Ich lese gerade einen sehr interessanten Text. Darin bin ich auf diese Passage gestoßen:
“Obwohl viele Tiere Nahrung sammeln und Samen bzw. andere Nahrungsmittel aufbewahren, sind Menschen doch die einzigen, die absichtlich spezielle Pflanzen kultivieren und bestimmte erwünschte Eigenschaften auswählen und verstärken. Wie ein Weber, ein Teppichmacher oder ein Schmied erzeugt auch ein Gentechniker nützliche Dinge die in der Natur nicht vorkommen. Dazu verwendet er Pflanzen und Tieren die verändert wurden, damit sie den menschlichen Ansprüchen besser genügen. Sie sind menschliche Kreationen, sorgfältig gefertigte Werkzeuge die benutzt werden, um neue Arten von Nahrungsmitteln zu erzeugen und das in viel größeren Mengen, als sie natürlich auftreten würden. Die Bedeutung dieser Entwicklung kann nicht überschätzt werden.”
Was meint ihr, ist die Quelle für diesen Abschnitt? Ein Propagandatext der Gentechniklobby? Der Anfang einer Gentechnik-Kritik einer Umweltschutzorganisation?
Natürlich ist es keines von beiden, ansonsten würde ich ja nicht so blöd fragen 😉 Ich habe euch auch ein wenig getäuscht. Ich habe ein Wort des Originaltextes verändert. Dort wo jetzt “Gentechniker” steht, stand im Original “Bauer”. Der Abschnitt stammt aus dem Buch “An Edible History of Humanity” von Tom Standage. Auf Deutsch heißt es “Der Mensch ist, was er isst: Wie unser Essen die Welt veränderte”. Wie der Name schon andeutet, geht es hier um die Geschichte der Menschheit unter dem speziellen Blickwinkel der Nahrungsproduktion. Der von mir zitierte Abschnitt steht ganz im ersten Kapitel des Buches und Standage spricht hier nicht von Gentechnik, sondern von den allerersten Versuchen der Menschheit, Wildpflanzen zu kultivieren. Das Originalzitat (aus der englischen Version lautet:
“Though many animals gather and store seeds and other foodstuffs, humans are unique in deliberately cultivating specific crops and selecting and propagating particular desired characteristics. Like a weaver, a carpenter, or a blacksmith, a farmer creates useful things that do not occur in nature. This is done using plants and animals that have been modified (…) so that they better suit human purposes. They are human creations, carefully crafted tools that are used to produce food in novel forms, and in far greater quantities than would occur naturally. The significance of their development cannot be overstated.”
Wie sehr die Menschen schon vor Jahrtausenden die Pflanzen in ihrem Sinne veränderten, sieht man am besten am Mais. Der war ursprünglich eigentlich nur ganz normales Gras mit etwas größeren Körnern. Aus diesem Wildgras – Teosinte – entstand der Mais, den wir heute kennen. Mit seiner ursprünglichen Form hat der nicht mehr viel zu tun:
Links ist Teosinte, Rechts der moderne Mais. Von selbst wäre er nie entstanden. Denn die Mutationen des Teosinte-Grases, die zum Mais führten, waren für die Pflanze selbst nicht sonderlich gut. Es macht keinen Sinn, so viele Körner zu haben, weil sie alle fest an der Pflanze haften und alle gemeinsam zur Erde fallen. Wenn sie dann keimen, würden sie sich gegenseitig die Nährstoffe wegnehmen und keines würde zu einer neuen Pflanze heranwachsen. Die Teosintekörner sind von einer Schutzhülle umgeben, die beim Mais fast vollständig verschwunden. Usw. Ohne Menschen wären diese Teosinte-Mutationen schnell verschwunden, weil sie nur Nachteile für die Pflanze bringen. Für die Menschen die vor ein paar Jahrtausenden in Mittelamerika lebten, waren es aber gute Mutationen. Sie haben die Pflanzen gesammelt, die besonders viele Körner haben. Und die Pflanzen ohne Schutzhülle (die bei der Zubereitung stört). Sie haben die Pflanzen ausgewählt, deren Eigenschaften für die Menschen am besten waren. Die Samen dieser Pflanzen wurden dann neu ausgesäht. Dadurch konnten sich die für die Menschen nützlichen genetischen Variationen des Teosintegras immer weiter verbreiten. Der heutige Mais ist ohne den Menschen nicht mehr überlebensfähig, er kann sich alleine kaum mehr fortpflanzen.
Schon vor Jahrtausenden haben die Menschen also “Gentechnik” betrieben. Sie haben aus den natürlich auftretenden Wildpflanzen diejenigen genetischen Modifikationen ausgewählt, die ihren Zwecken am besten genützt haben und probiert, genau diese Eigenschaften zu verstärken. So entstand nicht nur Mais, sondern fast alle unsere Nutzpflanzen. Rein vom Prinzip her passiert in den Labors der Genetiker heute nichts anderes. Ob nun die Mutation natürlich (z.B. durch kosmische Strahlung) oder künstlich (im Labor) stattfindet, ändert nichts am Prinzip. Wir Menschen wollen die Pflanzen so verändern, dass sie unseren Ansprüchen besser genügen. Solange das auf den Feldern passiert, scheint niemand was dagegen zu haben. Erst wenn der Prozess im Labor stattfindet, beginnen die Menschen zu protestieren. Eigenlich verwunderlich, denn dort kann das, was in der Natur nur durch Zufall und langes Warten geschieht, gezielt und effektiv umgesetzt werden. Aber anscheinend reicht allein die Tatsache, dass nun keine braven Bauern mehr beteiligt sind sondern Forscher in weißen Kitteln, um die genetische Veränderung von Pflanzen zu etwas zu machen, vor dem man sich fürchten muss…
Übrigens: Nur bevor mitlesende Gentechnikkritiker sich aufregen: Ich habe in diesem Artikel keine Wertung zur Gentechnik abgegeben. Ich habe dazu natürlich eine Meinung, aber die habe ich absichtlich außen vor gelassen. Der Artikel handelt nur von den Gemeinsamkeiten der natürlichen Gentechnik, die seit Jahrtausenden praktiziert wird und dem, was heute passiert. Nirgendwo in diesem Artikel steht “Juhu! Gentechnik ist toll und alle Gegner sind Idioten!” oder ähnliches – also ruhig bleiben und keine Aufregung. Mir sind die Risiken und Gefahren der Gentechnik durchaus bewusst. Aber deswegen kann man trotzdem probieren, ohne die übliche Hysterie über dieses Thema nachzudenken…
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