Ich hab das Gefühl, dass die Debatten über “geistiges Eigentum” und das Urheberrecht schon geführt werden, seit ich 1998 das erste Mal Napster installiert habe. Aber wahrscheinlich läuft die Diskussion schon viel länger und mit Sicherheit wird sie in Zukunft noch viel länger und noch intensiver geführt werden. Besonders in letzter Zeit haben sich zu diesem Thema viele Menschen zu Wort gemeldet. Jetzt möchte ich auch ein paar Gedanken dazu äußern. Ich kann nicht mit einem wortgewaltigen offenen Brief an die “Leibeigenen der Contentindustrie” dienen, so wie es SciLogs-Kollege Anatol Stefanowitsch gestern getan hat. Ich habe nur ein paar persönliche Betrachtungen zu bieten. Aber da ich mit einigen Dingen aus Anatols Brief nicht ganz einverstanden bin, möchte ich das trotzdem tun.
Vermutlich liegen Anatol und ich gar nicht so weit auseinander, was die grundlegende Einstellung bei diesem Thema angeht. Aber manche seiner Aussagen sind es wert, ein wenig hinterfragt zu werden. Anatol ist Wissenschaftler, der nebenbei Texte verfasst; hauptsächlich für sein eigenes Sprachlog. Genauso habe auch ich 2008 angefangen. Ich war Wissenschaftler und habe nebenbei Texte für mein Blog geschrieben. Als reines Hobby, aus Lust am Schreiben und aus Spaß an der Öffentlichkeitsarbeit. Sicherlich nicht, um damit Geld oder gar meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber es gibt Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Texten verdienen. Oder dem komponieren von Musik, dem Malen von Bildern oder ähnlichen Tätigkeiten. Mittlerweile gehöre ich dazu, denn ich bin heute kein Wissenschaftler mehr sondern arbeite als Wissenschaftsautor. Und wer mit so einer Arbeit sein Geld verdient, der macht sich natürlich auch Gedanken über Urheberrecht, Raubkopien, Plagiate und so weiter. Anatol schreibt in seinem offenen Brief:
“Trotzdem schreibe ich meistens umsonst, einfach, weil ich schreiben will — und damit bin ich einer von Millionen, die umsonst komponieren, malen, dichten, filmen, und die ihr Geld auf ganz althergebrachte Art und Weise verdienen: Indem sie dafür arbeiten. Wenn ich das erzähle, höre ich oft: „Ja, du hast leicht reden, du hast eine Stelle auf Lebenszeit, du musst nie darüber nachdenken, wovon du nächsten Monat deine Miete bezahlen musst. Aber wir, wir müssen vom Schreiben, vom Singen, vom Filmemachen leben”. Aber tatsächlich „müsst” ihr das nur, weil ihr entschieden habt, es zu müssen. Die Netzwerkadministratorin, der Straßenbahnfahrer, die Unternehmensberaterin, der Werbetexter und der Professor müssen ja auch von etwas leben, und darum arbeiten sie vierzig bis sechzig Stunden die Woche für ihren Lebensunterhalt, und dann setzen sie sich hin und komponieren, schreiben, schauspielern, spielen Bass. Ihr wollt das auch? Was hindert euch daran, außer einem tief verwurzelten Glauben, dass jede eurer Ideen bares Geld wert ist?”
Ich verstehe in etwa, wie das Argument gemeint ist (und missverstehe es nicht als Aufforderung, das Geldverdienen durch kreative Leistungen verbieten zu wollen). Aber ich halte es für ein Argument, das – wenn man es weiter denkt – sehr schnell ein wenig absurd wirkt. Im Wesentlichen geht es darum, dass sich eine Berufsgruppe über ihre Arbeitsbedingungen beschwert. Wer Texte schreibt oder Lieder komponiert und sich entschieden hat, diese Texte und Lieder nicht kostenlos zur Verfügung zu stellen, der findet es naturgemäß problematisch wenn das dank neuer technischer Entwicklungen immer schwieriger wird. Klar kann man sagen: “Na dann such dir eben einen anderen Job mit dem du dein Geld verdienst und mach den Rest nur in der Freizeit”. Aber mit diesem Argument könnte man jede unzufriedene Berufsgruppe ruhigstellen. Wissenschaftler beschweren sich über schlechte Arbeitsbedingungen? Dann sucht euch halt nen anderen Job, wo es besser ist? Ein Paketdienst beutet Mitarbeiter aus? Na und – sollen sie sich halt ne andere Arbeit suchen. Es hat sie ja niemand gezwungen, Paketboten zu werden.
Es geht ja in der Debatte nicht nur um hochgeistige Künstler, Liedermacher und Freizeitdichter, die davon träumen, reich und berühmt zu werden. Es geht um all die Texte, die jeden Tag in den unzähligen Zeitungen erscheinen und die Leute, die sie verfassen. Um all die Bücher und CDs, die in den Läden liegen und die wir alle gerne kaufen. Um die Sendungen im Fernsehen, die wir uns ansehen wollen. Das kann nicht nur von Straßenbahnfahrern und Netzwerkadminstratoren in ihrer Freizeit erledigt werden. Es muss zwangsläufig Leute geben, die hauptberuflich damit beschäftigt sind, kreative Leistungen der einen oder anderen Art zu erledigen. Damit ist übrigens keine qualitative Wertung verbunden. Es geht nicht darum, dass die Texte von bezahlten Autoren irgendwie besser sind, als die Texte, die von Autoren und Bloggern umsonst angeboten werden. Es geht darum, dass jeder Mensch sich aussuchen kann, womit er Geld verdienen möchte (auch wenn er damit nicht zwangsläufig erfolgreich sein muss). Manche Menschen entscheiden sich, ihr Texte, Musik oder Kunst anzubieten und dafür Geld zu verlangen. Und das muss möglich sein und möglich bleiben. Dazu muss man sich natürlich überlegen, wie man mit Urheberrecht und “geistigem Eigentum” umgeht. Anatol sagt in seinem Brief richtigerweise, dass es “geistiges Eigentum” so nicht wirklich gibt. Aber daraus folgt nicht, dass kreative Leistungen, die einmal in der digitalen Welt angelangt sind, plötzlich Freiwild sind. Klar, es ist technisch schwer bis unmöglich (und wird das auch vermutlich immer sein), die Verbreitung von digitalen Texten (oder anderen digitalen Produkten) zu kontrollieren. Aber was folgt daraus?
Ein ganz konkretes Beispiel aus meiner eigenen Arbeit als “Urheber” und Produzent von “geistigem Eigentum”. Ich schreibe seit bald 4 Jahren mein Blog. Die Texte hier sind insofern frei, als jeder, der möchte, sie lesen kann. Man muss dafür nichts bezahlen, sie stehen öffentlich zugänglich im Netz. Sie sind aber – zumindest aus meiner Sicht! – ganz definitiv nicht frei, wenn es um die Frage geht, ob man damit machen kann, was man gerade möchte. Vor einigen Wochen gab es den Fall einer Zeitung (in dem Fall eine “echte” Zeitung, für Geld zu kaufen und kein Onlinemedium) für Pseudowissenschaft (die sich hauptsächlich mit dem Bau von Perpetuum Mobiles beschäftigt), die zwei meiner Blogartikel im Wesentlichen komplett kopiert und in ihrer Zeitung abgedruckt hatten. Ohne mich vorher zu fragen und ohne mich explizit als Autor zu nennen. So etwas kann in Ordnung sein (obwohl – und der Meinung ist auch Anatol – der Autor eines Textes eigentlich immer angegeben werden sollte). Viele Verlage drucken zum Beispiel Bücher, die nur aus Texten bestehen, die direkt aus der Wikipedia kopiert worden sind (hier ist ein Beispiel von vielen. Das ist in Ordnung, denn die Wikipedia räumt jedem das Recht auf solche Weiterverwendung ein. Aber manche Autoren möchten das eben nicht. Ich will nicht, dass meine Blogtexte unter fremden Namen in pseudowissenschaftlichen Zeitungen erscheinen. Und ich möchte zumindest das Recht haben, darauf zu bestehen, egal wie “frei” digitale Texte zwangsläufig immer sind. Dass die Durchsetzung dieses Rechts technisch schwierig ist, ist eine ganz andere Sache.
Die Frage ob man als Autor kontrollieren kann oder soll, was mit seinen Texten passiert, ist nur ein Aspekt. Der andere dreht sich um das Geld. Ich habe oben schon gesagt, dass zumindest jeder das Recht und die prinzipielle Möglichkeit haben sollte, mit seinen kreativen Werken Geld zu verdienen, sofern man sich dafür entscheidet (Ob das dann auch tatsächlich klappt, ist eine andere Frage). Jetzt geht es darum, wie man Geld verdient. Man kann seine Werke frei verfügbar machen und Geld mit Spenden und freiwilligen Zahlungen verdienen. Dienste wie flattr bieten hierfür die technischen Möglichkeiten. Das kann funktionieren – tut es aber wohl eher selten. Oder man kann seine Werke auf die eine oder andere Art konkret verkaufen. Auch hier bietet das Internet jede Menge neue und simple Möglichkeiten, über Webshops, Amazon, etc. Oder man bleibt bei der klassischen Variante mit Label oder Verlag. Anatol fragt in seinem offenen Brief:
“Warum die Künstler schreien, wissen vermutlich nicht einmal sie selbst — warum sie lieber 95 Prozent des Verkaufspreises für ihre Lieder und Texte an Plattenfirmen und Verlage abführen als 30 Prozent an Apple oder Amazon, lässt sich wohl nur unter Zuhilfenahme sehr irrationaler Zahlen wirklich verstehen.”
Die Frage war vermutlich nur rhetorisch gemeint; beantworten möchte ich sie aber trotzdem (auch auf die Gefahr hin, irrationale Zahlen verwenden zu müssen). Ich habe im letzten Jahr zwei Bücher geschrieben. Eines davon war eine klassische “Eigenproduktion. Es erschien ohne Verlag, direkt als eBook bei Amazon. Das zweite Buch dagegen wird von einem Verlag produziert. Betrachtet man die Zahlen, dann bekomme ich natürlich beim Verlag prozentual weniger Geld vom Verkaufspreis (obwohl es mehr sind als nur 5%) als bei der Eigenproduktion via Amazon. Absolut gleicht es sich wieder aus, weil das eBook bei Amazon wesentlich billiger ist als das gedruckte Hardcoverbuch (was ich durch die Wahl eines höheren Verkaufspreises aber ändern hätte können). Aber das ist nicht unbedingt der Aspekt um den es mir geht.
Man sucht sich ja nicht deswegen einen Verlag für sein Buch, weil man Lust hat, ausgebeutet zu werden. Man veröffentlicht bei einem Verlag, weil man von dessen Infrastruktur profitieren möchte. Ein Verlag hat Lektoren und Grafiker, die das Buch überarbeiten. Er hat Druckereien, in denen man das Buch billiger und besser drucken kann als im Eigenverlag. Er hat vor allem Leute, die sich um die PR und die Medienkontakte kümmern. Ein guter Verlag kann ein (gutes) Buch in alle Buchhandlungen des Landes bringen. Als Autor mit Eigenverlag schafft man das nicht. Natürlich kann der Straßenbahnfahrer oder die Unternehmenberaterin das Buch in der Freizeit schreiben, es im Eigenverlag drucken und dann nach der Arbeit durch Deutschland und in alle Buchhandlungen reisen um dort sein Werk anzubieten und zu verbreiten. Und man kann damit theoretisch sogar erfolgreich sein. Aber so zu tun, als wären Verlage und Plattenlabels nur dazu da, um Autoren und Künstler auszubeuten, greift zu kurz. Es gibt gute Gründe, warum man sich dafür entscheidet, sich an die “schlipstragende Verwalter und Verkäufer kultureller ‘Güter'” zu wenden und sich zu einem “Leibeigenen der Contentindustrie” zu machen.
Solche Generalisierungen sind sowieso selten hilfreich. Es ist auch gar nicht nötig, mich in den Kommentaren darauf hinzuweisen, welche schlimmen Dinge Verlage, Plattenlabels, die GEMA oder sonstwer getan hat. Irgendwelche Leute zu verklagen, die sich online nen Film angesehen habe, halte ich genauso für absurd wie ihr. Das hat aber auch eigentlich nichts mit dem Thema zu tun. Genauso wenig wie zum Beispiel Gentechnik per se schlecht ist, nur weil Firmen wie Monsanto schlimme Dinge machen, sind Verlagsstrukturen oder Autorenrechte per se schlecht, weil Labels sich bescheuert benehmen. ScienceBlog-Kollege Jürgen Schönstein hat es am Ende seiner Antwort auf Anatols Brief gut ausgedrückt:
“Nur weil ich der Meinung bin, dass das bisherige Vertriebssystem – ob nun für Erdbeeren oder für Musik, Literatur, Journalismus oder andere “geistige” Erzeugnisse – endlich abgeschafft werden sollte, darf ich nicht einfach übersehen, dass ich damit auch das Entlohnungsystem der Erzeuger in Frage stelle.”
Wer sich jetzt am Ende des Artikels ein großes Fazit oder sonst einen Knalleffekt erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Ich habe auch noch kein Wort über die Piratenpartei verloren. Aber über sie und ihre Meinung zum Urheberrecht ist sowieso schon soviel Unsinn im Umlauf und man kann durchaus auch mal eine Diskussion zum Thema führen, ohne sich als Anhänger oder Gegner der Piraten (ich bin nichts davon) zu deklarieren. Ich bin mir selbst noch nicht ganz im Klaren darüber, wie die ganze Problematik gelöst werden kann oder ob das überhaupt möglich ist. Ich lebe momentan davon, Texte zu schreiben. Für Blogs, für Zeitungen, für Bücher. Wie auch immer die Debatte sich entwickeln wird, die Ergebnisse werden mein Leben beeinflussen. Ich werde mir weiter Gedanken darüber machen.
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