In vielen Artikeln und Pressemitteilungen über Astronomie liest man Sätze wie “Das Licht dieser Galaxie hat 12 Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht.” Folgt daraus, dass die Galaxie auch 12 Milliarden Lichtjahre entfernt ist? Nicht wirklich. In einem Universum, dass sich ausdehnt und in dem die Lichtgeschwindigkeit nicht unendlich groß ist, sind die Dinge ein wenig komplizierter.
Dass sich Himmelsobjekte bewegen, merken wir an der Rotverschiebung. Damit bezeichnet man ganz allgemein den Effekt, dass sich die Wellenlänge einer elektromagnetischen Welle zwischen der Aussendung und dem Empfangszeitpunkt verlängert hat. Rotverschiebung kann auf verschiedene Arten zustande kommen. Am bekanntesten ist der Dopplereffekt. Wir kennen ihn von vorbeifahrenden Einsatzfahrzeugen. Wenn sich ein Polizeiauto mit Sirene auf uns zu bewegt, dann hören wir die Schallwellen mit einer höheren Frequenz. Da sich das Auto bewegt, während es Schallwellen aussendet, verkürzt sich der Abstand zwischen zwei Wellenbergen. Wenn das Auto aus unserer Sicht davon fährt, ist es umgekehrt. Der Abstand erhöht sich, die Frequenz wird niedriger und der Ton tiefer. Das funktioniert auch bei Licht. In der Astronomie kann man so zum Beispiel feststellen, ob sich ein Stern auf uns zu bewegt oder von uns weg. Bei einem Stern, der sich uns nähert werden die Wellenlängen ein wenig zum kurzwelligen blauen Bereich des Spektrums verschoben; entfernt er sich, dann verschiebt sich alles zum roten Bereich hin. Durch die Messung der Spektrallinien können wir feststellen, wie stark diese Verschiebung ist. Diese Linien finden sich überall im Licht das von den Sternen ausgestrahlt ist. Sie werden von den verschiedenen chemischen Elementen erzeugt, die das Licht unterwegs trifft und jedes absorbiert einen charakteristischen Teil der Strahlung. Aus Labormessungen und theoretischen Untersuchungen wissen wir ganz genau, wo sich diese Linien im Spektrum befinden müssen. Haben sich die Linien verschoben, dann bewegt sich die Lichtquelle. Mit dieser Methode sucht man zum Beispiel nach extrasolaren Planeten. Deren Bewegung bringt den Stern den sie umkreisen ein klein wenig zum Wackeln und so wackelt er mal ein bisschen auf uns zu, mal ein bisschen von uns weg. Die gemessene Rotverschiebung entlarvt die Existenz des Planeten.
Im Universum bewegen sich die Himmelskörper aber nicht nur von selbst. Sie bewegen sich auch scheinbar, aufgrund der Expansion des Universum. Ich habe deswegen “scheinbar” geschrieben, weil es sich bei der Expansion des Universums nicht um eine Bewegung der Galaxien durch den Raum handelt. Das, was Edwin Hubble in den 1920er Jahren entdeckt hat, war etwas ganz anderes. Er fand heraus, dass sich der Raum selbst ausdehnt. Die Galaxien entfernen sich alle voneinander, weil sich der Raum zwischen den Galaxien beständig ausdehnt (Die Galaxien selbst, und mit ihnen die Sterne und Planetensysteme und alles was sich auf ihnen befindet dehnen sich nicht aus. Auf diesen kleineren Skalen wirkt die Gravitationskraft der Expansion entgegen und hält die Objekte zusammen. Darum wird unser Sonnensystem zum Beispiel nicht größer, auch wenn sich das Universum ausdehnt). Wir können auch hier messen, wie sich die Spektrallinien der fernen Galaxien verschieben. Diese kosmologische Rotverschiebung hat aber nichts mit dem Doppler-Effekt zu tun. Wie schon gesagt: Es ist nur eine scheinbare Bewegung; in Wahrheit dehnt sich nur der Raum aus und die Galaxien bewegen sich nicht (bzw. ist ihre Eigenbewegung auf diesen Skalen vernachlässigbar klein).
Man gibt die Rotverschiebung in der Astronomie mit dem Parameter z an:
λ0 ist die Wellenlänge bei der sich die Spektrallinie eigentlich befinden sollte, λbeoabachtet ist die Wellenlänge, bei der man sie tatsächlich gemessen hat. Hat eine Galaxie zum Beispiel eine Rotverschiebung von z=2, dann ist die gemessene Wellenlänge dreimal so groß wie erwartet. Eine Galaxie mit einer Rotverschiebung von z=5 zeigt Spektrallinien bei Wellenlängen die sechsmal größer sind, als man es erwarten würde. Eine Galaxie mit z=5 bewegt sich also schneller von uns weg als eine mit z=2 und ist damit auch weiter entfernt. Aber wie weit denn nun genau? Wie berechnet man aus der Rotverschiebung eine Entfernung?
Das ist knifflig. Eben weil sich unser Universum ausdehnt, kann man einer Rotverschiebung nicht einfach eindeutig eine Entfernung zu ordnen. Es geht nicht darum, dass man die Entfernung nicht kennt, oder das es schwierig ist, sie zu berechnen. Es ist eine Definitionsfrage und hängt davon ab, wie man “Entfernung” definiert. Im Alltag ist das recht eindeutig. Entfernung ist – im simpelsten Fall – das, was ich mit dem Metermaß zwischen zwei Punkten messen kann. Soll ich die Entfernung zwischen zwei parkenden Autos bestimmen, ist das recht einfach. Wenn man mich aber fragt, wie weit zwei fahrende Autos voneinander entfernt sind, dann wird es schon schwieriger. Die Entfernung ändert sich ja ständig. Im Universum ist es noch ein wenig komplizierter. Eine Galaxie sendet zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Lichtstrahl aus. Wenn dieses Licht die Erde erreicht, dann ist viel Zeit vergangen. In dieser Zeit hat sich das Universum weiter ausgedehnt (siehe die Animation oben). Wir sehen das Licht, das aus einer Zeit stammt, die in der Vergangenheit liegt und von einem Ort ausgesandt wurde, an dem sich die Galaxie heute schon längst nicht mehr befindet. Wie genau definiert man in diesem Fall eine “Entfernung”? Den Astronomen sind einige Möglichkeiten eingefallen.
- Da ist zum einen die Leuchtkraftentfernung. Da sich das Universum ausdehnt, sehen wir die Galaxien viel schwächer, als sie eigentlich leuchten weil die Lichtwellen so stark gedehnt werden. Die Leuchtkraftentfernung gibt an, wie weit entfernt die Galaxien zu sein scheinen, wenn wir nach ihrer Helligkeit gehen.
- Die Winkeldurchmesserentfernung bezieht sich auf das Erscheinungsbild der Galaxien. Weit entfernte Galaxien haben ihr Licht abgeschickt, als das Universum noch jünger und kleiner war. Da es damals noch nicht so ausgedehnt war, waren die Galaxien uns noch näher. Ferne Galaxien erscheinen uns also größer als sie es eigentlich sind. Die Winkeldurchmesserentfernung ist also ein Maß dafür, wie weit entfernt die Galaxien waren, als die Lichtwellen abgestrahlt wurden.
- Die mitbewegte Entfernung ist eine Entfernungsskala, die sich mit dem Universum ausdehnt. Sie sagt uns, wie weit eine Galaxie heute entfernt ist.
- Die Laufzeitentfernung basiert auf der Zeit, die das Licht gebraucht hat, um von einer Galaxie bis zu uns zu kommen. Der Satz aus der Einleitung (“Das Licht dieser Galaxie hat 12 Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht.”) macht also nur eine Aussage über die Laufzeitentfernung – 12 Milliarden Lichtjahre – aber es handelt sich nicht um “die” Entfernung. Die gibt es nicht.
Noch ein Beispiel: Das Universum ist 13,7 Milliarden Jahre alt. Das Licht der fernsten Objekte wird also etwa 13 Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht haben. Die Laufzeitentfernung von uns bis zu diesen fernsten Objekten beträgt also ebenfalls etwa 13 Milliarden Lichtjahre. Misst man den Abstand zu ihnen aber mit der mitbewegten Entfernung, dann sind sie etwa 45 Milliarden Lichtjahre entfernt.
Wenn es nur um kleine Entfernungen geht, dann liefern alle vier Entfernungsskalen die gleichen Werte. Erst bei kosmologischen Distanzen gibt es Unterschiede:
Auf der x-Achse ist die gemessene Rotverschiebung aufgetragen, auf der y-Achse die Entfernung, die sich daraus für die verschiedenen Definitionen ergibt. DL ist die Leuchtkraftdistanz, DC die mitbewegte Distanz, DT die Laufzeitentfernung und DA die Winkeldurchmesserentfernung. Ein Objekt mit einer Rotverschiebung von z=10 hätte zum Beispiel eine Winkeldurchmesserentfernung von 3 Milliarden Lichtjahre. Die Laufzeitentfernung wäre 13 Milliarden Lichtjahre. Das Licht stammt also aus der Zeit kurz nach dem Urknall. Die mitbewegte Entfernung beträgt allerdings 32 Milliarden Lichtjahre. Und die Leuchtkraftentfernung ist so groß, dass sie nicht mehr auf das Diagramm passt. Eine Galaxie mit z=10 erscheint uns ein paar hundert Milliarden Lichtjahre entfernt und deswegen ist es auch nicht verwunderlich, wenn sie so schwer zu beobachten sind! Die Galaxie mit der bisher größten gemessenen Rotverschiebung heißt UDFy-38135539. Man hat ein z von 8,6 gemessen. Das Licht von UDFy-38135539 war 13,1 Milliarden Jahre zu uns unterwegs. Die mitbewegte Entfernung beträgt knapp 30 Milliarden Lichtjahre. Von ihrer Größe her erscheint uns die Galaxie als wäre sie nur 3 Milliarden Lichtjahre entfernt, ihre Helligkeit entspricht allerdings einer 290 Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxien (hier kann die Rotverschiebung automatisch umrechnen lassen). Bei der Galaxie UDFj-39546284 hat man sogar eine Rotverschiebung von z=10 gemessen. Diese Messung wurde bis jetzt allerdings noch nicht bestätigt. Es handelt sich aber auf jeden Fall um eines der am weitesten entfernten Objekte, die wir kennen. Egal mit welcher Definition von Entfernung man rechnet 😉
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