Ausgelöst durch einen sehr persönlichen Artikel von Kevin Zelnio, in dem dieser davon erzählt wie er zur Wissenschaft gekommen ist, sprechen nun auch viele andere Menschen über ihren wissenschaftlichen Werdegang. Das halte ich für eine äußerst gute Idee! Viel zu wenig Leute haben eine vernünftige Vorstellung davon, was Wissenschaftler so treiben. Viel zu viele Leute hegen große Vorurteile gegenüber Wissenschaft und Forschung. Das liegt unter anderem auch daran, dass Wissenschaftler in der Öffentlichkeit immer noch oft als etwas “seltsam” gelten und nicht als normale Menschen. Wenn mehr Forscher ein bisschen über ihren Werdegang erzählen, kann das nur positiv sein. Ich folge also gerne dem Aufruf von SciLogs-Kollegin Beatrice Lugger und schreibe heute ein wenig darüber, wie ich Astronom wurde. Und darüber, warum ich heute kein Wissenschaftler mehr bin.
Meine Geschichte ist absolut untypisch. Ich hab mich früher nie sonderlich für die Sterne interessiert. Ich hab als Kind nie ein Teleskop besessen. Ich hab nie nachts zum Himmel geschaut und mich gefragt, welche faszinierenden Geheimnisse dort auf ihre Lösung warten. Ich war in der Schule nie sonderlich gut in Mathematik und Physik und hab mich für diese Fächer auch nicht sonderlich interessiert. In Physik war ich immer nur mittelmäßig und in Mathe teilweise regelrecht schlecht.
Der erste halbwegs konkrete Berufswunsch den ich als Jugendlicher hatte war “Irgendwas mit Tourismus” (und fragt bitte nicht wie ich auf diese Idee gekommen bin, ich weiß es nicht mehr). In der Schule hab ich mir deshalb als Wahlfächer auch immer nur Sprachen ausgesucht. Mein Interesse für Wissenschaft kam erst relativ spät.
Es fällt mir überraschend schwer, heute die genauen Gründe für das Interesse zu rekonstruieren. Meine Vorliebe für Science-Fiction Literatur hat aber sicher eine Rolle gespielt. So bin ich auf ein Buch von Isaac Asimov gestoßen: “Die exakten Geheimnisse unserer Welt”. Ich weiß noch genau wie ich es in der 7. Klasse (entspricht Klasse 11 in Deutschland) mit auf eine Klassenfahrt nach Frankreich genommen habe. Ich war begeistert von der Fülle und Vielfalt an Wissen über unsere Welt die Asimov da demonstrierte. Wir saßen im Bus und haben über Atome und Elementarteilchen diskutiert und abends im Hotel bei ein Bier über Tachyonen und Relativitätstheorie. Danach kam ein anderes, für mich sehr wichtiges Buch: “Eine kurze Geschichte der Zeit” von Stephen Hawking. Es hat mich für die Kosmologie begeistert und mich schließlich zur Astronomie gebracht. JETZT hab ich angefangen, stapelweise Bücher über das Universum, den Himmel und die Sterne zu lesen.
Mein Interesse galt aber immer noch hauptsächlich der Kosmologie und nicht so sehr der klassischen Astronomie. Ich hatte auch immer noch kein Teleskop (auch wenn ich jetzt doch ab und zu mal an den Himmel geschaut habe; zum Beispiel um eine Mondfinsternis zu beobachten). Heute weiß ich, dass man Mathematik oder theoretische Physik studieren muss, wenn man ernsthaft Kosmologie betreiben will. Das war mir damals aber nicht klar, und nach der Matura (Abitur) habe ich deswegen ein Astronomie-Studium begonnen. Mein Interesse für Astronomie hat übrigens nicht dazu geführt, dass meine schulischen Leistungen in Mathe/Physik besser wurden. Ich hab mich davon aber nicht abschrecken lassen und war damals der einzige aus meiner Klasse, der so mathelastiges Studium wie Astronomie anfing, obwohl ich quasi der Klassenschlechteste in Mathe war.
An der Universität habe ich dann aber Mathematik und Physik sowieso nochmal ganz von Anfang an gelernt und ich fand es wesentlich faszinierender als in der Schule! (Unser damalige Lehrer – er unterrichtete beide Fächer – war wohl einfach nicht sonderlich gut gewesen). Besonders die Mathematik hat mich beeindruckt. Das war etwas völlig anderes als das, was wir in der Schule gemacht hatten. In der Schule haben wir im wesentlichen nur gerechnet, so spannende Dinge wie ein mathematischer Beweis tauchten da nie auf. Ich bin zwar trotzdem bei meiner ersten Mathematikprüfung an der Uni durchgefallen (übrigens die einzige Prüfung während meines ganzen Studiums die ich nicht bestanden habe). Bei der Wiederholung hab ich dann aber schon eine 3 bekommen und danach lief Mathematik problemlos und ich hab alle Prüfungen mit einer 1 bestanden. Nur von der Astronomie war ich irgendwie nicht so begeistert. Einmal, weil sie in den ersten 4 Semestern nur sporadisch im Studium auftauchte. Es gab ein paar Einführungsvorlesungen aber im wesentlichen hab ich in den ersten 2 Jahren an der Uni nur Mathematik und Physik gelernt. Und das bisschen Astronomie was wir hörten, hatte auch nicht wirklich mit Kosmologie zu tun. Da ging es um den ganzen optischen Kram, Teleskope, Helligkeiten von Sternen, usw. Also all die Sachen, die ein “klassischer” Astronomiefan sowieso schon von klein auf kennt und die mich nie interessiert hatten (ich besaß immer noch kein Teleskop).
Mich hatte damals die Mathematik viel mehr beeindruckt. Ich fand sie großartig und hätte damals viel lieber Mathe weiter studiert anstatt Astronomie. Ein Wechsel war aber leider nicht möglich da ich ansonsten die Studienbeihilfe verloren hätte und ohne diese staatliche Förderung hätte ich mir ein Studium nicht leisten können. Also blieb es bei Astronomie. Im fünften Semester musste man sich aber für zwei astronomische Spezialgebiete entscheiden in denen man besonders viele Vorlesungen belegen wollte. In der Liste der möglichen Themen entdeckte ich dann etwas, dass sich “Mathematische Astronomie” nannte. Wenn ich schon nicht Mathematik studieren kann, dann spezialisiere ich mich eben auf mathematische Astronomie!, war mein Gedanke. Die einzige Vorlesung aus diesem Bereich, die im laufenden Semester angeboten wurde, nannte sich “Himmelsmechanik I”. Das war großes Glück, denn ohne diese Vorlesung wäre es mit meiner astronomischen Karriere wohl nichts geworden. Die Himmelsmechanik hatte mich von Anfang an gefesselt. Da ging es um die Bewegung von Planeten und ihre mathematische Beschreibung. Um Chaostheorie und all die faszinierenden Effekte die in nichtlinearen Systemen wie unserem Sonnensystem auftreten können. Es ging um Computersimulationen, um Kollisionen zwischen Himmelskörpern und das zukünftige Schicksal von Planetensystemen. Gehalten wurde die Vorlesung von Professor Rudolf Dvorak. Das war ebenfalls großes Glück, denn Rudi hatte die Angewohnheit, seine Studenten gleich von Anfang an in die laufende Forschungsarbeit einzubinden. Man war also sofort mitten drin im echten Wissenschaftsbetrieb und hörte nicht einfach nur Vorlesungen an. Ziemlich schnell entschied ich mich also, auf diesem Gebiet und in der Arbeitsgruppe von Rudolf Dvorak meine Diplomarbeit zu schreiben.
Das verlief recht erfolgreich; im Juni 2000 war ich Magister der Astronomie und fest davon überzeugt, das Wissenschaftler zu sein mein Traumberuf ist. Es war also völlig klar, dass ich auch eine Doktorarbeit schreiben würde. Die 4 Jahre bis zu ihrem Abschluss im Mai 2004 waren vermutlich die besten Jahre meiner ganzen Karriere als Wissenschaftler. Ich hatte ein spannendes Thema zu bearbeiten und mich regelrecht in das ganze akademische Leben verliebt. Es war großartig, jeden Tag an einer Universität arbeiten und forschen zu können! Man konnte mit den netten Kollegen aus der Arbeitsgruppe über eine Vielzahl an wissenschaftlichen Themen diskutieren (oder auch einfach nur Unsinn machen 😉 ). Man konnte von Büro zu Büro laufen und überall neue, interessante Dinge lernen. Man konnte sich Vorträge über alles mögliche anhören. Man konnte auf Konferenzen in anderen Ländern fahren und dort mit Menschen aus aller Welt über Wissenschaft reden. Jeden Tag gab es etwas Neues herauszufinden und etwas Neues zu lernen. Das ich nicht wirklich viel Geld für meine Arbeit bekam, hat mich damals nicht gestört. Die ersten 2 Jahre meines Doktoratsstudiums bekam ich überhaupt kein Geld und lebte von der Studienbeihilfe. Aber ok, für mein 10 Quadratmeter großes Zimmer im Studentenheim und ein Bier am Abend hat es gereicht. Die letzten beide Jahre hatte ich dann eine halbe Doktorandenstelle und konnte mir immerhin eine kleine Wohnung (und immer noch ein paar Bier am Abend) leisten. Reich werden wollte ich sowieso nie. Schwierig wurde es erst dann, als ich fertiger Doktor war. Das Geld war wie üblich knapp, die Uni selbst hatte gar keines und Drittmittel zu kriegen war damals so schwer wie heute. Mein Chef konnte mir noch eine halbe PostDoc-Stelle bis Dezember 2004 geben, aber danach war kein Geld mehr übrig.
Ich hatte aber nochmal Glück. Auf einer Konferenz im Jahr zuvor hatte Rudolf Dvorak den Potsdamer Astronomen Alexander Krivov kennengelernt. Der war mittlerweile Professor am Astrophysikalischen Institut der Uni Jena geworden und gerade dabei, eine neue Arbeitsgruppe aufzubauen. Dafür suchte er auch noch einen PostDoc, der Ahnung von Himmelsmechanik hatte. Rudi schlug mich vor, ich fuhr nach Jena um dort einen Vortrag über meine Arbeit zu halten und im April 2005 begann ich meine erste PostDoc-Stelle im Ausland. Ich hatte das erste Mal in meinem Leben eine volle Stelle; zwar nur auf 2,5 Jahre befristet, aber man kann ja nicht wählerisch sein.
Die Zeit in Jena hat mich enorm geprägt und verändert. Ich war zwar Doktor der Astronomie, aber mein Interesse für die klassische Astronomie hielt sich immer noch in Grenzen. Ich hatte zwischenzeitlich immerhin schon mal durch ein Teleskop geschaut (am Tag nach dem Abschluss meines Diplomstudiums), aber Sterne, Galaxien und der ganze andere Kram waren mir immer noch relativ egal. Die Himmelsmechanik interessierte mich, vom Rest hatte ich nicht allzu viel Ahnung. Zu meinen Aufgaben in Jena gehörte es aber, die Übungskurse zur astronomischen Einführungsvorlesung zu halten. Das war natürlich auch der Ort, an dem die Studenten all die Fragen stellten, die sie in der Vorlesung dem Professor nicht stellen wollten. Ich musste also plötzlich ein Experte für die gesamte Astronomie werden, zumindest so weit, um die Fragen der Studenten zu beantworten. Bei der Beschäftigung mit all diesen anderen Gebieten der Astronomie merkte ich dann, dass die auch äußerst faszinierend sind! Nicht nur die Himmelsmechanik ist spannend, sondern auch der ganze Stern- und Galaxienkram! In Jena habe ich außerdem angefangen, mich mit Öffentlichkeitsarbeit zu beschäftigen. Es gab die Anfrage der Uni, eine der “Samstagsvorlesungen” zu halten, also einen populärwissenschaftlichen Vortrag und da mein Chef keine Lust darauf hatte, hab ich das übernommen (der Vortrag ist sogar noch irgendwo im Netz zu finden glaub ich). Ich habe Leute durch die Sternwarte geführt, Schüler betreut, die die Astronomie kennenlernen wollte und auch anderswo öffentliche Vorträge gehalten. Aber irgendwann waren die 2,5 Jahre zu Ende. Wie üblich wollte die Uni sparen und meine Stelle wurde nicht verlängert. Drittmittel einzuwerben war immer noch schwierig und mein DFG-Antrag wurde abgelehnt.
Jetzt folgte die erste längere Phase der Arbeitslosigkeit in meinem Leben. Fast das ganze Jahr 2008 war ich ohne Beschäftigung. Naja – stimmt nicht wirklich, denn zu tun hatte ich genug. Ich habe natürlich weiter Anträge geschrieben und probiert, Drittmittel zu bekommen. Und ich habe angefangen, ein Wissenschaftsblog zu schreiben! Gelesen hatte ich die Blogs schon immer gerne und als ich dann arbeitslos war, dachte ich, ich könnte ja mal probieren, selbst was zu schreiben. Dann hätte ich zumindest weiter einen Grund, mich mit Astronomie zu beschäftigen. Das Blog lief überraschend gut, schon noch ein paar Wochen hat man mich eingeladen bei ScienceBlogs.de mitzuschreiben. Ich bloggte also, schrieb Projektanträge und ab und zu die eine oder andere Bewerbung. Auch wenn der Arbeitsmarkt für Astronomen nicht sonderlich groß ist und nicht wirklich über klassische Stellenanzeigen funktioniert, fiel der Agentur für Arbeit doch immer etwas neues ein, wo ich mich bewerben sollte (meistens Jobs in der Industrie, für die ich als theoretischer Astronom völlig unqualifiziert war). Als das Jahr langsam zu Ende ging, war ich immer noch arbeitslos. Aber nicht ganz planlos. Ich hatte vor, ein paar Semester an der Fachhochschule in Jena einen Studiengang zu Laseroptik zu belegen. Dank einer speziellen Initiative für arbeitslose Akademiker hätte man mir die Studiengebühren erlassen und ich hätte während des Studiums ALG II beziehen können. Aber es kam anders. Eine der Stellen, auf die ich mich laut Agentur für Arbeit bewerben sollte, war am Astronomischen Institut in Heidelberg. Es war eine Stelle, für die ich eigentlich auch nicht wirklich qualifiziert war. Dort ging es weniger um Physik und Astronomie als um Software und Computer: jemand sollte sich um das Virtuelle Observatorium kümmern. Aber ok, die Agentur für Arbeit lässt einem ja keine Wahl, also habe ich eine Bewerbung abgeschickt. Ich hätte wirklich nicht damit gerechnet, in die engere Wahl zu kommen – aber habe den Job dann überraschend doch bekommen. Im November 2008 trat ich also meine Stelle in Heidelberg an.
Die Arbeit dort hatte nur am Rande mit Astronomie zu tun, aber immerhin war es ein Job und das ist besser als kein Job. Ich habe dann probiert, mich im Rahmen des Projekts ein wenig auf die Öffentlichkeitsarbeit zu spezialisieren. Das lief, auch recht gut. Trotzdem war die Arbeit in Heidelberg nicht wirklich das, was ich mir vorgestellt hatte. Es hatte nichts mit echter Astronomie zu tun, war keine wirkliche Forschung, man konnte so gut wie nichts davon publizieren und da ich aus privaten Gründen immer noch jede Woche zwischen Jena und Heidelberg pendelte, war alles ziemlich stressig. Auch dieser Vertrag war natürlich befristet und im Dezember 2010 war die Sache in Heidelberg zu Ende und ich wieder zurück in Jena und arbeitslos.
Mittlerweile ging mir der ganze Kram mit den befristeten Verträgen und der ständigen Herumreiserei schon gewaltig auf die Nerven (siehe dazu auch meinen Artikel von gestern). Ich hatte langsam Lust, mal ein “normales” Leben zu führen, ohne ständigen Ortswechsel und der Möglichkeit der Zukunftsplanung. Aber außer Astronomie hatte ich nichts gelernt – also fing ich wieder an, Projektanträge zu schreiben, um vielleicht doch noch eine Stelle an der Uni Jena zu kriegen. Mein Blog dagegen lief in der Zwischenzeit immer besser. Die Zahl der Leser stieg seit 2008 immer weiter an und ich hatte großen Spaß daran, über die Astronomie zu schreiben und die Leuten da draußen an der Faszination teilhaben zu lassen, dich ich mittlerweile für die gesamte Astronomie empfand. Im Herbst 2011 wurde schließlich mein Antrag für Drittmittel abgelehnt. Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, dass mein Traum, Wissenschaftler zu sein, zu Ende war. Es war auch schon lange kein Traum mehr. Die Euphorie, die ich während meines Doktorratsstudiums empfunden hatte, hat den akademischen Alltag von befristeten Verträgen, Drittmitteleinwerbung und Bürokratie nicht überlebt. Klar, ich hätte noch weiter machen können. Nochmal Anträge schreiben und zwischenzeitlich von Hartz-IV leben. Oder eine Stelle auf einem anderen Kontinent annehmen und dafür mein in den letzten Jahren aufgebautes Privatleben opfern können. Aber so sehr mir das akademische Leben früher auch gefallen hat: So wichtig war es mir nicht mehr. Ich beschloss also, mich selbstständig zu machen.
Seit Oktober 2011 bin ich nun also kein Wissenschaftler mehr. Ich bin “freier Autor” oder wie immer man es auch nennen will. “Schreiberling” trifft es am besten. Ich schreibe mein Blog, ich schreibe Texte für andere Blogs, für andere Zeitschriften und ich schreibe Bücher. Ich schreibe über Wissenschaft und Astronomie. Auch wenn ich kein Wissenschaftler mehr bin, fasziniert mich die Wissenschaft immer noch so, wie sie es auch früher getan hat. Ich forsche selbst nicht mehr, aber ich hoffe, durch meine Arbeit die anderen Menschen an der Faszination der Forschung teilhaben lassen zu können. Und ich hoffe, mit dieser Arbeit genug Geld zum Leben verdienen zu können. Bis jetzt funktioniert es noch. Mal sehen, wie lange es noch weiter geht…
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