Es wird Zeit, meinen “Lesen und Rezensieren”-Bücherstapel abzuarbeiten – Weihnachten kommt bald und damit auch wieder neue Bücher. Ich werde also demnächst wieder öfter über die Bücher schreiben, die ich gelesen habe. Den Anfang machen heute zwei aktuelle Werke über Astronomie.
Das erste trägt den Titel “Elefanten im All: Unser Platz im Universum” (die Elefanten kommen allerdings nur im Vorwort kurz vor und beziehen sich auf einen humoristischen Vortrag den der Autor einmal gehalten hat) und wurde von Ben Moore geschrieben, einem Astrophysiker, der an der Uni Zürich arbeitet. Ich kenne Moore nicht persönlich, habe aber im Jahr 2003 eine nette Woche in seiner Arbeitsgruppe verbracht und mir von den Leuten dort die Arbeit mit Supercomputern erklären lassen (Moore war damals gerade nicht in der Stadt). Die großangelegten kosmologischen Simulationen die dort gemacht wurden und werden fand ich immer sehr interessant und ich hab mich gefreut, als ich das Buch von Moore im Buchladen fand. Das Buch wurde von den meisten Kritikern sehr gelobt – umso enttäuschter war ich dann, als ich es zu Ende gelesen hatte…
Das soll nicht heißen, dass “Elefanten im All” schlecht ist. Es ist ein schönes Buch über Astronomie mit vielen schönen Geschichten. Aber es ist irgendwie… schlampig? Mir fällt gerade kein besseres Wort ein, also bleibe ich mal dabei. Man hat irgendwie das Gefühl, dass Moore nicht ganz wusste, was er schreiben wollte. Und dass auch das Lektorat nicht sonderlich intensiv war. Überall im Buch finden sich kleine Fehler und Ungenauigkeiten. Wenn Moore erzählt, wie eine planetare Kollision den Mond erschuf schreibt er zum Beispiel:
“Dadurch entstand der Mond und seitdem dreht sich unsere Erde.”
Das ist natürlich Unsinn, die Erde drehte sich von Anfang an und die Entstehung des Mondes hat die Drehung sicherlich beeinflusst, aber nicht ausgelöst. Das weiß Moore sicherlich auch und es wird im Verlauf des Kapitels klar, dass er auf die Geschichte mit der Gezeitenreibung des Mondes hinaus will, die die Rotation der Erde verändert. Aber solche Fehler sollten im Lektorat auffallen bzw. sollten von Kollegen, denen man das Buch vorher zum Korrigieren gibt, entdeckt werden. Solche Schlampereien findet man überall im Buch. Da steht zum Beispiel:
“Würde die Sonne plötzlich aufhören zu scheinen, wäre die gesamte Erdoberfläche innerhalb weniger Tage zugefroren.”
4 Sätze danach schreibt Moore dann aber:
“Dass das Wasser der der Meere trotzdem noch auf Jahrmillionen nicht festfrieren würde, ist der Wärmeenergie im Erdinneren zu verdanken.”
Und Sätze wie dieser hier tun fast schon weh:
“Die meisten Sterne, die Sie sehen können, rotieren mit der Sonne um die Galaxie.”
Nein, alle Sterne die man mit freiem Auge sehen kann, gehören gemeinsam mit der Sonne zur Galaxie und rotieren um ihr Zentrum. Wie gesagt: Ich bin fest davon überzeugt, dass Moore ausreichend über Astronomie Bescheid weiß.
(Nachtrag 23.11.2012: In einem Gespräch (siehe auch weiter unten) hat mir Ben Moore erklärt, wie dieser Satz gemeint ist. Mit “Galaxie” sind “all the gravitational components, stars, gas, black holes and dark matter” gemeint: “The dark matter dominates the mass of our Galaxy, our Sun orbits in the potential provided by the dominating mass component. It moves around the “Galaxy” according to experts in the field”, sagt Ben Moore und ich füge diese Erklärung meiner Rezension gerne an. Auch wenn ich diese Verwendung des Wortes “Galaxie” ein wenig verwirrend finde, besonders wenn man es auch Sicht von Menschen betrachtet, die von Astronomie wenig Ahnung haben).
Und beim Schreiben passieren manchmal Fehler bzw. man ist eben manchmal schlampig und formuliert einen Satz nicht ganz exakt. Aber beim Überarbeiten des Buches und beim Lektorat sollte so etwas auffallen. Das am Ende immer noch der eine oder andere Fehler im Buch bleibt, ist nicht schlimm. So etwas passiert (kommt auch in meinen Büchern vor). Manchmal übersieht man halt etwas. So etwas zum Beispiel:
“Mit einem Fernglas oder einem Teleskop kann man den verschwommenen Fleck auflösen und erkennt eine wunderbare Spiralgalaxie, die ungefähr zwei Millionen Lichtjahre entfernt ist. Wenn sie Andromeda anschauen, sehen Sie das Licht, das von ihren Sternen vor mehr als zwei Jahren ausgeschickt wurde (…)”
Aber diese Häufung wie in “Elefanten im All” ist nicht normal (hier hat jemand noch ein paar andere Fehler im Buch aufgelistet).
Hinzu kommt, dass dem Buch ein roter Faden fehlt. Moore will über alles sprechen und das auf knapp 350 Seiten. Zuerst kommt eine Einführung in die Geschichte der Menschheit und die Entwicklung der Wissenschaft, dann wird erklärt, wie man die Zeit misst oder das Alter der Erde und der Sterne bestimmt und Urknall und dunkle Materie haben in Kapitel 2 auch noch Platz. Dann kommt in Kapitel drei nochmal der Urknall dran und Kapitel 4 erklärt wie Planeten und Sterne entstehen. In Kapitel 5 wird dann nochmal die komplette Entwicklung des Universums vom Urknall bis heute erzählt, diesmal allerdings auf der oft verwendeten 24-Stunden-Skala wo um Mitternacht das Universum entsteht und dann, fast 24 Stunden später, eine Zehntelsekunde vor Mitternacht, die modernen Menschen erscheinen. Kapitel 6 handelt dann plötzlich vom Gehirn, Neurophysik und Informatik und in Kapitel 7 geht es um Aliens und die Entstehung des Lebens während Kapitel 8 und 9 über die Zukunft der Erde und des Universums spekulieren. Kapitel 10 erläutert die Quantenmechanik und Kapitel 11 spekuliert nochmal über das Ende des Universums und den Sinn des Lebens. Und am Anfang eines jeden Kapitels findet man eine kurze autobiografische Anekdote die meistens von Moores Klettertouren in der Schweiz und den USA erzählt.
Wie gesagt. Die Geschichten selbst sind nicht schlecht. Moore schreibt gut und verständlich, wenn man von den Fehlern absieht. Aber es geht alles drunter und drüber und kreuz und quer und eine Geschichte wird selten zu Ende erzählt. Viele wichtige Konzepte werden nur kurz erwähnt und unerklärt gelassen. Die Inflation im frühen Universum (der eigentliche Urknall) wird mit dem Satz “Es gibt die Mutmaßung, eine Instabilität in der Vakuumenergie habe nun eine unglaublich rasche Expansion des Raumes angetrieben, die sogenannte Inflation.” abgehandelt – und der Leser darf selbst herausfinden, was “Vakuumenergie” sein soll und warum eine Instabilität dort den Raum expandieren lässt. Im Kapitel über das Gehirn tauchen “NAND-Logikgatter” genauso schnell auf wie sie wieder verschwinden und die Entstehung des Lebens auf der Erde wird in vier Sätzen (nicht wirklich) erklärt.
Vermutlich wäre das Buch besser geworden, wenn Moore sich auf ein Thema konzentriert hätte oder zumindest einen halbwegs verständlichen roten Faden für die Geschichten gefunden hätte. Es spricht ja absolut nichts dagegen, viele verschiedene Geschichten in einem Buch zu erzählen. Aber wenn man alle Geschichten erzählen will, muss man entweder ein sehr dickes Buch schreiben – oder man endet dann eben mit ein paar guten Stories und ein paar unbefriedigenden Andeutungen wie in “Elefanten im All”. Ich hatte ja eigentlich gehofft, in Moores Buch etwas über seine eigentliche Arbeit zu lesen. Die großangelegten kosmologischen Simulationen die zeigen, wie sich nach dem Urknall die ersten Sterne und Galaxien bilden. Die Geschichte, wie er sich gemeinsam mit seinem Kollegen Joachim Stadel selbst einen Supercomputer zusammengebastelt hat (die zBox, damals der schnellste Rechner in der Schweiz). Ein Buch über die Rolle der Computersimulationen für das Verständnis des Universums – angefangen von den ersten simplen Versuchen bis hin zu den riesigen Simulationen von heute. Naja, ich kann es Moore nicht vorwerfen, dass er das Buch geschrieben hat, das er schreiben wollte und nicht das, das ich gerne gelesen hätte. Und vielleicht bin ich auch zu streng. Wie gesagt, die Geschichten selbst sind nicht schlecht. Und Moore hat dieses Buch ja auch nicht für Astronomen geschrieben, wie er in diesem Interview sagt:
(Nachtrag 23.11.2012: Ich habe heute mit Ben Moore gesprochen. Er meinte, dass viele der angesprochenen Fehler in der aktuellen Auflage des Buches korrigiert worden sind. Bei anderen Fehlern dürfte es verschiedene Missverständnisse gegeben haben. Bei der Sache mit der Rotation der Erde bezog er sich auf eine seiner Arbeiten, die zeigte, dass bei der Planetenentstehung die letzte große Kollision die Rotationsgeschwindigkeit festlegt. Vor der Kollision mit Theia rotierte die Erde deutlich langsamer. Aber natürlich stand sie auch damals nicht regungslos im All. Der Satz den ich kritisiert habe (“seitdem dreht sich unsere Erde”) ist eventuell einem Übersetzungsproblem zu verdanken. Ähnlich ist es bei dem Satz mit der Rotation der Sonne um die Galaxie. Hier meinte Moore, dass die meisten Sterne, die man sehen kann, so wie die Sonne zur Galaxie gehören; obwohl es auch ein paar gibt die zur Halo-Population gehören und der Rotation um das Zentrum der Milchstraße nicht folgen, wie zum Beispiel Groombridge 1830. Auch hier ist das mit der “Rotation der Sonne um die Galaxie” einer schlechten Übersetzung zu verdanken.)
Ein ganz anderes Buch ist “Auf der Suche nach den ältesten Sternen” der Astronomin Anna Frebel. Im Gegensatz zum eher kryptischen Titel von Moores Buch, ist hier sofort klar, worum es geht. Dementsprechend klar strukturiert ist auch das Buch selbst.
Anna Frebel, Professorin am MIT, schreibt in dem Buch über ihre eigene Arbeit. Das ist die stellare Archäologie; sie sucht alte Sterne. Ok, “alt” ist ein relativer Begriff. Unsere Sonne ist 4,5 Milliarden Jahre alt. Das ist ziemlich alt. Aber verglichen mit anderen Sternen vergleichsweise jung. Denn Sterne gab es schon kurz nach dem das Universum überhaupt entstanden ist. Und das war vor 13,7 Milliarden Jahren. Solche Sterne sucht man nicht nur, weil es cool ist. Sondern weil man von ihnen lernen kann, wo alles her kommt! Denn all die chemischen Elemente aus denen wir bestehen und die uns umgeben sind in Sternen produziert worden. Fast alle jedenfalls. Beim Urknall selbst entstanden Wasserstoff und Helium (plus ganz wenig Lithium). Der ganze Rest kam aus den Sternen. Die allerersten Sterne konnten zwangsläufig nur aus Helium und Wasserstoff bestehen. Die Kernfusion in ihrem Inneren erzeugte die ersten schweren Elemente; die ersten “Metalle”. Astronomen machen es sich gerne einfach was die Chemie angeht. Bei uns gibt es Wasserstoff, Helium und der ganze Rest wird zusammen als “Metalle” bezeichnet… Wenn die Sterne dann am Ende ihres Lebens explodieren, pusten sie all diese neue Elementen ins All und wenn dann neue Sterne entstehen, dann enthalten die schon von Anfang an diverse schwere Elemente. Aus ihnen können aber nicht nur Sterne entstehen, sondern auch Planeten – und sogar Lebewesen.
Die alten Sterne sind also eine wichtige Informationsquelle, wenn wir die Entwicklung der Sterne, das frühe Universum und den Ursprung unserer Sonne und unseres Planeten verstehen wollen. Frebel erklärt in ihrem Buch äußerst detailliert, wie man sie findet und was man von ihnen lernen kann. Das Buch beginnt mit einer allgemeinen Einführung. Hier erklärt Frebel wie ein Stern funktioniert, wie er Energie erzeugt, welche verschiedenen Arten von Sternen es gibt, und so weiter. Natürlich wird auch der grundlegende Aufbau von Atomen erläutert, der Unterschied zwischen den chemischen Elementen, die Radioaktivität und alles, was sonst noch dazu gehört. Die Erzeugung dieser Elemente im Inneren der Sterne ist natürlich eines der Hauptthemen im Buch und wird entsprechend ausführlich erklärt.
Das ist einerseits gut, denn so detailliert bekommt man die Dinge selten erklärt. Wenn man keine Fachliteratur liest, dann bekommt man in der üblichen populärwissenschaftlichen Literatur meistens nur ein vereinfachtes Bild der Dinge präsentiert. Da Frebel aber ein ganzes Buch nur zu diesem Thema geschrieben hat, kann sie problemlos beliebig weit in die Tiefe gehen. Da wird die Rolle der Neutrinos bei der Entstehung von Supernovae erklärt oder im Detail erläutert, wie sterbende Sterne in ihren äußeren Schichten schwere Elemente produzieren (r-Prozess und s-Prozess). Andererseits ist die Fülle an Details auch manchmal ein wenig abschreckend. Selbst mir als Astronom wird es da manchmal zu viel und an manchen Stellen hat man das Gefühl, man liest einen Fachartikel und kein populärwissenschaftliches Buch. Jemand, der vorher noch nie mit Astronomie zu tun hatte, findet das vielleicht ein wenig deprimierend. Unverständlicherweise ist das Kapitel, in dem die Grundlagen der Spektroskopie und Elementhäufigkeitsanalyse erklärt werden, mitten im Buch (Kapitel 7), obwohl all diese Sachen vorher schon oft genug erwähnt werden. Dieses Kapitel hätte viel früher kommen müssen.
Wirklich hervorragend ist das Buch immer dann, wenn Frebel vom Arbeitsalltag in der Astronomie erzählt. Davon, wie sie als Doktorandin tausende Sterne überprüfte, um ein paar zu finden, die wirklich alt sind. Von den Schwierigkeiten, Beobachtungszeit an großen Teleskopen zu bekommen, von der Schönheit der Milchstraße, wenn man mitten in der Nacht beim Beobachten eine Pause macht. Neben vielen kleinen Episoden die über das ganze Buch verstreut sind, ist das ganze Kapitel 8 (“Komm, lass uns Sterne beobachten”) diesem Thema gewidmet. Frebel erzählt davon, wie faszinierend die Zeit ist, die man den großen Sternwarten dieser Welt verbringt und wie anstrengend ein “Observa-thon” ist. Man erfährt, wie moderne Astronomen wirklich arbeiten, was sie die ganze Nacht in den Kontrollräumen der Sternwarten treiben und was sie tun, wenn im australischen Busch vor dem Observatorium ein Waldbrand ausbricht…
Die letzten Kapitel des Buches beschäftigen sich dann mit den Objekten, nach denen das Buch benannt ist: den ältesten Sternen. Frebel schreibt über die ersten Sterne im Universum und über ihre eigene Forschung und ihre eigenen Entdeckungen (über einen der Sterne, an denen sie arbeitet habe ich vor Jahren auch mal kurz gebloggt.
Wer (fast) alles über Sterne wissen will, was man lernen kann, ohne Astronomie zu studieren, der sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen! Für komplette Astronomie-Neulinge ist es vielleicht ein wenig zu viel und auch wer schon Ahnung hat, wird manche Kapitel langsam lesen und viel dabei nachdenken müssen. Aber insgesamt ist es ein hervorragendes Sachbuch über Sterne! Es wird nicht nur die Wissenschaft selbst erklärt, sondern auch ausführlich darüber gesprochen, wie die Astronomen an dieses Wissen gekommen sind. So soll es sein!
Hier könnt ihr Anna Frebel nochmal persönlich zuhören, wie sie die Sache mit den ältesten Sternen erklärt:
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