Es gibt Sterne, die bewegen sich richtig schnell. So schnell, dass einfach nur “schnell” als Beschreibung nicht ausreicht. So schnell, dass nicht einmal “superschnell” eine adäquate Bezeichnung darstellt. Es sind die hyperschnellen Sternen (“hypervelocity stars”). Ein Space Shuttle konnte pro Sekunde knapp 7 Kilometer zurück legen. Die schnellste Raumsonde, die Menschen bis jetzt gebaut haben (“New Horizons“) bewegt sich mit etwa 16 Kilometern pro Sekunde. Die Erde saust mit fast 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne. Die Sonne wiederum hat gewaltige 250 km/s drauf, mit denen sie um das Zentrum der Milchstraße läuft. Das ist aber immer noch langsam im Vergleich zu den hyperschnellen Sternen! Der Stern mit dem schönen Namen RX J0822-4300 bewegt sich mit unvorstellbaren 1300 km/s! Ein anderer, SDSS J090744.99+024506.8, hat immerhin noch 850 km/s drauf. Er trägt den passenden Spitznamen “The Outcast”. Denn Sterne, die sich so schnell bewegen, sind nicht mehr an die Galaxie gebunden. Sie sind so schnell, dass auch die gesamte Anziehungskraft der Milchstraße nicht reicht, sie festzuhalten. Die hyperschnellen Sterne werden irgendwann die Galaxis verlassen und alleine durch den intergalaktischen Raum ziehen. Aber was hat sie eigentlich so schnell gemacht?
Sterne sind nicht von selbst so schnell. Die gewaltigen Geschwindigkeiten können sie nur erreichen, wenn sie von etwas “angeschubst” werden. Und dieses Etwas muss verdammt viel Masse haben, damit es einen ganzen Stern so stark beschleunigen kann. Einen klaren Hinweis auf die Natur des Etwas bekommt man, wenn man die Bahn der hyperschnellen Sterne zurückverfolgt. Sie bewegen sich alle direkt vom Zentrum der Milchstraße fort. Das bedeutet, dass sie früher einmal in der Nähe des Zentrums gewesen sein müssen. Und dort befindet sich tatsächlich ein sehr massereiches Etwas: Das supermassereiche schwarze Loch, das sich im Zentrum jeder großen Galaxie befindet!
Die Idee ist die folgende: Ein hyperschneller Stern hat sein Leben als Teil eines Doppelsternsystems begonnen. Die beiden Sterne sind irgendwann dem zentralen schwarzen Loch zu nahe gekommen. Einer der beiden Partner ist mit dem schwarzen Loch kollidiert. Der andere ist dann – so wie der Hammer, den ein Hammerwerfer plötzlich losgelassen hat – mit enormer Geschwindigkeit und zusätzlich beschleunigt durch die Gravitationskraft des schwarzen Lochs, ins All hinaus geschleudert worden. Man schätzt, dass es in unserer Milchstraße etwa 1000 von diesen hyperschnellen Sternen gibt. Entdeckt hat man aber erst 16 Stück.
Auch wenn die hyperschnellen Sterne enorm selten sind, hat das Idan Ginsburg vom Darthmouth College in den USA und seine Kollegen nicht davon abgehalten, eine sehr spezielle Frage zu untersuchen: Was passiert mit den Planeten, die vielleicht Teil des Doppelsternsystems sind, bei der Kollision mit dem schwarzen Loch? Werden sie auch mit wahnsinniger Geschwindigkeit durchs All geschleudert? Oder umkreisen sie weiter den frisch erschaffenen hyperschnellen Stern?
Um diese Frage zu beantworten, haben Ginsburg und seine Kollegen viele Computersimulationen durchgeführt. Sie haben enge Doppelsternsysteme betrachtet (die Sterne waren näher bei einander als Erde und Sonne), die von einem bis vier Planeten umkreist wurden. Die Planeten umkreisen dabei jeweils einen der Sterne in sehr engen Orbits. Danach wurde am Computer beobachtet, wie sich die Systeme verhalten, wenn sie dem supermassereichen schwarzen Loch begegnen. Die Astronomen haben vier Fälle unterschieden:
- Der Planet wird von seinem Stern getrennt ebenfalls ins All geschleudert. Er ist nun ein hyperschneller Planet.
- Der Planet umkreist weiter seinen – nun hyperschnellen – Stern.
- Der Planet kollidiert mit dem Stern.
- Der Planet wird vom schwarzen Loch eingefangen.
Die Mehrheit der Planeten wird tatsächlich vom schwarzen Loch eingefangen. In 60 Prozent der Fälle wird mindestens ein Planet des Doppelsternsystems die Annäherung nicht überleben und beim schwarzen Loch verbleiben, es umkreisen und später vielleicht mit ihm kollidieren. Fall 2 und 3 kommen enorm selten vor. Nur 0,1 bis 1 Prozent aller Simulationen endeten mit einer Kollision zwischen Stern und Planet und nur in ein Prozent aller Fälle verblieb zumindest ein Planet bei seinem Stern. In den restlichen 40 Prozent der Simulationen wurde der Planet von seinem Stern getrennt und ins All geschleudert (bei den Planetensystemen mit 4 Sternen wird sogar in 70 bis 80 Prozent mindestens ein Planet ausgeworfen). Dieser Planet verstärkt dann die große Gruppe der vagabundierenden Planeten. Von diesen nicht an Sterne gebundenen Planeten gibt es in unserer Milchstraße ja ein paar Millionen…
Und bevor jemand fragt: Nein, wir müssen keine Angst vor diesen hyperschnellen Planeten haben. Einmal, weil das All groß ist und die Chance einer Kollision zwischen so einem Planeten und der Erde verschwindend gering. Und einmal, weil es so enorm wenige hyperschnelle Planeten gibt – wenn sie denn überhaupt existieren! Ginsburg und seine Kollegen haben sich übrigens sogar überlegt, ob man Planeten dieser Art entdecken könnte. Bei denen, die frei durch die Milchstraße fliegen, wird es schwer. Da bleibt nur die Gravitationslinsemethode (die ich hier beschrieben habe) und da ist man im wesentlichen auf den Zufall angewiesen. Etwas besser sieht es bei den wenigen Fällen aus, in denen der Planet weiterhin den hyperschnellen Stern umkreist. Da seine Bahn sehr eng ist, ist die Chance gut, dass man einen Transit beobachtet; den Planet also von der Erde aus gesehen vor seinem Stern vorüberziehen sehen kann. Dadurch wird sein Licht in periodischen Abständen immer ein klein wenig schwächer. Die Chancen, dass wir so viel Glück haben, und so ein seltsames Objekt tatsächlich entdecken sind zwar gering. Aber hey! Wenn wir eines entdecken, dann können wir daraus verdammt viel lernen. Gerade die extremen Objekte sind die interessantesten. Bei ihnen kommen die normalen Theorien an ihre Grenzen und es besteht die Chance, etwas Neues zu entdecken!
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