Am 17. Oktober wurde das Nationale Institut für Wissenschaftskommunukation (NaWik) eröffnet. Dabei handelt es sich um ein Institut der Klaus Tschira Stiftung und des Karlsruher Instituts für Technologie. Sein Ziel ist, den Wissenschaftlern in Deutschland die Wissenschaftskommunikation beizubringen. Man soll lernen, wie man Wissenschaft verständlich kommuniziert.
Im offiziellen Video zur Eröffnung heißt es:
“Weshalb sehen wir im Fernsehen immer dieselben Klimaexperten oder Astrophysiker, obwohl es doch so viele mehr von ihnen gibt? Ein Grund könnte sein, dass bislang nur Naturtalente den Dialog mit der Öffentlichkeit wagen. Denn Kommunikation ist meist kein Teil einer wissenschaftlichen Ausbildung.”
Es ist sicherlich richtig, dass wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit derzeit hauptsächlich von den “Naturtalenten” durchgeführt wird. Aber meiner Meinung nach liegt das nicht unbedingt nur daran, dass eine entsprechende Ausbildung fehlt. Und ich behaupte, dass das NaWik auch mit seinen Kursen zur Wissenschaftskommunikation nicht viel daran ändern wird, dass immer der gleiche Klima- oder Astronomie-Experte im Fernsehen zu sehen ist.
Ich halte es für eine äußerst gute Idee, den Wissenschaftler beizubringen, wie man mit der Öffentlichkeit über Wissenschaft spricht. Jeder Forscher sollte lernen, wie man Interviews gibt, wie man Vorträge hält, Artikel für Medien schreibt oder Blogs & Co benutzt. All das kann man am NaWik lernen. Aber das Problem liegt meiner Meinung nach ganz wo anders. Es geht nicht darum, dass die Wissenschaftler nicht über ihrer Forschung reden wollen. Ich kenne genug, die nicht nur gerne Öffentlichkeitsarbeit machen würden, sondern auch recht gut darin sind, über ihre Forschung verständlich zu reden. Aber die Forscher können keine Öffentlichkeitsarbeit machen, selbst wenn sie wollen. Denn so wie die Wissenschaft derzeit organisiert ist, schadet sich jeder Forscher selbst, der zu viel Zeit für Öffentlichkeitsarbeit aufwendet.
In der Wissenschaft zählen die Publikationen. Wer am meisten publiziert, der hat die besseren Chancen, einen guten Job zu bekommen; eine permanente Stelle oder die Finanzierung für das nächste Forschungsprojekt. Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit oder der Lehre spielt da kaum ein Rolle. Wer Jahr für Jahr todlangweilige Vorlesungen hält aus denen die Studenten scharenweise flüchten; wer noch nie in seinem Leben einen öffentlichen Vortrag gehalten oder an einer öffentlichen Veranstaltung der Uni teilgenommen hat, der hat immer noch die besten Karrierechancen. Wer sich dagegen viel Mühe gibt, gute Vorlesungen zu halten und viel Zeit in die Vorbereitung der Lehre und die Betreuung der Studenten steckt; wer öffentliche Veranstaltungen organisiert, Vorträge hält oder populärwissenschaftliche Artikel für die Medien schreibt, der erhöht damit seine Karrierechancen nicht, sondern verringert sie oft sogar noch. Denn all dieses Engagement für Öffentlichkeitsarbeit und Lehre kostet Zeit. Zeit, die nicht mit Forschungsarbeit verbracht werden kann. Wer weniger forscht, der publiziert weniger. Und da Publikationen die einzige Währung in der Wissenschaft sind, überlegt es sich jeder Wissenschaftler zweimal, ob er oder sie sich die Zeit für solche “unbezahlten” Aktivitäten nehmen kann.
Eine Wissenschaftlerin sitzt ja nicht in ihrem Büro und überlegt sich: “Hey, ich habe einen so interessanten Job. Ich mache jeden Tag so viele tolle Sachen. Das würde sicher auch den Rest der Welt interessieren. Ich würde den Leuten da draußen gerne etwas darüber erzählen. Aber leider habe ich noch keine vernünftige Kommunikationsausbildung absolviert, also lasse ich das lieber.”
Nein, wenn dann läuft das eher so: “Hey, ich habe einen so interessanten Job. Ich mache jeden Tag so viele tolle Sachen. Das würde sicher auch den Rest der Welt interessieren. Aber ich muss unbedingt noch diese Messungen fertig bekommen. Und mein Chef wartet schon seit gestern auf die neuen Ergebnisse, die müssen so schnell wie möglich publiziert werden. Der hat gestern schon so komisch geschaut, als ich schon um 20 Uhr nach Hause gegangen bin. Die Publikation muss unbedingt in der nächsten Woche noch raus, damit ich die Referenz noch in meinen Projektantrag schreiben kann. Ansonsten ist meine Publikationsliste zu dünn und ich bekomme die Stelle auf keinen Fall.”
Man sieht deshalb immer wieder den selben Astrophysiker im Fernsehen, weil der es sich leisten kann, ins Fernsehen zu gehen. Harald Lesch – ich nehme mal an, er ist gemeint – hat seit 1995 eine Professur an der Uni München. Als er 1998 damit begann, die Serie “Alpha Centauri” zu moderieren, musste er sich keine Gedanken mehr über seine wissenschaftliche Karriere machen und war frei, diverse Projekte im Fernsehen zu verfolgen. Ein Wissenschaftler, der erst am Beginn seiner Karriere steht, könnte sich dieses Engagement vermutlich nicht leisten, selbst wenn er wollte.
Eine Einrichtung wie das NaWik ist sicherlich eine gute Idee und es ist gut, dass es nun existiert. Aber das Problem ist viel grundlegender; es ist ein politisches Problem. Solange in der Wissenschaftsförderung und bei der Beurteilung wissenschaftlicher Karrieren weiterhin nur die Forschungsarbeit und die Publikationen eine Rolle spielen, kann man noch so viele Kurse in Wissenschaftskommunukation anbieten: Die Wissenschaftler werden es sich nicht leisten können, sie zu absolvieren. Es werden weiterhin nur die Idealisten und Naturtalente “den Dialog mit der Öffentlichkeit wagen”. Natürlich könnte man das leicht ändern. Man müsste den Forschern nur die Möglichkeit geben, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, ohne dabei ihre Karriere zu beschädigen. Engagement in Lehre und Öffentlichkeitsarbeit sollte bei der Beurteilung eines Wissenschaftlers genauso viel wert sein wie die Forschungsarbeit. Das ist keine unvernünftige Forderung, denn meiner Meinung nach ist Wissenschaft mehr als nur reine Forschung. Wenn diese Forschung nicht auch weitergetragen und kommuniziert wird, ist sie sinnlos. Kommunikation über die Forschung sollte genau so wichtig sein wie die Forschung selbst.
Wenn heute irgendwo eine Stelle an einer Uni ausgeschrieben wird, dann beinhaltet die meistens auch die Verpflichtung, ein paar Stunden pro Woche zu lehren. Als ich zum Beispiel an der Uni Jena gearbeitet habe, waren es bei mir 4 Stunden pro Woche; mein Chef, der eine Professur innehatte, musste 8 Stunden Lehre pro Woche leisten. Was würde dagegen sprechen, Stellen auszuschreiben, die 20 oder 30 Stunden Lehre pro Woche beinhalten? Die Wissenschaftler die gut darin sind, zu lehren und Spaß daran haben, könnte sich auf so eine Stelle bewerben und den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Wissensvermittlung legen. Und wer keinen Bock auf Vorlesungen hat, der bewirbt sich um eine Forschungsstelle. Gleiches könnte man auch mit der Wissenschaftskommunikation machen (wie es nebenan auch Markus Pössel in einem lesenswerten Artikel fordert).
Ein Wissenschaftler sollte sich nicht schämen müssen, wenn er weniger Publikationen vorzuweisen hat, als sein Kollege, wenn er als Ausgleich dazu Erfolge in Lehre und Öffentlichkeitsarbeit nachweisen kann! Wenn es sich lohnt, Wissenschaftskommunikation zu betreiben, wenn das Engagement dafür die eigene Karriere fördern kann und ihr nicht schadet, dann werden Institute wie das NaWik sich vor Teilnehmern kaum retten können. Aber so lange die Situation so bleibt wie jetzt, werde sich vermutlich auch am NaWik nur die Leute treffen, die sich sowieso schon auf diesem Gebiet engagieren (Ich hab dazu keine Infos auf der Homepage gefunden, aber: Wer zahlt die Kurse eigentlich? Sind die für die Teilnehmer kostenlos? Wer zahlt die Reisekosten, usw? Die meisten Arbeitsgruppen haben schon zu wenig Geld, damit ihre Leute auf alle relevanten wissenschaftlichen Konferenzen fahren können. Da wird man kaum Geld ausgeben, um jemand zu einer Interview-Schulung nach Karlsruhe zu schicken?).
Ich weiß nicht, wie man das Problem lösen könnte. Das NaWik ist ja keine politische Lobby-Organisation und es ist nicht seine Aufgabe, solche Themen zu behandeln. Aber irgendjemand bzw. irgendeine Organisation müsste diese Überzeugungsarbeit leisten. Aber das wird vermutlich nicht passieren. Wenn Universitäten Stellen ausschreiben, dann werden sie weiter ausschließlich “exzellente und international anerkannte Forschung” fordern, und ob jemand Kurse am NaWik absolviert hat oder nicht wird keine Rolle spielen. Wenn Fördergemeinschaften wie die DFG Projekte begutachten, dann wird weiterhin die Länge der Publikationsliste eine wichtige Rolle spielen und die Liste der populärwissenschaftlichen Vorträge kann noch so lang sein, sie wird eine kürze Publikationsliste nicht wett machen können.
Ich bin gespannt, wie die Arbeit des NaWik in der Praxis ablaufen wird. Das Institut hat ein gutes Programm und kompetente Dozenten. Aber ich befürchte, sie werden nichts an der grundlegenden Situation ändern können. Solange Wissenschaftskommunikation nicht als wichtiger und wertvoller Teil der wissenschaftlichen Arbeit gesehen und entsprechend behandelt wird, solange werden es sich die meisten Wissenschaftler nicht leisten können, sich hier zu engagieren.
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