Die Viadrina in Frankfurt an der Oder macht wieder einmal Schlagzeilen. Im Zuge der Berichterstattung über Harmut Müller, ein wegen Betrug angeklagter und derzeit flüchtiger Pseudowissenschaftler, der sich das sogenannte “Global Scaling” ausgedacht hat, sind auch die seltsamen Umtriebe der Viadrina wieder einmal thematisiert worden. Denn dort gibt es einen Studiengang “”Kulturwissenschaften – Komplementäre Medizin” und früher sollten da auch einmal Inhalte der Global-Scaling-Theorie (und jede Menge andere esoterische Lehren) gelehrt werden. Später hat hat man dann die ärgsten pseudowissenschaftlichen Inhalte doch wieder aus dem Lehrplan genommen. Die Thesen des Global Scaling fanden aber trotzdem noch indirekt einen Platz am “Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften“. Institutsleiter Professor Harald Walach sagte zwar kürzlich zur FAZ, dass Global Scaling ein “vollkommene[r] Schmarrn” sei, außerdem “kenne [ich] mich damit nicht aus, und es ist mir auch zu kompliziert.”. Das hat ihn aber nicht daran gehindert, eine auf Prinzipien des Global Scaling basierende Masterarbeit zu betreuen und sie später als “hervorragende experimentelle Arbeit” zu bezeichnen. Verständlicherweise ist Professor Walach verärgert über die Kritik an seinem Institut und wehrt sich. Allerdings auf ganz besondere Art und Weise. Er vergleicht die Kritiker mit “Inquistoren” und wirft ihnen vor, die Wissenschaft zur Religion zu machen.
In seinem Text zur Rechtfertigung der kritisierten Masterarbeit erklärt Walach, dass sich niemand anmaßen dürfe zu definieren, was Wissenschaft ist. Und diejenigen, die nun die Masterarbeit, ihn und sein Institut kritisieren, seien nur “Glaubenswächter”, die Wissenschaft zu ihrer Religion erkoren haben, diese Religion rein halten wollen und alles Unbekannte gnadenlos ausgrenzen:
“Was diesen Inhalten widerspricht, wird ausgegrenzt und verfolgt. Dann müssen Worthülsen herhalten, deren mächtigste, weil am wenigsten reflektierte der Begriff „unwissenschaftlich” ist, gleich danach kommt „esoterisch”.”
Bestimmen zu wollen, was Wissenschaft ist, sei “diktatorisch”. Und
“Neu-Szientisten, die selber nichts zur Wissenschaft beitragen, sollen nach meinem Dafürhalten nicht den Diskurs darüber bestimmen, was Wissenschaft ist, sondern das denen überlassen, die Wissenschaft betreiben.”
Schließlich stellt er die Frage:
“Was entscheidet dann, was wissenschaftlich ist?”
Diese Art der Verteidigung von Walach war vorhersehbar. Auf die konkrete Kritik an der Masterarbeit (dazu später mehr) wird nicht eingegangen. Die Kritiker werden einfach pauschal als diktatorische Inquisitoren bezeichnet, die die freie Entfaltung der Wissenschaft behindern wollen. Wissenschaft sei zur Religion geworden und mutige Forschungsrebellen wie die Leute von Walachs Institut müssen sie jetzt vor den dogmatischen Glaubenswächtern schützen. “Wir scheuen uns am IntraG nicht, uns auch mit dem, wovon andere die Finger lassen, wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Wer uns hier unwissenschaftliches Vorgehen vorwirft, versteht nichts von Wissenschaft und hat die betreffende Arbeit von Herrn Conrad nicht gelesen: Die Tatsache, dass die Arbeit Kozyrev widerlegt ist von den aufbrausenden Kritikern offensichtlich übersehen worden” schreibt Walach in einer anderen Replik.
Dabei scheint er aber eines übersehen zu haben. Die Kritik stört sich nicht daran, dass an der Viadrina “komische” Themen erforscht werden sollen. Außergewöhnliche Thesen aufzustellen und neue Wege zu gehen ist Teil der normalen wissenschaftlichen Arbeit. Es ist auch egal, zu welchem Ergebnis die Masterarbeit kommt. Es geht um die Art und Weise wie am Insitut von Herrn Walach geforscht wird. Denn – um die Frage von vorhin zu beantworten – entscheidend für die Wissenschaftlichkeit einer Arbeit ist die Art und Weise wie sie durchgeführt wurde. Und das, was da abgeliefert wurde, hat mit wissenschaftlicher Methodik nichts zu tun. Dazu muss man nur einen Blick in die Arbeit werfen. Das habe ich getan.
Verfasser der Masterarbeit ist Peter Conrad, ein Orthopäde aus Berlin. Der Titel seiner Arbeit lautet “Der Kozyrev-Spiegel in der Praxis”. Gleich im ersten Satz bezieht Conrad sich auf den Global-Scaling-Erfinder Hartmut Müller:
“Mein erster Kontakt mit dem Namen Kozyrev stammt aus dem Artikel “Die globale Zeitwelle” von H. Müller.”
Die ganze Arbeit dreht sich um eine sogenannte “Kozyrev-Kamera” bzw. einen “Kozyrev-Spiegel”. Das ist eine Apparatur (im wesentlich eine große Röhre aus Aluminium) in deren Inneren seltsame Dinge passieren sollen. Der Kozyrev-Spiegel soll auf den Theorien des russischen Physikes gleichen Namens basieren, der sehr unorthodoxe Gedanken über die Zeit entwickelt hatte. Über die “Zeitwellen” wird daher in der Masterarbeit viel geredet. Zum Beispiel in dieser Erklärung für die Funktionsweise der Kozyrev-Kamera:
“Wahrscheinlicher ist jedoch, daß dieser temporale Effekt, ebenso wie die Funktionsweise der Kosyrev-Kamera nicht auf einer Abschirmung lokaler Wellen vom Einfluß der globalen Zeitwelle beruht (wie bisher vermutet), sondern umgekehrt, die Kosyrev-Kamera bzw. die Metallplatten des Kondensators lokale Zeitwellen kurz schließen, so daß nur noch der Einfluß der globalen Zeitwelle übrig bleibt.”
Das klingt natürlich alles erst mal enorm beeindruckend. Aber es wird noch besser:
“Ein Kozyrev-Spiegel ist eine Aluminium-Konstruktion, welche in ihrem Inneren nach Aussage der Nowosibirsker Wissenschaftler Prof. Kaznacheev und Prof.
Trofimov einen Raum-Zeit-Kanal öffnen kann. “
Da bastelt also ein Berliner Orthopäde im Rahmen einer Masterarbeit an einem kulturwissenschaftlichen Institut ein Gerät, mit dem ein Tunnel in der Raum-Zeit geöffnet werden kann! Gut, ich habe vorhin festgestellt, dass es nicht so sehr auf das Thema ankommt, sondern die Art und Weise, wie man damit umgeht. Insofern kann man nicht ausschließen, dass ein Orthopäde im Rahmen einer Masterarbeit an einem kulturwissenschaftlichen Institut die gesamte moderne Naturwissenschaft revolutioniert. Aber Wissenschaft ist etwas, das nicht isoliert da steht. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen zu den bestehenden Erkenntnissen passen. Eine neue, bessere Theorie muss auch all das erklären können, was die alten Theorien erklären konnten. Einsteins Relativitätstheorie konnte all das, was Newtons Gravitationstheorie konnte. Einstein hat Newton nicht widerlegt, sondern erweitert und korrigiert. Um das tun zu können, musste Einstein natürlich auch Ahnung von Newtons Theorie haben. Wenn man nun also mit “Zeitwellen” und “Raum-Zeit-Tunneln” arbeitet, dann sollte man eigentlich eine solide Ausbildung in theoretischer Physik haben um überhaupt erstmal zu wissen, mit was man es zu tun hat. Und um zu wissen, wie der aktuelle Stand der Forschung in Sachen Raum-Zeit ist. Den muss man berücksichtigen. Ansonsten begibt man sich auf das gleiche Niveau der Perpetuum-Mobile-Bauer, die in ihren Werkstätten fröhlich vor sich hin basteln und dabei die physikalischen Grundlagen völlig ignorieren.
Aber ok. Schauen wir mal weiter. Vielleicht kennt sich Peter Conrad ja ausreichend mit theoretischer Physik aus, um dieses Thema zufriedenstellend zu bearbeiten.
“Ausgangspunkt der Zeitwellen-Theorie ist die Entdeckung (Vision von) einer physikalischen Strahlung, welche alle Lebewesen und Himmelskörper aussenden. Diese Strahlung dient dem Informationsaustausch, ist eng mit der Raum-Zeit verbunden und beeinflußt alle materiellen Körper in der physikalischen Raum-Zeit.”
Ok. Anscheinend nicht. Eine “Vision” kann zwar durchaus Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis sein. Eine “Vision” ist aber definitiv keine “Entdeckung”. “Entdeckt” hat man etwas, wenn es zweifelsfrei und objektiv nachweisbar ist. Wenn es nur als Vision in meinem Kopf existiert, dann ist es keine Entdeckung. Spätestens jetzt könnten einem ernste Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Masterarbeit kommen – und wir befinden uns erst auf Seite 3 der Arbeit…
Noch zweifelhafter wird die ganze Sache, als Conrad beschreibt, was die “Zeitwellen” im Kozyrev-Spiegel denn nun eigentlich bewirken sollen:
“Die häufigsten Erfahrungen im Inneren des Kosyrev-Spiegels (…) beschreiben 47 Probanden aus 228 zehnminütigen Aufenthalten:
– Das Gefühl, zu fliegen 88,2 %
– Austritt in das Weltall 85,1 %
– Empfangen symbolischer Informationen 82,0 %
– Beobachtung außerirdischer Wesen 80,3 %
– Rotationsgefühl des Körpers 78,1 %
– Beobachtung von Ufos 75,4 %
– Wahrnehmung außerirdischer Konstruktionen 70,2 %
– Wahrnehmung eines äußeren Beobachters 68,0 %
– Telepathische Kontakte 55,7 %
– Wahrnehmung vergangener Lebensepisoden 40,4 %
– Furcht 34,2 %
– Beobachtung historischer Ereignisse mit ethnografischen Details 30,3 %
– Persönlichkeitsveränderungen 30,3 %”
In der Masterarbeit geht es also um die Erforschung eines Geräts, das auf einer “Vision” basiert, das angeblich Tunnel in der Raum-Zeit öffnet und in dem man UFOs, Alienstädte und die Vergangenheit sehen kann. Nochmal: Das Thema an sich ist hier nicht das Problem (obwohl der Absurditätslevel stetig steigt…). Man kann sich auch mit UFOs, Aliens und Reisen in die Vergangenheit wissenschaftlich beschäftigen. Über Tunnel durch die Raum-Zeit sind ganze Bücher geschrieben worden. Das geht alles. Aber um sich wissenschaftlich vernünftig mit solchen Themen auseinandersetzen zu können benötigt man normalerweise eine andere Ausbildung als man sie als Orthopäde typischerweise hat.
Aber lesen wir weiter und schauen wir, wie Peter Conrad dieses Wundergerät testet. Zuerst wird es gebaut – nach Maßstäben des Global Scaling:
“Einen ersten Kozyrev-Spiegel bastelte ich Ende 2008 (Abb. 1). Dieser besteht aus einer innen mit Aluminiumfolie verkleideten Plastikröhre mit einem Durchmesser von ca. 90,6 cm – einem Knotenpunkt nach Global Scaling.”
Gut. Jetzt sind wir wirklich im pseudowissenschaftlichen Bereich angelangt. Denn “Global Scaling” hat mit Wissenschaft nichts zu tun (ich habe das hier ausführlich erklärt). Die Leute, die immer darauf pochen, dass man alles “offen” erforschen müsse, dass man sich auch mit “ungewöhnlichen” Themen beschäftigen solle, vergessen oft eines: Sinn und Zweck der Wissenschaft ist es, zu objektiven Erkenntnissen über unsere Welt zu kommen. Deswegen wird ja immer so sehr auf dem Wechselspiel von Theorie und Experiment, von Vorhersage und Überprüfung beharrt. Eine Theorie sollte idealerweise Vorhersagen machen, die sich überprüfen lassen. Dann kann man sie falsifizieren oder verifizieren. Und wenn eine Theorie falsifiziert ist, dann verwirft man sie. Es hat nichts mit “Offenheit” zu tun, weiter einer widerlegten Theorie anzuhängen. Ganz im Gegenteil. Und viele “Theorien” wie zum Beispiel das Global Scaling sind widerlegt. Wer solche “Theorien” weiter verwendet und darauf neue “Theorien” aufbaut, der arbeitet nicht wissenschaftlich.
Das was in der Arbeit jetzt folgt, hat aber mit Wissenschaft sowieso nur noch wenig zu tun:
“Ein Freund und Kollege verbringt seit 2 Jahren, bei fast jedem Besuch, Zeit im Kozyrev-Spiegel, um mehr Klarheit oder Hilfe bezüglich eigener Probleme und Entscheidungen zu bekommen. Mehrfach konnte er Konflikte mit, zum teil verstorbenen, Familienangehörigen klären. Er hält sich dabei oft weit mehr als eine Stunde in seinem Inneren auf bei gefühlten 15-30 Minuten.”
Auch der Autor der Masterarbeit selbst hat die Kozyrev-Röhre ausprobiert. Er erzählt wie er während eines Meditationsseminars im Zuge des Studiums an der Viadrina ein paar unklare Visionen hatte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen und fragte seinen Professor um Hilfe:
“Prof. Walach empfahl mir die Bedeutungsfrage dieser beiden Erlebnisse doch mal im Kozyrev-Spiegel zu stellen.”
Die Masterarbeit driftet nun immer mehr in einen persönlichen Aufsatz ab. Mit wissenschaftlicher Objektivität (und Seriosität) haben solchen Passagen nichts mehr zu tun:
“Diese reine Gefühlsebene läßt sich nicht mit Worten beschreiben (das soll auch Napoleon so ähnlich empfunden haben, erzählte man mir hinterher). Am ehesten umschreiben kann man es vielleicht mit: Aufladen, wie an einem Akku – schwerelos – zeitlos – wooohlfüüühlen.”
Naja. Peter Conrad wollte nun auch noch tragbare Kozyrev-Spiegel basteln. Dazu wollte er DVDs verwenden. Denn darauf befindet sich Informtion, die durch die “geheimnisvollen Vorgänge” in der Röhre irgendwie weiter transportiert werden können:
“Die erste Idee war, bespielte DVD´s (mit Lehrvideos, z.B. Homöopathie) als Informationsträger zu benutzen. Deshalb bastelte ich einen Kozyrev-Spiegel aus einem leeren DVD-Spender.”
Mit den neuen Spiegeln wird jetzt getestet. Verschiedene Probanden sollen Zahlen erraten. Sie sollen dabei besser “hellsehen” können, wenn sie mit einer Kozyrev-Röhre verbunden sind. Wenn sie dagegen nur mit einer “falschen” Röhre verbunden sind, soll nichts besonders passieren. Prinzipiell eine gute Idee. Allerdings ist schon die Auswahl der Probanden nicht sonderlich vertrauenserweckend:
“Die Rekrutierung der Probanden erfolgte aus Mitstudierenden, Verwandten, dem Bekanntenkreis und aus Patienten meiner Praxis. Einschlußkriterien waren Freiwilligkeit und weitgehende Gesundheit i.S. geistiger Zurechnungsfähigkeit sowie Volljährigkeit. Die Teilnahme von Kindern – deren Zahlenverständnis bereits vorhanden ist – bei schriftlicher Einwilligung der Eltern und offensichtlicher Bereitschaft des Kindes war möglich. So nahm ein 6-jähriges Mädchen teil und hatte Spaß dabei.”
Gut, es wurden also Tests gemacht, die Freund des Autors und das Kind hatten Spaß und am Ende gibt es viele Zahlen auszuwerten. Hat das nun geklappt mit dem Hellsehen?
“Der Kozyrev-Spiegel “verdeckt” erreicht weder in Summation, noch in einer der Gruppen, Signifikanzniveau.”
Tja, blöd gelaufen. Selbst der Autor schaffte es nicht, mit Kozyrevs Hilfe besser hellzusehen:
“O je – ich hätte lieber nicht selbst testen sollen! … Dann hätte ich aber auch nur 13 Probanden… Also, wenn meine Intention das Testergebnis beeinflusst
hat, dann bin ich ein intentionaler Master-Arbeits-Selbsttöter … “
Ernsthaft, das sind alles Zitate aus der offiziellen Masterarbeit!
Aber egal. Die Statistik ist eine Sache, der Glaube des Autors eine andere:
“Die Wirksamkeit der Spiegel halte ich für erwiesen (…)”
sagt Conrad, und zwar unter andere deswegen, weil die Leute doch in den “Vorexperimenten” so viele schöne Visionen in der Röhre hatten. Außerdem sei der Kozyrev-Spiegel eine “nichtklassischer Pseudomaschine”. Der Begriff stammt aus der Arbeit von Herrn Walach. So eine “nichtklassischer Pseudomaschine” erkennt man an folgenden Eigenschaften:
“- Experimentelle Daten sind meist nicht replizierbar
– Die Effekte oszillieren
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