Der Großteil des Universums ist unsichtbar. Die für uns normale Materie; die, aus der wir bestehen und all das, was wir um uns herum sehen können, macht nur knapp ein Viertel der gesamten Materie aus. Der Rest ist “dunkel”. Das bedeutet, dass wir zwar sehen und messen können, wie diese dunkle Materie die sichtbare Materie durch ihre Gravitationskraft beeinflusst. Wir können sie selbst aber nicht sehen. Heute gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass die dunkle Materie aus einer noch unbekannten Art von Elementarteilchen besteht. Diese sogenannten WIMPs interagieren so gut wie kaum mit der normalen Materie (abgesehen von der Gravitation). Daher auch ihr Name: Weakly Interacting Massive Particles – WIMPs. Vielleicht entdecken wir sie demnächst. An großen Teilchenbeschleunigern wird danach gesucht und andere Experimente haben schon vielversprechende Hinweise geliefert. Aber wie das halt so ist mit Teilchen, die nicht mit normaler Materie interagieren, sind die verdammt schwer dingfest zu machen. Wenn die dunkle Materie wirklich aus WIMPs besteht, dann ist sie überall um uns herum, ohne das wir sie spüren. Die Teilchen würden sogar ständig unseren Körper durchdringen!
Was in diesem Fall passiert, haben Katherine Freese und Christopher Savage von den Universitäten Michigan und Stockholm in ihrer Arbeit “Dark Matter collisions with the Human Body” untersucht.
Geht man von derzeit aktuellen Modellen aus, dann sind die Erde, die Sonne und der ganze Rest unserer Milchstraße in eine große Wolke aus dunkler Materie eingebettet. Genauso wie alle anderen Galaxien auch. Der gravitative Einfluss der dunklen Materie ist dabei nur auf sehr großen Skalen zu spüren; dann, wenn es zum Beispiel um die Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen geht. Unser irdischer Alltag wird von ihr nicht beeinflusst. Für WIMPs sind Erde und Menschen im Wesentlichen nicht existent. Gerade weil sie nicht mit der normalen Materie wechselwirken, können sie problemlos durch uns durchrauschen. Ein paar Milliarden WIMPs könnten in jeder Sekunde unseren Körper passieren, ohne das wir irgendwas davon merken.
Aber wir sind den WIMPs nicht völlig egal. Manchmal kann es doch vorkommen, dass ein WIMP mit einem normalen Atom wechselwirkt. Das kann natürlich irgendein Atom sein. Es gibt ja genug von ihnen. Ein Sauerstoffatom der Erdatmosphäre vielleicht oder ein Eisenatom tief im Erdkern. Oder aber auch ein Atom eines menschlichen Körpers. Es ist alles nur eine Frage der Statistik und genau die haben Freese und Savage durchgeführt. Wenn man von den bisher bekannten Vermutungen ausgeht und die bisher gewonnenen Beobachtungsdaten berücksichtigt: Wie viele der Milliarden und Abermilliarden WIMPs die in jeder Sekunde auf unseren Körper treffen, gehen nicht einfach durch sondern werden von den Atomen dort abgelenkt?
So sehen die Ergebnisse aus:
In der ersten Spalte stehen die verschiedenen chemischen Elemente aus denen unser Körper besteht. Die zweite Spalte gibt an, welchen Anteil das Element an der Gesamtmasse des Körpers hat. Wenig überraschend sind es hauptsächlich Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. In der dritten und vierten Spalte findet man schließlich die Kollisionsrate pro Jahr. Es werden zwei Fälle unterschieden. “SI” steht für “spin independent” und “SD” für “spin dependent”. Ganz simpel gesagt, findet im ersten Fall die Wechselwirkung des WIMPs über die Masse des Atoms statt, im zweiten Fall über dessen Spin. Verschiedene chemische Elemente unterscheiden sich durch ihren Aufbau; manche haben mehr Protonen und Neutronen, manche weniger. Protonen und Neutronen wechselwirken aber unterschiedlich stark mit den WIMPs, wenn man den SD-Fall betrachtet. Daher kommt es zu den unterschiedlichen Zahlen in Spalten 3 und 4.
Man sieht gleich, dass die Zahlen generell ziemlich niedrig sind. Ein Jahr hat grob 30 Millionen Sekunden. In jeder dieser Sekunde sausen ein paar Milliarden WIMPs durch unseren Körper. Und nur eine Handvoll davon wechselwirken mit den Atomen unseres Körpers. Es gibt 3 Kollisionen pro Jahr mit den Sauerstoffatomen und 22 mit denen des Wasserstoffs. Dann noch knapp 6 Kollisionen pro Jahr mit Phosphor. Insgesamt schaffen es gerade mal 35 WIMPs auf Atome in unserem Körper zu treffen.
Die Tabelle basiert auf den wahrscheinlichsten Annahmen über die Masse der WIMPs.
Da wir aber noch sehr wenig konkrete Daten über die Natur der dunklen Materie haben, sind natürlich viele Werte möglich. Das CRESST-Experiment beispielsweise lässt WIMPs mit anderen Eigenschaft zu und wenn man die Berechnungen mit ihnen wiederholt, dann könnten bis zu Hundertausend WIMPs im Jahr mit unserem Körper kollidieren. Das wären dann immerhin knapp 5 Kollisionen pro Stunde.
Egal welcher Wert korrekt ist (und vorausgesetzt, die WIMPs existieren überhaupt), wir können davon ausgehen, dass die Zusammenstöße mit unserem Körper nicht gefährlich sind. Immerhin gibt es die dunkle Materie schon, seit es das Universum gibt. Wenn solche Zusammenstöße für uns Menschen schädlich wären, dann würden wir gar nicht erst existieren.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Arbeit von Freese und Savage nicht sonderlich dramatisch. Sie hat keine Konsequenzen, es lassen sich daraus keine beobachtbaren Effekte ableiten. Aber aus rein menschlicher Sicht ist es gut, dass jemand das mal konkret ausgerechnet hat. Wenn das Universum schon voll mit unsichtbarer Materie ist, die ständig durch uns hindurch rauscht, dann wollen wir zumindest wissen, wie egal wir dieser Materie genau sind. Jetzt wissen wir es. Ziemlich egal…
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