Ein fiktives Gespräch innerhalb der deutschen Bundesregierung, das so natürlich nie stattgefunden hat:
“Sag mal, zuerst die vielen hundert Milliarden für die Banken, dann das ganze Geld für die Euro-Rettung und jetzt schon wieder über hundert Milliarden für den ESM: Wir geben in letzter Zeit irgendwie schon viel Geld aus. Verdammt viel Geld.”
“Ja. Und?”
“Na sollten wir vielleicht nicht mal irgendwo was einsparen?”
“Aber nicht in meinem Ressort!”
“Und bei mir auch nicht!”
“Und bei mir schon gar nicht!”
“Es muss ja auch nicht viel sein. Ein bisschen was, damit der Wähler sieht, dass wir das Geld nicht einfach wahllos verpulvern sondern auch an die Zukunft denken und so.”
“Hmm – wir könnten was an den Sozialleistungen drehen. Den Hartz-IV-Pöbel kann eh keiner leiden, da lassen wir BILD wieder was über die dummen Hartzer schreiben und dann geht das schon.”
“Aber das können wir doch auch nicht dauernd machen. Das fällt auch irgendwann auf.”
“Na dann lass uns doch was bei der Wissenschaft kürzen! Das interessiert doch eh keinen. Irgendwas ist da sicher noch übrig, das wir wegkürzen können.”
“Gute Idee! Gabs da nicht dieses Kernfusionsprojekt? Irgendwas mit Atomen und so?”
“Atome!? Das Zeug mit den Atomen ist doch schon längst abgeschafft. Wenn da noch was übrig ist, dann muss das auch weg!”
“Ok, dann stellen wir also die Gelder für das Projekt ein.”
“So machen wirs. Siehst du, Geld einsparen ist doch ganz einfach…”
Ich sage natürlich nicht das so ein Gespräch oder auch nur eines, das ihm ähnlich ist, tatsächlich geführt wurde. Das habe ich mir einfach nur ausgedacht, alles reine Fantasie! Trotzdem hat das Bundesforschungsministerium die Projektförderung für die internationale Kernfusionsforschungsanlage ITER eingestellt, wie die Tagesschau berichtet. (Nachtrag: Weil manche das falsch verstanden hat: Im Rahmen der EU-Beteiligung an ITER wird Deutschland weiterhin Geld für die Forschung dort bezahlen. Es geht hier um spezifische Fördergelder für spezielle Projekte und Arbeiten, die von deutschen Firmen und Forschungseinrichtungen durchgeführt werden sollen).
ITER steht für “International Thermonuclear Experimental Reactor”. Dabei handelt es sich um ein internationales Großprojekt bei dem eine Anlage gebaut werden soll, die Energie aus Kernfusion gewinnt. Ziel des Projektes ist es, die Energie aus der Kernfusion auch kommerziell zu nutzen. Dass Kernfusion prinzipiell funktioniert, wissen wir. Es reicht ein Blick zum Himmel. Jeder Stern dort oben ist ein riesiger Reaktor, in dem Atomkerne miteinander verschmelzen und dabei Energie produzieren. Wenn wir diesen Prozess auf der Erde nutzen wollen, müssen wir ihn aber irgendwie vernünftig kontrollieren. Wenn ITER irgendwann erfolgreich ist, dann wäre das eine tolle Sache. Kernfusion ist effektiver und sauberer als zum Beispiel Kernspaltung, die in den heutigen Atomkraftwerken durchgeführt wird. Und sie ist bei weitem nicht so gefährlich und potentiell katastrophal wie ein AKW. Dafür ist sie auch viel komplizierter.
2005 wurde entschieden, ITER im südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache zu bauen. Die Kernfusion für den Menschen nutzbar zu machen ist ein langfristiges Projekt. Wenn der Reaktor fertig gestellt ist, dann ist immer noch viel Forschungsarbeit nötig, um die Energieproduktion wirklich zum Laufen zu bringen. Da geht es nicht um Strom, der nächstes Jahr aus der Steckdose kommt. Von der kommerziellen Kernfusion werden erst unsere Kinder profitieren oder unsere Enkel.
Manche Leute sind vielleicht der Meinung, dass es bescheuert ist, jetzt in etwas zu investieren, dass erst in vielen Jahrzehnten vielleicht funktioniert und Gewinn abwirft. Aber manchmal kommt man nicht umhin, langfristig zu denken. Unsere Welt verändert sich und sie tut das ebenfalls langfristig. Der Klimawandel ist eine große Herausforderung und das Problem lässt sich nicht einfach dadurch lösen, dass man mal eben schnell ein paar Windräder in die Landschaft stellt.
Die deutschen Politiker haben beschlossen, dass eine Energiewende stattfinden muss, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen und das alles besser werden soll. Man darf spekulieren, ob sie diese Entscheidung getroffen haben, um kurzfristig die Wähler zu beeindrucken oder ob sie tatsächlich langfristige Motive und Visionen haben. Die Entscheidung, die ITER-Förderung zu kappen, lässt die erste Möglichkeit wahrscheinlicher erscheinen. Man hat die Förderung nämlich eingestellt, weil man mit ITER zu wenig Geld verdient hat. Seit 2009 habe das Ministerium 34,3 Millionen an Förderungen bewilligt, Firmen und Forschungseinrichtungen aus Deutschland haben aber nur Aufträge über 31,1 Millionen Euro bekommen.
Vielleicht sollte jemand den Verantwortlichen im Ministerium mal Bescheid sagen und die Sache mit der Grundlagenforschung erklären. Zum Beispiel, dass man die nicht macht, um Geld zu verdienen. Sondern um Dinge herauszufinden die man vorher noch nicht wusste. Und dass es gut ist, so etwas zu machen. Weil dann später vielleicht sehr viele Menschen sehr stark von den Ergebnissen der Grundlagenforschung profitieren können. Aber das wird dann der Punkt sein, an dem die Politiker nicht mehr zuhören werden. Solange “später” einen Zeitpunkt markiert, der nach der nächsten Wahl liegt, interessiert es keinen mehr. “Langfristig” ist ein Wort, dass von Politikern nur mehr aus PR-Zwecken verwendet, aber nicht verstanden wird.
Wie will man denn zum Beispiel langfristig den Energiehaushalt von Deutschland umstellen? Zuerst werden einmal alle AKWs abgeschaltet. Das bringt Wählerstimmen. Und dann? Irgendwas mit Solar und Windkraft halt, oder so. Klingt gut und klingt schön öko – aber muss auch irgendwie umgesetzt werden. Man muss die Windräder auch tatsächlich bauen und die vielen Stromleitungen, die diesen Strom weiterleiten – auch wenn sich die Wähler darüber beschweren. Man muss neue Speicherkraftwerke bauen und Windparks in den Ozeanen und sich mit den Umweltschützern auseinandersetzen, die das – oft zu recht – kritisieren. Man muss den Menschen irgendwie verkaufen, dass der neue, energiegewendete Strom teurer werden wird. Und dann der Versuchung widerstehen, die AKWs doch weiterlaufen zu lassen um mit dem billigen Strom die nächsten Wahlen zu gewinnen (Nobelpreisträger Robert Laughlin hat einmal prophezeit, das Deutschland bald wieder zur Atomkraft zurückkehren wird, solange keine billigere Alternative gefunden wird). Und in der Zwischenzeit muss man neue Kohlekraftwerke bauen, die weder sauber, noch umwelt- oder klimaverträglich, noch sicher sind.
Und die Forschung an wirklich neuen Methoden wird eingespart. Wen interessiert es schon, wie in Deutschland im Jahr 2050 die Energie produziert wird. Um das sollen sich die Menschen der Zukunft kümmern. Die Politiker von heute müssen Wahlen gewinnen!
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