Eine der grundlegenden Annahmen der Kosmologie lautet: Das Universum sieht überall gleich aus. Das gilt natürlich nicht im kleinen Maßstab. Wenn ich zum Beispiel Richtung Westen aus meinem Fenster schaue, sehe ich jede Menge Häuser. Schaue ich nach Osten, sehe ich Landschaft und Berge. Aber so ist die Aussage auch nicht gemeint. Es geht um die großen Skalen, um Galaxien und Galaxienhaufen. Es wäre zum Beispiel äußerst seltsam, wenn zum Beispiel am Himmel der nördlichen Hemisphäre jede Menge Galaxien zu sehen sein sollten, am Südhimmel dagegen keine. Das, was wir über die Entstehung des Universums wissen sagt uns, dass es keine bevorzugte Richtung und keinen bevorzugten Beobachtungspunkt geben sollte. Und alle unsere bisherigen Beobachtungen sagen uns, dass es keine bevorzugte Richtung und keine bevorzugten Beobachtungspunkte gibt. Bis jetzt zumindest…
Spiralgalaxien sind hübsch und häufig im Universum. Wir leben in einer, die wir “Milchstraße” genannt haben. Unser galaktischer Nachbar, die Andromeda-Galaxie, ist ebenfalls eine Spiralgalaxie. Neben vielen anderen Eigenschaften kann man bei einer Spiralgalaxie einen Drehsinn definieren. Entweder links herum oder rechts herum, so wie bei diesen beiden Beispielen:
Eigentlich würde man erwarten, dass der Drehsinn der Spiralgalaxien zufällig verteilt ist. Die Hälfte der Galaxien sollte sich links herum drehen, die andere rechts. Es gibt keinen Grund, warum das Universum eine der Richtungen bevorzugen sollte. Und doch scheint das der Fall zu sein…
Schon letztes Jahr hat Michael Longo von der Universität Michigan 15158 Spiralgalaxien untersucht (“Detection of a Dipole in the Handedness of Spiral Galaxies with Redshifts z ~ 0.04”) und dabei herausgefunden, dass ein leichter Überschuss an Galaxien existiert, die sich gegen den Uhrzeigersinn drehen. Es sind nur 7 Prozent, aber die Chance das so ein Ungleichgewicht zufällig entsteht, ist enorm gering. Natürlich könnte es trotzdem noch irgendein Fehler bei der Datenauswertung gewesen sein. Auch 15158 Galaxien viel sind, sind es doch verschwindend wenig, wenn man die gesamte Anzahl von Galaxien im Universum betrachtet.
Lior Shamir von der Lawrence Technological University in Michigan hat die Analyse wiederholt und dabei 126501 Spiralgalaxien untersucht (“Handedness asymmetry of spiral galaxies with z<0.3 shows cosmic parity violation and a dipole axis“). Im Gegensatz zu Longo und seinen Kollegen, die ihre Galaxien noch selbst untersucht haben, musste Shamir erst ein spezielles Computerprogramm entwickeln, um diese große Zahl an Galaxien analysieren zu können. Die Ergebnisse bestätigen aber den früheren Befund: Die Verteilung des Drehsinns der Spiralgalaxien ist nicht gleichmäßig! Es macht außerdem einen Unterschied, in welche Richtung am Himmel man blickt. Das zeigt dieses Bild hier:
Die Symbole zeigen verschiedene Galaxiengruppen an (die Farbe steht für die Entfernung: blau=nah, rot=mittlere Entfernung, grün=weit weg). Die horizontale Achse zeigt die Richtung an, in die man am Himmel blickt (“Right Ascension”) und auf der vertikalen Achse ist angegeben, wie groß das Ungleichgewicht zwischen links und rechts herum drehenden Galaxien ist. Wenn alles zufällig verteilt ist, dann sollten die Galaxien eigentlich alle auf der geraden Nulllinie in der Mitte des Bildes liegen. Das tun sie aber offensichtlich nicht; sie scheinen viel eher durch eine Kosinusfunktion beschrieben werden zu können. Zusätzlich zeigen verschieden weit entfernte Galaxiengruppen auch verschieden starke Asymmetrien beim Drehsinn.
Es macht also einen Unterschied in welche Richtung man blickt. Und es macht einen Unterschied, ob eine Galaxie weit weg oder vergleichsweise nahe ist. Das alles deutet darauf hin, dass das Universum nicht überall gleich ist und wenn das stimmt, dann wäre das ein ziemlich großes Ding! (Für Entdeckungen dieser Art bekommt man normalerweise einen Nobelpreis…)
Was könnte das alles bedeuten. Vielleicht ist es immer noch einfach nur ein Datenproblem. Die Galaxien die Longo und Shamir untersucht haben, stammen alle aus dem Sloan Digital Sky Survey. Vielleicht sind die Daten dieses Katalogs irgendwie verzerrt und enthalten mehr Galaxien des einen Typs? Und dann sind auch 126501 Galaxien immer noch wenig, verglichen mit der Gesamtzahl. Man wird mindestens ein paar Millionen Galaxien untersuchen müssen, um eine wirklich verlässliche Statistik zu bekommen. Das wird aber in Zukunft durchaus möglich sein, neue Weltraumteleskop wie zum Beispiel Gaia, das nächstes Jahr ins All starten soll, können diese Daten sammeln.
Und wenn sich der Befund dann bestätigt, dann haben wir etwas wirklich fundamental Neues über Universum gelernt! Die bisherigen kosmologischen Theorien müssen dann zwar nicht verworfen, aber zumindest erweitert werden. Wenn es im Kosmos tatsächlich eine bevorzugte Drehrichtung gibt, dann könnte das darauf hindeuten, dass sich das Universum als Ganzes dreht beziehungsweise bei seiner Entstehung gedreht und diesen Drehsinn den Galaxien aufgeprägt hat. Wie man sich ein rotierendes Universum vorstellen soll und was das für unser Verständnis der Entstehung des Alls bedeuten wird, ist heute noch nicht abzusehen. Aber genau deswegen macht man ja auch Wissenschaft!
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