Die Materie in unserem Universum ist nicht willkürlich verteilt. Die Planeten gehören zu einem Planetensystem und umkreisen einen Stern. Sterne bilden (gemeinsam mit den vagabundierenden Planeten) eine Galaxie. Die Galaxien finden sich zu Galaxienhaufen zusammen. Viele Galaxienhaufen bilden zusammen einen Superhaufen. Und selbst die Superhaufen sind nicht einfach irgendwie im All verteilt sondern finden sich zu den größten bekannten Strukturen des Universums zusammen: den Filamenten. Betrachtet man das Weltall auf sehr großen Skalen, dann besteht es aus gewaltigen Bereichen, in denen sich nichts befindet, die von den aus Galaxienhaufen gebildeten Filamenten umgeben sind. Das Fundament dieses kosmischen Netzes aber bildet die dunkle Materie. Die ist unsichtbar – aber offensichtlich ist den Astronomen nun doch gelungen, einen Blick hinter die Bühne auf die dunklen Fasern des kosmischen Netzes zu werfen.
All die Galaxienhaufen, die wir sehen können, machen nur einen kleinen Teil der gesamten Materie im All. 83 Prozent der Materie ist dunkel. Das bedeutet, sie wird nicht von elektromagnetischer Strahlung beeinflusst; reflektiert also kein Licht und absorbiert es auch nicht. So wie der Rest der Materie im Universum unterliegt aber auch die dunkle Materie der Gravitationskraft und so hat man sie dann schließlich auch entdeckt. Denn egal wohin man blickt: Überall sehen die Astronomen, dass sich die Himmelskörper nicht so bewegen wie sie sollen. Sterne bewegen sich zu schnell um die Zentren ihrer Galaxien. Galaxien bewegen sich zu schnell durch ihre Galaxienhaufen. Es muss dort draußen viel mehr Materie geben, als man sehen kann, die für diese Bewegung verantwortlich ist. Auch viele andere Beobachtungen und die kosmologischen Modelle sagen uns, dass die sichtbare Materie nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist.
Im frühen Universum hat zuerst die dunkle Materie große Strukturen gebildet. Dort wo sich große Mengen an dunkler Materie befanden, wurde auch die normale Materie angezogen. Dort bildete sie die Galaxienhaufen mit all den Galaxien und Sternen, die wir heute beobachten können. Aber zwischen den Galaxienhaufen befinden sich immer noch die Fasern aus dunkler Materie des eigentlichen Netzes.
Diese dunklen Filamente sind schwer zu beobachten. So schwer, dass eigentlich niemand damit gerechnet hat, dass es vielleicht doch gelingen könnte. Aber wie beobachtet man eigentlich dunkle Materie, wenn sie unsichtbar ist? Dafür benutzt man den Gravitationslinseneffekt. Masse krümmt den Raum – das gilt auch für dunkle Materie. Und Lichtstrahlen folgen der Raumkrümmung. Große Mengen an Masse können also so wirken wie eine optische Linse und das Licht ferner Galaxien ablenken. Das Bild der Galaxie wird auf charakteristische Art und Weise verzerrt und aus dieser Verzerrung kann man berechnen, wie viel dunkle Materie vorhanden sein muss. Astronomen suchen also nach genau diesen verzerrten Bildern und nutzen sie, um herauszufinden, wo sich dunkle Materie befindet.
Jörg Dietrich von der Universität Michigan und seine Kollegen haben so eine Untersuchung bei den beiden Galaxienhaufen Abel 222 und Abel 223 durchgeführt. Dabei haben sie etwas gefunden, dass ein Filament aus dunkler Materie sein könnte:
Das Bild zeigt das, was im normalen, sichtbaren Licht sehen würde. Darüber gelegt sind Konturen, die angeben, wo sich hier Materie (normal und dunkel) befindet. Oben befindet sich Abel 223, unten ist Abel 222. Aber auch zwischen ihnen befindet sich Materie – eine “Brücke”, die beide Galaxienhaufen verbindet.
Ist das tatsächlich ein Filament aus dunkler Materie? Um das zu prüfen, haben die Wissenschaftler zuerst mal nachgesehen, ob das nicht vielleicht ganz normale Materie sein könnte. Vielleicht ein dünnes Gas, dass man auf dem Bild nicht sehen kann, weil es nicht stark genug leuchtet. Das es diese “Intraclustermedium” gibt, wissen wir. Weil es sehr heiß ist, gibt es Röntgenstrahlung ab und die kann man mit Röntgenteleskopen beobachten. Das haben die Forscher getan und gezeigt, dass die normale Materie allein nicht für die gemessene Masse verantwortlich sein kann.
Es wäre auch möglich, dass es sich nicht um ein Filament handelt, sondern einfach um die Außenbereiche der beiden Galaxienhaufen, die sich ein wenig überlappen. Um das zu klären haben die Astronomen sehr viele Computersimulationen durchgeführt. Mal nur mit Galaxien, mal mit zusätzlichen Filament. Die Simulationen mit Filament konnten die Beobachtungen jedesmal deutlich besser reproduzieren als die ohne.
Es scheint sich also tatsächlich um ein Filament aus dunkler Materie zu handeln, dass sich zwischen zwei Galaxienhaufen erstreckt. Ich finde das enorm aufregend. Wir blicken hier auf die grundlegende Struktur des Universums; die Struktur, die all dem zu Grunde liegt, was wir sehen können. In wenigen Jahren wird die europäische Raumfahrtagentur ESA die Raumsonde Euclid ins All schicken. Sie ist speziell für die Suche nach dunkler Materie ausgerüstet. Es wird nicht mehr lange dauern, bevor wir das Gerüst sehen können, auf dem unser Universum aufgebaut ist.
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