Die Neutrinos machen schon wieder Schlagzeilen! Letztes Jahr sorgten sie zuerst ob ihrer angeblichen Überlichtgeschwindigkeit für Aufregung (die sich dann doch nur als kaputtes Kabel herausstellte). Bei einem aktuellen Forschungsprojekt hat man keine zu schnellen Neutrinos gefunden. Man hat überhaupt keine Neutrinos gefunden. Und das war höchst überraschend…
Es geht um die sogenannte “kosmische Strahlung”. Dabei handelt es sich nicht um elektromagnetische Strahlung (auch wenn der Name das vermuten lässt), sondern um geladene Teilchen, die aus dem All auf die Erde treffen. Sie stammt aus vielen verschiedenen Quellen. Unsere Sonne produziert einen ständigen Strom geladener Teilchen (den “Sonnenwind”); genauso wie auch andere Sterne. Kosmische Strahlung kommt aber auch aus ferneren Quellen – zum Beispiel den Zentren anderer Galaxien, wo die Gravitationskraft der supermassereichen schwarzen Löcher die Teilchen so stark beschleunigen, dass sie bis zu uns fliegen können.
Vor dieser Strahlung brauchen wir uns übrigens keine Sorgen machen. Die Teilchen sind elektrisch geladen. Und unsere Erde hat ein Magnetfeld. Das Magnetfeld dient uns also als Schutzschild; die Teilchen erreichen die Erdoberfläche nur sehr selten. Deswegen hat es auch recht lange gedauert, bis man sie überhaupt entdeckt hat. Vor 100 Jahren war es soweit: Der Österreicher Victor Franz Hess fand 1912 in Ballonexperimenten die “Höhenstrahlung” und bekam dafür den Nobelpreis für Physik. Seitdem wurde sie immer genauer untersucht – aber es gibt trotzdem noch einige offene Fragen. Da gibt es zum Beispiel Teilchen der kosmischen Strahlung, die mit überraschend hohen Energien auf die Erde treffen. Wir Menschen müssen gewaltige Teilchenbeschleuniger wie den LHC im Kernforschungszentrum CERN bauen, wenn wir Atomkerne stark beschleunigen wollen. Aber selbst gigantische Maschinen wie der LHC schaffen es nicht einmal annähernd, so hochenergetische Teilchen zu erzeugen, wie sie in der kosmischen Strahlung anzutreffen sind.
Wir können auch nicht einfach schauen, wo diese Teilchen herkommen, um ihre Quelle zu identifizieren. Wie gesagt: Sie sind elektrisch geladen. Und Magnetfelder gibt es nicht nur auf der Erde, sondern überall im All. Die Teilchen der kosmischen Strahlung wurden also auf ihrem langen Weg durch den Kosmos schon oft abgelenkt und es gibt keine Möglichkeit mehr, herauszufinden, aus welcher Richtung sie ursprünglich gekommen sind. Deswegen schauen die Forscher bei ihrer Suche nach den Quellen auch nicht in den Himmel, sondern tief in die Erde.
In das Eis der Antarktis, um genau zu sein. Dort steht das Neutrino-Teleskop IceCube. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich dabei tatsächlich um einen riesigen Eiswürfel. Auf einem Volumen von einem Kubikkilometer hat man 5160 hoch empfindliche Lichtdetektoren im Eis versenkt. Damit möchte man Neutrinos beobachten. Diese Elementarteilchen sind enorm flüchtig. Sie interagieren so gut wie nie mit normaler Materie. Sie sausen einfach durch uns und den Rest der Welt hindurch. Nur ganz selten stoßen sie mit anderen Atomen zusammen und die dabei entstehenden Lichtblitze will man mit IceCube sehen.
Die Neutrinos wollen die Wissenschaftler nun auch nutzen, um die Quelle der kosmischen Strahlung zu finden. Die bisher favorisierte These zum Ursprung der hochenergetischen kosmischen Strahlung sind die Gammablitze. Das sind die größten Explosionen, die wir Menschen bisher im All entdeckt haben und sie werden von riesigen Sternen produziert, wenn sie am Ende ihres Lebens zu einem schwarzen Loch kollabieren (“Hypernova”). Dabei soll auch die hochenergetische kosmische Strahlung erzeugt werden. Aber nicht nur das. Gammablitze sollen auch Neutrinos freisetzen. Die sind elektrisch neutral und werden nicht von den kosmischen Magnetfeldern beeinflusst. Und daher ist es möglich, bei Gammablitzen (die man zum Beispiel mit Teleskopen im Weltraum entdeckt hat) mit IceCube nach passenden Neutrinos zu suchen. Das haben die Forscher getan – und nichts gefunden!
Zwischen 2008 und 2010 hat man rund 300 Gammablitze untersucht und nirgendwo passende Neutrinos entdeckt! Dabei müsste IceCube auf jeden Fall gut genug sein, um die Neutrinos zu finden, wenn sie denn existieren. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder hat man die Gammablitze doch nicht so gut verstanden, wie man bisher dachte. Vielleicht entsteht dabei zwar kosmische Strahlung, aber doch keine Neutrinos. Oder aber Gammablitze sind nichtdie Quelle der hochenergetischen kosmischen Strahlung!
Ein positive Ergebnis wäre irgendwie “einfacher” gewesen. “Gigantisches Teleskop im ewigen Eis entdeckt die Quelle der kosmischen Strahlung” wäre eine nette Schlagzeile gewesen. Ein negatives Ergebnis ist immer etwas unbefriedigend. Aber man soll es nicht unterschätzen. Denn immer dann, wenn unsere Erwartung mit unseren Beobachtungen nicht übereinstimmt, besteht die Möglichkeit, dass wir einer wirklich neuen Entdeckung auf der Spur sind…
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