Eines der Dinge, das die Astronomie so faszinierend macht, ist der Blick in die Vergangenheit. Ok, auch Archäologen können altes Zeug aus der Vergangenheit ausbuddeln. Aber es ist eben “nur” altes Zeug, das heute noch irgendwo herum liegt. Die Astronomen können die Vergangenheit sehen! Wenn wir nachts zum Himmel schauen, dann sehen wir die Vergangenheit: live und in Farbe. Wir sehen sogar viele verschiedene Vergangenheiten. Das Licht jedes Sterns und jeder Galaxie braucht viele Jahre, Jahrhunderte oder manchmal auch Jahrmillionen oder Jahrmilliarden um die Erde zu erreichen. Je weiter wir blicken, desto tiefer sehen wir in die Vergangenheit. Kürzlich ist es Wissenschaftler gelungen, weiter zurück zu schauen als je zuvor.
Das Universum setzt uns eine natürliche Grenze, was den Blick in die Vergangenheit angeht. Das Weltall wurde erst 400000 Jahre nach Urknall “durchsichtig”. Erst zu diesem Zeitpunkt war es so weit abgekühlt, dass sich die herumfliegenden Elektronen mit den herumfliegenden Atomkernen verbinden konnten. Damit war genug Platz für die Lichtteilen, die Photonen, sich ungehindert auszubreiten (ich hab das hier im Detail erklärt). Vorher sind sie ständig mit den freien Elektronen zusammengestoßen und das Universum war eine undurchsichtige Brühe aus Licht, Atomkernen und Elektronen.
Mit klassischen Mitteln können wir also nicht weiter zurück blicken als bis 400000 Jahre nach dem Urknall (mit noch zu bauenden Neutrino- oder Gravitationswellenteleskopen könnte man auch weiter zurück schauen). Aber dieser Grenze nähern wir uns immer weiter an. Schaut euch dieses Bild hier an, das Bilder zeigt, die von den Weltraumteleskopen Hubble und Spitzer aufgenommen wurden:
Links im Bild ist der Galaxienhaufen MACS J1149+2223. Rechts sieht man Vergrößerungen und der unscheinbare rote Punkt rechts unten ist die Galaxie MACS1149-JD. Sie sieht nicht sehr beeindruckend aus, ist aber vermutlich die bisher am weitesten entfernte, die Astronomen entdeckt haben. Auf dem Bild sehen wir sie zu einem Zeitpunkt, als das Universum gerade einmal 500 Millionen Jahre alt ist. Es hat erst 3,6 Prozent seines heutigen Alters, ist also quasi noch ein Kleinkind. Das Bild ist nicht nur an sich schon bemerkenswert. Es ist auch das erste Mal, dass man so ein entferntes Objekt mit unterschiedlichen Teleskopen in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen beobachtet hat (Hubble im sichtbaren Bereich und Spitzer im infraroten Bereich des Spektrums).
Jetzt wollt ihr wahrscheinlich alle wissen, wie weit die Galaxie entfernt ist. Das aber ist eine knifflige Frage. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Nicht, weil die Wissenschaftler keine Antwort wissen. Sondern weil sich Entfernungen im All nicht eindeutig definieren lassen. Denn das Universum dehnt sich aus und ist heute viel größer als früher. Es ist also nicht so einfach, zu definieren, was “Entfernung” in einem Universum bedeuten soll, dass seine Größe ändert. In der Astronomie benutzt man daher die sogenannte “Rotverschiebung”, die sich dann in verschiedene Entfernungen umrechnen lässt (ich habe das hier ausführlich erklärt). Die Rotverschiebung dieser Galaxie beträgt 9,6. Das bedeutet, dass das Licht von ihr bis zu uns 13,2 Milliarden Jahre unterwegs war! Wir blicken also tief in die Vergangenheit zurück.
Daraus folgt aber nicht, dass die Galaxie auch 13,2 Milliarden Lichtjahre entfernt ist. Denn während das Licht zu uns unterwegs war, hat sich das Universum ausgedehnt. Die tatsächlich Entfernung beträgt eher 32 Milliarden Lichtjahre. Nochmal: Das bedeutet nicht, dass sich das Licht hier mit Überlichtgeschwindigkeit bewegt hat oder das sonst irgendwas nicht stimmt. Während sich das Licht von der Galaxie bis zu uns bewegt hat, hat sich gleichzeitig auch das All ausgedehnt. Als das Licht ausgesandt wurde, war das Universum 500 Millionen Jahre alt, als das Licht ankam, war es 13,7 Milliarden Jahre alt. In der Zwischenzeit ist es sehr viel größer geworden und die Galaxie ist deswegen nicht 13,2 Milliarden Lichtjahre weit weg, sondern eben knapp 32 Milliarden Lichtjahre.
Es war auch gar nicht so einfach, so ein weit entferntes Objekt zu sehen. Normalerweise wäre das Licht der Galaxie viel zu schwach gewesen, um von den Teleskopen gesehen zu werden. Die Expansion des Universums hat es auch stark zum roten Bereich des Spektrums hin verschoben und so nochmal abgeschwächt. Aber die Astronomen konnten hier den Gravitationslinseneffekt benutzen. Seit Einstein wissen wir, dass massive Objekte die Raumzeit krümmen. Ein Lichtstrahl, der von A nach B fliegt und dabei zum Beispiel an einer Galaxie vorbei kommt, die die Raumzeit um sich herum krümmt, wird entsprechend abgelenkt (weil das Licht immer den Krümmungen der Raumzeit folgt). So wie eine Linse einen Lichtstrahl ablenken kann, können das also auch massive Objekte im All tun. Auch das Licht von MACS1149-JD ist durch die Galaxien des Galaxienhaufens abgelenkt worden. So wie eine optische Linse hat die Gravitationslinse das Licht der weit entfernte Galaxie verstärkt und circa 15 Mal heller gemacht, als sie eigentlich ist.
Die Untersuchung solcher weit entfernten und alten (oder jungen, je nach Blickwinkel: MACS1149-JD ist auf dem Bild vermutlich gerade mal 200 Millionen Jahre alt) Galaxien ist wichtig, wenn wir verstehen wollen, wie sich das junge Universum entwickelt hat. Als 400000 Jahre nach dem Urknall die ersten stabile Atome entstanden sind: Wie haben sich dann daraus die ersten Sterne und Galaxien entwickelt? Wie lange hat es gedauert, bevor die ersten Lichter im dunklen Universum aufgeleuchtet sind? Waren die ersten Galaxien klein und schlossen sich später zu größeren Objekten zusammen? Je weiter wir in die Vergangenheit blicken, desto leichter wird es uns fallen, diese Fragen zu beantworten. Irgendwann werden wir sehen was damals passiert ist…
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