur, dass ich nichts intelligenteres dazu sagen kann.