Was aus astronomisch/physikalischer Sicht von den ganzen Weltuntergangsgeschichten zum Jahr 2012 zu halten ist, habe ich hier schon oft genug erklärt: Nichts! Die Grundlage dieser absurden Katastrophenszenarien bilden angeblich “Prophezeiungen” des mittelamerikanischen Volkes der Maya. Was da wirklich dran ist, haben die Maya-Experten kürzlich bei einer Tagung in Bonn besprochen. ScienceBlogs-Leser rolak war mit dabei und hat einen Bericht über das Treffen verfasst. (Einen anderen Bericht könnt ihr hier lesen)
Eindrücke von der 15. Mesoamerikanisten-Tagung
Gerade noch rechtzeitig aufmerksam gemacht machte ich mich am Samstag morgen mit Hilfe eines klassischen P&B-Navis auf gen Bonn, um etwas kennenzulernen, von dem ich noch nie gehört hatte: Mesoamerikanistik. Es ist bezeichnend für die mangelnde Pressearbeit dieser Fachrichtung, daß mir nach einigen Jahren der Beschäftigung mit den obskursten Behauptungen zu vorgeblichen Aussagen alter Kulturen, hier speziell die Maya bzgl. 2012, bei der Suche nach Hintergrundinformation die tagungsausrichtende Abteilung der so nahen Uni Bonn noch nicht aufgefallen war.
Nikolai Grube: Einführung
Zum Überblick (nicht nur) für das an diesem Tag anwesende Laienpublikum ging es im Sauseschritt durch die via www, Buch, Film und nicht zuletzt Mundpropaganda verbreiteten Untergangs- und Aufstiegsprophezeiungen.
Die klassischen Maya kannten allerdings bedingt durch ihre eher zyklische Auffassung des Zeitablaufes keine eigentliche Prophetie, bestenfalls die Versicherung des Bestandes der Ordnung auch in der Zukunft. In ihrer Weltsicht mußten dazu allerdings die vorgeschriebenen, althergebrachten Rituale vollzogen werden. Erst mit der Eroberung durch die Spanier kam, wie in Krisenzeiten üblich, Prophetie auf, was der christlich-europäischen, linearen Zeitauffassung, zielgerichtet von der Geburt zum jüngsten Gericht, auch nicht widersprach.
Das Verwerten kontextbefreiter Versatzstücke zur Hebung eigener Verkaufszahlen wurde zurecht als eine moderne Form der kolonialen Enteignung bezeichnet.
Sven Gronemeyer: Tortuguero und das Ende des 13. Bak’tun
Am Beispiel seiner (und seiner Kollegin Barbara MacLeod) auf den aktuellen Wissensstand gestützten Interpretation des Tortuguero Monument 6, dem einzigen Dokument, das auf das magische Datum 13.0.0.0.0 Bezug nimmt, wurden die sprachlichen Schwierigkeiten aufgedeckt, die das Be- und Festlegen einer Maya-Prophezeiung für 2012 so unmöglich machen.
Die Übersetzung(2) lautet sinngemäß
Es wird beendet werden der 13. bak’tun und es wird geschehen dieses BalunYokte-Einkleiden in der großen Investitur
Nicht nur, daß dies haargenau wie die Beschreibung einer zyklisch stattfindenden, bis ins letzte Detail festgelegten rituellen Handlung klingt – das als ‘beenden’ übersetzte ‘tzu’ hatte dazu passend schon damals die auch in den heutigen Dialekten noch vorhandene Bedeutung ‘neu einpflanzen’.
Die lange Zählung des Maya-Kalenders hat allerdings noch andere Eigenheiten, die gegen eine über das Übliche hinaus besondere oder gar finale Bedeutung dieses Datums spricht: Nicht nur daß sie eingebettet ist in eine schier endlose Reihe von Wiederholungen (wenn ich mein Notizen-Gekrakel richtig entziffere, bis 2013 Jahre in die Vergangenheit), daß das Ordnen des 1. Kalabtun (nach GMT(3) der 20. Januar 154591) schon angekündigt wird, nein, die 5. Stelle hat wie fast alle anderen auch den Bereich (0..19) so daß der eigentliche Überlauf erst wesentlich später käme. Wir feiern ja auch nicht alle Monatsende Neujahr, nur weil die Tageszählung wieder bei 1 anfängt.
Andreas Fuls: 2012 und die Geschichte der GMT-Korrelation
Der Kalender der Maya ist zwar in sich konsistent, es ist aber schwierig, die dort gemachten Zeitangaben mit ‘unseren’ zu verbinden. Dazu kommt, daß zu gleichen Ereignissen (Eroberung, Ankunft der Spanier etc) verschiedene Angaben bekannt sind und es sich als schwierig zeigt, die astronomischen Angaben (Mond- und Venuszyklen) genau zu treffen.
Nach der Entdeckung der langen Zählung entstand durch Goodman und die nachfolgenden Korrekturen Martinez-Hernández und Thompson die bis heute genutze absolute Datierung. Der Referent, durch seinen radikalen Vorschlag bekannt, zeigte nicht nur die Schwachstellen von GMT auf, sondern wies insbesondere darauf hin, daß in Betracht gezogen werden müsse, daß in den erhaltenen kalendarischen Angaben nicht absolute Daten angegeben werden, sondern der Versuch unternommen werde, mythologische Daten in das Kalendersystem einzubetten. Sozusagen Ussher in grün.
Nach so viel Kalendarischem und Linguistischem, so interessant es auch war, wurde die Kaffeepause allgemein gerne angenommen und brachte mich auch wieder mehr in Richtung des Zustandes ‘richtig wach’.
Frauke Sachse: Zeitvorstellungen und Divination bei den Hochlandmaya
Jetzt wurde zum besseren Verständnis der mythologische Kalender vorgestellt, der 260-tägige Tzolkin, dessen Bedeutung teilweise noch heute gelebt wird. So werden z.B. immer noch Rituale zelebriert, die verhindern sollen, daß die Welt untergeht. Immer wieder, in jedem Zyklus neu.
Im Gegensatz von unserer Sicht des Tages an sich, isoliert und mit einer Bedeutung nur für sich, gelten bei den Maya speziell die Ersttage (des Monats, Jahres, …) als Träger der zeitlichen Last des kommenden Abschnittes, sie charakterisieren die gesamte Periode durch die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften. Und aus der Vielfalt der möglichen Kombinationen bestimmen die Priester flexibel das Schicksal der ratsuchenden Menschen.
Im Gegensatz zu unserem Weltbild, der Verknüpfung von Zeit und Raum, galt für die Maya eher eine Verknüfung von Zeit und Materie, von Zeit und Form. Das klingt nun wieder mehr nach Zeitenende=Weltenende, doch einerseits wird das Ende der Zeit ja wie schon erwähnt von akkurat durchgeführten Ritualen verhindert, andererseits gilt diese Gleichsetzung nur für die aktuellen Hochlandmaya, nicht die in der klassischen Zeit lebenden.
Lars Frühsorge(1): Das “Phänomen 2012” und die heutigen Maya
Das aktuelle 2012-Phänomen wurde eingeordnet in die lange Reihe der apokalyptischen Prognosen. Seit 1966 erhob sich das Mißverstehen von nicht ganz eindeutigen Aussagen populärwissenschaftlicher Werke und das Passendinterpretieren egal welcher gefundenen Fragmente zu einem leisen Hintergrundraunen von einem nahenden Weltenende – doch als das www als Kommunikationsform angenommen war, kochte das Thema immer weiter hoch, bis es letztendlich in die klassischen Medien zurückflutete und den Markt überschwemmte. Treibende Kraft: Angst und Verlorenheit auf der einen und enorme Verdienstmöglichkeiten auf der anderen Seite.
Die einzelnen Aspekte dieser Bewegung wurden kulturhistorisch eingeordnet und stellten sich als keineswegs neu, nur in eine neue Form gegossen heraus.
Die heutigen Maya wurden -Treppenwitz der Weltgeschichte- als letzte involviert – seit den 1990ern entwickelt sich eine esoterisch folkloristische Szene, bietet die lokale Tourismus-Industrie Angebote vom Pauschalurlaub bis hin zum Luxusevent. Selbst in den ‘normalen’ Maya-Gemeinden wächst das Bewußtsein für die Besonderheit des Datum 2012 heran.
Die Mittagspause nutzte ich zu einem Spaziergang bei schönstem sonnigen Winterwetter durch den Hofpark zur Einkaufsmeile – mein Magen mahnte eine Belieferung an. Auf einem der Plätze sorgte erfreulicherweise eine Stand-Demo(4) mit erstaunlich viel Publikum dafür, daß die ACTA-Frage im Denken der Bevölkerung nicht zu schnell ad acta gelegt wird.
Christian Brückner(1): Apotheose Now oder El Castillo Superstar
Nun wurden die mesoamerikanischen Symbole im 2012-Hype begutachtet, am Beispiel des Castillo. Dieses sinnlich leicht erfassbare, beeindruckende Monument mit seinem Schattenspiel zur Sonnenwende regte alsbald die Phantasie an. Jeder Stein, jede Aufteilung, jede Orientierung bekam eine Bedeutung, wuchs zu größerem Ganzen – typische Radosophie eben. Völlig ungeachtet der Tatsache, daß das heutzutage zu bewundernde Bauwerk ein Rekonstruktion in weitgehender künstlerischer Freiheit ist, daß die Treppen bei gleichmäßiger Stufenhöhe gar nicht gleich viele Stufen haben können, da die Pyramide auf unebenem Grund steht.
Durch die unermüdliche Verwendung als Hintergrundschmuck für Buchdeckel, Filme und selbstverständlich auch Websites hat sich eine selbsterhaltende inszenierte Authentizität herausgebildet, eine assoziative Kette, der sich keiner völlig entziehen kann
Bianca Riessinger: Propheten der Apokalypse, 2012-Vertreter
Am Beispiel von Argüelles und Pinchbeck wurde aufgezeigt, wie genau auch die Propheten zu 2012 in das allgemeine Schema apokalyptischer Propheten passen hinsichtlich Lebenslauf, Charisma, Zustand (Vulnerabilität für Psychosen), Thema (das Ende nicht zu nah und nicht zu fern) und (durchaus auch vorgegaukelter) Autorität.
Es tut mir leid, diesen Vortrag derart schmal zusammenzufassen, doch der interessante Inhalt verleitete mich zu gedanklichen Abschweifungen und weiteren Vergleichen, so daß das Mitschreiben drastisch gelitten hat – doch erfreulicherweise wird es ja demnächst eine ausführliche Dissertation geben.
Die abschließende Diskussion startete zögerlich, nahm sich dann aber lebhaft des Frustes über die Probleme mit den Medien an, verfälschendes Zitieren, Wort im Mund umdrehen und dergleichen mehr. Doch nach diesem Befreiungsschlag ging es in konstruktiven Bahnen weiter, Ideen über die Zusammenarbeit der Fachrichtungen und den Umgang speziell mit den neuen Medien, insbesondere wikipedia wurden ausgetauscht und zum Abschluß wandte sich ein Journalist mit seinen Erfahrungen, seinen Vorstellungen von einer Pressearbeit der Wissenschaft an das anwesende Fachpublikum. Auf mich wirkte das Geschehen positiv, fragt sich allerdings, inwieweit eine Umsetzung erfolgt.
Negativ fiel mir auf, daß viele Plätze im schönen alten Hörsaal leerblieben, grob geschätzt 3 Dutzend der vorbeiteten badges blieben unabgeholt am Empfangstisch liegen
PS: Es mag ja nicht nur für mich erstaunlich sein, daß solch ein auf exotischen Details beruhender Untergangs- oder Transformations-Hype das Abendland befällt, doch wenn selbst christliche Apokalyptiker sich durch die biblische Unschärferelation bezüglich des Weltenendes nicht beeindrucken lassen…
(0) ja, die Fußnoten sind chronologisch, da der Text händisch gehackt wurde, TopDown
(1) Es ist mir zu suchintensiv, auf der site etwas Genaueres anzugeben
(2) Hier gibt es ein ausführliches PDF
(3) wird im nächsten Abschnitt erklärt 😉
(4) Ein Stand mit Infos und (gräßlich verzerrter) Musik und höchstwahrscheinlich auch Rednern
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